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Erstes Buch

Innere Politik

 

Das Auffinden neuer Einrichtungen und Staatsordnungen war bei der neidischen Menschennatur stets ebenso gefährlich wie das Entdecken unbekannter Meere und Länder, denn die Menschen neigen mehr zum Tadeln als zum Loben. Da es mir aber angeboren ist, stets ohne Rücksicht alles zu tun, was nach meiner Ansicht dem Gemeinwohl nutzt, habe ich einen Weg einzuschlagen beschlossen, der noch unbegangen ist und der mir gewiß Mühe und Beschwerden kosten wird, aber auch Lohn eintragen kann, falls man meine Bestrebungen mit Nachsicht beurteilt. Sollte dies Unterfangen durch die Armut des Geistes, die geringe Erfahrung in der Gegenwart, die schwache Kenntnis der Vergangenheit auch mangelhaft und wenig nutzbringend sein, so bahne ich damit doch einem andern den Weg, der mit mehr Talent, Beredsamkeit und Scharfsinn meine Absicht verwirklichen kann. Dies sollte mir, wo keinen Lohn, so doch auch keinen Tadel eintragen. Dieser erste Absatz fehlt in einigen älteren Ausgaben einschließlich der »Testina« (1550).

Ich sehe, wieviel Ehre man dem Altertum erweist, wie oft man, um nur dies Beispiel zu erwähnen, das Bruchstück einer alten Bildsäule zu hohem Preise kauft, um es zu besitzen, wie man sein Haus damit schmückt, es von den Künstlern nachahmen läßt, und wie diese dann eifrig bestrebt sind, es in allen ihren Werken anzubringen. Andrerseits sehe ich die kraftvollsten Unternehmungen der Geschichte, die Taten der alten Reiche und Republiken, der Könige, Feldherren, Bürger, Gesetzgeber und aller, die für ihr Vaterland gearbeitet haben, viel mehr bewundert als nachgeahmt. Ja man weicht überall derart von ihnen ab, daß uns von jener alten Tugend kein Hauch mehr geblieben ist. So muß ich mich denn zugleich wundern und betrüben, zumal ich sehe, wie man im bürgerlichen Rechtsstreit und bei Krankheiten immerfort auf die Urteile oder Heilmittel zurückgreift, die von den Alten gefällt oder verordnet wurden. Denn was sind die bürgerlichen Gesetze anderes als Urteilssprüche der alten Rechtsgelehrten, die, in ein System gebracht, das Muster unsrer jetzigen Rechtsprechung bilden? Ebenso ist die Heilwissenschaft nichts andres als die von den alten Ärzten gemachte Erfahrung, auf die die jetzigen ihre Wissenschaft gründen. Nichtsdestoweniger greift bei der Einrichtung der Republiken, der Erhaltung der Staaten, der Regierung der Reiche, der Einrichtung des Heerwesens und der Kriegführung, bei der Rechtsprechung über die Untertanen und der Erweiterung der Herrschaft kein Fürst oder Freistaat, kein Feldherr oder Bürger auf die Beispiele der Alten zurück.

Das kommt nach meiner Ansicht nicht sowohl von unsrer schwächlichen Erziehung noch von dem Schaden, den ehrgeiziger Müßiggang vielen Ländern und Städten der Christenheit zugefügt hat, als vielmehr von dem Fehlen jeder wahren Geschichtskenntnis, da man beim Lesen der Geschichte weder ihren Sinn begreift, noch den Geist der Zeiten erfaßt. Zahllose Leser finden nur Vergnügen daran, die bunte Mannigfaltigkeit der Ereignisse an sich vorüberziehen zu lassen, ohne daß es ihnen einfällt, sie nachzuahmen. Sie halten die Nachahmung nicht nur für schwierig, sondern für unmöglich, als ob Himmel, Sonne, Elemente und Menschen in Bewegung, Gestalt und Kräften anders wären als ehedem.

Von diesem Irrtum möchte ich die Menschen befreien, und darum habe ich es für nötig gehalten, über alle Bücher des Titus Livius, die uns die mißgünstige Zeit nicht geraubt hat, das niederzuschreiben, was ich auf Grund alter und neuer Begebnisse zu ihrem besseren Verständnis beizutragen vermag, damit die Leser dieser Betrachtungen den Nutzen daraus ziehen können, dessentwegen man Geschichtskenntnis erwerben soll. Für diesen Gedanken vgl. Polybios I, 1, II, 56,12, III, 131; Diodor I, 1. Das Unternehmen ist schwierig, aber mit Hilfe derer, die mich ermutigt haben, diese Last auf mich zu nehmen, glaube ich es doch so weit zu bringen, daß einem andern nur noch ein kurzer Weg bis zum Ziele bleibt.


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