Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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Was sagen aber die Leser dazu? ich meine damit nicht die unzähligen Menschen, die mich borgen und lesen, sondern iene zwei Menschen in Wezlar, die mich gar nicht lesen, sondern die beim Reichskammergericht die Akten übergeben, aufheben und bewahren und die den Namen Leser führen, wie ieder weis, der nur in Wezlar hineingerochen oder auch ins deutsche Staatsrecht. Die Leser sagen eben nichts dazu, weil eben uns Autoren das Unglück trift, daß wir selten gelesen werden von – Lesern, Reichskammergerichts-Boten-Notarien-Pronotarien-Advokaten-Prokuratoren-Beisitzern- und Präsidenten und die Visitazion dieses Reichsgerichts denkt überhaupt weit weniger an den Jammer der Autoren als der prozessirenden Partheien.

Ich transpirire immer stärker und ich will iezt erst recht zu reden anfangen. Schon seit Adam und Eva's und der Schlange Zeiten – wenigstens seit einem paar Jahren gabs Rezensenten: aber Rezensionen sind weit schwerer zu machen als Rezensenten und am Ende auch theuerer. Ich wollte einmal eine kleine Erbschaft zur Anlegung einer Buchdruckerei verwenden und miethete mir deshalb die dazu gehörigen Inventarienstücke, nemlich einige Duzend Rezensenten – hier sah ich, wie wolfeil sie sind; und ietzt da ich unter der Hand nach der Taxe der Standeserhöhungen dieses Buches mich erkundigen lasse seh' ich, wie theuer Rezensionen sind. Eben so, aber nicht ganz so stehts mit der Taxordnung der Reichshofkanzlei von 1659 den 6 Jan. Denn für eine Nobilitazion mit 1 Helme wird gegeben

      Tax fl. 130.
dem Vicekanzler 36.
dem Sekretario 18.
Kanzlei-Jura 40.
Hingegen für nobiles creandi facultatem blos Tax
Vicekanzlern
dem Sekretario
Kanzlei-Jura
fl. 300
36
18
70

Man braucht also blos 1 und 101/112 Edelmann zu machen: so gewinnt man bei der Plastik aller übrigen Edelleute seine 100 Prozent, die weder ein Christ des alten Testamentes noch ein Jude des neuen verschmähen soll. Und wenn die Reichsstände eine Aenderung dieser Taxe begehren oder Kur-Mainz eine bewilligt: so ists nicht recht; denn mein Gleichnis würde zu sehr verhunzt.

Ich denke, es soll etwas zu meiner Ausdünstung beitragen, wenn ich ieden, der nur ein Dach von Paris gesehen oder davon gehört, um Verzeihung bitte, daß ich zuweilen (und auch ietzt) den Namen Gottes nannte. Wären Ungläubige und Freigeister meine Lebenskonfratres und Zeit- und Weltgenossen und Genossinnen: so wärs gar nicht nöthig; aber so ausserordentlich. Denn es hat sich unter uns nach und nach eine Achtung für diesen großen Namen eingedrungen und festgesezt, die so groß ist, daß ihn – wie die Juden den Namen Jehova – in Gesellschaften und überhaupt ausser dem Kirchenstuhl gar kein Mensch mehr nennen will: ieder sieht sich lieber dafür nach den gleichgeltenden Namen Natur, Schicksal, Materie, Himmel, Götter, Jupiter um, und Herr Wekherlin besonders, (der auch für sich selbst einen andern leichter zu schreibenden Namen wählen sollte) wie die besagten Juden aus ähnlicher Achtung statt Jehova lieber Adonai, Elohim etc. sagten. Ich will es nur gerade zu heraussagen: das Uebel geht noch viel weiter; denn aller Aberglaube ist übel. So wie nemlich die Hebräer den Namen Jehova nur in der heiligen Stadt, in Jerusalem, aber nicht in den Provinzen, und dort nur vor frommen Leuten über ihre bigotte Zunge liessen: so hat ietzt kein Mensch gerade umgekehrt das Herz, den Namen des höchsten Wesens in einer Residenzstadt – weil da der Teufel los und der heilige Geist in der Wüste ist – sich entfahren zu lassen, sondern nur in den entfernten Provinzialstädten und für Frommen probiert man's; vor dem Abdruck dieses Werks kann der Name gar auf die Dörfer hinausgelagert sein. Man kann allerdings das eine Gewissenhafftigkeit nennen, von der ohne innerlichen Abbruch der wahren Religion schon einiges nachgelassen werden könnte. Und sollen wir vollends einem ersten Sprachmeister (er frisirte mich und d'Alembert), glauben, der sechs Schwüre konstruirte, daß er 18 bis 19 Sous wetten wollte, es wären ietzt in und um Paris gemeine Bürger ansässig, die nicht einmal so viele Sous hätten und die doch nun anfiengen, au diable statt a dieu zu sagen und vom Hofe woll' er gar nicht reden?

Ich mags natürlich noch viel weniger, es sei von welchem europäischen Hofe es wolle, ob es gleich meiner Ausdampfung gar mehr schädlich wäre; allein von iedem orientalischen werd' ich mit Vergnügen geschickt reden und sogar mit wahrer Satire. Denn die europäischen Fürsten machen selber dadurch eine gute auf die asiatischen, daß sie Räuber und Stöhrer der alten Regierungsform (anders kann man einen Aufrührer nicht definiren) mit einem glühenden Throne, Szepter und einer warmen Krone von Eisen begaben und heimsuchen: denn sie geben damit nun wol deutlich genug zu verstehen, der ganze Unterschied sei blos, daß iene grössere und uneingeschränkte – Despoten und Helden in Asien diese drei Regierungsinsignien blos ganz abgekühlt bekommen; dieser Kälte des Throns schreib' ichs auch mit zu, daß sie lebenslang ohne Versengung ihres Sitzkissens darauf sitzen können. So drückt man gegenwärtig in England den Theilhabern des beneficium cleri wirklich kein anderes Eisen in die Hände als ein ziemlich kaltes.

Indessen will ich den unwahrscheinlichen Fall sezen, ich rührte meine Dinte um und wollte hier hundert kleine Fürsten in Europa weniger aus Liebe zur Wahrheit als zur unmerklichen Transpirazion mit guter Art erheben und preisen: was müst' und würd' ich schreiben oder diktiren? – die Wahrheit zu sagen, einen abscheulichen Perioden (und zwar conditionalem) der eine ganze Oktavseite herunterliefe, wider den wirklichen Willen aller vernünftigen Kunstrichter in den 10 Kreisen, besonders im Obersächsischen. Denn wenn ichs nun versuche und in der That bemerke, daß es falsch ist mir die Metapher abzuborgen, und die Zeiten der Minderiährigkeit und Vormundschaft eines Regenten die Marterwochen des Staats zu nennen, da sie vielmehr allemal (z. B. in Frankreich) gerade die häufigsten Kriege und Erpressungen anbrüteten und groszogen, welche man nur sehr unphilosophisch und unministerialisch Uebel heissen kann, weil ia das alles dem Weltganzen und mithin auch seinem Theile, dem gegebenen Staate unbeschreiblich zu Passe kömmt – wenn ich weiter vorschreite und frage, ob die figürliche Vormundschaft eines maiorennen Fürsten wol in den Folgen sich von der unfigürlichen unterscheide – wenn ich, um diese Frage verneint zu hören, die figürliche Vormundschaft glücklich definire und sage, daß gekrönte Tutoren unter der Gestalt von Tänzern, Virtuosen, fetenreichen Höflingen, iungen Ministern, Franzosen, Italienern und sogar von culs de Paris gar oft auf dem Throne gesessen, auf dem sie iene von iedem Schriftsteller für die beste Regierungsform erklärte Aristokratie vom Hintern formirten – wenn ich wie gesagt, darauf bleibe, daß es nicht nur einerlei sei wer herrsche, ob ein römischer König oder ein römischer Kaiser, sondern daß solche regierende Nebenhäupter, die durch Wahlfolge und Thron-Simultaneum so hoch sizen, sogar noch besser seien als die regierenden Haupt-häupter, die durch Erbfolge auf dem Fürstenstuhle nisten – wenn ich es aber deswegen thue und es zweimal wiederhole, weil bei solchen Umständen iener bald merkliche Mangel aller neuen Auflagen, des Aemter-Handelsflors, der Kriege, der Gelderpressungen etc. unmöglich hereinbrechen könne, iener Mangel der ein Uebel ist, das man gar noch nicht genug kennt und das sich den geringen Vorschub, den es etwan dem Vortheile des schlechtern und desto grössern Theiles der Nazion zu thun vermag, wahrhaftig theuer genug durch die empfindlichste Kränkung des edlern und daher kleinern Theils, der Finanzminister, Hofdamen, Generale, Hofbeichtväter etc. bezahlen lässet, Personen, die gerade das Meiste und grösten Gagen, Pensionen, Besoldungen, Diäten etc. bedürfen und die es bei iener Kränkung kein Vierteliahr ausdauerten – wenn ich endlich hoffen kann, daß die musterhafte spanische Regierungsform, in der ieder Bürger gros, frei, angesehen, reich und weit über die zahlreichen Heloten erhoben war, die seine Sklaven und Ernährer waren, vielleicht doch wieder das Model manches europäischen Staates werde so wie sie das des vollkommensten war, nemlich des platonischen, wie ich denn selbst in Staaten über Nacht geblieben, worin alle eigentliche Glieder desselben (das sind die Grossen, so wie der Fürst selbst) frei, reich, geehrt und völlig über die Heloten (das sind die sogenannten Unterthanen) emporgehoben waren, die ihre Sklaven sind und für sie das Feld durchschneiden – wenn nun alles dieses mit gewöhnlicher Aufrichtigkeit zusammen genommen wird: so muß hoffentlich Freund und Feind einsehen, daß ich eher mehr denn weniger vollgeschrieben als eine wahre gute Seite.

Aber das sei die lezte! Ich bin des Schreibens und unmerklichen Absonderns so satt als wenige und will lieber die unbedeutende Zeit, die mir der Arzt noch zu leben vergönnen will, lediglich damit hinbringen, daß ich die wenigen Satiren und Gelegenheitsschriften, die ich der Welt und mir geschenket, fleissig und mit Vernunft durchlese. Denn es wird ohnehin diesem Buche nur gar zu sehr anzumerken sein, daß ich es ohne einen gewissen wichtigen Vortheil zusammenbauen müssen, den alle nach mir aufstehende Satiriker vor mir haben und der nämlich der ist, daß ich es etwan selbst vor seiner Schreibung hätte lesen und zu meiner Bildung studieren können. Alle künftige Satirenmacher hab' ich durch mein Buch in den Besiz eines unverzehrten Musters, eines Operazionsplans, einer in Kupfer gestochenen Vorschrift gesezt, wornach sie ihre Erzeignisse gar leicht formen und sie sitzen freilich warm: aber ich sas ohne ein solches Muster da und must' es statt nachzuahmen machen und schrieb deswegen auch häufig solche erbärmliche Sachen, daß es einen wahren Spas geben muß, sie nur zu lesen oder gar zu verstehen.

Die Bauern, die einen so entsezlichen Lärm über die Einführung des neuen Abcbuchs erregten, brachten zur Rechtfertigung dieses Lärms unter andern schriftlichen Exzepzionen gegen das Buch auch die mit vor: es ständen zu garstige Wörter darin, z. B. Pritsche. Ich bitte den H. Nikolai und ieden, wenn er einem von diesen Bauern mein Buch zum Rezensiren überschickt, ihm geradezu zu befehlen, daß er lieber iede andere Exzepzion gegen dasselbe mache als die besagte dumme.

Die hölzerne Frau in diesem Buch, bei deren Theogonie mir eine besondere Seelenstimmung die zweckloseste Bitterkeit eingab, sezte mir der Satan in den Kopf und aufs Papier. Aber da ich einmal an diese erbärmliche Erfindung, an dieses morsche Marienbild so viel Anpuz verzettelt; da ich es umgürtet habe mit Thalern und silbernen Gliedern und belastenden Stoffen und allem schönen Henker, den nur ein Mensch erdenken kann: so bitt' ich die Kunstrichter, mir meine Puppe nicht zu nehmen.

Der Werth und die Stelle der ernsthaften Anhänge spricht den Leser um Nachsicht an, und mich dazu: aber ich gewährte sie ihnen deswegen den Augenblick. Nichts erquikte mich in einem komischen Buche von ieher so sehr als eine ernsthafte Stelle; ein Buch denkt man sich als den papiernen Abdruck eines Menschen; und keinen Menschen will man sich ohne Stunden des Ernstes und der seelenerhebenden Achtung für irgend etwas, denken; der Engländer gewinnt sich daher (so wie er überhaupt mehr Mensch ist als irgend ein Volk) durch seine Parung des Ernstes mit dem Humor unser Herz so sehr – darauf aber baut' ich.

Und so rüttel' ich diese dünnen Blätter in den fliehenden breiten Strom der allgemeinen Vergänglichkeit bey meinem Durchflattern dieses umwölkten Lebens, bis ich selber ihnen nachschwimme, hinter oder vor dem Leser und desgleichen dem guten Rezensenten. Es blühet iezt der Frühling auf, wo man nicht bei Sinnen, sondern ganz des Teufels sein müste, wenn man nicht Hirtengedichte schreiben wollte, sondern lange und dornigte Satiren, die nur im Winter bei elendem Wetter abgefasset werden müssen: so wie umgekehrt der Stachelschweinmensch in London stets seine Stacheln im Winter abwarf, und deswegen auf seine Mausezeit ganz die Umarmung seiner armen Frau verschob. Der Sohn lebt noch und weiset an sich unzählige Stacheln auf... Man glaube mir übrigens, ich werde, wenn einmal mein dünner durchsichtiger Madensack von Toden auferstanden und von mir so gut ich kann, beseelet sein wird, sicher seine rechte dann verklärte Hand vor mich hinstrecken und anschauen und über nichts so sehr vor dem ganzen iüngsten Gerichte lachen als darüber, daß ich mit ihr auf diesem Nebelstern anno 1789 ein spashaftes Buch wie hundert andere neben mir zum besondern Vortheil eines ieden zusammengeschrieben und vorzüglich ienes Lachen des iüngsten Tages schon zum voraus auf dem lezten Bogen des Buches geweissaget habe – welches vielleicht etwas ist.

Der Mensch fühlet die Eitelkeit aller menschlichen Dinge, von der die Geistlichen nur reden und ohne deren Gefühl kein Mensch etwas Grosses wird und thut, nie tiefer als wenn er etwas endigt, es mag sein eignes Buch oder ein anziehender Roman oder ein Jahr oder das Leben selber sein. Wäre nur bei unserem ewigen Hin- und Hergang vom Vergnügen zum Schmerz, vom Gefühle der Gesundheit zu dem der Kraftlosigkeit, vom aufstralenden Feuer des Kopfes und Herzens zur finstersten Kälte von beiden, wäre da nur die Täuschung des allmähligen Ueberganges und der Zeit nicht, die durch ihren Dazwischentritt die Nachbarschaft dieser Extreme versteckt; so läge das Gefühl der Unbeständigkeit schwerer auf uns, so wie es im Alter wirklich liegt, wo vielfachere Erfahrungen iedem Zustande den Schein seiner Ewigkeit genommen und wo der müde Mensch sich nur sonnet am Mondschein der zurückscheinenden Vergangenheit... Nun mag meine komische Larve niederfallen, die ohnehin niemals lange das menschliche Gesicht selbst sein soll, damit ich wieder ein ofneres Auge hinaufhebe zum Anschauen des Grossen und Edlen im Menschen und in der Welt und ienseits seiner aufsteigenden Bahn... Und du, lieber Schz. in H., wenn du dächtest, der V. d. G. P. oder R. könne dich und deine dichterische Schwermuth und das Abreisen im b. Garten in L. vergessen, irrtest besonders.

Ich wollte hier noch einen anreden, der beim Anfange dieses Buchs noch in diesem träumenden und stummen und mit bunten Dünsten um uns her spielenden Leben war: aber die zitternde Brust hat keine Stimme und die Todten stehen hoch gegen ziehende Schatten unter den Wolken und eine Ephemere zerrinnt doch nur ein wenig früher als die andere...


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