Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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IX.

Ob nicht die Wissenschaften sowol als das peinliche Recht den besten Gebrauch von den Aerzten machen könnten

Wenigstens dreimal hundert tausend Epigrammen und Satiren gegen die Aerzte laufen auf die Pointe aus: sie morden. Die Satiriker von Adam an bis auf mich wissen die Aerzte nur mit dieser einzigen Waffe anzufallen, und diese wird seit so langer Zeit von Hand zu Hand gereicht. So hatten auch die Gräen, die Schwestern der Gorgonen, insgesamt nur Einen Familienzahn, der von einer Zahnlade in die andere zog und in dem Munde einer ieden biß.

Indessen, sagt Haberman, seine Sache wär' es nicht, diese Pointe zu verfechten, sondern lieber die Metaphysik, welche zu erweisen wagt, kein Arzt, ia kein collegium medicum sei im Stande etwas am elendesten Menschen todzumachen, weder seine Seele, (wozu Allmacht gehöre) noch seinen Körper, der niemals leben konnte, weil er von ieher bloße pure Materie und eine Marionette war, die blos der Geist belebt und tanzen lässet... Meine Sache ists freilich noch viel weniger.

Deswegen wird doch kein Mensch darüber erstaunen, daß der Tod gelesen, wie die Jäger in Indostan die Enten fangen. Sie lassen nämlich unter die lebendigen Enten eine ausgestopfte schwimmen, unter welcher der Jäger watet. Die tode schläfert die Furcht der lebendigen ein, und der Jäger kann unter dem Wasser und unter den Enten eine nach der andern mit unsichtbarer Hand an den Füssen hinunterziehen. Wider meine Erwartung thuts der Tod ihm nach, dem es wenig nützt. Durch gewisse mit Fleisch und Gedärm ausgestopfte Wesen, die völlig wie wir aussehen und im gemeinen Leben ordentlich Aerzte heissen, benimt er uns alle Besorgniß seiner Nähe: allein verborgen schleicht er unter der Erde und unsern Füssen herum, und fässet einen nach dem andern bei den kranken Fersen an und zerret ihn ins Grab hinein. Spitzbübischer könnte der Tod nimmermehr verfahren; ausser wenn er eine andere Fangart der west- und ostindischen Jäger – der Jäger fliesset nämlich, den Kopf in einem zweilöcherichten Kürbis bergend, auf die Enten zu, und raubet unter ihnen nach Gefallen, weil sie seinen Kopf für nichts anders halten als für einen Kürbis – aus Arglist nachmacht und seinen Kopf dadurch verbirgt, daß er des ersten besten Arztes seinen aufsezt: ia wahrhaftig er geht noch weiter als die Jäger, er bemeistert sich auch des Rumpfs des Arztes, wirft über ienen Kopf eine medizinische Perücke, um diesen Rumpf eine medizinische Kleidung, gürtet dem ganzen Quasileib einen schlechten Degen um, und fähret darauf nachlässig und hochmüthig unter den sterbenden Patienten herum. – Aber o du völlig beseelter Himmel! auf diese Art ists ia kein Wunder, daß am Ende ieder mit Tod abgeht, er mag es anfangen wie er will, und er kann sich desselben immer 90 Jahre mit gröstem Glück erwehret haben; er geht doch leider darauf.

Um aber wieder auf den Arzt zurückzugehen so soll er den geplagten Menschen zu dem Sprunge, durch den sie sich von diesem Planeten auf einen andern hinübersetzen, in etwas an die Hand gehen, indem er ihnen von hinten oder auch von vornen einen Stoß beibringt, der sie über ein langes Leben behend hinüberwirft. Unsäglich wichtig ist diese Arbeit überal, wird aber kaum dafür angesehen; Wär' es meines Thuns, mich mit Zierrathen aus Peuzers oder Weissens Oratorie des Putzes wegen zu umhängen – Zierrathen, die mehr der Gefälligkeit und Munterkeit des Jünglings als dem ernsthaften Wesen eines betagten Mannes wie ich, anzupassen scheinen – – so könnt' ich den Arzt vielleicht nach Würden und mit Erfolg abmalen: in einer solchen Absicht wäre freilich nichts besser als wenn ich sagte, daß der Arzt – auch der Feldscheerer, Accoucheur, ia sogar der Wurmdokter – die Menschen leicht und gern aus diesem schmerzhaften Leben wikle und sie einem bessern gebe, daß er ihnen Dispensazion von der Trauerzeit ertheile – daß er der rechte Wecker sei, der uns aus dem drückenden Schlafe des Lebens plötzlich wecke, oder auch der Wunderthäter und Arzt, der uns dem Tode – so nennt Zizero dieses Erdenleben – gewaltsam aus den Händen ringe und unsere bei diesem als Geisel niedergelegte Seele einzulösen komme. Von iedem Rezepte, das er vor- oder nachmittags verordnet, will uns der Arzt dafür haften, es könne für den glücklichen Kranken ein guter Todenschein oder ein Geleitsbrief ins andere Leben oder eine Naturalisazionsakte zur andern Welt und dergleichen sein; und eben so will der Apotheker ieder Mixtur den Namen einer lezten Oehlung von innen erwerben. Freilich will ich weder läugnen noch ganz entschuldigen, daß dennoch mancher Kranke, es mögen so viele Aerzte als wollen ihn umsetzen, oft nicht vom Leben zu heilen ist, ia die Beispiele solcher umgeschlagenen Kuren würden noch häufiger sein, als sie wirklich sind, wenn nicht zuweilen recht glücklicher Weise der Apothekers Junge die Signaturen des Rezeptes falsch läse und Brechmittel mit überschlagender Wage zutheilte und dadurch aufs Theater einen erwünschten Tod hinriefe, den der Arzt nicht seiner eignen Geschicklichkeit zuschreibe, sondern der Ungeschicklichkeit des Jungen: allein man bedenke, wie oft der Kranke sich sein Lebendigbleiben selber schuld zu geben habe und wie unmöglich es sei, daß der beste Arzt die Seele eines Menschen nach Wunsch von seinem Körper aushenke, wenn der Körper entweder die verordneten Mittel nicht gehörig einnimt, oder den Doktor erst am Ende der Krankheit begehrt, oder zugleich auch andere Köpfe ohne Dokterhut in Dienste nimt. Der Arzt und der Kranke haben gewissermaßen einen Bilateralkontrakt mit einander aufgerichtet; bricht der Kranke den Vertrag auf seiner Seite, so ist auch der Doktor nicht mehr gehalten, den seinigen zu erfüllen und den Kranken zu töden. Ich schreibe dieses gerade neben dem Zimmer wo mein Schwiegervater, der das Vermögen meiner Frau noch in der Handlung festhält, mit allen chamäleontischen Symptomen der Hypochondrie sich schlägt. Der Doktor hält die Symptomen für Krankheiten. Nun liegt mir selber ob, den Fehler zu vermeiden, den ich selber oben gerüget, ich muß einsehen, daß iezt die Zeit sei, wo ich den Statuten und Satzungen des Doktors gehorchen muß; der Schwiegervater muß zu ieder Mixtur genöthigt werden – zu den bolis emeticis – diaphoreticis – diureticis und auch purgantibus: thu ichs nicht, so kann der Doktor nichts dafür, wenn der alte zähe Mann sich in ein Paar Monaten wieder aus dem Bette und auf die Füsse macht.

Ich merk' es recht gut, auf wen man zielt, wenn man den Vorwurf macht, daß die Krankheit oft dem Rezepte trotze und gleich der Wahrheit durch die Menge ihrer Feinde und Anfälle gewinne, man zielt auf fürstliche Personen, mit deren Kränklichkeit oft ein ganzer Kongreß von Aerzten kriegt: allein, wer ist es dann anders als dieser medizinische Phalanx, der am Ende doch die Krankheit aus dem Felde schlägt und mit sicherem Ruhm sie zwingt, ganz dem Tode zuzurücken? Und merkt das denn nicht alle Welt den Augenblick, wenn der Fürst auf dem Paradebett ansässig wird, (um sogar da allen Unterthanen Audienz zu geben) wo der Geruch seines Namens und Körpers wahrhaftig noch gut genug ist?

Es lassen sich hier und da Leute von wenigem Verstand scheu, die zum Ausziehen des Sterblichen die Hände des Arztes zu entrathen hoffen, weil das Sterbliche von selbst herunterfalle: aber Leute von Verstand werden ihn stets in der Kutsche holen lassen und an ihm doch keinen müssigen Zuschauer ihrer Verpuppung zu bekommen fürchten. Denn wie das Alter das abrinnende Leben mit verdoppelten Kümmernissen vergällen muß, um uns das Leben eckelhaft und seinen Ablauf dadurch leicht zu machen, so ist der Arzt zu gleichem Endzweck wie das Alter von der Natur erschaffen: ein verständiger Lazaretharzt und sein guter Freund der Apotheker sinds, die die Natur auf die Erde gesezt hat, damit sie dem Menschen durch lange Peinigungen, durch diätetische Verbote und Gebote, durch Arzneien aller Art durch Instrumente aller Art, welches sie alles in die Krankheit einflechten, das Leben dergestalt versalzen, daß der Mensch mit dem grösten und lezten Vergnügen auf den Abschied des Lebens und der Aerzte passet. Wenn er 70. Jahre und nicht einmal eben soviel Haare auf seinem Kopfe hätte, wäre das besser?

Es ist daher eines der unzweideutigsten Kennzeichen einer aufgeklärten Obrigkeit, daß sie die medizinische Fakultät bei einem Handwerke, das nur für den Pazienten nützlich und für sie selbst oft lebensgefährlich ist, so sehr decket. Denn z. B. als der hiesige Geburtshelfer mit meiner Frau und ihrem Kinde vor beider Tode anatomische Sekzionen angestellet: hatt' ich da nicht den Hahn aufgespannt und wollte diesen Prosektor wirklich vor den Kopf schiessen? Allein, eben vor dem Stadtvogte scheuete ich mich, der mich gewiß meinem geköpften Kinde und Weibe abbrevirt nachgesendet hätte. Sonst, in andern Fällen und Mordthaten scheint die Obrigkeit auf diese Beschützung derselben nicht viel zu halten, ia von Mordthaten auf der Landstrasse ist sie fast eine erklärte Feindin, und man sieht daß sie der französischen Meinung ist, Ermordungen würden in der wirklichen Welt wie auf dem Theater am allerschicklichsten blos hinter der Bühne vorgenommen. Denn wie gesagt, sie leget einem Arzt (auch den Wurmdoktor eingerechnet) der doch öffentlich zu entseelen wagt, wenige oder gar keine von den Hindernissen in den Weg, womit sie ehrlichen Spas- und Stosvögeln auf der Landstraße so ausserordentlich beschwerlich und selbst nachtheilig fället, daß es kein Wunder wäre, wenn sie alle nach Italien abflögen. Es ist daher die Pflicht eines Autors, der scharfsinniger als andere sein kann, diesen andern die Ursachen beizubringen, warum man den Arzt vor andern so auffallend beschirmt – offenbar wegen der Schwierigkeit seines Geschäftes selbst. Denn es ist ein völlig ungegründetes Vorurtheil, daß einer schon ein guter und vollendeter Arzt sei, wenn er etwa diesen oder ienen ein wenig geschikt hängen oder köpfen kann, und daß ein Scharfrichter den Doktorhut durch langes Abmähen dessen worauf man ihn sezt, eriage – nichts ist grundfalscher und selbst den Aerzten gereichte nicht zur Ehre – sondern zu einem ächten Arzte wird ohne Uebertreibung gefodert, daß er Jahre lang auf einer inländischen Akademie Professoren für körperliche Nahrung und Wirthe für geistige bezahlet – daß er in Leipzig den Hut durch Kenntnisse und das Versprechen errungen, was er noch nicht gelernt, sogleich nach dem Doktorschmausse nachzuholen – daß er etwas Schwarzes auf etwas Weisses in Quart drucken und entweder machen oder rezensiren lassen – daß er ein ordentliches System auf zeitlebens geheirathet, von dem ihn weder die Erfahrung noch der Teufel selbst abbrachte – daß er eine zeitlang sich (seiner eignen Gesundheit wegen) alles Denkens und Lesens entäussert und sich nur brave Mozion, ich meine eine Reise in verschiedene die Seele erheiternde und die Gedanken an Kranke und Krankenhäuser verscheuchende Städte gemacht, z. B. Wien, Paris – daß er mehr Hunde und Katzen als der Leser in seinem Leben noch gesehen, lebendig auseinander geschnitten, um in der Abhärtung gegen die Gestalt des Todes, von den geringern Thieren stufen- und versuchsweise zu dem edlern Menschen aufzulaufen, wie etwan das Jägerkorps sich am Wilde im Niederschiessen der Feinde übt, oder auch wie Domizian früher das Fliegen als der Menschen Würgengel gewesen – und daß er endlich das Seinige gelernt. Denn Gelehrsamkeit und Geschicklichkeit ist etwas, das der Handthierung eines Arztes gar nicht entgegen läuft, wie auch die Eule die Begleiterin der Weisheit (Minerva) und wirklich die Heroldin des Todes (nach der gemeinen Meinung) ist. Ein sehr gelehrter Arzt sitzet an sein Schreibepult angeleimt und fragt mehr nach Rezensenten als Pazienten; er will einen Lorbeerkranz und keine Bürgerkrone (coron. civil.) auf den Kopf sich binden. Unter die Bestandtheile eines guten Arztes stellet man an allen Orten ein hohes Repositorium englischer Bücher. Wenn er bei diesen etwas erspart, was er bei deutschen nicht erspart, nämlich das Lesen derselben, da er wie bekannt das Englische nicht versteht: so verliert er doch auf der andern Seite durch den Kauf des theuern englischen Originals doppelt wieder an Gelde. Drücken aber wol solche Ausgaben und Vorübungen einen, der blos in einen Holweg hineinspringt und da einen gesunden erschiest? Daher nimmt wahrhaftig aus recht guten Gründen die Obrigkeit blos den Arzt in Schutz und thut für niemand als für ihn noch folgendes. Man setze, es schicke einer in die Apotheke und ließe Gift nicht zum Malen sondern zum Selbstmord begehren, so gäbe man ihm keinen. Das nöthigt ihn, den Stadtarzt in Nahrung zu setzen und sich von diesem gegen Provision das verordnen zu lassen, woran er umkommen will. Es ist sonderbar, aber gleichwol darf sich keiner von uns allen eigenhändig vergiften. Sogar der krankte Arzt selbst kann sich, in Wien z. B. nicht in seine eigne Kur nehmen, sondern muß sich wieder von einem andern den Stab brechen lassen.


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