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Zwölftes Kapitel

Was besser ist, wenn man einen Angriff befürchtet, loszuschlagen oder den Krieg abzuwarten.

Ich habe manchmal sehr kriegserfahrene Männer darüber streiten hören, ob ein Fürst, wenn ein ziemlich gleichmächtiger, aber kühnerer Nachbar ihm den Krieg erklärt, besser daran täte, den Feind im eignen Lande zu erwarten, oder den Krieg in Feindes Land zu führen. Für beides habe ich Gründe anführen hören.

Für den Krieg in Feindesland wurde der Rat angeführt, den Krösos dem Kyros gab, als dieser an der Grenze der Massageten angekommen war, um sie zu bekriegen, und die Königin Tamyris ihn vor die Wahl stellte, in ihr Reich einzudringen, wo sie ihn erwarten wollte, oder zu warten, bis sie ihm entgegenzöge. Als hierüber gestritten wurde, war Krösos im Gegensatz zu den übrigen dafür, ihr entgegenzuziehen, denn wenn Kyros sie fern von ihrem Reiche besiegte, würde er ihr die Herrschaft nicht entreißen, weil sie dann Zeit zur Erholung hätte; besiegte er sie aber innerhalb ihrer Grenzen, so könnte er sie auf der Flucht verfolgen, ihr keine Zeit zur Erholung lassen und ihr das Reich entreißen. Nach Herodot I, 207. Der ältere Kyros fiel 529 v. Chr. im Kampf mit den Massageten. Man führt auch den Rat an, den Hannibal dem König Antiochos gab, als dieser den Römern den Krieg erklären wollte. Hannibal bewies ihm, die Römer könnten nur in Italien besiegt werden, Livius XXXII, 60. denn hier könne man sich ihre eignen Waffen, ihre Reichtümer und Bundesgenossen zunutze machen. Wer sie aber außerhalb Italiens bekämpfe und ihnen Italien freigebe, lasse ihnen die unversiegliche Quelle, aus der sie Kräfte schöpfen könnten, soviel sie brauchten. Er schloß daher, man könne den Römern eher Rom als das Reich, eher Italien als die Provinzen entreißen. Man führt auch Agathokles an, Der Tyrann Agathokles von Syrakus (361-289) bekämpfte 311 bis 306 die Karthager mit wechselndem Glück. Sein Einfall in Afrika endete zwar mit einem Mißerfolg, bestimmte aber die Karthager zum Frieden und zum Verzicht auf Sizilien. Vgl. Livius XXXVIII, 43. der, als er den Krieg in der Heimat nicht fortsetzen konnte, die Karthager in ihrem eignen Land angriff und sie zwang, um Frieden zu bitten. Zuletzt führt man Scipio an, der Afrika angriff, Die Schlacht bei Zama (202 v. Chr.) beendigte den zweiten punischen Krieg. um dem Krieg in Italien ein Ende zu machen.

Die Gegner dieser Ansicht sagen, wer den Feind vernichten wolle, müsse ihn von der Heimat entfernt halten. Sie führen die Athener an, die, solange sie den Krieg bequem in der Heimat führten, die Oberhand behielten, sobald sie aber ihr Land verließen und nach Sizilien übersetzten, die Freiheit verloren. Sizilische Expedition der Athener, 415-413. Sie führen auch die Fabeln der Dichter an, wonach Antäos, König von Libyen, als er von dem ägyptischen Herakles angegriffen wurde, solange unüberwindlich war, als er innerhalb seiner Reichsgrenzen blieb, sobald er sich aber von Herakles hinauslocken ließ, Reich und Leben verlor. Hieraus entstand die Fabel von Antäos, dem seine Mutter, die Erde, neue Kraft gab, wenn er am Boden lag. Als Herakles dies merkte, hob er ihn in die Höhe und entfernte ihn von der Erde. Man führt auch neuere Beispiele an.

Jedermann weiß, daß König Ferdinand I. von Neapel 1458-94. Für die folgenden Ereignisse s. Lebenslauf, 1493-95. für einen der klügsten Fürsten seiner Zeit galt. Zwei Jahre vor seinem Tode ging das Gerücht, Karl VIII. von Frankreich wolle ihn angreifen. Er machte große Rüstungen, wurde krank, und als er seinen Tod nahen fühlte, ermahnte er seinen Sohn Alfonso unter anderm auch, den Feind mit seiner ganzen Heeresmacht innerhalb seiner Grenzen zu erwarten und um keinen Preis seine Truppen aus dem Lande zu ziehen. Alfonso folgte diesem Rat nicht, schickte ein Heer nach der Romagna und verlor Heer und Thron ohne Schwertstreich.

Die Gründe, die außer den schon genannten von beiden Seiten angeführt werden, sind folgende: Der Angreifer kommt mit größerem Mut als der Verteidiger, was dem Heer mehr Zuversicht gibt. Außerdem entzieht er dem Feind viele Möglichkeiten, sein Eigentum zu benutzen, denn die ausgeplünderten Untertanen bringen ihm nichts ein, und der Fürst muß, wenn der Feind im Lande steht, beim Einziehen von Steuern darauf halten, daß er seine Untertanen nicht zu sehr mit Auflagen bedrückt, weil sonst nach Hannibals Wort die Quelle versiegt, die ihm die Kriegführung ermöglicht. Außerdem sind die Soldaten dadurch, daß sie in Feindesland stehen, mehr zum Kämpfen gezwungen, und diese Notwendigkeit macht tapfer, wie ich schon mehrmals sagte.

Für die Verteidigung im eignen Lande wird angeführt: Wer den Angriff erwartet, hat viele Vorteile, denn er kann ohne eignen Schaden dem Feinde Lebensmittel und andern Kriegsbedarf abschneiden, kann mit Hilfe besserer Landeskenntnis dessen Pläne besser vereiteln, kann ihm mit mehr Streitkräften entgegentreten. Denn im Lande kann man leicht seine ganze Macht zusammenziehen, sie aber nicht ganz außer Landes führen. Wird man geschlagen, so kann man sich leichter erholen, denn viele Soldaten werden sich nach den nahen Zufluchtsorten retten; auch braucht der Ersatz nicht von weither geholt werden. Man braucht also seine ganze Macht, setzt aber nicht sein ganzes Glück aufs Spiel. Beim Verlassen des eignen Landes jedoch wagt man sein ganzes Glück, nicht aber die ganze Macht. Um den Feind mehr zu schwächen, hat man ihn sogar einige Tagesmärsche ins Land rücken und ihn einige Städte einnehmen lassen, damit er sein Heer durch Besatzungen schwächt und man ihn um so leichter schlagen kann.

Um nun aber auch meine Meinung zu sagen, glaube ich, man muß folgenden Unterschied machen. Entweder ich habe ein bewaffnetes Land, wie die Römer und Schweizer, oder ich habe ein unbewaffnetes Land, wie die Karthager, der König von Frankreich und die Italiener. In diesem Fall muß ich mir den Feind fernhalten; denn da meine Kraft im Geld und nicht in den Menschen liegt, bin ich allemal verloren, wenn mir der Weg dazu abgeschnitten ist, und nichts schneidet ihn so sehr ab, wie Krieg im eignen Lande. Ein Beispiel dafür sind die Karthager. Solange ihr Land frei war, vermochten sie mit Hilfe ihrer Einnahmen Krieg mit den Römern zu führen, als aber ihr Land angegriffen wurde, konnten sie nicht einmal dem Agathokles widerstehen. S. den Anfang des Kapitels. Die Florentiner wußten sich keine Hilfe gegen Castruccio, den Herrn von Lucca, S. Seite 149, Anm. 26. weil er sie im eignen Lande bekriegte, so daß sie sich zu ihrer Verteidigung dem König Robert von Neapel unterwerfen mußten. Als aber Castruccio tot war, hatten dieselben Florentiner Mut genug, den Herzog von Mailand in seinem Land anzugreifen und ihn um seine Herrschaft zu bringen. So tapfer waren sie in Kriegen außer Landes und so feig in einem einheimischen!

Sind dagegen die Reiche bewaffnet, wie früher Rom und jetzt die Schweiz, dann sind sie um so schwerer zu besiegen, je näher man ihnen kommt. Solche Körper können mehr Kräfte zum Widerstand vereinen als zum Angriff. Hannibals Autorität kann mich in diesem Fall nicht irremachen, denn die Leidenschaft und sein Vorteil ließen ihn so zu Antiochos sprechen. Hätten die Römer in so kurzer Zeit drei Niederlagen in Gallien erlitten, wie durch Hannibal in Italien, so waren sie unfehlbar verloren, denn sie hätten die Überbleibsel des Heeres nicht so benutzen können wie in Italien, hätten sich nicht so leicht wieder erholt und daher dem Feind nicht mit solchen Kräften Widerstand leisten können. Man findet nie, daß sie zum Angriff gegen ein Land mehr als 50 000 Mann ausschickten, aber zur Verteidigung der Heimat gegen die Gallier nach dem ersten punischen Krieg stellten sie 1 800 000 Mann unter die Waffen. So im Urtext. Die 8 dürfte fortzulassen sein, so daß 100 000 zu lesen ist. In der Lombardei hätten sie die Gallier schon nicht mehr so schlagen können wie in Etrurien, Bei Telamon, 225 v. Chr. denn gegen eine so große Feindeszahl hätten sie so gewaltige Truppenmassen nicht so weit von Rom fortführen und nicht so bequem gegen sie kämpfen können. Die Cimbern schlugen in Deutschland ein römisches Heer, und die Römer konnten dort nichts gegen sie ausrichten. 113 v. Chr. Als sie aber nach Italien kamen, vereinigte Rom seine ganze Macht und vernichtete sie. Bei Vercellae, 101 v. Chr. Die Schweizer sind leicht außer Landes zu schlagen, da sie nur 20 bis 40 000 Mann ins Feld stellen können, aber in der Heimat, wo sie 100 000 aufbringen können, ist es sehr schwierig.

Ich ziehe also nochmals den Schluß, daß ein Fürst, der ein bewaffnetes und kriegstüchtiges Volk hat, einen großen und gefährlichen Krieg stets im Lande erwarten und dem Feind nicht entgegengehen soll. Wer hingegen ein unbewaffnetes und unkriegerisches Volk hat, halte den Krieg so weit wie möglich von der Heimat fern. So wird sich jeder nach seiner Art am besten verteidigen.


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