Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die meisten Handwerker bedienen den Armen schlechter als den Reichen; allein die Aerzte sind nicht von dieser Zahl, sondern springen wo möglich den erstern weit mehr als den leztern bei. Zum wenigsten höret man selten, daß ein Armer, der sich unter der Bedingung einer schnellern Auflösung in die Arme des Arztes geworfen, sein Krankenbett anders hätte verlassen müssen als völlig genesen und tod. Der Reiche hingegen fand oft bei dem gut bezahlten Arzte die Rechnung seines Wunsches, möglichst bald den Himmel zu ersteigen, schlecht genug, und muste in der That seine Krankheit mit der fortgesezten Rolle des Lebens vertauschen. Der Dokter Pompasius sagt, er thät' es deswegen: Von dem Armen wisse er wahrscheinlich, daß dessen Entweichung aus seinem Körper sein Schicksal verbessere, daher sei er ihm zur Entspringung aus diesem Gefängniß so behülflich: allein von einem aus der großen und reichen Welt müsse er vermuthen, daß solcher verdammt werde; darum greif' er lieber zum kleinern Uebel der erneuerten Ankettung an den Körper und halte diese Seele so lange in ihrer Bastille fest, bis er denke, sie sei nun alt, kaltblütig, schlim, modisch und politisch genug, um etwan in der Hölle mehr Anlaß zum Vergnügen als zum Mißvergnügen anzutreffen, wie ganz graue Bösewichter in Gefängnissen zufriedener sind als Anfänger. Der Arzt gleicht sonach der elektrischen Materie: in der Gestalt des Blitzes tödet sie gemeine Leute auf dem Felde, in der Gestalt kleiner Funken aber stellet sie viele Vornehme von Unpäßlichkeiten wirklich her. Man sehe zu, ob nicht von dieser Heilung der Vornehmen zum Theil der Wahn entsprang, das Amt des guten Arztes bestehe mehr im Heilen als im Gegentheil. Ausserordentlich befremdend ists, daß den Scharfrichter ein ähnlicher, nur umgekehrter Wahn verfolgt; er mag sein ganzes Leben Menschen und Vieh auf die eine oder andere Art kuriren und sogar die fürstl. Jagdhunde durch Nahrung beim Leben erhalten: so bleiben doch ganze Zünfte – ich weiß selbst Beispiele – dabei, blos weil der arme Mann in vielen Jahren einen Deliquenten abthat, sein Amt bestehe mehr im Töden als im Heilen. Das ist aber, lieber Leser, eine kleine Probe, wie man überal sowol den Scharfrichtern als den Aerzten mitfährt und man sollte sich schämen. Freilich scheint den Aerzten selbst nicht viel daran gelegen zu sein, daß geschickte Schriftsteller dieses Vorurtheil berichtigen. Denn die Eitelkeit der Menschen ist ein seltsamer Kauz. Man höret sich lieber in einer Nebensache, die man schlecht versteht, als in der Hauptsache, die man gut versteht, gepriesen; weil man seine Vortreflichkeit in dieser schon als eingestanden zum voraus setzet, für die in iener aber erst Beweise aus fremden Lobsprüchen sucht und durch die fremde Ueberzeugung, seiner eignen nachhelfen will; Der Philosoph hört sich am liebsten wegen seines Witzes, und der schöne Geist wegen seines Verstandes geschmeichelt. Eben deswegen scheinen die meisten Aerzte, deren Vorzüglichkeit Töden und deren Nebenwerk Heilen ist, aus einem Lobe, das man ihnen in diesem zuwirft, ungleich mehr zu machen als aus einem, das man ihnen in iener bewilligt, wofern sie nicht gar gegen das leztere ganz gleichgültig sind: und man küzelt in den meisten Fällen ihre Eitelkeit viel sicherer und feiner, wenn man ihnen große Stärke im Heilen beimesset, als wenn man ihnen eine noch so große im Töden zuspricht.
Übrigens hab' ich ganz andere Dokumente als ihre Vorreden, worinn sie von nichts als ihrer langen Praxis und ihren unzähligen Leichenöfnungen reden können, wenn ich darthun will, daß sie gar nicht eitel sind; ich habe ihre Krankengeschichten. Geräth ihnen nämlich eine Kur und beurlaubt sich die Seele des Kranken ohne langes Mediziniren vom einfallenden Körper: so lehnen sie das Lob derselben aufrichtig ab, und machen die von ihnen ausgewirkte Entweichung der Seele völlig zu einem Verdienste des baufälligen und ungehorsamen Kranken. Läuft aber die Kur so übel ab, daß aus der Entseelung des Kranken nichts wird und der Mann oder die Frau wieder auflebt: so zeihen sie blos sich selber dieses Misglücks und geben sein Aufkommen ihren Arzneien, nicht aber seinem unbezwinglichen Körper Schuld. Blos zu Widerholung ihrer Bescheidenheit schrieb' ich diesen langen Eingang nieder: indessen ists mir wahrhaftig eben so sehr um die Wahrheit zu thun, als um das Lob der Aerzte und ich gestehe, zum voraus ich würde, sollt' ich einmal ganz entgegengesezte nachtheiligere Erfahrungen von den Aerzten bekommen, es gar nicht wie die alten Dichter machen, denen Bayle vorrückt, sie hätten das Lob solcher Person, auf die sie nachher spotteten, dennoch wegen seines Witzes stehen lassen, sondern ich würde das ganze bisherige Lob auf die Aerzte ohne Mitleid auskrazen, so witzig es auch unzähligen vorkommen mag.
Es soll mich aber wundern, wenn ich weis, wo ich iezt bin: denn bey der Hauptsache, merk' ich leicht steh ich nicht und ich muß wol seit der Zeit, daß ich den Titel dieser Abhandlung geschrieben, blos einer Ausschweifung nachgegangen sein. O meine Freunde, der Mensch ist weit kurzsichtiger als ein Stutzer und keine Prophetenschule bringet ihm das Prophezeien bei. Denn ich weis aus meiner eignen Erfahrung, ich mag es, wenn ich über eine Dissertazion oder ein fliegendes Blatt den Titel schreibe, es immerhin noch so deutlich vorauszusehen glauben, daß ich darum etwan von dieser oder iener Materie – diese weissag' ich alsdann schon auf dem Titel – so viel immer möglich handeln dürfte: so seh' ich mich sogleich bei den ersten Zeilen von dem stoischen Fatum vermittelst eines Nasenrings zu einer ganz andern Materie geschleift, die weder ich noch der geneigte Leser meines Bedünkens erwarten konnte, und für deren Bearbeitung hernach der arme Autor doch den kritischen – Thieren vorgeschleudert wird. So hoft' ich z. B. iezt, da ich diese Abhandlung betitelte, vielleicht und ebenfalls (wenns meine häuslichen und körperlichen Umstände litten) von dem besten Gebrauche etwas Schickliches beizubringen, den sowol die Wissenschaften als das peinliche Recht in Zukunft von den Aerzten machen könnten; ich konnte daher auch, da ich ganz auf diese Hofnung fußte, dem Leser es in dem Titel verheissen: gleichwol seh' ich, daß ich iezt in einem ganz fremden Felde halte, wo ich blos von den Aerzten überhaupt gehandelt und sie weitläuftig nach bestem Wissen gelobt. Solche und andere noch schlimmere Zufälle müssen einen denkenden Autor immer mehr überreden, daß er vielleicht besser fährt, wenn er alles unbehutsame Weissagen: »von der und der Materie werd ich in der nächsten Zeile sehr reden« ganz einstellet und den Vorhang der Zukunft, der oft aus etlichen Blättern undurchsichtigen Papiers bestehen kann, gar nicht aufzuzerren sucht. Der bessere Autor gehe lieber gern ieder Kabinetsordre des stoischen Fatums nach, und mache sich mit Lust über iede Materie her, die ihm von ienem zu behandeln vorgeworfen wird, ohne (wie man bisher that,) mehr mit vergeblicher Ermüdung auf das von ihm selbst muthwillig auf dem Titel der Abhandlung aufgerichtete Ziel auszusein, das gar in keinem Betrachte hätte vorgepflanzet werden sollen: dann werden Männer, die in der Sache einiges gethan haben, von selbst sagen: »diese Abhandlung ist nichts anders als die erste künstliche Wildnis von Gedanken in Deutschland, und es braucht unsers Bedünkens keines Beweises, daß sie des Namens philosophischer Pandekten würdig ist, die wol aus 2000 Materien zusammengebracht sein mögen.« Dann wird er kein Spiel der Digressionen und besser daran sein als ich geschlagener Autor, der es noch für ein besonderes Glück schätzen kann und wird, wenn ihm nach Einem ganzen Bogen die eiserne Nothwendigkeit verstatten will, nur etwan in folgendem Absatze den besten Gebrauch abzuhandeln, den theils die Wissenschaften theils das Kriminalrecht von den Aerzten in den nächsten Monaten machen könnten und sollten.
Ich rede von den Wissenschaften zuerst. Denn sie stehen auf dem erbärmlichsten Fusse, weil wir Gelehrte nicht kränklich genug sind. Freilich wird mehr als einer mir die Griechen und Römer entgegen setzen, bei denen die Gesundheit des Körpers, der Gesundheit des Geistes mehr Vorschub als Eintrag that; der thierische Leib und die menschliche Seele wurden da mit einander erzogen, genährt und unterwiesen, wie in der Reitschule zugleich die Pferde und die Menschen reiten lernen. Indessen konnten die Alten von dieser Schulfreundschaft der beide zankenden Theile des Menschen gewis keinen andern Vortheil gewinnen als den, daß sie eben so gut handelten als dachten; und der Körper des Sokrates war ein gesunder, flinker Kammermohr und Schildknappe, dem die Seele nur zu befehlen brauchte. Es wäre ein Unglück für uns, wenn wir hierin nicht gröstentheils von den Alten abgetreten wären; allein unsere Begriffe von der menschlichen Bestimmung läuterten sich ganz beträchtlich, so daß wir am ganzen Menschen wirklich den einzigen Kopf zur Bildung und Verbesserung ausgeschossen, wie die Juden an Gänsen nichts vergrößern und mästen als die Leber, in welche die Auguren den Sitz der Seele verlegten, ohne sehr auf den H. Fabre zu hören, der neulich aus Paris schrieb, die Seele säße wol im plexus solaris. Daher wundere man sich nicht, daß wir es im Ganzen so weit bringen, daß wir Zwerge sind und wie sie große Köpfe haben; daher denken wir auf alle Fälle fast noch besser als wir handeln, und unsere Vorsätze und Vorschriften sind so gut, so erhaben, so glänzend, daß man gar nicht glauben sollte, unsere bürgerlichen Handlungen hätten so herrliche Ahnenbilder zu Vorfahren. Daher kann weiter zwischen einem Kranken und einem großen Gelehrten nur ein schlechter Unterschied statt haben. Daher eben must' ich auf die Untersuchung verfallen, ob sich nicht viele Wissenschaften ganz unbeschreiblich an der Hand der Aerzte emporrichten sollten; man kann mich völlig unrecht verstehen: aber mein Gedanke ist blos der, da Genie und Krankheit Milchbrüder geworden; so sollten die Aerzte denen die griechische Beschreibung keiner Krankheit zu schwer ist, sich auf die Komposizion solcher Krankheiten legen, die der ganzen Litteratur etwas nüzten. Lieber Himmel! wie gieng man denn mit den Muscheln um? Man kam auch darhinter, daß die kränklichsten Muscheln die meisten und schönsten Perlen gebären, und benahm ihnen zum Vortheile ihrer Perlenfruchtbarkeit sogleich den gesunden Körper.
Warum müssen sich so viele schöne Geister über ihren Mangel an Witz und feiner Empfindung beschweren? Der Fehler ist, sie haben nur natürliche Waden, aber keine künstlichen, die man bei dem Strumpfwirker kaufen muß. Sie sollten sich mehr zu entkräftenden Getränken halten und sich von einem guten Arzte etwas gegen die Gesundheit und Einfalt verordnen lassen. Thaten nicht tausend Weltleute für die Aussprache des Französischen ungleich mehr? Sie schaften nämlich, so wie der H. Hieronymus seine Zähne willig befeilen lies, um sie zur Aussprache des Hebräischen zuzurunden, von ihrer Nase so viel weg als ihnen in der Prononciazion der voyeles nasales im Wege stand.
Man klagt in allen Buchläden, der Menschenverstand der Wiener Autoren sei ganz und gar nicht gesund. Allein sie essen auch viel zu viel. Würden sie aber zum Doktor gehen und um einige Magentropfen zur Schwächung des Appetits anhalten: so müste, wenn ihr Kopf sich nicht auf der Stelle besserte, der Magen gar nichts dafür können, sondern gewissermaßen die Normalschulen.
Aus Moriz Erfahrungsseelenkunde wissen es viele, daß ein Bauer sich in einer Krankheit auf das Griechische aus seiner Jugend besan; und aus andern Büchern sind mir und dem Leser die auffallendsten Beispiele von Erinnerungen bewust, deren Mutter eine Krankheit gewesen. Ich möchte daher fragen, ob man sich gar nicht ein Gewissen macht, Menschen oder Kandidaten oder Autoren, die das Hebräische und Griechische längst vergessen, gleichwol zu einer Zeit zu examiniren, wo sie so gesund sind, wie Fische im Wasser? Vollends wenn sie es nie gelernt, so ists die größte erdenkliche Bosheit, ihnen anzumuthen, diese sprachen eher zu wissen als in einer Krankheit. Aber christlich würd' es von den Examinatoren gehandelt sein, wenn sie durch einen Arzt iunge Leute so lange krank machen liessen bis sie sich auf die alten Sprachen besännen. Wer freilich ganz tod ist – dergleichen Menschen giebts – dem sind alle tode Sprachen eine wahre Lust; daher reden alle Menschen, Weib, Knechte, Mägde und Kinder im Himmel (zu folge den alten Theologen) hebräisch oder doch (nach Imhofer) lateinisch: aber wie wenige von uns sind schon tod?