Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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So wär es z. B. den Autoren ein leichtes gewesen, so gar Witz – wie er etwan im année litteraire und andern französischen Journalen funkelt – den deutschen Rezensenten (wie die obige Unwissenheit) am Ende beizubringen, wenn sie selber mehr davon besessen und mithin den Rezensenten lauter witzvolle Werke zu lesen und zu verdammen gegeben hätten: und auf keinen festern Grund konnte selbst der Projektmacher in Lagado (in Gulivers Reisen) gefusset haben, da er versicherte, die Spinnen würden, wenn sie lauter bunte Fliegen aufzunagen und zu morden bekämen, ähnliche bunte Fäden drehen und den künftigen Raub mit schönern Fallstricken umwickeln.

Da ich anfieng, etwas bessers zu fühlen als Hunger und die Empfindungen an meinen entgegengesezten Enden erwachten: so war schon die Ueberschrift einer Ode an die Sonne für mich Sonnenschein und Entzückung; und ich schafte mir die »Menschenfreuden« von Sinteniß zu meinen eignen an. Dieses weiche Gefühl für dichterische Schönheiten, das die Jugend hat, wird vom Alter ausgehärtet und der arme zusammenfallende Mensch fühlt dann nichts mehr als – Satiren, deren ich einige hier dem Publikum mit wahrer Lust vorlege. Daher ist ein belletristischer Rezensent nur so lange tauglich als er noch nicht maioren ist: wenigstens möcht' ich ihm nur in seiner Minderiährigkeit sehr gute Werke zu schätzen geben. Daher sagen bei der Geburt eines Buches die iüngsten Rezensenten allzeit ihr Gutachten zuerst, weil es das wichtigste ist, hintendrein reden die alten nach ihren verschiedenen Jahren und Einsichten, und zulezt die Zeit; so wie die iüngern Räthe ihre Stimme zuerst geben, die ältern darauf und der König zulezt. Denn sonst gab, und iezt schwächt das Alter die Weisheit. Ich halte mich daran, daß unsere Autoren recht iung sind und mithin auch in dieser Rücksicht sich rezensiren können. Nicht daß ich schon ihre Körper nahe gesehen hätte – es sei als Arzt, um ihre Krankheit, oder als Sklavenkäufer, um ihre Gesundheit zu erforschen – aber ich sah doch viele ihrer Schriften, in denen ich – besonders wenn sie für Kinder und Damen geschrieben waren – ienen iungen Menschenverstand gar leicht wahrnahm, der durch unschuldige Kinderspiele ieden Kinderfreund in einem gewissen Grade an sich zieht und den Leser an seine eigne Kindheit und an dasienige Alter des Verfassers erinnert, worin derselbe noch seine ganze Liebenswürdigkeit meiner Einsicht nach besitzen muß. In der That dem weiblichen Publikum gefallen der Leib und die Seele genau zur gleichen Zeit und ich werde ganz munter, wenn ich zuweilen darüber hin und her denke, daß ich einmal Jahre durchlaufen, worin mein Ruhm einen Zoll höher gewachsen war als mein Bart. So lange daher der Verstand noch nicht im Gefolge der kältern Jahre angekommen, so lange kann der ärgste Menschenfeind einem vergnügten Dichter das Recht zum Selbstrezensiren nicht aus den Händen spielen, wie auch der Priester die Göttin der Weisheit (der Pallas) in Elatea (nach Pausanias) nicht eher seines Amts entlassen wurde als bis er mündig war. Spinn ich aber gar den Gedanken weiter aus, daß alsdann keine kritische Kälte mehr die besten Blüten zerkniken kann, sondern daß manches aufkeimende Genie in seinen Selbstrezensionen sich durch ein geschickt angebrachtes und minder verdientes als anspornendes Selbstlob zum Aushalten auf seiner Bahn anfrischen wird: so wird es mir schwer, meine Gedanken und Reden bescheiden zu erhalten und meine geringern Nebenchristen um mich nicht völlig zu verachten, indem ich offenbar zu mir sagen kann: »nicht ieder hat wie du das Verdienst, eine Weirauchsklistirmaschine (d. i. die Selbstrezension) in Gebrauch gesezt zu haben, durch die ieder, der festen Kopfes ist, sich zur Entladung ganz gut verdaueter Gedanken anzuregen vermag; vielwohl H. Generalchirurgus Theden dich dadurch erreichen mag, daß er eine Tabacksklistiermaschiene erfand, mit der ieder kranke Bürger des Staats sich selbst klistieren kann, wie ich mir sagen lassen.« Aber warum bin ich unter andern auch darum auf die Welt gestellet worden, um ihr nach Gefallen einen gedrukten Spas zu machen?

Wie kann schlüßlich der Kopf eines Rezensenten der Richter über ein fehlerhaftes Buch sein wollen, da das Forum delicti blos im Kopfe des Selbstrezensenten ist? Im Kopfe des Autors wurde der Fehler begangen und blos in diesem kann er auch abgestraft werden.

In meinem fallen wie in einem guten Staate nichts als Belohnungen vor, die diesem Aufsaze selbst wie den übrigen mit meinem Willen nicht gebrechen sollen.

Da ich die grösten Gelehrten deswegen gefragt hatte, so schrieben sie mir: ich hätte ganz Recht und Herder, Wieland, Klopstock, Lichtenberg etc.Diese etc. setzen Fürsten und Gelehrte an das Ende ihrer Titel, zum Beweise, diese hätten noch keines. würden allerdings am besten fahren, wenn ieder von ihnen seine Selbstrezension schon aufs Titelblatt hinschriebe, welche sie auch meines Bedünkens recht wol wenn nicht in ihren Geschlechtsnamen allein, doch in ihren Taufnamen zusammenpressen können. Und hier wär' es mir am liebsten, wenn der Verf. von Sophiens Reisen in sich gienge und seine künftige Geschichte vom Pastor Gros, die auf mein Wort nicht ihr verdientes Lob den Rezensenten abgewinnt, lieber sogleich selber lobte und auf ihr Titelblatt ohne alles Bedencken seinen Tauf- und Geschlechtsnamen stellte: diese beiden Namen würden, welches freilich schmeichelhaft wäre, folgender Massen das Buch anzeigen: »endlich können wir einmal ein Buch ankündigen, dem niemand (es müste es denn der H. Verf. selber sein) bei einigen Fehlern grosse Welt- und Menschenkenntnis, getreue und warme Karakterzeichnungen, edles Gefühl, rührende Verse und in der That gar (ob gleich der H. V. Welt hat und Französisch kann) reine moralische Gesinnungen abstreiten kann.« Freilich faste neulich H. Lavater von seinem »Pontius Pilatus« in seinem Namen auf dem Titel eine Selbstrezension ab, die fast zu günstig war.

Ist es aber nicht theils natürlich theils schlimm, daß die Rezensenten, weil ich ihren kritischen Richterstühlen in Deutschland, in Portugal, Franckreich etc. die Stuhlbeine ausgedreht und mit ihnen ihren Köpfen die obigen Schläge versetzt habe, mir einen Banditen nachschicken werden, damit mich der Spitzbube niedersteche? Denn zwar nicht die schlechten, aber gerade noch die guten Schriftsteller ängstigen sich vor den Rezensenten, wie auch wirklich nicht sowohl die Fliegen als die Schönen vor den Spinnen davon laufen: und mein Unglück ists, daß ich mich gerade unter den guten befinde. Allein, die Rezensenten sollten den Seneka und die besten Gründe vor die Hand nehmen, die er ihnen gegen allen Zorn seit vielen Jahren anbeut und sie sollten sich selbst (nicht das Publikum) beherrschen. Dies würde sie am besten in Stand setzen zu bedencken, daß ich ihnen nicht die Hände abgeschnitten und sie zum Pasquilliren unbrauchbar gemacht habe; denn so gottlos sind nur wenige Autoren, daß sie ihnen diese Quelle eines rechtmässigen Unterhaltes zutreten und zuwühlen sollten. Auch tausendmal grössern Nutzen als bisher würden die Rezensenten stiften, wenn sie das Amt der Pasquillanten ordentlich bekleideten, für dessen Nothwendigkeit und Brauchbarkeit große Schriftsteller längst das Nöthigste gesagt. So viel ist gewiß, ein so wichtiges Amt – das nichts als ein unpartheiisches Rezensiren der Handlungen ist – wird schlecht ersezt und besezt durch die wenigen kritischen Urtheile, die in guten Gesellschaften sparsam über fremde Handlungen vorkommen, oder durch die seltenen pasquillantischen Blätter, die die indignatio (welche dem Juvenal Verse eingab) in die Konduktenlisten, welche geistliche und weltliche Inspektoren von ihren Untergebenen einreichen, mit einzuheften wagt. In Rom wird dieses Amt der alten censores morum gar nur von zwei alten Bildsäulen versehen, wie iedes römische Kind weis. Kurz, man kan ohne unserem Jahrhundert oder dem deutschen Reiche Unrecht zu thun, frei behaupten, daß dieser so erhebliche Posten darin sicher sedes vacans sei und die Rezensenten waren blosse Vikarien. Auf der andern Seite ists wahr, guter Stof für das Pasquil, (ich meine grosse Minister, grosse Professoren, grosse Heilige,) fehlt hauptsächlich und wenn der h. Franciskus dem Bruder Leo bei der h. Observanz befahl, ihn pasquillantisch zu schmähen, ihn einen Mörder, einen Dieb, einen Hurer zu schelten, ob ers gleich nicht war, – so gebrach es in unsern Tagen an allem, an einem Franciskus sowol als an einem Leo. Das ist in der That ein breiterer Stein des Anstosses als tausend glauben; der Pasquillant von Verdienst wird dadurch, da er keine grossen tugendhaften Menschen zu Gegenständen seines Pasquils auftreibt, auf schlechte dumme eingeschränkt. Allein, der Pasquillant sollte nie vergessen, daß er auch als Rezensent nicht alle Tage Sontagskinder des Genies an seine kritische Pillory schmieden konnte, sondern sich oft mit Kielkröpfen und Teufelskindern behalf – er sollte ferner aus der Jurisprudenz wissen, daß sie einem Manne, der bloße Lasterhafte pasquillirt, darum den Namen eines Pasquillanten nicht abspreche und er sollte überhaupt sich mit dem Bewustsein beruhigen, daß er dem Staate durch Schmähschriften auf Lasterhafte eben so sehr (wenn nicht mehr) als durch die auf Tugendhafte nütze. Es wäre nicht das unbedeutendste Verdienst dieses kurzen Aufsatzes, wenn ich dadurch die Rezensenten häufiger auf den Weg des Pasquils hintriebe, auf dem sie sich bisher zu gut als bloße Spaziergänger vorthaten, als daß sie darauf künftig ohne grössern Ruhm als Wettläufer erscheinen könnten. Der Nutzen ist noch grösser als der Ruhm. Denn so unbedeutend die bisherigen Pasquille waren – sie liefen meistens auf fliegende Blätter hinaus, und an eine ordentliche Allgemeine deutsche Bibliothek war in diesem Fache gar nicht zu denken – so gefielen sie doch allgemein weil das Pasquill eines von den wenigen Werken des Witzes ist, das unserer Eigen- und Menschenliebe, unserer Wis- und Lehrbegierde und unserem Abscheu vor fremden Fehlern so viel Nahrung vorsetzt als recht ist: man macht zwar von Pasquillen wie von Zeitungen keine zweite Auflage, aber um die erste zankt und schlägt man sich doch. Eine Rezension hingegen will nicht einmal, ungeachtet er der halbe Verfasser ist, (er müste denn gerade zu viele Staatsschriften zu konzipiren, haben) der Teufel lesen; statt daß den ansässigen Pasquillanten der zahlte, der ihn liebte und der, der ihn fürchtete. Es wäre mir übrigens nicht lieb, wenn ein Rezensent es sich nun reuen liesse, daß er sein altes Handwerk blos um es wieder aufzugeben so lang' getrieben, oder wenn er alle Kräfte für verloren bedauerte, die er nicht dem neuen pasquillantischen widmen können. Denn er übersehe nicht, daß seine alten Beschäftigungen seinen neuen wahrhaft zu statten kommen und im Grunde die eigentlichen Vorübungen dazu sind, ohne die noch kein Europäer ein erheblicher Pasquillant geworden. Er frage sich selbst, ob es ihm beim Pasquill etwas geschadet, daß er schon als Rezensent den Namen (auf der Stirne mit dem Hute) verbarg, den grösten Männern in die Wade fiel, im Autor den Menschen züchtigte, auf Personalitäten anspielte und doch so wenig Neid bewies als ein Hund: wenn ich geirrt habe, so soll er wieder zu rezensiren anheben und zwar mich zuerst und zwar in der A. D. Bibliothek.

Indessen muß ich wider meinen Willen diese Abhandlungen einmal ausmachen und schieb' ichs auch heute auf, so seh' ich schon, muß ich doch morgen daran. Es haben alle meine Freunde – und ich kann selber nicht anders – es iederzeit für einen gedruckten Ausbruch meiner Eitelkeit gehalten, daß ich hier mir zum Lohne eines so langen Aufsatzes hauptsächlich das bedinge und darauf beharre, daß die schönen Geister, wenn ich mit Tod abgegangen bin, am 7 Schläfertag (dem Geburtstage dieser Abhandlung) Stiefel anziehen und damit hinaus auf mein alltägliches Grab sich setzen, und da ohne wahre Rührung in folgende Klagen ausbrechen sollen, die kaum schlechter sein könnten: »natürlicherweise ist hier unten die Hand (wenigstens der Staub davon) des bekannten Hasus zu haben, die durch Selbstrezensiren das einzige Mittel vorfand, Bücher auch ohne attisches Salz dermassen einzupöckeln, daß sie sich doch halten. Und wir wären, soviel wir davon einsehen, auch nicht werth, daß uns die Sonne wenn sie wieder hervorkömmt anschiene, wenn wir – zumal da ers selber haben wollte – seinen Aufsatz über das Selbstrezensiren, den wir deswegen mitgebracht und den selber die von ihm erdachte Einpöckelung konservirt, nicht mit großem Geschrei ablesen wollten, sondern völlig unvernünftig wieder fortzögen und heimliefen.« Ich werde, ungeachtet ich tod bin, doch so viel im Kirchhofe zu antworten streben: »fast den nämlichen Spas führte Kaiser Karl V. dessen Kleider noch getragen werden, auf des alten Holländer Beukels Grabe aus, da er darauf einen schlechten Hering aufas, um dadurch das Andenken des Holländers zu feiern, der wie bekannt die Einsalzung des besagten Herings ausgesonnen.« Und das wird wol das erste und lezte Gleichnis bleiben, das ich nach meinem Ableben werde machen können oder auch in diesem Aufsatze.


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