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Das römische Volk hatte, wie oben gesagt, S. Kap. 39. einen Haß auf den Konsultitel gefaßt und verlangte, daß entweder nur Plebejer zu Konsuln gewählt oder daß ihre Gewalt beschränkt würde. Da schlug der Adel einen Mittelweg ein, um die Konsulwürde durch keins dieser Mittel herabzusetzen. Er willigte darein, daß vier Tribunen mit konsularischer Gewalt ernannt würden, die aus dem Volk wie aus dem Adel genommen werden konnten. 445 v. Chr. Damit war das Volk zufrieden, denn es glaubte, das Konsulat sei damit abgeschafft und es habe seinen Anteil an der höchsten Würde erlangt. Dabei ereignete sich das Merkwürdige, daß bei der Wahl dieser Tribunen, die man alle aus den Plebejern hätte nehmen können, lauter Adlige gewählt wurden. Titus Livius sagt darüber: Quorum comitiorum eventus docuit, alios animos in contentione libertatis et honoris, alios secundum deposita certamina in incorrupto iudicio ess. Livius IV, 6. (Das Wahlergebnis lehrte, daß man anders gesinnt ist im Streit um Freiheit und Ehre als nach beigelegtem Streit bei unbefangenem Urteil.) Der Grund dafür liegt meines Erachtens darin, daß die Menschen sich über das Ganze häufig, über das Einzelne aber selten täuschen. Im Ganzen glaubte das römische Volk das Konsulat zu verdienen, weil es den größten Teil der Stadt ausmachte, im Kriege die größere Gefahr trug, weil es mit seinen Armen Rom frei und mächtig erhielt. Da ihm also sein Anspruch vernünftig erschien, so wollte es durchaus in Besitz dieser Würde gelangen. Als es aber über seine Leute im Einzelnen zu urteilen hatte, erkannte es ihre Schwäche und hielt keinen von ihnen dessen für würdig, was es in seiner Gesamtheit zu verdienen meinte. Es schämte sich ihrer und wandte sich wieder an die, die es wirklich verdienten. Über diesen Entschluß ist Titus Livius mit Recht erstaunt, wenn er sagt: Hanc modestiam aequitatemque et altitudinem animi, ubi nunc in uno inveneris, quae tunc populi universi fuit? Livius IV, 6. (Solche Bescheidenheit, Billigkeit und Hoheit der Gesinnung, wie sie damals dem ganzen Volk eigen war, wo fände man sie jetzt bei einem einzigen?)
Zur Bekräftigung läßt sich noch ein andres, denkwürdiges Beispiel anführen, das sich in Capua zutrug, als Hannibal die Römer bei Cannae geschlagen hatte. Nach dieser Niederlage, die ganz Italien zum Aufruhr brachte, stand auch Capua im Begriff, sich zu empören, und zwar wegen des Hasses zwischen Volk und Senat. Livius XXIII, 2 f. Pacuvius Calavius, der dort die höchste Würde bekleidete, erkannte die Gefahr einer Empörung und beschloß, kraft seines Amtes Volk und Adel wieder zu versöhnen. In diesem Sinne versammelte er den Senat, verwies auf den Haß des Volkes und auf die Gefahr, daß das Volk die Senatoren ermorden und die Stadt dem Hannibal ausliefern werde, da die Römer völlig geschlagen seien. Wenn sie ihm jedoch die Sache überlassen wollten, so werde er eine Einigung zustande bringen; er müsse sie aber in das Rathaus einschließen, um sie dadurch zu retten, daß er dem Volke die Macht gebe, sie zu strafen. Die Senatoren gingen auf seinen Vorschlag ein, und er schloß den Senat im Rathaus ein. Dann berief er das Volk zur Versammlung und sagte, jetzt sei die Zeit gekommen, den Übermut des Adels zu brechen und sich für die erlittenen Kränkungen zu rächen, denn er habe sie alle unter seinem Gewahrsam eingesperrt. Er glaube jedoch, das Volk würde die Stadt nicht ohne Regierung lassen wollen, und so müßte es vor der Hinrichtung der alten Senatoren neue ernennen. Darum habe er die Namen aller Senatoren in einen Beutel getan; er werde sie vor dem Volke herausziehen und die Herausgezogenen nacheinander töten lassen, sobald man ihre Nachfolger gefunden habe. Als er den ersten gezogen hatte, erhob sich bei seinem Namen ein großer Lärm; man nannte ihn stolz, grausam und anmaßend. Als aber Pacuvius verlangte, einen Ersatzmann zu wählen, schwieg die ganze Versammlung still. Nach einer Weile wurde einer aus dem Volke genannt, bei dessen Namen der eine zischte, der andere lachte, der dritte auf diese, der vierte auf jene Weise Übles von ihm sagte. Und so wurden nacheinander alle, die man nannte, der Senatorenwürde für unwert gehalten. Diese Gelegenheit ergriff Pacuvius und sprach: »Da ihr der Meinung seid, daß die Stadt ohne Senat nicht bestehen kann, und da ihr euch über den Ersatz für die alten Senatoren nicht einigen könnt, so halte ich es für das beste, wenn ihr euch wieder aussöhnt; denn durch die Angst, die die Senatoren ausgestanden haben, sind sie sicher so demütig geworden, daß ihr die Nachgiebigkeit, die ihr anderswo sucht, bei ihnen finden werdet.« Das Volk ging darauf ein, und die Einigung erfolgte. Der Irrtum des Volkes aber kam an den Tag, als es gezwungen war, sich auf Einzelheiten einzulassen. Ebenso täuschen sich die Völker gemeinhin bei der Beurteilung der Ereignisse und ihrer Ursachen; lernen sie diese dann aber im einzelnen kennen, so sehen sie ihren Irrtum ein.
Nach dem Jahre 1494, als die Häupter der Stadt S. Kap, 7, Anm. 1. aus Florenz vertrieben waren, bestand keine geordnete Regierung, vielmehr eine Art zügelloser Ehrgeiz, und es ging mit den öffentlichen Angelegenheiten immer schlimmer. Viele Männer des Volkes, die den Verfall der Stadt sahen und keine andre Ursache erkannten, schoben die Schuld auf den Ehrgeiz irgendeines Mächtigen, der die Unordnung begünstige, um eine Staatsverfassung nach seinem Gutdünken zu schaffen und dem Volke die Freiheit zu rauben. Diese Leute standen in den Hallen und auf den Plätzen, verleumdeten viele Bürger und drohten ihnen, wenn sie selbst jemals in die Signoria kämen, ihre Arglist aufzudecken und sie zu bestrafen. Oft kam es nun, daß einer von ihnen ans Staatsruder gelangte, aber sobald er im Amte war und die Dinge mehr aus der Nähe sah, erkannte er die Ursachen der Unordnung, die drohenden Gefahren und die Schwierigkeit, ihnen abzuhelfen. Als er nun sah, daß die Umstände und nicht die Menschen die Ursache der Unordnung waren, änderte er plötzlich seine Gesinnung und sein Benehmen, denn die Kenntnis der Einzelheiten benahm ihm die Täuschung, in der er bei der Betrachtung des Ganzen befangen war. Wer ihn früher als Privatmann hatte reden hören und ihn nun an der Spitze des Staates ganz ruhig sah, schrieb dies nicht der richtigeren Einsicht in die Dinge zu, sondern glaubte, daß er von den Großen herumgebracht und bestochen worden sei. Und da das bei vielen und oftmals geschah, so entstand daraus beim Volk ein Sprichwort: Sie haben eine Gesinnung auf dem Platz und eine im Rathaus.
Erwägt man also alles Angeführte, so sieht man, daß man dem Volke bald die Augen öffnen kann, wenn man bei der Wahrnehmung, daß es sich im Ganzen täuscht, ein Mittel findet, es zum Eingehen aufs Einzelne zu zwingen, wie es Pacuvias in Capua und der Senat in Rom tat. Auch läßt sich, wie ich glaube, der Schluß ziehen, daß kein kluger Mann das Urteil des Volkes im Einzelnen, bei der Verteilung der Ämter und Würden, zu scheuen braucht; denn gerade darin täuscht sich das Volk nicht, und täuscht es sich auch einmal, so doch weit seltener als die wenigen, die dergleichen Verteilungen vorzunehmen haben. Es scheint mir nicht überflüssig, im nächsten Kapitel zu zeigen, auf welche Weise der Senat das Volk bei der Wahl der Behörden zu täuschen pflegte.