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Drittes Buch

Führende Männer

 

Erstes Kapitel

Soll ein Staat oder eine Religion lange bestehen, so muß man sie häufig zu ihrem Ursprung zurückführen.

Es ist eine ausgemachte Wahrheit, daß alle Wesen auf Erden ihre Lebensgrenze haben. Aber nur die vollenden den ihnen vom Himmel vorgezeichneten Lauf, die ihren Körper nicht in Unordnung bringen, sondern ihn in Ordnung halten, so daß er sich nicht verändert, oder, wenn dies geschieht, nur zu seinem Heil und nicht zum Schaden. Da ich hier nur von zusammengesetzten Körpern Der Begriff des Staatskörpers von Polybios, XI, 25, 2 ff. rede, wie es die Staaten und Religionsgemeinschaften sind, so behaupte ich, daß ihnen nur die Veränderungen zum Heil gereichen, die sie zu ihrem Ursprung zurückführen. Darum sind die am besten geordnet und von längster Dauer, die sich vermöge ihrer Einrichtungen häufig erneuern können, oder die ein äußerer Zufall zur Erneuerung führt. Es ist klarer als der Tag, daß diese Körper ohne Erneuerung keine Dauer haben. Das Mittel zu ihrer Erneuerung ist, wie gesagt, ihre Zurückführung auf ihren Ursprung; denn zu Anfang müssen alle Religionen, Republiken und Königreiche notwendig etwas Gutes gehabt haben, kraft dessen sie ihr ursprüngliches Ansehen und ihr erstes Wachstum wiedererlangen. Nach Sallust, Catilina, II, und Aristoteles, Politik, VIII, 7, 16 Dies Gute verdirbt mit der Zeit; tritt also nichts ein, wodurch es wieder hergestellt wird, so muß der Körper notwendig sterben. Die Ärzte sagen vom menschlichen Körper: Quod quotidie aggregatur aliquid, quod quandoque indiget curatione. (Daß sich täglich etwas ansetzt, das manchmal der Heilung bedarf.)

Die Rückkehr zum Ursprung geschieht bei Republiken durch ein äußeres Unglück oder durch innere Klugheit. Was das erste betrifft, so sieht man, wie nötig für Rom die Eroberung durch die Gallier war, wenn es wiedergeboren werden und durch die Wiedergeburt neues Leben und neue Kraft erhalten sollte, wenn die Religion und die Gerechtigkeit, die man beide zu entweihen begann, wieder geachtet werden sollten. Das sieht man deutlich aus der Geschichte des Livius, denn er zeigt, daß die Römer beim Ausmarsch des Heeres gegen die Gallier und bei der Wahl der Tribunen mit konsularischer Gewalt gar keine religiösen Bräuche beobachteten. Ebenso straften sie die drei Fabier, die wider das Völkerrecht gegen die Gallier gekämpft hatten, nicht nur nicht, sondern ernannten sie zu Tribunen. Daraus läßt sich leicht schließen, daß man auch die andern heilsamen Verordnungen, die von Romulus und den übrigen weisen Fürsten getroffen waren, weniger zu achten begann, als vernünftig und zur Erhaltung der Freiheit nötig war. Da kam jener Schlag von außen, damit alle Einrichtungen der Stadt wiederhergestellt und dem Volke gezeigt wurde, daß es nicht nur nötig sei, Religion und Gerechtigkeit zu erhalten, sondern auch die guten Bürger zu schätzen und ihre Tugenden höher anzuschlagen als die Vorteile, die ihm ohne deren Taten wohl nicht zugefallen wären. Alles dies kam genau so, denn sofort nach der Rückeroberung Roms stellte man alle alten Religionsgebräuche wieder her, strafte die Fabier, die gegen das Völkerrecht gekämpft hatten, und schätzte die Tapferkeit und Tugend des Camillus so hoch, daß der Senat und alle andern jede Eifersucht vergaßen und ihm die ganze Regierung übertrugen.

Es ist also nötig, daß die Menschen, die in irgendeiner Gesellschaftsordnung leben, häufig durch solche äußern oder innern Ereignisse zu sich kommen. Letzteres muß entweder durch ein Gesetz geschehen, das häufig mit den Gliedern dieser Gesellschaft Abrechnung hält, oder durch einen rechtschaffnen Mann, der aus ihrer Mitte aufsteht und durch sein Beispiel und seine tugendhaften Handlungen die gleiche Wirkung hervorbringt. Dies Heil entspringt den Republiken also entweder aus der Tugend eines Mannes oder der Kraft einer Einrichtung.

Was das letzte betrifft, so waren die Einrichtungen, die die römische Republik auf ihren Ursprung zurückführten, die Volkstribunen, die Zensoren und alle Gesetze, die gegen den Ehrgeiz und Übermut der Bürger erlassen wurden. Diese Gesetze aber müssen belebt werden durch die Tugend eines Mannes, der den Mut hat, sie gegen die Macht ihrer Übertreter zur Geltung zu bringen. Beispiele dieser Art sind vor der Einnahme Roms durch die Gallier: die Hinrichtung der Söhne des Brutus, der Dezemvirn, des Getreidehändlers Maelius; S. Buch III, Kap. 8 und 28 nach der Eroberung Roms die des Manlius Capitolinus, Vgl. Buch I, Kap. 8. der Tod des Sohnes des Manlius Torquatus, S. Buch II, Kap. 16. das Urteil des Papirius Cursor gegen seinen Reiterobersten Fabius, S. Buch I, Kap. 31. die Anklage der Scipionen. Die außerordentliche Merkwürdigkeit dieser Vorfälle brachte die Bürger wieder zur Besinnung. Als sie aber seltener wurden, bekamen die Menschen mehr Zeit, verderbt zu werden, und die Vollstreckungen selbst waren dann mit größerer Gefahr und mit mehr Unruhen verbunden. Zwischen zwei solchen Exempeln sollten nicht mehr als zehn Jahre liegen, denn nach dieser Zeit fangen die Menschen an, ihre Sitten zu ändern und die Gesetze zu übertreten. Geschieht dann nicht etwas, was ihnen die Strafe ins Gedächtnis ruft und ihnen neue Furcht einflößt, so häuft sich die Zahl der Verbrechen bald so, daß sie nicht mehr ohne Gefahr bestraft werden können.

In diesem Sinne sagten die Männer, die Florenz von 1434 bis 1494 regierten, Die Medici. es sei nötig, die Regierung alle fünf Jahre wieder zu ergreifen, sonst sei sie schwer zu behaupten. Die Regierung wieder ergreifen, darunter verstanden sie, den Bürgern wieder die Furcht und den Schrecken einzujagen, die sie ihnen bei der ersten Übernahme eingejagt hatten, als sie alle züchtigten, die sich nach der damaligen Verfassung schlecht aufgeführt hatten. Sobald aber das Andenken solcher Bestrafungen erlischt, erdreisten sich die Menschen, Neuerungen zu versuchen und schlimme Reden zu führen; darum ist es nötig, dem Übel vorzubeugen, indem man alles zu seinem Ursprung zurückführt.

Diese Wiedergeburt der Republiken geschieht aber auch durch die bloße Tugend eines Mannes, ohne den Antrieb eines Gesetzes zu solchen Verurteilungen. Solche Tugenden stehen in so hohem Ansehen und ihr Vorbild wirkt so mächtig, daß die Guten ihnen nachstreben und die Bösen sich ihres gegenteiligen Wandels schämen. In Rom brachten besonders diese gute Wirkung hervor: Horatius Codes, Mucius Scaevola, Fabricius, die beiden Decius, Attilius Regulus und einige andere, die alle durch ihr seltenes, tugendhaftes Beispiel fast ebensoviel Gutes stifteten wie Gesetze und Einrichtungen. Wären die obengenannten Verurteilungen Hand in Hand mit diesen besondern Beispielen wenigstens alle zehn Jahre erfolgt, so hätte Rom nie verderbt werden können. Als aber beides seltner wurde, nahm auch die Sittenverderbnis zu, denn nach Marcus Regulus sah man kein ähnliches Beispiel mehr, und wenn auch die beiden Catos in Rom aufstanden, so lebten sie doch so lange nach Regulus, und auch zeitlich so getrennt voneinander, auch blieben sie so sehr die einzigen in ihrer Art, daß ihr gutes Vorbild nichts fruchtete. Besonders vermochte der jüngere Cato, der die Stadt schon größtenteils verderbt fand, durch sein Beispiel nichts mehr zu bessern. Soviel von den Republiken.

Was aber die Religionen betrifft, so ersieht man die Notwendigkeit ihrer Erneuerung an der unsern. Diese Betrachtung wurde am Vorabend der Reformationsbewegung geschrieben. Hätte sie nicht der heilige Franziskus und der heilige Dominikus zu ihrem Ursprung zurückgeführt, so wäre sie ganz erloschen. Durch ihre Armut aber und ihre Lebensführung nach dem Beispiel Christi erweckten sie sie wieder in den Menschenherzen, in denen sie bereits tot war, und der Kraft ihrer neuen Orden verdanken es die Prälaten und Kirchenhäupter, daß ihr schlimmer Wandel sie nicht zugrunde richtet. Sie leben noch jetzt in Armut und haben durch Beichte und Predigt solches Ansehen beim Volke, daß es sich von ihnen überzeugen läßt, es sei böse, Böses von den Bösen zu reden, aber gut, ihnen gehorsam zu leben und die Strafe für ihre Sünden Gott zu überlassen. Jene aber leben so arg wie möglich, weil sie die Strafe, die sie nicht vor Augen sehen, nicht fürchten und nicht an sie glauben. So hat also diese Erneuerung unsre Religion erhalten und erhält sie noch.

Auch Königreiche bedürfen der Erneuerung und der Zurückführung der Gesetze zu ihrem Ursprung. Die gute Wirkung davon sieht man in Frankreich, das mehr unter Gesetz und Ordnung lebt als irgendein Reich. Die Erhalter dieser Gesetze und Ordnungen sind die Parlamente, besonders das von Paris, das sie jedesmal erneuert, wenn es etwas über einen Großen des Reiches verhängt und Urteile gegen den König selbst spricht. Bis jetzt hat es sich dadurch erhalten, daß es ein strenger Richter gegen den Adel war. Sobald es aber etwas ungestraft hingehen ließe und die Verbrechen sich häuften, wäre die Bestrafung ohne Zweifel mit großen Wirren verbunden, oder das Reich zerfiele.

Ich ziehe also den Schluß, daß für ein Gemeinwesen, sei es eine Religionsgemeinschaft, eine Republik oder ein Königreich, nichts notwendiger ist, als ihm das Ansehen wiederzugeben, das es ursprünglich hatte. Und zwar muß man dahin streben, daß entweder gute Einrichtungen oder tugendhafte Männer dies herbeiführen, nicht eine fremde Macht. Denn obschon diese häufig die beste Arznei ist, wie in Rom, so ist sie wegen ihrer Gefährlichkeit doch in keiner Weise erwünscht.

Um aber jedermann zu zeigen, wie groß Rom durch die Taten einzelner Männer wurde, und wieviel Gutes die Stadt durch sie erfuhr, will ich sie jetzt erzählen und erörtern. Damit soll das dritte Buch und der letzte Teil dieser ersten Dekade seinen Abschluß finden. Schon die Taten der Könige waren groß und denkwürdig; da die Geschichte sie aber schon ausführlich berichtet, will ich sie übergehen, bis auf einige Handlungen, die ihren Privatvorteil betrafen, und mit Brutus beginnen, dem Vater der römischen Freiheit.


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