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Habermans Predigt in der Kirchenloge, worin er die Menschen, seine Mitbrüder zur Verläumdung anspornt; nebst der Nutzanwendung, warum man ihn in Nürnberg nicht hängen können
Es ist bekannt und erwiesen, daß Haberman einmal in der Kirche sas, als gerade eine heftige Predigt gegen die Verläumdung gehalten wurde. Das that ihm ungemein wehe und er wollte deswegen fast nichts in den Klingelbeutel werfen: denn er war sich bewust, daß er funfzig Gründe kannte, womit die Verläumdung auf das allerbeste beschirmt werden konnte. Zulezt ließ er die Logenfenster zuschnappen, bestieg einen Predigtstuhl, das ist einen Stuhl legte vor denen, die in der Loge um ihn saßen, eine leise Predigt für die Verläumdung ab. Jedesmal, daß der Pfarrer auf der Kanzel einen neuen Tadel auf die Verläumdung abschoß, lies Haberman in der Lege ein neues Lob auf sie losfahren: in der Luft konnten hernach Lob und Tadel einander begegnen, und etwa in Gemeinschaft die Reise fortsetzen. Ob er freilich damit seine Kontrapredigt rechtfertiget, daß er schreibt, iede Kirche sei eine Simultankirche und er wisse nicht anders als er und der Pfarrer hätten in hiesiger eine alte Koppeliagd nach frommen Seelen: das bestimm' ich nicht, sondern höre das hochpreisliche Konsistorium. Hier ist die Predigt.
Andächtige Zuhörer zweier Redner!
An einen Eingang ist gar nicht zu gedenken. Ich muß iezt scharf hinter dem Pfarrer hersetzen, der seinen Eingang schon vor dem Kanzelliede gehalten und nun mit einer gesunden Predigt heftig voraussagt. Ich habe nicht einmal so viel Zeit, daß ich sagen könnte, von was ich gründlich handeln will und in welche Theile ich für meine Person das Hauptthema iezt zerfälle. Wahrhaftig bei iedem Worte, das ich darüber verliere, dringt der Pfarrer noch weiter und ich werde gewaltsam eilen müssen, wenn ich nur noch den zweiten Theil meiner Rede – ich könnte unordentlicher gehen und hinten anfangen: aber hat der Mensch nicht eingepflanzte Liebe zur Ordnung und will er nicht allemal wie der Epopöenschreiber völlig in der Mitte der Sache beginnen? – ganz durchlaufen und doch dem Pfarrer, der nun im dritten arbeitet, schon im vierten begegnen will, um dann im nämlichen Theile neben ihn herzureiten bis zum Amen und zum Gebet für reisende und kriegende Mächte.
Nachdem wir, andächtige Zuhörer, den ersten Theil unserer Rede gleichgültig mit einander übersprungen haben: so wollen wir im zweiten hurtig betrachten, was die Verläumdung noch ausserdem nützet. Wie die Raubthiere den grausamer langsamen Tod des Alters und Hungers von andern Thieren durch ihre Auffressung abwenden: so soll die Verläumdung auf ähnliche Weise das langsame Ende des guten Namens durch ein schnelles verhüten. Ich will setzen, ich hätte einen guten Namen oder Ruf: so müst' er sich, da nichts ewig lebt, doch darauf gefasset machen, einmal vor Alter aus dem Andenken der Menschen zu scheiden, ich möchte seinen Tod nun erleben oder nicht. So gieng der gute Name meines Urgrosvaters in seinem 40. Jahre mit Tode ab: mein Urgrosvater selber folgte ihm in 15 Jahren nach. Allein, dieses Umsinken vor Alter ist grausamer als eine Folter, die über eine Stunde selten währt; der gute Name sitzt wie eine zusammengeschrumpfte Spinne einsam in einem alten Winkel, redet nicht mehr und ieden Tage wird ihm derer, die ihn kannten, einer weniger. Warlich der gute Name muß wie Zäsar ein schleuniges Ende verlangen. Nichts anders empfängt er nun von der Verläumdung: wie manchem guten Namen – ich wünschte selbst, mich auf Mortalitätstabellen stützen zu dürfen, es sind aber keine hierin da – der noch viele Jahre hätte leben müssen, und dem unterdessen allmählig ein Bekannter nach dem andern weggestorben wäre, hat nicht eine gutartige Verläumdung ein schnelles und glückliches Ende gemacht? Stinken konnt' er dann nach dem Tode so lang' er wollte.
Da ich ein Bratschist bin: so must' ich – um nicht aus dem Orchester hinausgeschoben zu werden – meine Pflicht so kennen, daß ich neulich von dem reisenden Virtuosen, der die Bratsche meisterhaft spielte, gewissen Personen von Einfluß schon eh' er nur den Fidelbogen anfaste, frei und ohne Nebenabsicht gestand, er scheine mir auf der Bratsche ein zu schlechter Held zu sein. Er muste ungehört durchreisen und ich stehe noch bis auf diesen Tag im hiesigen Orchester und geige da vergnügt mit einem gesunden Arm. Inzwischen lies ich durch eine fünfte Hand folgendes Zettelgen in die Rocktasche des ungehörten Virtuosen fallen: ein guter Maler theilet der Hauptfigur das meiste Licht und die höchsten Farben zu, den Nebenfiguren bricht er an beiden ab und treibet sie in Schatten: allein, auch hierin kopirt ein gutdenkender Mensch den Maler fast immer. Er weis so gut als einer, daß er selbst (denn wen wollt' er sonst dafür achten?) nichts anders ist als die Hauptfigur auf der Welt, diesem orbis pictus; die übrigen Menschen kann und soll er in das Register unbedeutender Nebenfiguren einschreiben. Aber hier kann er glaub' ich von seiner Stärke in der klugen Austheilung des Lichts und Schattens alles verrathen. Wenn er wirklich der Hauptfigur, seinem Ich die größere Beleuchtung zuwendet und alle Nebenfiguren, (die andern Menschen,) geschikt in den Hintergrund wirft und völlig in Schatten rückt: so hat er allen Foderungen der Welt und seiner Kunst wahrhaftig ein Genüge geleistet; thut er das Gegentheil: so muß ich wider meinen Willen bekennen, weder ich noch ein guter Hofmann wird können von ihm eine vortheilhafte Meinung fassen.« Mich dünkt, dieser Zettel rettete nicht nur die Ehre meines Verhaltens, sondern auch der Verläumdung sehr.
Ich wollt', ich wär' ein ordentlicher Fürst, damit an meiner statt der mich errathende Höfling verleumdete; daher auch Fürsten es niemals selber zu thun suchen oder brauchen, wie man schon an den vier elenden Königen und sechs Fürsten unter den hebräischen Accente mehr als zu wol siehet. Die Welt fodert es von Autoren und Kontrapredigern, die besten Gründe anzugeben, die einen Höfling zur Verläumdung verpflichten können.
Man kann es durch die klügsten Wendungen nicht verbergen, daß der beste Fürst doch stets (oft weis er's selber nicht) einen oder mehrere Männer um sich hat, die Größe und Verdienste haben und vor denen ich nicht geigen möchte, sie mögen nun im Departement der auswärtigen oder der innern Angelegenheiten sein. Ich werde an einem andern Orte (es ist nichts als eine besondere Schrift für den Hof) besser auseinandersetzen und vielleicht die erschütterndsten Belege auftreten lassen, wie wenig an einem großen Manne ist. Man vergesse nur das nicht, daß ob es gleich so bekannt ist, daß um Thronen eben so wenig grosse Männer als um Festungen Anhöhen stehen dürfen, solche Männer gleichwol es zu sein sich kein Gewissen machen, sondern ihre Größe noch eher vermehren als vermindern. Sie treten der Maiestät dadurch vielleicht bedenklich nahe. Bei den Römern durfte man nicht einmal seine Statue höher als des Kaisers seine stellen (weil man damals blos auf die Vorzüglichkeit des KörpersBei den Aethiopiern, Spartern und den meisten Wilden war der schönste und stärkste Mann König; auch bei den Hofdamen. sah, und die größte Macht nur der größten Statur auflud): aus welchem Rechte dürfen oder wollen in unsern Tagen, wo man nicht sowol den Körper als die Seele krönet, und wo eben die grössern Geistesgaben den König formiren, schlechte und vielleicht gemeine Menschen nach Willkühr nicht nur eben soviel, sondern gar mehr Verstand in ihrem unbewafneten Kopfe haben, als der, der wahrhaftig eben deswegen eine alte Krone auf gesezt hat, damit ieder ein sinnliches Merkzeigen hätte, in welchem Kopfe er den meisten Verstand zu suchen habe. Bemeistern sich Leute von solchem Verstande nicht klar genug der ersten Ansprüche, die der Regent zum Regiren besizt? Ist das nicht eben so viel, als würfen sie zum Oberherrn sich auf? denn wie gesagt blos der geistigen Größe gebühret die weltliche des Szepters. Ich befürchte ganz, besonderer Verstand stehet billiger unter den Maiestätsverbrechen als die Geringfügigkeiten die die römische Tyranei darunter stellte. Ob freilich dafür die Strafe des Verläumdens, die an einem solchen Manne die Höflinge vollziehen, indem blos die Zunge (und nichts schärfers) ihm das Glied nimt, womit er sündigte, nämlich den Kopf, die angemessenste und grösseste ist, das weis ich nicht: aber so viel weis ich, daß sie die einzige ist und ohne völlige Zerrüttung des Regirungswesens schwerlich erlassen werden kann.
Ich wollte aber, ich wäre schon im vierten Theile; man bemerke indeß, daß ich iezt zum dritten gekommen bin und darin alles thun will, was meines Amtes ist. »Woher anders, sagt Helvetius und die halbe Welt, kömmt die Partheilichkeit, nur die Fehler und nicht die Tugenden des Abwesenden abzuschildern, als weil der Neid, die Satire, die Eigenliebe, die Gedankenlosigkeit, die Langweile bei den Mängeln ihre größere Rechnung findet?« Es ist gottlos, sag' ich zur Antwort in dieser Loge, daß man in unsern Tagen die edelsten Handlungen und die Verläumdung zuerst aus eigennützigen Quellen ausringen lässet. Allein weder Menschenliebe noch ächte Verläumdung sind Kinder des Eigennutzes. Wenn ich verleumde es sei die Amerikaner, oder Europäer oder den Kapelmeister oder meine Frau: so denk' ich nicht an meinen Privatnutzen, sondern ich lege mit Vergnügen eine Ohrenbeicht von den vielen erwiesenen Sünden ab, die der andere begieng: die Zuhörer sitzen Beicht und haben den Bindeschlüssel in den Händen und einen Wachsabdruck vom Löseschlüssel in der Tasche. Wie gemeine Leute in ihrer Beicht sich aller Sünden zeihen: so wird es von mir verlangt, daß ich in der Beicht, die ich freiwillig im Namen des andern hersage, ihm alle gangbare Fehler anschuldige und der Nutzen dieser Uebertreibung kann nicht aussenbleiben. Wie der Katholick zuweilen zukünftige Sünden beichtet: so werd' ich bedenken müssen, daß auch ich als Beichtprokurator des andern Fehltritte von ihm eröfnet habe, die er gar noch nicht gethan: thut er sie auch nachher nicht, so kann ich nichts dafür und ich schreie blos über ihn, daß ich lügen müssen. Bin ich ein Prediger: so weiß ich, daß die Kanzel der schicklichere Platz ist, wo ich die Fehler meines Kollegen ohne Rückhalt bekenne und beichte; ich fange nämlich schon in der Predigt die sogenannte allgemeine Beicht an, die ich nach derselben ablese und in der ich im Namen der Gemeinde und also auch des sündvollen Kollegen ihren Neid, ihre Verketzerung, ihren Stolz, ihre Verläumdung ganz kursorisch und summarisch zu gestehen habe. – Ueberhaupt giebts in einer so wichtigen Sache wichtige Metaphern und Allegorien. Z. B. Ein lasterhafter Mensch ist ein ausgemachter Seelenkrüpel und kann auf diese Gebrechlichkeit betteln: allein es giebt hungerige Menschen, deren Seelenglieder insgesamt gesund sind, die sich aber aus Eigennutz wie Bettler für Krüpel ausgeben, z. B. abgedorte Stutzer, die sich beklagen, (ob gleich kein Wort wahr ist) daß ihre Seele an ihren keuschen Theilen seit vielen Jahren ganz gebrechlich sei, einfältige Prätendenten an Hof- und Staatslist, die sich fälschlich beschweren, die ihrige sei bekanntermaßen von Schlauigkeit und Verstellung nur gar zu sehr vergiftet, abergläubige Damen, die ein langes falsches Pflaster aufkleben und hernach über ihre blinden Augen seufzen und sagen, sie hiengen vielleicht auf die Seite der Atheisten. Solche Quasikrüpel sind auf allen Straßen ansässig und bringen die wahren um allen Glauben; und eben unter dem Umstande, daß so viele sich für lasterhaft verkaufen, die es doch nicht sind, leiden die, die es wirklich sind, am allermeisten: denn die schon hundertmal geäften Leute vermuthen am Ende, es gebe überhaupt gar keine ächten und wirklichen Lasterhaften und wollen wenigstens nicht entscheiden. Man thut daher allen Seelenkrüpeln einen wahren Dienst, wenn man von ihnen andere überführt, daß sie es wirklich sind und mit vorgeblichen nicht verwechselt werden dürfen: Das ists wenigstens, wornach die Verläumdung allzeit mit Ernste ringet.