Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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Erste Zusammenkunft mit dem angenehmen Leser

I.

Habermans große Tour und musikalischer und logischer Cursus durch die Welt, von ihm selbst gut genug beschrieben und blos summarisch abgefasset

»Ich danke dem Himmel und der Erde, sagt' ich, und machte den Yorik ganz zu, daß ich gleich den besten Reisebeschreibern einen Hintern habe, und damit mich zu einer recht vernünftigen Reise einsetzen kann. Ich will, so ohne alle verzögerliche Einreden, so ohne alle Hemketten und Gedanken durch Europa fahren, daß viele, die vor meiner Chaise vorbereiten, im nächsten Wirthshause anmerken, es sei ein Herr darin gesessen, dessen Stand sicher besser wäre, als sein Rock. Was meine Reisebeschreibung anlangt, die ich so nothwendig als die Reise selber und beide unter Weges zu machen habe: so stell' ich mir vor, sie kann, wenn ich darin nur nicht zu selten 'sagt' ich' sage, vielleicht dem einen und dem andern gefallen.«

Ich sperte also meine elende Studierstube zu, und trat nebst meiner Schreibtafel nach Einem Monate in einer wolfeilen Weinschenke zu Wien im Angesichte einer ganzen Gasse ab. Ich machte Abends auf der dasigen Redoute einen blessirten Generalfeldzeugmeister und erhielt in dieser Qualität von einer Dame eine laute Ohrfeige, die ins politische JournalS. Jahrgang 1784. S. 188. wo zwei solche Beispiele vorkommen, die leicht beweisen, daß die vom Tazitus gepriesene Tapferkeit der deutschen Damen noch da ist. gesezt wurde. Das war mir ganz lieb und ein schicklicher Anlaß zu einer Rede. »Wär ich nicht (so fieng' ich sie an) ein wahrer ausgemachter Generalfeldzeugmeister: so könnt' ich darüber im Grunde zornig werdenWär' ich nicht König, so würd' ich zornig werden, sagte ein guter und ich wollt' ihn eben nachahmen. . Am allermeisten könnt' ichs, wenn ich so wenig bei Sinnen wäre, daß ich fast gar kein Wort davon wüste, wie offenbar die Wiener Damen mit ihrem weltlichen und doch schönen Arm gleich einem elektrischen Funken uns nur deswegen schlagen, damit wir zu Zeugen ihrer dynamischen Reize allzeit uns schicken, denn die alten Deutschen gaben allemal dem Zeugen, damit er sich auf sein Zeugniß leichter besänne, eine Ohrfeige. Daher ist die ganze Sache eine der grösten Wolthaten; und deswegen – denn wer die Wolthat ertheilt, liebt bekanntlich mehr als der, der sie bekömmt und den sie viel zu sehr demüthigt – müssen Sie, die Sie mir die gedachte Wolthat einhändigten, mich wirklich lieber haben als ich Sie, der sie blos erhielt... Ueberhaupt können (sagt' ich und sah dabei sehr herum), die Wiener Damen fast noch glücklicher sein, als tausend andere: ich versichere die Redoute, sie sind im Stande, mit ihrem Angesichte Schmerzen, die wolthun (wie in Liebesbriefen steht), und mit ihren Händen Schmerzen, die hoff' ich wehe thun, zu allen Zeiten zu erregen. Wahrhaftig sie schlagen dem Herzen und Wangen eines ieden ordentlichen Mannes rechte Wunden, der still in Wien angefahren kömmt, und sich in einigen Vierteln desselben ein wenig umschauen will.«

Ich merkte nun wohl, daß ich mitten auf dem Wege war, wirkliche Feinheit und Galanterie in meine Gewalt zu bekommen. Ich sann daher nach, wie ich die Feinheit so weit treiben könnte, daß gar kein Mensch wüste, was ich wollte. Ich stellte mich deswegen, als schlief ich gar stehend ein, wie ein vierfüssiges Thier: allein ich hatte dabei die feinsten Absichten im Kopfe, und hielt mehr als eine witzige Geburt zurecht, indem ich blos auf eine Geburtszange und den Roonhuysischen Hebel paste. Ich hatte Bonmots zum voraus fertig gemacht, auf alle drei Stände, auf die zwei Geschlechter, auf ieden Domino und Jesuiten der da war, und es hätte mir unmöglich fehlen können; besonders wünscht' ich von Herzen, eine Dame möchte hinter mir sagen: »dieser da verdient den Traum glücklich zu sein; denn er schläft.« Denn wichtige Maaßregeln waren darauf genommen, ich wäre gähling aufgewacht und hätte blos aus dem Stegreif repliziret: »o Sie können mir leichter die Wirklichkeit als den Traum des Glücks gewähren.« Allein ich wurde keines einzigen guten Gedankens loß, und sank zuletzt vor lauter Unmuth in einen wahren Schlaf. »Es ist nur gut, (sagt' ich als ich wie neugeboren aufwachte), daß ich der Welt eine kleine aber angenehme Reisebeschreibung zu geben, vorhabe: in der kann der Einfall ganz geschickt untergebracht werden.«

Ein vernünftiger Reisebeschreiber möchte in Wien ganz des Teufels werden, wenn er in demselben schon die Sonne der Aufklärung scheinen sieht, und er sagt, seine astronomischen Tabellen könnten doch nicht trügen: allein er bedenkt leider nicht, daß das nur noch blos der Schein und das Bild der Aufklärung, das (wegen der Stralenbrechung) allzeit eher da ist, als sie selbst. Das Beste ist, er vergleicht diesen Fall mit dem auf Nova Zembla, wo nach der langen Nacht das Bild der Sonne allemal 16 Tage eher, als die Sonne selbst am Himmel aufgeht.

Mit leichter Mühe begab ich mich von Wien nach Syrien, besonders nach Aleppo. Der Graf von Cagliostro war für seine Person auch da, und hatte seinem dasigen Schwiegervater, einem Juden, weis gemacht, er sei seinem besten Wissen nach, auch einer. Ich kannte den erstern und sagte zu dem andern: »wenige Juden haben von den egyptischen Pyramiden soviel wahre Kenntniß abgekrazt als Cagliostro, und er sollte mit mir sein Glück in ganz Europa suchen: besonders da ers augenblicklich riechen kann, wenn einer ein Atheist ist. Denn nicht alle mögliche Nasen (fuhr ich fort und klopfte dem Schwiegervater zu hart auf die Achsel) hat der Himmel so geformt, daß sie wie Ihres Schwiegersohnes seine richtige Fühlhörner oder Visitireisen oder krumme Sucher (Sondeurs) des Atheismus abgäben – so und dergestallt etwan, daß man selbst durch die Ohrenbeicht nicht mehr von den Irthümern eines Menschen erführe als durch diese Nasenbeicht, wie die Kaufleute in Indien das Gold durch Beriechen prüfen – wahrhaftig nicht alle, sondern nur seltene, und in ganz Europa kenn' ich dergleichen Nasen wenig. Die meisten dasigen Geistlichen und Rabbinen erforschen mit der Nase nicht so sehr die Meinungen eines Menschen, als seinen Gestank; daher weiß dort gar noch keine Seele, was eine atheistische ist, und in Deutschland hält man die Philosophen für Atheisten und in Frankreich die Atheisten für Philosophen.« Nach einigen Tagen hatte Cagliostro das Glück seine Frau zu bekommen und zu bestehlen: denn während sie mit ihren durch Harz zugeleimten AugenIn Aleppo werden die Augen einer indischen Braut (nach Russel) auf eine gewisse Zeit mit Harz zugeklebt und vom Bräutigam wieder aufgemacht. vor ihm saß, pakte er mit wahrem Vergnügen ihre Habseligkeiten zu den seinigen ein, und gieng damit fröhlich auf und davon.

Ich that das leztere freilich auch, aber ich nahm nichts hinweg, das mir dabei reine Freude machte, als die leere Betrachtung, daß in meinem Vaterlande nicht der Braut die Augen zugepappet sind, sondern nur dem ganz angenehmen Bräutigam, dem sie alsdann zu gleicher Zeit auf- und übergehen. Jene weiß, was sie bekömmt, dieser weiß kein Wort, keine Sylbe und keinen Buchstaben davon: denn daß ihr Anbeter schon mehrere angebetet und gleich ganzen Völkern von der Vielgötterei zur Ohngötterei übergeflogen, daß er zuweilen pointiret, daß er seine Bedienten meines Erachtens nicht christlich geprügelt, oder das Gegentheil von allem kömmt dem Mädgen so gut zu Ohren als seinen Feinden und seine Narheit oder Tugend fieng sich früher, als seine Liebe an – das Mädgen ihre aber einige Wochen später, vor der Ehe stekt die Schöne in einer Karaktermaske, in derselben legt sie kaum eine Spitzenmaske an; vor solcher ist ihre Sonnenfinsterniß ganz Europa unsichtbar oder doch keinen Zoll groß, in solcher kann der erfreuete Mann eine totale an ihr beobachten, die ich meinen Rechnungen zufolge auf 12 Zoll ansetze, so, daß die ehrliche Haut von einem Mann aus Einfalt denkt, der jüngste Tag sei da oder schon vorbei.

Ich gieng hernach (Hospitirens wegen) zum Doktor S. in Erlang, der (wenn ich alten und neuern Fanatikern glauben soll) aus nichts andern bestehen kann, als aus Geist, Seele und Leib. Ein jeder von diesen Theilen, wies sich und seinen Werth schon den Europäern durch die besten Schriften und wir alle besitzen an ihm eine zusammengewachsene Drillingsgeburt von Autoren, oder auch keine schlechte schriftstellerische Triplealliance. Ich bezeuge, daß ich gar wol einsehe, warum neulich auch sein dritter Theil, sein Körper auf den Gedanken verfiel, etwas zu ediren. Dieser Körper kann ohne Noth so gedacht haben: »jeder Bestandtheil des Herrn D. gebar bisher der Welt ein Buch, nur du nicht, sondern schändlicherweise wars dir schon genung, sein bloßer Schreiber und Setzer zu sein, wie die Welt wol weis. Allein, so handeln vernünftige Leiber nicht. Diese überlegen, daß aus ihrer Achsel ein langer dürrer Arm herausgewachsen, der in fünf Finger ausläuft, die stets eine Feder halten und damit ungezwungen, wenn ich nicht irre, ganz gute Gedanken aufsetzen können. Denn der menschliche Arm bleibt doch stets der hervorstehende Pumpenschwengel, dessen Bewegung manches theils gute theils hernach gedruckte Buch aus dem Magen, der Gallenblase oder aus noch tiefern Gefässen heraufpumpet: Glaube mir ganz, deine fünf Finger können zu jeder Stunde fünf Pussirgriffel abgeben, die ein schönes geistiges Wachskind formen und glätten.« Der Körper machte auch würklich einen so rührenden Eindruck auf sich, daß er sich hinsetzte und seine Hand nahm und damit schrieb: den »S... Auszug aus der Bibel« der in den unsrigen nun ist. So wie jener Professor, der sich nur die schönsten Stellen im Homer anstreichen wollte, so viele unterlinirte, daß zuletzt der ganze Homer unterstrichen war; so zog der Körper des Herrn Doktors die ganze Bibel aus der Bibel heraus, und führte so viele schöne Stellen zu Haufe, daß sie die anstößigen insgesamt, deren doch recht viele im Auszuge mit sind, wirklich verdecken. Als ich nachher nach B- kam, so fragt' ich das Konsistorium höflich genug, ob es nicht sein Spediteur und Kollekteur wäre, wie ich recht sehr wünschte.

Es sagte: »es wäre aber noch weit mehr der Spediteur und Kommissionär des beliebten Zeit- und Handbüchleins des beliebten Herrn Künneths, an welchem erstern nichts einfältig wäre als der Titel, und es zwänge jeden Geistlichen sich und dem Verfasser durch dessen Kauf unsäglich zu nützen. Ueberhaupt solte man jedem Autor ein ganzes Land schenken, über das er ein ordentliches Zwangsrecht ausüben könnte, und das alles kaufen müßte, was er Tag und Nacht schriebe, es möchte zu gebrauchen sein zu was es wolte: so sei z. B. dem Federkiel des Doktor S.. das Fürstenthum B. geschenkt und er packe ihm alle seine Produkte auf.«

Ich mochte gar nicht darauf antworten; denn ich sah, es wäre weit besser, wenn ich schnell in Hof im Voigtlande einzufahren gedächte und vorher unter dem dasigen Thore einen Namen angäbe, den kein Finger von der ganzen Wache schreiben konnte, und keine Gehirnfiber merken. Hier kann ein Reisebeschreiber mit Vergnügen bemerken, daß noch Städte in Deutschland liegen, die dem Geniewesen, dem Tändeln mit den schönen Wissenschaften, der Empfindsamkeit, den überfeinen Gesellschaften, der Schwärmerey etc. entgangen sind; diese Stadt mit grauen Haaren erwehret sich alles dessen recht gut und fängt nach viel solidern Dingen – ein Ruhm, den Reisende weniger zu verkleinern als zu verdienen suchen selten, und den überhaupt nur einer ableugnen kann, der Mängel einzelner Personen gern einer ganzen Stadt und Vorstadt aufdichtet, und der Reiseuniform nicht von Nazionalkleidung zu trennen weis. Ich gestehe gern, daß alda, wie überall die Schneider, Friseurs und Haubenmacherinnen schlimme Neologen sind, und nicht so denken, wie im anno decretorio 1624 (denn man lässet sie ja leider nichts beschwören oder unterschreiben): allein glücklicherweise pflanzen sie ihre Neuerungen nur auf, nicht in den Kopf, geben nicht sowohl den Ideen neue Formen als den Haaren, und die nämliche Hirnschaale, auf der die Kupferstiche des halben Modejournals realisiret liegen, deckt ein Gehirn in welchem das Gehirn der Grosmutter, als eine verkleinerte Mumie noch konserviret wird, kurz, das 18. Jahrhundert wird vom 16 nur durch die Hirnschaale getrennt – wodurch alles wieder gut wird. – Meine Leser müssen von den vielen historischen Gesellschaften in Deutschland etwas gehöret haben: aber gelesen hab' ich selber noch nichts davon und es ist meine Pflicht, das Publikum so angenehm und so gut ich mit meinem Arme kann – der seit 8 Tagen lahm ist und den Fidelbogen nicht halten kann – darüber zu belehren.


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