Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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Melak und sein Hund führten eine ganze Rotte von Gesellen aller Handwerker herein, die man der Aufwärmung einer alten Ketzerei mit vorzüglichen Gründen bezüchtigte. Die ersten Christen aus dem Judenthum feierten bekanntlich anfangs neben dem christlichen Sonntag auch den iüdischen Sabbath; die koptischen thuns noch und folglich gerade heute und morgen. Diese unnöthige Verdoppelung des siebenden Tages hatten die eingefangenen Gesellen aus frommen Absichten wieder hervorgesucht: nur bildeten sie sich ein, sie könnten ihre heimliche Neigung zu den Juden vielleicht dadurch verstecken, wenn sie den wollebenden Sabbath nicht vor, sondern nach dem Sonntage (daher dieser Postskriptsonntag an manchen Orten der blaue Montag heisset,) und nicht in der Kirche, sondern in ihren Synagogen, den sogenannten Wirtshäusern feierlich begiengen: allein der Sang und Klang daselbst, ihr Genuß des Fettes, ihr Lesen in einem gewissen Buche, das sie den Psalter nennen, ihr mitternächtliches Niederfallen auf das Angesicht, ihre Schabbeslichter, ihre Beobachtung der unehelichen und ehelichen Pflicht, ihre neue Seele, alle diese ersten Kennzeichen des iüdischen Sabbaths machen es wahrhaftig keinem Klugen schwer, die wirkliche Absicht ihrer montägigen Kongresse zu treffen. Indessen als ich mich umgukte und den körperlichen Inhalt eines Gesellen nach dem andern in einige Betrachtung zog: so wurd' ich sehr tiefsinnig; nicht etwan weil ich nachsann, wieviel wol von solchen vererzten Körpern weggebrent werden müste, eh' sie zu verklärten gediehen und wie leicht dagegen ein großer Gelehrter fast mit seinem ganzen hiesigen Körper, (so dünn ist dieser,) in den Himmel unter dem Vorwande treten könne, er trage schon einen verklärten – wenigstens könnte man sagen, daß sehr gelehrte Seelen im Grunde schon auf diesem Planeten aus ihrem Körper auskröchen und blos etwan wie ausgesessene Rebhühner noch ein Stückgen Eierschaale hinten klebend trügen – nicht deswegen, sondern weil ich mich fürchtete; ich ließ michs äusserst reuen und fluchte auf den Dämon, der mir den gefährlichen Einfall eingeblasen hatte, solche äusserst wehrhafte Leute bekehren zu helfen, denen der Fraß des zweiten Sonntags zehnmal theurer blieb als ich, ungeachtet sie mit eigenen Augen sahen, wie wenig ich meiner ganzen Gestalt nach etwas anders sein könnte als die Wahrheit in natura.

Ich redete sie mit recht gemässigter Stimme an, »ihr thätet mir einen unaussprechlichen Gefallen, wenn ihr eueren Irrthum frisch zum Teufel iagtet; und ich würd' es in der ganzen Gegend und auswärts recht nach Würden zu preisen wissen. Ich muthe euch nicht einmal an, daß ihr die Wahrheit annehmet, sondern ihr sollt sie nur bekennen, und alsdann wär' es schlecht von mir gehandelt (weils gar nicht nöthig wäre,) wenn ich nur noch eine Mine machte, euch auf die Folter hinzuspannen und zu strecken.« Durch diese Anrede (denn das trotzige Amtsgesicht meines Melaks hatte dem meinigen allen guten Einfluß seiner Freundlichkeit benommen) sezt' ich uns alle und so gar den Hund in Gefahr, todgeschlagen zu werden. »Ihr lieben Gesellen verschiedener Handwerke, sagt' ich, ich sprach warlich nur sehr gleichnisweise und mein' es ia mit keinem übel. An eine ordentliche Folter denk' ich auf mein Gewissen am allerwenigsten. Meine Meinung ist, nur euch damit ihr ehrwürdige Bekenner der Wahrheit würdet, etwan und allenfalls die so angenehme Realterrizion zu appliziren, die dem Pabste in Rom selbst gefallen würde, wenn sie ihm ein anderer großer aber guter Herr anthun wollte. Ihr hört, ich rede nicht sowol gemein als gelehrt und iuristisch. Ich gehe nämlich darauf um, euch mit dem bloßen Schein der Folter in einige Furcht zu setzen. Melak würde, wenn ich iezt ausgeredet hätte und ihr wolltet, euch die Augen verbinden und die Marterinstrumente wirklich ansetzen: ihr verspürtet aber, ob ihr gleich im Marterkittel da säßet, im Grunde so wenig als ich, weils nämlich nach dem Willen der Gelehrten ein bloßer unverfälschter Realschrecken d. i. eine Realterrizion sein soll und weiter nichts. Indessen um euch zu zeigen, daß ich nach eurer Angst gar nicht ringe: so will ich euch eine weit kleinere (Angst) einiagen und nach der beliebten Nominalterrizion blos greifen, die fast aus lauter ächtem Spas zusammengesezt zu sein scheint; es sollen euch nämlich iezt die Marterinstrumente bloß dort am Fenster gewiesen werden, Melak soll euch auf ein paar Schritte sein fatales drohendes Gesicht vorhalten und im Ganzen sich am ganzen Körper geberden, als wollt' er euch in der That torquiren: allein, ihr werdet sehen wie unmerklich euere Angst dabei ausfallen wird. Glaubt mir, lief' es nicht gegen mein richterliches Ansehen: so sollte mir Melak die Nominalterrizion angenblicklich selbst anthun, damit ich euch an mir selbst bewiesen in was für eine kleine Furcht man dabei geräth.« – Sie giengen aber alle aufgebracht fort. »Das ist endlich, sagt' ich, nach meinem Wunsche: ich habe sie also wie es scheint wirklich in Angst gesezt und zwar nicht sowohl durch die Drohung der Folter als durch die Drohung der Drohung; eine witzige Wendung! die in der Praxis selten vorfällt. Dabei schwiegen sie und räumten mir folglich alles ein: qui tacet, consentit. Allein die Obrigkeiten insgesamt, die den montägigen Unfug dulden und keine andere Feiertage abordnen als christliche, sollen mir grausam dafür büßen; und das ists eben, was mir am nächsten Autodafee fast noch mehr gefallen wird als die ungewöhnliche Pracht, die es durch die angesehenen Inquisiten erreichen muß, die Melak dazu von allen Orten und Richterstuben zusammenholet.«

Jezt wurde mit leichter Mühe der Edle von Tratner herbei gezogen, ein sonst guter Mann, der den 300 Buchhändlern, die aus Bosheit den matten Umlauf seiner Verlagsbücher nicht durch einen erlaubten Nachdruck beleben wollen, doch nicht Gleiches mit Gleichem vergilt, sondern alle ihre Artikel willig nachdruckt und dadurch sogar Werken, die schon viele Käufer haben, noch weit mehrere zuzuleiten sucht. Aber zu seinem Unglück war ihm einmal in Melaks Gegenwart die Aeusserung entfahren, ein Dieb sei völlig ein eben so gutes Geschöpf als ein Nachdrucker, und so wenig man einem den Nachdruck untersagen könne, so wenig könne man einem rechtschaffenen Bürger das Stehlen verbieten; ia er war einmal besoffen und behauptete, es gäbe gegenwärtig gar keine andere Ablasbriefe als die Privilegien von Fürsten, und man würde finden, daß sein Privilegium über den Nachdruck, auf die zweite Tafel Mosis gebreitet, zum wenigsten so lang und so breit wäre wie das siebende Gebot: »Aber die Auslegung des seeligen Lutheri könt's Privilegium doch schwerlich zudecken«, versezte mein Büttel. Es war keine Verstellung von mir, daß ich eine gründliche körperliche Widerlegung des H. v. Tratners nicht leicht befand. Denn ich konnte nicht hoffen, ihn vielleicht durch den Pranger zurechte zu führen. Ich hätte ihm damit nichts anderes erwiesen als einen besondern Gefallen, weil er selbst iedes seiner Avertissements zugleich zu einem Pranger zu erhöhen sucht, auf dem er sich der Welt vorweiset. Und was die Ohren anlangt, so lässet sich ieder vernünftige Mann fast mit Lachen das eine wegschnitzen, wenn ihm ein anderes langes verbleibt. »H. von Tratner selbst, sagt' ich, trift am Ende der Schaden, wenn mir kein körperliches Mittel seiner Widerlegung einfället: allein ist es wol meine Schuld oder irgend eines Menschen seine daß ich, da ich blos die Wahrheit und nicht der Reichthum bin, über das eigentliche tratnerische Ich, über seine Seele, keine Herrschaft habe? Indessen kann ich wenigstens mir eine erlaubte Lust mit ihm machen und pro forma muß doch etwas mit ihm vorgenommen werden.« Ich langte in die Tasche und spann einen kurzen Strick hervor. Ich erinnere ohne Exordium und Spas, sagt' ich, daß das ein iunger Franziskanerstrick ist: gelegentlich kann er ein zäher Musculus antagonista werden, der die Hände des H. v. Tratner vom Nehmen und Irren abzerret. Ein Mensch, der ihn umbindet, veredelt' sich in 3 Stunden in ein Wesen, das weder Geld noch Bücher betastet, geschweige lieb hat und das man nicht anders und kürzer nennen kann, als einen Franziskaner. Nun ists ein rechtes Glück, daß ich herausgebracht, daß ich aus dem H. v. Tratner iene Geld und Bücherliebe, mit der seine teuflischen Skrupel über das siebende Gebot kamen und gehen würden, augenblicklich fegen kann, so bald ich ihm den gegenwärtigen Franziskanerstrick um den Hals herumflechte, um den Hals sag' ich von dem so wenige Spannen zum ketzerischen Gehirne sind, und der ia offenbar an dem Menschen der Tragesessel ist, worauf der Kopf und die Seele und das schwache Gedächtnis und hinlänglicher Verstand und Einfälle aller Art seßhaft sein müssen. In Zeit einer Viertelstunde könnte der Strick den ganzen tratnerischen Körper die Wahrheit zu sagen kreuzigen und abtödten und von ihm und dessen ketzerischen Einflüssen seine Seele losspalten, die doch ein reiner Geist ist. Am meisten müsse er uns sämtlich rühren und bekehren, wenn ich ihn hier gar statt eines Kruzifixes des bekehrten Schächers mit seinem Franziskanerstrick an die Wand und an einen Nagel aufhenkte.« Dies verdroß ihn so sehr, als hätt' ich mich an seiner Ehre vergriffen und seine Gesichtshaut schlug solche Wellen, daß ich ihm sagte, er sollte doch bedenken daß er ein Philosoph wäre. Allein, mit einer viel zu unbescheidenen Mine erwiederte er, er müste in der That keiner sein und wenig Verstand besitzen, wenn er nicht merken wollte, daß mein ganzer Anschlag im Grunde nur wäre, ihn zu hängen: allein er riethe mir als ein guter Freund den Beckaria –

»Den Beckaria, unterfuhr ich ihn, mein lieber Mann, muß ich längst gelesen und verdauet haben und ich schlug in Italien an dieses Philosophen Hausthüre mein Wasser ab, eh' man noch in Deutschland einen Bogen von seiner Uebersetzung abgedruckt hatte. Er mahnet ieden Menschen vom Hängen der Diebe ab. Spricht er nun von großen Dieben: so pfeift er uns eine bekannte Melodie in die Ohren, und wir wustens alle. Denn eh' noch ein Schreibfinger von Beckaria auf der Welt war: so liessen schon andere Schreibfinger der Justiz Gerechtigkeit widerfahren und verhehlten es nicht, daß sie große Diebe gern am Leben lasse und weite Hälse, die ganze Städte, Armeen und Länder einschlingen und hinabdrücken, mit keinem Strick versperre: und ist denn der ausserordentliche Erfolg davon der Welt und H. Beckaria so ganz unbekannt? Denn eben durch diese parziale Abschaffung der Todesstrafen verlor der Gott des Diebstahls gleich gewissen schlecht kriegenden Mächten immer im Felde (d. i. Heerstraße) und gewann blos im Kabinete. Will aber Beckaria auch kleine Diebe wie den H. v. Tratner laufen lassen: so weis er nicht was er redet und was das deutsche Sprichtwort italienisch heisse: ›kleine Diebe muß man hängen etc.‹«

»Das Merkwürdigste, fuhr Tratner fort, ist überdies daß ich gar kein Dieb bin, sondern nur ein ungemein ansehnlicher Nachdrucker, der wol nur auf eine sehr entfernte Art ein Dieb gescholten werden darf. Will mich daher durchaus iemand hängen; so beharr' ich darauf, daß man auch nur eine sehr entfernte Art des Stranges für mich ausdenke.«

Ich ärgerte mich, daß seine ganze Absicht war, nur in effigie gehangen zu werden. Daher macht' ich die rechten Gestus und führte in einer kursorischen Rede das schöne Thema aus, daß der menschliche Körper aus guten aber unbekannten Gründen das treffendste Bild der Seele sein – ich trieb den Satz weit und flickte noch bei: »und zwar ein Bild in Lebensgröße und mit natürlicher Karnazion, aber doch ein Pastelgemälde von buntem Staube, das ein Lüftgen auseinanderbröckelt.« Meine Nutzanwendung war, ich dürfe mithin mir eine Metapher zu Nutze machen, um die Strafe dahin zu mildern, daß nicht er selbst, sondern – da zumal der Eindruck davon um nichts schwächer würde – nur sein Bild, seine effigies nämlich sein gegenwärtiger Leib an meine tapezierte Wand solle aufgewunden und gehangen werden. Dis wurde darauf von uns sofort mit Gewalt und Lust vollstreckt. Ich lies ihn 17 Minuten hängen und fragte ihn: ob ihn noch kein Schlag getroffen oder treffen wolle, oder wenigstens keine Hemiplexie. Er sagte, es wäre eine Beleidigung der ganzen gelehrten Republik, daß man ihn an einer Metapher umbrächte. Ich wande mich an das Autodafee und sagte: man würde ihn nur um so viel eher hängen müssen, wenn man nicht sein Bild sondern ihn selbst vor sich hätte, und große Kriminalisten schreibens von einem Winkel Europens zum andern. Ich that noch einige Geschäfte ab und ich bat ihn noch einmal, es nicht zu verhehlen wenn er tod wäre. Er senkte den Kopf. Wir langten ihn daher herunter und liessen ihn nach Hause laufen. Ich sagt' es aber der ganzen Gesellschaft noch den nämlichen Tag voraus: da wir seinen Leichnam nicht begraben hätten, so würde sein Geist ihn nehmen und jeder Christ würde Teufels Noth mit ihm haben; denn die Alten hätten nicht ohne Grund den grösten Unfug von unbeerdigten Leichnamen befürchtet. Wirklich schifte er sich in ein paar Tagen auf der Donau ein, und nahm in Wien seinen Nachdruck und seine Dekalogus-Skrupel wieder vor: Indes können wir alle, seitdem mein Strick seine Seele aus ihm gezogen, aus seiner Kezerei nicht viel machen und die christliche Kirche wacht nur über der Geister, nicht der Leiber Glauben und verbrent deswegen einiges Holz. Die Seele des wienerischen Edeln fährt nun im Himmel herum und denkt da gewiß richtiger als ihr hiesiger Körper, der auf unserm Nebelstern sich noch satt frist und zwar im bekannten Wien. Diesen närrischen Körper wollen wir daher wenig anfechten, so toll ers auch nach Befinden noch mache: Denn freilich erst neulich tunkte der besagte Körper ins Dintenfas und sezte zwei Avertissements (S. Alg. litterat. Zeitung 1785 No. 103) zusammen, in denen kein Sinn ist und einige Bosheit.


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