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Zehntes Kapitel

Ein Feldherr kann der Schlacht nicht ausweichen, wenn sein Gegner durchaus eine Schlacht liefern will.

Gaius Sulpicius dictator adversus Gallos bellum trahebat, nolens se fortunae committere adversus hostem, quem tempus deteriorem in dies et locus alienus faceret. Livius VII, 12 (358 v. Chr.) (Der Diktator Gajus Sulpicius zog den Krieg gegen die Gallier in die Länge, da er einem Feind gegenüber, den die Zeit und das fremde Land von Tag zu Tag schwächte, nicht alles dem Glück überlassen wollte.) Wenn alle oder doch die meisten Menschen sich in einem Irrtum befinden, so ist es sicher nicht falsch, ihn öfter zu widerlegen. Obschon ich also mehrmals gezeigt habe, wie sehr wir in der Behandlung großer Angelegenheiten von den Alten abweichen, scheint es mir doch nicht überflüssig, noch einmal darauf zurückzukommen. Denn weicht man in irgend etwas von den Alten ab, so ist es gewiß in der Kriegführung, wo nichts mehr von alledem beachtet wird, worauf die Alten Wert legten. Dieser Übelstand kommt daher, daß die Republiken und Fürsten diese Sorge andern überlassen, um den damit verbundenen Gefahren zu entgehen. Sieht man heutzutage auch manchmal einen König in Person zu Felde ziehen, so glaube man ja nicht, es käme durch seine Gegenwart etwas anderes, Ruhmwürdigeres heraus. Denn zieht er wirklich einmal zu Felde, so tut er es zum Prunk und nicht aus einem andern, löblichen Grunde. Immerhin sehen diese Könige ihre Truppen doch mal mit eignen Augen und sind wenigstens dem Namen nach Oberbefehlshaber. Auch machen sie immer noch weniger Fehler als die Republiken, besonders die italienischen, die sich auf andre verlassen und nichts vom Kriegswesen verstehen, andrerseits aber, um als Herren zu erscheinen, darüber entscheiden wollen und dabei tausend Fehler begehen. Über einige dieser Fehler habe ich schon andernorts Vgl. Buch I, Kap. 23, und Buch II, an vielen Stellen. gehandelt. Ich will aber einen der wichtigsten hier nicht verschweigen.

Wenn solche müßigen Fürsten oder weibischen Republiken einen Feldherrn aussenden, glauben sie ihm keinen weiseren Auftrag geben zu können, als daß er sich auf keine Schlacht einlassen, ja, daß er sich auf jede Weise vor einem Kampf hüten soll. Damit glauben sie die Klugheit des Fabius Maximus nachzuahmen, der Rom durch Vermeiden einer Schlacht rettete, und sehen nicht ein, daß ein solcher Auftrag meistenteils Unsinn oder verderblich ist. Denn ein Heerführer, der sich im Felde halten will, kann eine Schlacht unmöglich vermeiden, sobald der Gegner sie durchaus liefern will. Ein solcher Auftrag heißt also nur soviel wie: liefere eine Schlacht, wenn es dem Feinde paßt, nicht dir.

Denn wer sich im Felde halten und keine Schlacht liefern will, hat nur ein sichres Mittel, nämlich wenigstens zehn Meilen Im Urtext: 50 Miglien. vom Feinde entfernt zu bleiben und sich gute Kundschafter zu halten, damit er bei seinem Anrücken rechtzeitig abziehen kann. Ein andres Mittel ist, sich in eine Stadt einzuschließen, aber beide Mittel sind höchst verderblich. Im ersten Fall überläßt man sein Land dem Feinde zur Beute, und ein tapfrer Fürst wird lieber das Schlachtenglück wagen, als den Krieg derart zum Schaden seiner Untertanen in die Länge zu ziehen. Im zweiten Falle ist der unglückliche Ausgang offenbar, denn wirft man sich mit seinem Heer in eine Stadt, so wird man sicher belagert, leidet bald Hunger und muß sich ergeben. Diese zwei Mittel, einer Schlacht auszuweichen, sind also durchaus verderblich. Das Verfahren des Fabius Maximus, stets feste Lager zu beziehen, ist gut, wenn dein Heer so tapfer ist, daß der Feind dich in deiner vorteilhaften Stellung nicht anzugreifen wagt. Man kann auch nicht sagen, daß Fabius eine Schlacht vermieden habe; er wollte sie nur zu seinem Vorteil liefern. Denn hätte Hannibal ihn angegriffen, so hätte er ihn erwartet und die Schlacht angenommen; aber Hannibal wagte es nicht, ihn in seiner günstigen Stellung anzugreifen. Die Schlacht wurde also sowohl von Hannibal wie von Fabius vermieden; hätte aber einer von beiden sie um jeden Preis liefern wollen, so blieben dem andern nur drei Auswege, nämlich die beiden obengenannten oder die Flucht.

Wie wahr dies ist, ergibt sich deutlich aus tausend Beispielen, besonders aus dem Kriege der Römer mit Philipp von Mazedonien, dem Vater des Perseus. Philipp III. S. Seite 139, Anm. 9, und Seite 140, Anm. 11. Von den Römern angegriffen, beschloß Philipp, keine Schlacht zu liefern. Zu diesem Zweck wollte er es anfangs so machen, wie Fabius Maximus in Italien. Er setzte sich also auf einer Bergkuppe fest und verschanzte sich stark, in der Meinung, die Römer würden den Angriff nicht wagen. Sie griffen ihn aber doch an und vertrieben ihn von seinem Berge, und da er keinen Widerstand leisten konnte, ergriff er mit dem größten Teil seiner Leute die Flucht. Nur die Unwegsamkeit der Gegend, die die Römer an der Verfolgung hinderte, rettete ihn vor völliger Vernichtung. Da sich also Philipp auf keinen Kampf einlassen wollte, sein Lager aber in der Nähe der Römer bezogen hatte, mußte er fliehen. Nachdem ihn diese Erfahrung gelehrt hatte, daß es zur Vermeidung einer Schlacht nicht hinreicht, auf einem Berge zu stehen, griff er, da er sich nicht in eine Stadt einschließen wollte, zu dem andern Mittel, viele Meilen vom römischen Lager entfernt zu bleiben. Waren daher die Römer in einer Gegend, so zog er in eine andre und ging immer dorthin, wo die Römer abzogen. Schließlich sah er ein, daß er durch diese Art von Kriegsverlängerung nur seine Lage verschlimmerte und daß seine Untertanen bald von ihm, bald vom Feinde bedrückt wurden. So entschloß er sich, das Kriegsglück zu wagen, und lieferte den Römern eine richtige Schlacht. Die Niederlage bei Kynoskephalä, 197 v. Chr.

Es ist also nützlich, nicht zu kämpfen, wenn die Heere in der gleichen Verfassung sind, wie das des Fabius und des Gajus Sulpicius, d. h. wenn du ein so gutes Heer hast, daß der Feind dich in deinen Verschanzungen nicht anzugreifen wagt, und wenn er in deinem Lande nur schwach Fuß gefaßt hat, so daß er Mangel an Unterhalt leidet. In diesem Fall ist die Maßregel vorteilhaft, wie Livius es mit den obigen Worten begründet: nolens se fortunae committere adversus hostem, quem tempus deteriorem in dies et locus alienus faceret. In jedem andern Fall aber läßt sich die Schlacht nur mit Schande und Gefahr vermeiden. Denn fliehen, wie Philipp, ist so gut wie geschlagen werden, ja es ist um so schimpflicher, als man keinen Beweis seiner Tapferkeit geliefert hat. Gelang es Philipp aber auch, sich zu retten, so würde es doch keinem andern gelingen, wenn ihm nicht die Beschaffenheit der Gegend so zu Hilfe käme wie ihm.

Niemand wird leugnen, daß Hannibal ein Meister der Kriegskunst war. Hätte er, als ihm Scipio in Afrika gegenüberstand, einen Vorteil in der Verlängerung des Krieges gesehen, so hätte er sicher danach gehandelt. Als guter Feldherr mit einem tüchtigen Heer hätte er es vielleicht so machen können wie Fabius in Italien; da er es aber nicht tat, muß man annehmen, daß er gewichtige Gründe dazu hatte. Denn ein Fürst, der ein Heer zusammengebracht hat und einsieht, daß er es aus Mangel an Geld oder Bundesgenossen nicht lange beisammenhalten kann, ist völlig von Sinnen, wenn er das Glück nicht versucht, bevor ihm sein Heer auseinanderläuft. Denn wartet er, so ist er sicher verloren; versucht er das Glück, so kann er immer noch siegen. Noch etwas ist hier stark in Anschlag zu bringen: auch wenn man unterliegt, soll man Ehre einzulegen suchen, und es ist zweifellos ehrenvoller, mit den Waffen besiegt zu werden, als den Krieg durch irgendeinen andern Mißstand zu verlieren. Diese Notwendigkeiten müssen Hannibal wohl also zur Schlacht gezwungen haben. Bei Zama, 202 v. Chr. Hätte er aber auch die Schlacht hinausgeschoben, und Scipio hätte nicht den Mut gehabt, ihn in fester Stellung anzugreifen, so hätte dies dem Scipio gar nichts geschadet, denn er hatte bereits den Syphax überwunden und so viel Städte in Afrika erobert, daß er dort so sicher und bequem stehen konnte wie in Italien. Das war bei Hannibal nicht der Fall, als er dem Fabius gegenüberstand, noch bei den Galliern, die den Sulpicius gegen sich hatten.

Noch weniger kann man im Angriffskrieg eine Schlacht vermeiden. Denn will man in Feindesland eindringen und der Feind tritt einem entgegen, so muß man sich wohl oder übel mit ihm schlagen; und belagert man eine Stadt, so wird die Schlacht noch unvermeidlicher. So wurde in unsrer Zeit Herzog Karl von Burgund bei der Belagerung der Schweizer Stadt Murten von den Schweizern angegriffen und geschlagen, Karl der Kühne wurde 1476 bei Murten geschlagen. ebenso das französische Heer bei der Belagerung von Novara (1513) von den Schweizern.


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