Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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Ich will hoffen, meine Bemerkung ist nicht falsch, daß Schamhaftigkeit der Zunge nie weit von der Sprachlosigkeit abliegt; und wenn ich keuschen Sprachwerkzeugen oft lange bei den vornehmen Damen, die reden konnten vergeblich nach gespürt: so fand ich sie endlich unverhoft bei solchen, die stumme waren: von diesen leztern hörte man kein schmutziges Bonmot weder in der französischen noch deutschen Sprache. Da alle unbelebte Damen taub und alle taube Menschen stumm sind: so kann meiner Frau iene Stumheit gar nicht fehlen, von der ich ihre Schamhaftigkeit der Zunge hauptsächlich erwarte; sie ist hierin von iener Maschine des H. von Kempele zu ihrem Vortheil verschieden, die mehr Sprachen reden kann als die Apostel vor ihrer Begiessung.

Und dabei giebt eine glückliche Stumheit auch andern Fehlern nicht Raum, nicht der weiblichen Medisance, nicht der witzelnden Geschwätzigkeit, nicht den abgedroschenen und auswendig gelernten hundertiährigen Schmeicheleien, nicht den Kleinigkeiten-Erörterungen. Allein werden wol viele mit dieser ersten Anlage zu so vielen Tugenden geboren? Leider ist die Stumheit so selten als die Beredsamkeit. Und doch trift man unter der Menge derer, denen allen die Natur diesen Vorzug der Fische benahm, solche, die durch die Kunst der Natur berichtigten, wiederum so wenig an, daß fast erworbene Stumheit noch seltener als die angeborne ist. Ich läugne es freilich nicht, daß ich ein gewisses Projekt oder das Manuskript davon schon in der Druckerei gelesen und erwogen: allein was bringt wol dieses vor? folgendes: »So wie man, sagt' es, in unsern Tagen Institute für Stumme anlegte, sie reden zu lehren: so müsse man für angenehme Damen entgegengesezte errichten sie schweigen zu lehren; und man hätte in unsern Tagen das offenbar vergessen. Denn wer etwann die Karthäuserklöster für Mädgenschulen des Stillschweigens ausschrie: der wüste kein Wort davon, daß es in Deutschland zwar 68 Karthausen voll Mönche, aber nicht mehr als 5 gäbe, in die sich einige Nonnen zusammengethan die überdies im Schlafe soviel reden dürften als ihnen beifiele. So wie aber die »Entstummungskunst« den Weg zur Wortsprache durch das Gebiet der Minensprache nähme: so müste auch die pythagoräische Kunst den Rückweg davon, wieder dadurch nehmen. Z. B. Um die Damen vom Verläumden mit Worten mit wahrem Glücke zu entwöhnen: so müste man so viel Sorge tragen als man könnte, ihnen die Mienen nach und nach geläufig zu machen, worin ein ordentlich gebildetes Wesen diese feindselige Gesinnung eben so gut, wenn nicht besser auszulassen vermöchte: eine alte Dame müste daher auf ihrem Gesichte die Verläumdung glücklich vorexerziren und der Uebung, der Anlage und der Erfahrung müste hernach das Weitere gänzlich überlassen werden. Alsdann schritte man zu den wizigen Einfällen, die ohne wahren Verlust ihres komischen Sazes in gewisse Bewegungen des Kopfes, der sie ersinnt, der Hände und des Fächers könnten übersetzet werden. Und wahrhaftig so fort.« Ich will kein Wort des Tadels über dieses Projekt aussprechen, zumal da es so wie meine Frau ganz von mir selbst gemacht worden.

Die platonische Liebe ist sicher gar ein seltener Vogel und immer besezt eine schlechtere oder ökonomische Gewohnheitsfreundschaft oder Höflichkeit ihre schöne Stelle. Es war deswegen von ieher meine Sache, in müssigen Stunden darauf zu denken, wie ich die Damen von Holz zusammensetzen müste, wenn ich mit ihnen der platonischen Liebe wahre Dienste leisten wollte. Ich sagte zu mir ohne Mühe: »die platonische Liebe fodert gleich dem paktmachenden Satan, in dem sie niemals ist, nicht sowol den Körper irgend einem Menschen ab, als seine so schöne Seele. Es ist aber ein betrübtes Schicksal für Damen und für ieden, daß es, wenn man sie ungemein platonisch liebt, nicht lange währet, und die grösten Denker saßen deswegen bis nach Mitternacht auf, um die Ursache davon aufzuiagen; allein ich hörte noch nicht, sie hätten etwas herausgebracht. Nennt man freilich die Seelenliebe mit Plato die Flügel der Seele, und die Körperliebe, dieses bekannte Anhängsel derselben, mit mir den Schwanz der Seelenflügel, so wie gewissen Schmetterlingsflügeln ein langer Schwanz ansizt: so würde ich mich allerdings mit unnöthigen Besorgnissen martern, wenn ich dächte, auch lebloser Damen Seelenflügel würden am Ende so fatal geschwänzt.« – Nichts bringt wol grössere Vorstellungen von der innern Schönheit, in die sich der petrarchische Liebhaber sehr verlieben muß, bei als die äussere und mit dieser wächset in Einem fort die Liebe für iene: ia man trift den Hauptpunkt, wenn man den schönen Körper für die prächtigen Flügeldecken ansieht, worunter die schwachen Seelenflügel verborgen liegen. Nun that ich bisher garnichts anders als weitläuftig beweisen, daß wenn man von den körperlichen Reizen reden wollte, den unbelebten Damen niemand sichtbarer nachstände als die belebten: kann man daher wohl ohne Unvernunft besorgen, daß weil bisher die platonische Liebe gegen eine belebte Dame nicht länger halten wollte als eine Frisur, die gegen die geistigen Reize einer unbelebten auch nicht ewig dauern werde, deren körperliche doch erwiesenermaßen so viel grösser sind?

Sonst soll wie ich gewis will, in den bishergen Absichten des Reichthums, die stets iede gute Ehe stiften, durch meine unbelebten Damen wenig geändert werden: Will ein Reicher einen andern Reichen 50 000 Thaler schenken: so lässet er sie noch immer wie sonst durch eine Tochter hintragen, nur daß sie ietzt von Holz ist. Z. B. Will der Baron von Zet dem Freiherrn von Tezet, da ihre Rittergüter offenbar so nahe an einander liegen, die Baronesse wirklich geben: so ists vernünftig, wenn er das auf sich anwendet, was der Maler Le Lorraine von seinen Landschaftsgemälden sagte: Ie ne vende que mes paysages et donne les figures par dessus le marche: ein Bonmot, das ich in folgenden allgemeinen Satz verwandeln will: »blos die Rittersitze werden in den Kauf oder Ehekonntrakten verkauft, die menschlichen ehelustigen Figuren, die darin stehen, werden wirklich nur drein gegeben.« Zumal da der Maler Le Lorraine die Figuren seiner Landschaften gewöhnlich andern hineinzumalen überlies. Potentaten laufen gewöhnlich nach einer Gemalin herum, hinter der ein langer Brautschatz von Land und Leuten nachzeucht. Ich will daher hoffen, daß sie hölzerne Prinzessinen als einen Holtzzweig betrachten, den man nicht wegen seiner Früchte, sondern wegen des grossen Bienenschwarms, der sich darin gelagert, abnimmt und fortträgt. Freilich könnte man aus der Universalhistorie etwas borgen und einwenden, die Fürsten wären in weibliche Portraits so verliebt, daß sie kaum eine lebendige Dame geschweige eine weibliche Statue ehlichten. Es ist wahr, das Portrait der Prinzessin wird von ihr eingepackt vorausgeschickt, nur dieses kennt und liebt der Prinz, zumal da es wie iedes Original auch viel schöner ist als die nachkommende lebendige Kopie, und mit diesem Gemälde vollzieht der Regent sein Beilager, so wie kurz darauf mit der lebendigen Kopie die Vermählung durch Gesandte ohne die lächerliche Zermonie des dazwischenliegenden Schwerdes ordentlich vor sich geht. Allein warum lieben gekrönte die Gemälde so innig? Könnten sie nicht bedenken, daß das Kolossalische sich in der Bildhauerkunst weit besser als in der Malerei ausnehme und daß ich es nicht wagen würde, – fals es aus meinem eignen Kopfe käme – sie zu meinen Absichten durch folgende irgendwo liegende Weissagung zu versuchen: »Und dann wird erst oder bald darauf der grosse Fürst aus Norden mit einer unbelebten Puppe die bekannte Jungfer Europa erheirathen, wie die Zeit ausdrücklich saget.« Man kann die unbelebte Puppe füglich auf meine unbelebten Damen ziehen und deuten.

Ich bin sonst nicht tugendhafter als es an einem Hofe nöthig ist; und ich kann sagen, daß ich gar keine Moral habe. Z. B. will ich aus vielen Beispielen nur anführen, daß ich, als ich am ** Hofe noch beliebter Prinzenhofmeister war, ganz und gar kein Bedenken trug, meinem Prinzen zu entdecken, daß die nicht geräumige Spitze des Thrones eine große Familie nicht wol fasse, und daß der Apanagengelder dann mehr würden als es den besten Kammeralisten lieb wäre: ich fragte ihn, ob er denn nicht, da kein Mensch mehr das Gelübde der Enthaltsamkeit zu halten begehrte, vorher vom Gipfel des Thrones auf dessen breitere und niedrigere Stufen herunterspringen wollte, und daselbst nicht sowol seine Ebenbilder, als seine Unterthanen mit wahrer Lust zu vermehren und zurückzulassen; und ob er nicht die edle Lerche sich hierin ganz zum Muster nehmen möchte, deren Flug und Gesang in der Höhe, deren Nest aber in einer schmuzigen Furche ist, oder auch blos das Johanniswürmgen, das auf seinen Flügeln zum Kothe herunterflattert, woran sein ungeflügeltes Weibgen angeleimet sitzt. Durch solche Reden und ein wenig mehr französische Philosophie als ein Narr kann, muß sich ieder bei Hof in Gunst zu schwingen wissen, er mag nun ein Hofpage sein oder ein bloßer Prinzenhofmeister.

Oft wenn ich so den sonderbaren Verstand und Kopf und den Ueberschwang an den besten Erfindungen betrachte, den ich, wie man glaubt, habe: so stehts nicht in meiner Gewalt, mich nicht als ein seltenes Wesen mit wahrer Ehrerbietung anzusehen und dabei zu fragen: welche Rolle würdest du wol unter stockdummen Wilden mit so ausserordentlichen Gaben spielen? Ich glaube noch immer, in vielem Betrachte die ehrwürdige Rolle eines überirrdischen Gesandten und Wunderthäters.

Ich wünschte, meine Gattin würde nicht von Stunde zu Stunde baufälliger und abschätziger, und ihr Leben suchte nicht wie dieser Aufsatz mit weiten Schritten sein Ende. Es ist ein einfältiger Satz, aber er ist wahr, daß man in Kurzem von ihr sagen wird, was ieder Indianer von einer stillstehenden Uhr behauptet: »Sie ist gestorben« oder auch wir von vielen Fürsten, die vorher lebten. Es war also dumm von mir, daß ich keinen langen Sarg sondern einen gewöhnlichen Hausschrank bestellte, den ich ihr zum Witwensitz eingeben wollte, weil ich dachte, ich gienge eher mit Tode ab. Ungemein glücklich ist, der bekannte Doge von Venedig, der Stiefvater der VenusDenn diese entstand aus dem Meer, das der Doge heirathet. , dessen alte Frau wie ich denke niemals stirbt. Ich hofte zwar seither immer, wenigstens noch das Jahr mit ihr zu hausen, das uns zu einer funfzigiährigen Ehe leider fehlet, um doch darauf unser halb lächerliches Eheiubiläum mit einander in der hiesigen Pfarrkirche oder draussen auf dem Filial ganz feierlich begehen zu können; und ich gestehe, daß ich schon eine lustige und rührende Beschreibung des Jubiläums bei dem hiesigen Zeitungskomtoir zum voraus bestellet. Es ist auch ferner wahr, es ist einfältig, daß, da die Rota aus einem 100iährigen Jubiläum vier 25 iährige längst herausgeschnitten, wir Eheleute doch noch immer auf das lange von 50 Jahren passen. Es verschlage auch weiter sogar das so ausserordentlich viel nicht, daß ein paar Millionen Holzwürmer nicht nur das große Gehirn meiner Gattin aufgefressen haben sondern auch das kleine, denn ich wollte selber ohne ein Gehirn leben: dabei saßen diese Würmer auch längst schon vor ihrer Geburt oder meiner Verfertigung in ihr, und können nichts beweisen als höchstens den Satz des H. Göze, daß die Eingeweidewürmer den Thieren angeboren werden; daher ich ihm das ganze Faktum schrieb, das er aber in nichts benutzen wollte. – Sondern auf folgenden Vorfall laß' ich alle Hofnung ihres längern Besitzes gänzlich fahren. An einem warmen Abende hört' ich in ihrem rechten Arme etwas stark schlagen und lärmen. Ich stellte mir anfangs mit Freuden vor, es sei blos ihr Puls und fieng nach ihm. Aber meine Freude war weg, als ich hörte, daß das, was in ihm so hämmerte, eine wirkliche Todtenuhr war: einige nennen dieses Insekt, das das Holzwerk zernaget, auch eine Bücherlaus. Nun ist so viel gewis, daß dieses schlechte Geschöpf gleich den besten Aerzten den Tod meiner Gattin sowol prophezeien als verursachen und einen betrübten Ehemann hinterlassen wird, der darüber ohne Vernunft fürcht' ich herumschleichen und mit Schmerzen daran denken wird, daß er und sie zwei lange Leiber und – welches nach Aristoteles die Freundschaft ist – doch nur seine Seele in beiden besessen. Das Beste was ich nachher noch thun kann, ist gottlob, daß ich ieden in der Stille und mit Wehmuth durchprügle, der sagen will, der Pöbel hätte wenig Recht, die Todenuhr für ein Zeichen zu nehmen, »daß nun im Hause bald eines sterbe.«


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