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Monarchien und Republiken, die sich unverdorben erhalten wollen, müssen vor allem die religiösen Bräuche rein und in Ehrfurcht erhalten. Denn es gibt kein schlimmeres Zeichen für den Verfall eines Landes als die Mißachtung des Gottesdienstes. Das ergibt sich leicht, wenn man erkannt hat, worauf sich die Religion, in der ein Mensch geboren ist, gründet. Denn jede Religion hat ihre eigenen Grundlagen und ihr Lebensprinzip. Die heidnische beruhte auf den Orakelsprüchen und auf dem Stande der Auguren und Haruspices; alle übrigen Zeremonien, Opfer und Bräuche hingen davon ab. Denn die Menschen glaubten leicht, daß der Gott, der ihnen ihr zukünftiges Glück oder Unglück voraussagen konnte, auch imstande war, es ihnen widerfahren zu lassen. Daraus entstanden die Tempel, die Opfer, die Bitt- und Dankfeste und alle andern Kultgebräuche; denn das Orakel zu Delphi, der Tempel des Jupiter Ammon und andre berühmte Orakelstätten hielten die Welt in Bewunderung und Andacht. Als sie aber später nach dem Willen der Machthaber zu sprechen begannen und die Völker den Betrug merkten, wurden sie ungläubig und zur Störung jeder guten Ordnung geneigt.
Die Leiter einer Republik oder eines Königreichs müssen daher die Grundlagen ihrer Religion erhalten; dann wird es ihnen leicht sein, ihren Staat in Gottesfurcht und somit gut und einträchtig zu erhalten. Alles, was zugunsten der Religion geschieht, mögen sie selbst es auch für falsch halten, müssen sie unterstützen und fördern, und zwar um so mehr, je klüger sie sind und je besser sie die Welt kennen. Da nun alle klugen Männer nach dieser Regel verfuhren, so entstand der Glaube an Wunder, die auch in den falschen Religionen gefeiert werden; denn die Klugen vergrößern sie ohne Rücksicht auf ihren Ursprung, und ihr Ansehen verschafft ihnen dann Glauben bei der Menge.
Solcher Wunder gab es in Rom viele, unter anderm dies: Bei der Plünderung der Stadt Veji 395 v. Chr. Vgl. Livius V, 22. traten einige römische Soldaten in den Tempel der Juno, näherten sich dem Kultbild und fragten es: »Vis venire Romam?« (Willst du nach Rom kommen?) Da schien es einem, daß es nickte, und einem andern, daß es ja sagte. Weil nun diese Leute sehr fromm waren, da sie nach dem Zeugnis des Livius ohne Lärm, ganz andächtig und ehrfurchtsvoll in den Tempel traten, so glaubten sie die Antwort zu hören, die sie bei ihrer Frage vielleicht vorausgesetzt hatten. Und dieser Aberglaube wurde von Camillus und den andern Häuptern der Stadt durchaus begünstigt und gefördert.
Wäre die Frömmigkeit von den Häuptern der Christenheit so rein erhalten worden, wie der Stifter des Christentums es gewollt hatte, so herrschte mehr Eintracht und Glück in den christlichen Staaten und Ländern als jetzt. Nichts zeigt mehr den Verfall des Glaubens als die Tatsache, daß die Völker am wenigsten Religion haben, die der römischen Kirche, dem Haupt unsres Glaubens, am nächsten sind. Wer die Grundlagen der Religion betrachtet und dann sieht, wie sehr der jetzige Brauch davon abweicht, der muß glauben, daß ihr Untergang oder ihr Strafgericht nahe ist. Noch während der Niederschrift seines Buches brach die Reformation in Deutschland und der Schweiz aus, und Machiavelli erlebte noch das furchtbare Strafgericht des »Sacco di Roma« durch die Kaiserlichen. (S. Lebenslauf, 1527.)
Da nun einige der Meinung sind, das Gedeihen der italienischen Angelegenheiten hinge von der römischen Kirche ab, so will ich gegen diese Meinung meine Gründe anführen, und zwar sehr triftige, die nach meiner Meinung unwiderleglich sind. Erstens hat das Land durch das schlimme Beispiel des päpstlichen Hofes alle Frömmigkeit und Religion verloren, was zahllose Mißstände und endlose Wirren zur Folge hat. Denn wie man da, wo Religion herrscht, alles Gute voraussetzt, so ist da, wo sie fehlt, das Gegenteil zu erwarten. Wir Italiener haben es also in erster Linie der Kirche und den Priestern zu danken, daß wir gottlos und schlecht geworden sind. Wir haben ihr aber noch etwas Schlimmeres zu danken, was die Ursache unsres Verfalls ist: ich meine, daß die Kirche unser Land in Zersplitterung erhalten hat und noch hält.
Gewiß war noch nie ein Land einig oder glücklich, wenn es nicht ganz einer Republik oder einem Fürsten gehorchte, wie z.B. Frankreich und Spanien. Wenn Italien nicht in der gleichen Lage ist und nicht gleichfalls von einer Republik oder einem Fürsten regiert wird, so ist einzig die Kirche daran schuld. Denn obwohl sie in Italien ihren Sitz und weltliche Macht hat, war sie doch nicht mächtig und mutig genug, um das übrige Italien zu erobern und es sich untertan zu machen. Andrerseits aber war sie auch nicht so schwach, um nicht, sobald sie den Verlust ihrer weltlichen Macht fürchtete, einen Machthaber herbeizurufen, der sie gegen jeden verteidigte, der ihr in Italien zu mächtig geworden war. Es gibt ja ältere Beispiele genug dafür, z.B. Karl den Großen, mit dessen Hilfe die Kirche die Longobarden vertrieb, 774 unterwarf Karl der Große, vom Papst Hadrian I. herbeigerufen, den Langobardenkönig Desiderius. die sich schon fast ganz Italien unterworfen hatten. Ebenso brach sie in unsern Tagen mit Hilfe Frankreichs die Macht der Venezianer Durch die Schlacht bei Agnadello oder Vailà (1509). Vgl. Lebenslauf, 1509. und vertrieb dann mit Hilfe der Schweizer die Franzosen. Papst Julius II. hatte 1510 mit Venedig Frieden gemacht und 1511 mit Spanien und Venedig die »Heilige Liga« gegen Frankreich geschlossen. Weiteres s. Lebenslauf, 1511/12. Da also die Kirche nicht imstande war, Italien zu erobern, aber auch nicht erlaubte, daß es von einem andern erobert wurde, hat sie es verschuldet, daß es nicht unter ein Oberhaupt kam, sondern unter vielen Fürsten und Herren blieb. Dadurch entstand solche Uneinigkeit und Schwäche, daß Italien nicht nur zur Beute mächtiger Barbaren, sondern eines jeden wurde, der es angriff. Das danken wir Italiener der Kirche und niemand anderem.
Wer sich durch eigne Erfahrung von dieser Wahrheit überzeugen wollte, der müßte die Macht haben, den römischen Hof mit allem Ansehen, das er in Italien hat, nach der Schweiz zu versetzen, dem einzigen Lande, wo man heute noch in Religion und Kriegswesen nach den Regeln der Alten lebt. Dann würde er sehen, daß die schlimmen Sitten dieses Hofes in jenem Lande mehr Unordnung hervorrufen würden, als irgendein Unglück dort je hätte anrichten können.