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Alles Sinnen und Trachten der Römer ging auf den Krieg. Sie führten ihn daher stets mit allem möglichen Vorteil, sowohl in Hinsicht auf die Kosten, wie auf alles andre zum Krieg Erforderliche. Daher hüteten sie sich wohl, Städte durch Belagerung einzunehmen. Sie hielten das für so kostspielig und umständlich, daß die Nachteile den Nutzen der Eroberung bei weitem überwögen, und es schien ihnen darum besser und nützlicher, die Städte auf jede andre Weise einzunehmen. Man findet daher auch in so vielen Kriegen und in einer so langen Zeit nur ganz wenige Beispiele von Städtebelagerungen. Sie eroberten die Städte durch offene Gewalt oder durch die Gewalt in Verbindung mit List oder durch Übergabe.
Die offne Gewalt bestand erstens im Sturm, ohne die Mauern zu durchbrechen, was sie aggredi urbem Corona nannten, weil sie die Stadt mit ihrem ganzen Heer einschlossen und sie von allen Seiten berannten. Oft gelang ihnen die Eroberung ganz bedeutender Städte in einem Anlauf. So eroberte Scipio Neukarthago in Spanien. 209 v. Chr. Gelang dieser Anlauf nicht, so rannten sie die Mauern mit Widdern und anderen Kriegsmaschinen ein. Oder sie gruben einen unterirdischen Gang und drangen durch ihn in die Stadt. So wurde Veji erobert. 396 v. Chr. Oder sie bauten hölzerne Türme, um mit den Verteidigern der Mauer auf gleicher Höhe zu stehen. Oder sie suchten durch einen Erdaufwurf an der Außenseite der Mauer in die gleiche Höhe zu kommen.
Im ersten Fall, wenn die Stadt ringsum angegriffen wurde, war die Verteidigung äußerst gefährlich und die Gegenwehr zweifelhaft. Da an jedem Punkt eine hinreichende Zahl von Verteidigern sein mußte, so reichten die Vorhandenen entweder nicht aus, um überall stark genug zu sein und sich ablösen zu können, oder wenn dies auch möglich war, so leisteten doch nicht alle gleich tapfern Widerstand, und wurde nur ein Teil überwältigt, so war alles verloren. Diese Angriffsart hatte daher oft glücklichen Erfolg. Gelang sie aber beim ersten Male nicht, so wurde der Versuch nicht leicht erneuert, weil er für das Heer gefährlich war; denn so weit auseinandergezogen, verlor es die nötige Kraft, um einem Ausfall der Besatzung zu widerstehen. Auch kamen die Soldaten dadurch in Unordnung und wurden erschöpft; einmal aber und unversehens wurde diese Art versucht.
Gegen die Durchbrechung der Mauern schützte man sich wie jetzt durch Wälle. Gegen die unterirdischen Gänge grub man einen Gegengang und trat darin dem Feind entweder mit den Waffen oder mit anderen Mitteln entgegen. So warf man mit Federn gefüllte Tonnen brennend in den Gang, deren Rauch und Gestank das Eindringen des Feindes verhinderte. Wurde mit Türmen angegriffen, so suchte man sie in Brand zu stecken. Gegen die Erdaufwürfe wurde unten an der Mauer, wo der Damm angeschüttet war, eine Öffnung gemacht und die Erde in die Stadt gezogen, so daß die Aufschüttung durch die Wegnahme von innen nicht wuchs.
Diese Arten der Eroberung ließen sich aber nicht lange fortsetzen, sondern man mußte entweder abziehen und den Krieg auf andre Weise zu gewinnen suchen, wie Scipio, der nach seiner Landung in Afrika Utica angriff, 204 v. Chr. es aber nicht nehmen konnte und daher die Belagerung aufhob und die karthagischen Heere zu schlagen suchte. Oder man mußte sich auf eine förmliche Belagerung einlassen, wie bei Veji, Capua, Karthago, Jerusalem und anderen Städten, die auf diese Weise erobert wurden.
Was die Eroberung der Städte durch Gewalt in Verbindung mit List betrifft, so haben wir ein Beispiel an Paläopolis, das die Römer im Einverständnis mit den Einwohnern eroberten. 326 v. Chr. Vgl. Livius VIII, 25 f. Eroberungen dieser Art sind von den Römern und andern vielfach versucht worden, aber selten gelungen. Der Grund ist, daß das geringste Hindernis den Plan zerstört, und solche Hindernisse treten sehr leicht ein. Entweder wird der Verrat entdeckt, bevor er zur Ausführung kommt, und das geschieht ziemlich leicht, entweder durch die Untreue der Mitwisser oder durch die Schwierigkeit der Verabredung, denn man muß mit Feinden übereinkommen und kann nur unter einem Vorwand mit ihnen sprechen. Oder wenn auch der Verrat während der Vorbereitung nicht entdeckt wird, so erheben sich bei der Ausführung tausend Schwierigkeiten. Denn kommt man vor oder nach der festgesetzten Zeit, so ist alles verdorben. Ein unerwartetes Geräusch, wie das Schnattern der Gänse vom Kapitol, Bei der Belagerung durch die Gallier. eine Abänderung des vereinbarten Planes, der kleinste Fehler, das geringste Versehen bringt das Unternehmen zum Scheitern. Dazu kommt die Finsternis der Nacht, die die Teilnehmer dieses gefährlichen Unternehmens noch ängstlicher macht. Auch ist die Mehrzahl der Leute, die zu einem solchen Unternehmen gebraucht werden, mit der Beschaffenheit der Gegend und der Örtlichkeit nicht vertraut, und so verlieren sie beim geringsten Zufall den Kopf, werden mutlos und geraten in Unordnung. Jede falsche Einbildung kann sie in die Flucht schlagen. Niemand war in solchen nächtlichen Überfällen glücklicher als Aratos von Sikyon, S. Seite 239, Anm. 12. der sich bei Tage im offenen Kampf ebenso kleinmütig zeigte, wie er hier Mut bewies. Das erklärt sich wohl eher aus einer geheimen Anlage, die er besaß, als daß man daraus folgern könnte, solche Unternehmungen müßten ihrer Natur nach öfter Erfolg haben. Versuche dieser Art werden also genug gemacht, aber wenige zur Ausführung gebracht, und ganz wenige glücken.
Was die Eroberung der Städte durch Übergabe betrifft, so ergeben sie sich entweder freiwillig oder gezwungen. Die Freiwilligkeit kommt entweder von einer äußeren Notlage, die sie zwingt, sich unter deinen Schutz zu begeben, wie Capua unter den Schutz der Römer. Oder sie entspringt aus dem Wunsche nach einer guten Regierung, wenn eine Stadt sieht, daß sich schon andre freiwillig in die Arme eines guten Herrschers geworfen haben. So ergaben sich Rhodos, S. Buch II, Kap. 30, Anm. 147. Massilia S. Seite 140, Anm. 11. und andre Städte den Römern. Die erzwungene Übergabe ist entweder die Folge langer Belagerung oder anhaltender Bedrückung durch Streifzüge, Gebietsverheerungen und andre Gewalttaten, zu deren Vermeidung sich eine Stadt ergibt. Von allen genannten Eroberungsarten wandten die Römer am häufigsten die letztere an; sie waren länger als 450 Jahre bemüht, ihre Nachbarn durch Niederlagen und Streifzüge zu entkräften oder durch Friedensschlüsse Ansehen über sie zu gewinnen, wie wir schon früher erörtert haben. Wenn sie auch alle andern Arten versuchten, kamen sie doch immer wieder auf diese zurück, denn die andern schienen ihnen gefährlich oder zwecklos. Belagerungen sind langwierig und kostspielig, der Sturm zweifelhaft und gefährlich, Eroberung durch Verrat ungewiß. Durch die Niederlage eines feindlichen Heeres eroberten sie ein Reich an einem Tage, und mit der Belagerung einer widerspenstigen Stadt gingen Jahre verloren.