Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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Ich falle iezt die Rezensenten an, wie ich versprochen: ich beschuldige sie hier eines völligen Mangels an Gefühl, der von nichts herrührt, als von einem nicht kleinern Mangel an Blindheit. Wie nur rohe ganze Völker die Reize der Ton- und Dichtkunst bis zur Berauschung, und die Mängel derselben gar nicht fühlen: so wird ein einzelner Kunstrichter die Schönheiten des schlechtesten Gedichts desto inniger und seine Flecken desto weniger empfinden, ie mehr er sich ungebildet zu erhalten gewust, und ie mehr er vom Geschmack des Pöbels noch besizt. Aber kann man das von allen Rezensenten sagen? vielleicht von vielen: aber ein eben so großer Theil denkt gar nicht daran, daß man (im Geistigen und Leiblichen) ewig das Gefühl ohne den Beistand der Blindheit zu keiner besondern Stärke erhebt; und alle, die mit blossem Tasten Karten und Farben unterschieden, waren meiner geringem Lektüre zufolge stockblind. Nun denke man sich einmal Rezensenten, welche poetische Gemälde, worauf die Farben so hoch aufgemauert waren, daß man sie ohne Zweifel fühlen konnte, und deren Erhabenheit weder dem erhabnen noch eingelegten Bildwerk etwas nachgab, die solche Gemälde anstatt sie zu befühlen – worauf sie dann die Feinheit und den malerischen Werth derselben wirklich gespüret hätten – ausgemachter Maßen nur ansahen: was für Unheil musten sie anrichten? Sie musten so unbilliger Weise den poetischen Malern die dicken Pinsel aus den Händen ziehen, so ungerechter Weise den Händen des Publikums das Befühlen und Beklatschen erschweren, daß noch das sorg' ich, als das gröste Unglück hinzukam, daß mir gerade damals bei Frostwetter meine erfrornen Finger aufbrachen, mit denen ich ein Paar zu seiner Zeit geredte Worte gegen den ganzen Prozeß hätte hinschreiben können.

Indessen thu' ichs, weil ich nicht daran gestorben bin, iezt und wende meine genesenen Hände dazu an die Bitte an meine Leser hinzuschreiben, ob sie es nicht bedenken wollten, daß die Autoren iene Blindheit haben. Folglich fühlen sie die Schönheiten ihrer eignen Werke so, daß nur wenige sie in die Hände bekommen, die sie besser fühlen. Schon um einen guten poetischen Gesang den Ohren der Welt zu geben, musten sie eine gewisse Verdunklung des Verstandes in ihrem Kopfe unterhalten, so wie man Finken blendet, damit sie besser singen: sollten nun ihre Eigen- und Geldliebe und tausend andere bessere Regungen nicht diese Verdunklung zu erneuern vermögen, wenn es darauf ankömmt, dadurch nur zärterem Gefühle die Schönheiten ihrer Produkte auszugrübeln? Und dann erst könnte ein feiner Mann nichts thun als sie mit den Leithunden vergleichen, denen der Jäger die Augen verhunzt und verdirbt, damit diese minder die tastende Nase im Aufsuchen des Wildes zerstreuen.

Dabei sind mir auch ihre beiläufigen Rezensionen fremder Werke viel zu sichere Bürgen von dem Werthe derer, die sie von ihren eignen machen werden, als daß ich nur eine Minute fürchten möchte, iene Blindheit und iene Entfernung vom guten Geschmack, die allein einen vortrefflichen Autor in der Schätzung seiner Werke billig lässet, gebräch ihnen ein wenig; und eben iener nur zu sehr gegründete Tadel, womit sie einen Klopstok, Lessing, Herder, Hermes, Schiller, oder einen Pope, Diderot, Voltaire auf der andern Seite belegen, saget der gelehrten Republik allemal für die ganze Blindheit gut, die man ihnen zumuthen muß, damit sie im Lobe ihrer Werke nicht den Rezensenten nachbleiben. Auch verwandelt die glückliche Unähnlichkeit, die zwischen ienen getadelten Männern (Lessing etc.) und unsern tadelnden Autoren obwaltet, die Herabsetzung der erstern in eine so schmeichelhafte Selbsterhebung der leztern, daß wir uns schon darum von ihren Selbstrezensionen eine Freigebigkeit im Selbstlobe versprechen dürfen, die meiner Einsicht nach ansehnlich ist.

Ich glaube nicht, daß die grösten Gelehrten mich durch Briefe oder Bücher widerlegen werden, wenn ich hier blos den Satz aufstelle, daß die Rezensenten nicht wissen was sie wollen. Ich merkte neulich in einer Vorrede, die ich zu einem fremden Buche schrieb, um durch meinen Namen auf dem Titel ein gutes Vorurtheil für selbiges zu erregen, ganz deutlich folgendes gegen die Rezensenten an.

Sie verwechseln in den Werken des Geschmaks nur zu oft Hauptsachen mit Nebendingen und schneiden nach dieser Verwechselung ihr Urtheil zu. Rezensiren sie z. B. eine guten Roman, so müst, es, sollte man denken ihre erste Sorge sein, zuföderst nachzusehen, ob es ihm – denn wer kann es wissen – etwan sehr an Gedankenstrichen fehle, ob der Verf. neue und viele Erfindungen in der – Orthographie geliefert, (denn ein ordentlicher Mann wird stets sein eignes Glaubenssystem und seine eigne Orthographie haben und sich in beiden nicht nach der Menge richten) wie die Zeichnung der Karaktere gerathen, mit der – Chodowiezki den Roman gezieret, und ob das Papier weis und die Lettern schwarz oder ob eines schwarz und diese weis ausgefallen; allein sie bekümmern sich um diese Hauptsachen, wornach doch der Verf. gemessen sein will, weil er ihnen bei weitem die meisten Kräfte gewidmet, bei ihrem Urtheile fast gar nicht: sondern sie bleiben bei den Nebensachen, die der Autor (und mit Recht) nicht der ganzen Anstrengung seines Kopfes würdig hielt und in denen man von ieher Nachlässigkeiten zu Gunsten der Hauptsache lieber verzieh als Auspolirung auf Kosten derselben, ganz und gar haften und machen wirklich das ganze Glük eines Romans, der sonst gut genug nicht so wol geschrieben als gedrukt ist, vom Dasein der Menschenkenntnis, des Plans, des Witzes und noch geringerer Nebendingen abhängig. Würden so etwas die Selbstrezensenten thun?

Ferner. Die Rezensenten sagen, der Poet soll, er selber mag bekleidet sein wie er will, wenigstens seinen Ausdruck nicht dürftig kleiden, sondern kostbar genug. Die Poeten konnten das hören und es war ihnen überhaupt nicht lieb, daß man zugleich der deutschen Nazion schlecht montirte Poeten aller Art und diesen schlechte eingekleidete Gedanken vorrükte; daher dachten sie nicht unvernünftig, sondern sie opferten der Einkleidung alles auf und blieben doch dabei natürlich, blos indem sie – so wie die Natur den schlechtesten Thieren, den Inseckten, den grösten Farbenschmuck anlegte – auf die unbedeutensten Sachen die schimmernsten Zierathen malten. Und so auch in der Prose wo der entseelte Sinn die prächtigsten Todenkleider anbekam. Denn leider ist unser Publikum durch das Französische schon ganz so weit gefallen, daß es Schriften, sie mögen immer die besten in ihrer Art sein und völlig vom gesunden Menschenverstand abweichen, doch nur dann erst liebgewint und liest, wenn sie zu dem Verdienst des Unsinns noch das kleinere eines bilderreichen Styles paren – so sehr, mein Leser, ziehest du das Nützliche dem Angenehmen vor und duldest Belehrung nur in der Larve der Belustigung, gleich den schlechtem Metallen, die das Gold blos mit der Beimischung des Queksilbers annehmen... Gleichwol lobte mancher Rezensent die Poeten deswegen wenig; allein, die Selbstrezensenten hätten hoffentlich anders gehandelt.

Ich denke noch gar nicht daran, aufzuhören: sondern ich setze das grosse Geschrei hieher, das die Rezensenten nach Gotscheds Zeiten über die allgemeine Unfruchtbarheit an poetischen Blumen erhoben. Die Poeten halfen ihr nach bestem Wissen ab; ia sie wurden das in ihrem Fache, was Köhlenreuter in seinem war. So wie dieser Mann im Würtembergischen durch Vereinigung unähnlicher Blumen von ungleichen Farben sogenannte Bastartblumen erzielte: so brachten die Poeten durch Zusammenwerfung ganz ungleicher poetischer Blumen neue Arten derselben hervor, über die viele erstaunten. Die Rhetoriker halten nicht viele Genies dieser Anstrengung fähig und sie nennen sie eine Vermischung der Metaphern oder Anagramme von Aehnlichkeiten oder dies und ienes. Was thaten aber gleichwohl die Rezensenten, ungeachtet ihnen die Billigung der Rhetoriker entgegenstand? Eben das, was sie thaten, als sie nach ihren ewigen Beschwerden über unsere Armuth an poetischen Figuren, Hyperbeln und Allegorien, endlich nicht mehr verhehlen konnten, daß sie Trauerspiele entstehen sähen, denen die schärfste Kritik so viel ich weis, hinlänglichen Ueberflus an ienen Schönheiten wirklich eingestand: sie lobten fast gar nicht, ia ie höher vielmehr der Tragödiensteller die poetischen Figuren aufhäufte, ie unverdroßner er allen Personen seines Stücks, zur Zeit und zur Unzeit Pointen und Metaphern in den Mund legte – denn iede lies er bei ihrem Tode am meisten mit Witz schimmern, wie die Fische in Otahiti sterbend die schönsten Farben spielen – ia ie weniger er sich daraus machte, die grösten Schönheiten der Karakterzeichnung, nur um diesem Schmucke Platz zu machen, wegzustreichen; nur um desto schärfer ward beinah' ihr Tadel und die Nachwelt wirds gar nicht begreiffen. Hätten die Selbstrezensenten sich so weit vergangen?

Ja man nehme nur mich. Da die Kunstrichter mir unaufhörlich vorsangen, ich sollte erhaben singen, und doch nicht zu erhaben, sondern mit einer gewissen kritischen Kälte: so that ichs, und ohne viel Wesens. Ich wuste, daß in deutschen Lexizis viel erhabne Wörter stehen und daß die deutsche Sprache die Erschaffung neuer nicht verwehre: aus zwei solchen Hülfsquellen schöpft' ich leicht und niemand gefiel mir so sehr als ich. Da ich aber auch kalt dabei sein sollte – denn in der That, ein Gedicht hat gleich einer tugendhaften Handlung desto mehr Werth, ie kälter und gelassener und ferner von dem Antriebe eines gewaltsamen Gefühls der Mann ist, der beide erzeugt – so lies ich mich ganz frostiger und fast spashafter Weise auf meinen Sessel nieder, und heckte einen Vers in die Welt der erhaben war, so wie etwan die Frühlings kälte die Bäume sehr hebt. Man wird es nicht glauben wollen: aber ich bezeug' es, die Rezensenten wollten mich fast deswegen nieder machen. Aber wie hätt' ich in meiner Selbstrezension mich dabei benommen? recht gut; ich hätte hoffentlich gestanden, ich wäre dem Anschein nach ein großer Dichter; ia sag' ich denn iezt noch etwas anders? –

Wenn ich diesem allen den Kranz aufsetze und frage: ob die Rezensenten bei ihrem erwiesenen Mangel an Blindheit sich hinfort der Herrschaft über die schönen Geister wol mit grösserem Rechte anzumassen denken, als Adam die über die Thiere behaupten durfte, da er vom Baume des Erkenntnisses gegessen hatte und seine Augen geöfnet waren: so wird man dagegen fragen, woher ich so viel Witz habe? Ich versetze darauf, vielleicht nicht so wohl vom Studiren als von Natur.

Und ich hätte auch mehr Verstand, wenn ich eine Bibliothek hätte. Die reichsten und vornehmsten Personen können blos dadurch die gelehrtesten werden, daß sie eine Bibliothek besitzen, in die sie nebst einigen Fremden gehen können. Noch kein Philosoph hat es erklären wollen, warum und wienach ein reicher Mann geprüfte Gelehrsamkeit – denn ich berufe mich auf die Fremden, die sie den Besitzer derselben ins Gesicht zuschrieben – blos dadurch erbeute, daß er in den Büchersaal geht, ohne einen Buchstaben darin zu lesen: allein ich würde glauben, dieses Phänomen sehr durch ein verwandtes zu erläutern: wenn man in einen gährenden Weinkeller geht, so wird man da, ohne den Genuß eines Tropfens, berauscht und ein ehrlicher Mann kömt aus ihm, blos weil er eine Nase hat, besoffen heraus.

Allerdings ist nicht ieder Rezensent so schlecht, daß er blos die Lettern, das Format und seine Laune zum Maasstabe vom Werthe des Buches machte: sondern viele halten das Publikum besserer und mehr gegründeter Beurtheilungen werth, und wagen es nicht ihm andere Rezensionen vorzulegen als solche, deren Lob oder Tadel sich ganz auf dem Namen des Verfassers gründet. Allein, wenn nun der berühmte Mann seinen Namen verbarg; so ist dem Rezensenten das genommen, woran er sich halten sollte: der Selbstrezensent hingegen weis allemal, wie er selbst heisset und die festeste Stütze seiner Selbstrezension, sein Name, kann ihm daher nie entrissen werden.


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