Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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Es ist hier nicht der unschicklichste Platz, dem Leser einen nicht unvortheilhaften Begrif von der Entwickelung ihres Verstandes dadurch beizubringen, daß ich ihm ohne Unwahrheit berichte, daß sie so wol die hiesige Lesegeselschaft Jahraus Jahrein auf meine Kosten mithält (welches mich oft anreizt, zu Zeiten ein gutes Buch zu stehlen) als auch Besitzerin von einer weniger starken als gewählten Büchersammlung ist; Ueberhaupt dürfte sie wol der Natur wenig vom Werthe ihres Verstandes verdanken, und dem H. v. Grossing alles, dessen Werke ich ihr vorgeleget habe: denn seine unsterbliche Schriften haben ia schon meistens das Sterbliche ausgezogen und ihren elenden papiernen Körper und Madensack verlassen und sitzen in Gestalt seines Verstandes zufrieden im Monde... Wenn H. Heinecke in Leipzig etwann vermuthete oder gar hörte, meine Gattin hätte sich die Bildung ihres Kopfes besonders durch das Buchstabiren, das er nicht kleiner als das Uebel der Inquisizion und Erbsünde halten will, viel zu sehr erschweret und man könnte ihr nicht zutrauen, daß sie lesen könnte: so will ich ihm und andern hiemit nicht verhalten haben, das sie wirklich das Buchstabiren gar nicht kann.

Sondern vielmehr das Poetisiren; welches noch seltener ist, aber auch besser. Denn ich niste Haus an Haus bei Feinden von meiner Frau, die sie und mich sobald ihr Pfund von Belesenheit wegen ihrer Stumheit ohne Wucher und ein völliger eingescharter Geldschatz bleibe, deswegen ausserordentlich lächerlich machen würden. Daher versah ich ihre rechte Hand mit einigem Ansatze zur deutschen Poesie. Ich spannte nämlich in ihrem Arme drei Wetterstricke auf, die bekanntlich das schlimme Wetter verkürzet und das gute verlängert. Diese in die drei Schreibefinger eingeknüpften Sehnen setzen die letztern in eine horizontale Bewegung und zugleich die tragbare Schreibfeder mit Dinte, die dazwischen steht (und die bei H. Scheller in Leipzig fast in Menge zu haben ist) fals nämlich das Wetter gut und die Dünste so auf gelöset sind, daß sich die Schreibeflechsen verlängern. Daher kann ein Poet bei schlechtem Wetter, wo seine Schreibeflechsen durch Mangel von Trockenheit und Sonne zusammenschnurren, mit seinen zu kurzen nichts rechts Gutes hinsetzen. Regt sich einmal die Feder: so muß das untergelegte Papier (welches Tag und Nacht da liegen muß, weil niemand weis, wenn sich das Wetter zum Vortheil der Dichtkunst ändert) von der linken Hand immer unter der schreibenden weggezogen werden, damit alle Worte und Gedancken leserlich auseinander rücken. Es thuns wieder ein paar Wetterstricke, durch deren Verkürzung ein grösseres Rad und durch dieses ein kleines sich umdreht, um welches die Schnüre gehen, die der rechten das Papier allmählig nehmen und es ist ein Unglück für mich, daß der Leser noch keinen Pyrometer mit Rädern gesehen. Ein geborner Dichter kann also gar nicht die linke Hand ganz zur Poesie entbehrlich finden, ob man ihm gleich freilich nicht läugnet, daß die rechte bei weitem den meisten Antheil an einem guten Gedichte behaupte. Durch dieses Schreiben nun müssen natürlich Buchstaben hervorfliessen, die man muß entziffern können, daraus Wörter (denn diese bestehen aus einem oder mehrern Buchstaben), aus diesen glückliche Metaphern und gutgewählte Beiwörter und hinlänglicher Flug und lauter Wolklang (denn alles das kömmt blos auf Wörter hinaus) und aus diesem allen im Grunde ein wahres Metrum, da die Zeilen nicht wie Prosa sondern völlig wie Verse abgetheilet stehen, – wenn wir dieses Hingeschriebene dann eine Elegie oder eine Ode oder eine poetische Epistel oder ganz etwas neues übertiteln: so ists blosser freier Wille von mir und meiner unbelebten Frau, zwei angenehmen Eheleuten hienieden und sündigen Kindern des Adams.

Da sie leider nicht im Stande ist, sich selbst zu rezensiren: (denn ich ersann zwar auch gute Rezensirflechsen, allein blos für meine Hand, weil man sie unmöglich in der nämlichen Hand neben den Poetisirflechsen aufspannen kann und weil sie gerade in dem entgegengesetzten Wetter sich verkürzen:) so will ich doch weder sie noch das Publikum dabei verspielen lassen, sondern mit eigner Hand für die Zeitung ihres Verlegers eine Rezension niederschreiben, in der ich sie und ihre Gedichte genug lobe: denn rechtschaffene Männer müssen stets die todgebornen Gedichte ihrer Weiber unbeschreiblich loben und dadurch beseelen, wie nach der alten Naturgeschichte der Löwe den todgebornen Jungen der Löwin durch seine Stimme das Leben zutheilt. Mein herzlicher Wunsch ists, die übrigen Rezensenten möchten die Rezension der poetischen Werke meiner Frau nicht wieder zu einem neuen Beweise gerathen lassen, wie sehr sie alle Achtung gegen das schöne Geschlecht zu verletzen gewohnt sind und wie wenig bekannt es noch ihnen ist, daß denkende Kunstrichter die Damen unter die Poeten, wie Linäus die sanftmüthigen Tauben unter die Sangvögel, nicht seit gestern stellen.

Man wird mich billigen, daß ich oben die Erhabenheit ihrer Hand nicht ganz dem Riechsacke beimessen wollte, sondern schon an die neben ihm eingesezten poetischen Anlagen dachte, die sich durch stille Erhebung der Hände ankündigen. Wie wenig ist die Physiognomik der Hände trüglich und wie viele poetische Talente lebendiger Damenhände sind schon durch ungeistige Handarbeiten gänzlich niedergedrücket worden! Ich muß daher die Ausgabe ihrer Werke mit einer Silhouette ihrer Hand anfangen, und dadurch dem physiognomischen Riesen wider seine Erwartung ein neues Glied ansetzen, da er gegen seine Feinde so viele Schattenköpfe als die Hydra und so viele Schattenhände als Briareus vonnöthen hat.

Mich wundert nichts mehr als daß neulich ein gewisser Schulrecktor ein lateinisches Michaelisprograma gegen mich und meine dichtende Figur abgeschossen, worin er beweisen will, ein Wesen von Holz, wie meine Gattin sicher sei, wäre ganz und gar nicht im Stande, einen Vers hervorzutreiben, der verdiente, daß ihn das ganze gesittetere Publikum durchliefe. Dieser Mann, der einem Wesen, das doch existirt, aus keiner Ursache den Namen eines anmuthigen Poeten abschlägt, als weil es nicht von Fleisch ist sondern von Holz, muß von ienen alten Theologen etwas an sich haben, die die Eva keinen Menschen nennen wollten, blos weil sie nicht wie Adam aus Erde sondern aus einer harten Rippe gestaltet worden. Es ist unmöglich, daß er folgendes vor der Schreibung seines Programes übersonnen: wenn der blinde Blacklock (nach dem Berichte des Monboddo) herrliche Schilderungen der sichtbaren Gegenstände erschaffen konnte, ohne nur einen wegen seiner angebornen Blindheit gesehen zu haben: soll es meiner Gattin schwerer sein, bessere oder doch ähnliche poetische Abzeichnungen von Gegenständen der Sinne, der Empfindung und des Denkens zu entwerfen, ohne diese Gegenstände durch eigene Erfahrung zu kennen? – Alle Dichter nennt man figürliche Adler, weil sie hoch fliegen, wenn nun Regiomontan aus Holz recht gut einen Adler schnizte, der fliegen konnte: getreuet sich wol der H. Recktor von der Unmöglichkeit einen kurzen Beweis zu führen, aus Holz auch einen Adler im metaphorischen Sinne zusammenzusetzen, der blos im figürlichen Sinne ein wenig hoch zu fliegen vermag? Und leuchtet ihm die Möglichkeit einer Maschine, die mit einem Drucke die Federn, die sonst die Gelehrten sich zuspizten, schneidet, leichter und stärker ein als die von einer, die die Feder eben so gut führt? Oder wollen die grösten Gelehrten den Homer zu seinem Heldengedicht gern den Gebrauch vieler poetischer Maschinen verstatten: meiner armen leblosen Frau hingegen bei ihrem Poetisiren die einzige poetische Maschine verdenken, die ihr guter Ehemann in ihre rechte Hand einheftete, ein springender und lachender Ehemann, von dessen Verdiensten ein Quartant zu schreiben wäre?

Gleichwol scheint es, daß sie mit diesem dichterischen Geiste eine Unzufriedenheit mit den alten Religionsbegriffen verknüpft, die vielen französischen Damen fehlet, wenn sie todkrank sind oder allein; und ich denke, sie hat den rechten Unglauben. Ich will hoffen, es ist keine Täuschung, wenn ich an ihr bemerkt zu haben glaube, daß sie in einer 48 iährigen Ehe nicht Einmal Schmolkens Gebetbuch zur Hand nahm, so wie ich selbst nicht (und solt' ich deswegen völlig verdammt werden, so kann ich nichts dafür: sie hätte mir mit einem andern Beispiele vorgehen müssen und auf sie schiebe ich die meiste Schuld) – sie weis ferner noch kein Wort, daß wir eine reparirte Kirche neben uns haben, die ausdrücklich für solche leblose Damen auf geführet ist – auch lies ich mich nie mit einem gewissen Jesuiten in Religionsgespräche ein, ohne an ihr die schon oben angeregte lächelnde Oefnung des Mundes wahrzunehmen, von der man glaubt, daß sie damit nicht so sehr ihre natürlichen als ihre satirischen Zähne weisen wollte (und mehr kann ein christlicher Leser von einem Haubenkopfe gar nicht gegen die Religion verlangen, als daß er sie auslacht) – endlich hab' ich in ihr auch den Wurzeln des weiblichen Aberglaubens den gewöhnlichen Boden nicht bewilligt, d. h. kein Herz, sondern ich lies den Rumpf Mosis so leer als er unter der Kanzel und auf dem Kirchboden war. Ueberleg' ichs vollends, daß sie ausser dem Verstande auch eine französische Bibliothek hat: so kann ich unmöglich glauben, daß sie nicht denke, sondern wirklich noch glaube, sie habe eine Seele und keine Maschine, sie werde die Zerstörung ihrer vergänglichen Hülle überleben und für ihre Tugenden einen auffallenden Lohn empfangen, sie sei kein Werk des Zufals, sondern eines vernünftigen Wesens. Freilich muß ich unglüklicherweise mehr aus ihren Handlungen und ihrem Aeussern als ihrem Innern schliessen, und sie könnte wider alle unsere Hofnungen doch nur einen blossen Mundunglauben haben: allein von dieser unangenehmen Unwissenheit ist man wirklich in Rücksicht der vornehmsten Hofdamen eben so wenig frei; denn sind ihre Reden und Handlungen uns wol sichere Bürgen, daß sie nicht demungeachtet geheim in ihrem Herzen noch den Glauben an Gott, Unsterblichkeit und Tugend nähren, einen Glauben, den man ihnen und desto mehr ohne Unbilligkeit zutrauen könnte, ie weniger sie tief und lange untersuchen können? Ich thue das gar nicht: aber ich sag' es nur so. Dabei hat eine unbelebte noch mehr Muth zum Nichtsglauben als wenige belebte. Denn sie zittert nicht nur vor der Hölle wenig, sondern auch – und das halt' ich für recht schwer – vor keiner Maus und man weis kaum, wen sie mehr verschmäht, ob den Teufel oder eine Spinne. Zwar streuet mein Johann, weil ich ihn ohne Livree fortgeiaget, da der Kerl doch völlig alt und unbrauchbar war, überall aus, er hätte selbst gesehen, daß sie bei starken Gewittern so gut als eine lebendige zitterte (indessen brauchte doch eine gewisse lebendige es nicht zu thun, da es andere für sie thun, die sie kennen –) allein gesezt auch, so wüst' ich doch nicht, warum man dieses Zittern lieber für eine Folge ihrer erschütterten Imaginazion als des Donnerschalles halten wollte, der wol grössere Gebäude in Bewegung sezt?

Ich hab' es schon oben erinnert, daß meine Gattin schamhaft oder geschminkt genug ist. Ich weis recht gut, daß ich oft mit Gelehrten spazieren gieng, die gegen mich behaupteten, Schminke und Schamröthe wären gänzlich zweierlei. Aber ich denke noch bis auf diese Minute, der ganze Unterschied läuft dahin hinaus, daß die Röthe dort auf, hier in den Wangen sizt, dort von der Hand, hier von den Adern herkömmt, daß die natürliche Schamhaftigkeit kaum drei Minuten, die aus Zinnober aber einen ganzen Tag, wenn er nicht heis ist, blühen kann. Das Wichtigste ist, daß die Schminke ein erlaubter und richtiger Nachdruck der Schamröthe ist, der sie ungemein häufig und wolfeil auf alle und sonst unkeusche Gesichter verbreitet; daher bei uns die Schamhaftigkeit, wie (nach Herodot) bei den Aegyptern der Vogel Phönix, nicht nur in recht grossem Werthe steht, sondern auch überall wirklich gemalet zu haben ist. Allein nur ist nichts an diesen lebendigen Damen zerstöhrlicher als diese Schamhaftigkeit oder Schminke. Löschet sie nicht oft ein einziger Kuß weg? Reibet sie nicht ein heftiger Tanz auf? Thränen führen diese kostbare Blume fort, der hernach eine ungemalte nachschwimt und eine mässige Erhitzung (deren zum Unglück die so sehr geschminkten und verschämten Aktrizen sich nicht überheben können) kann die Wangen entkleiden und ihnen diesen geistliche Ornat ausziehen. Wie viel fester sizt an unbelebten Damen die Schamröthe! Ferner bleibt meine schamhaft oder geschminkt bei Tag und bei Nacht und an allen Orten. Aber bei der gegenwärtigen Unvollkommenheit der Schminke ist das den lebendigen fast unmöglich: nach Mitternacht sind ihre Wangen nakt und wie kann einer sich vorstellen, ihre Schamröthe stiege mit ihnen ins Bett, da sie sie schon vor dem Schlafengehen abwischen und auf der Toilette lassen?


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