Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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VI.

Rede, womit ich die Tugend zum Leben überreden wollte, da sie gestorben war

Das Ableben der Tugend ist so wenig eine Neuigkeit mehr als das des Königs in Preußen und iederman bedauerte ihren Tod aufrichtig genug. Auch weiß man iezt längst, daß ihr nicht das Herz aus dem Leibe gerissen worden, wie man anfangs in einigen deutschen Provinzen glauben wollte, denn sie entschlief sanft an einer Krankheit und auf ihrem Bette. Die Krankheit, woran sie verschied ist keine schimpfliche, sondern die sogenannten Franzosen, deren sich niemand schämen kann und die iederman vom Grösten bis zum Geringsten ietzt hat; sie ist nichts anders als die Seekrankheit, der sich ieder Mensch auf seiner Schiffarth durchs Leben durchaus unterziehen muß. Die Tugend fieng sie in einem Domino auf der Maskerade auf, den ein vornehmer Mann vorher damit infiziret hatte. Denn ein gutes Vorrecht des Adels ist das bekanntlich, daß ihn kein Henker zwingen kann, die Quarantaine auszustehen. Der Doktor that bei der Tugend sein Bestes und stellte sie wider das allgemeine Vermuthen von den Franzosen her: aber in der Salivazionskur stand sie ab. Die Musen waren, ihre guten Krankenwärterinnen. Ihr Todenbett war, wie ich vom Wirthe erfuhr, das Hochzeitbett der platonischen Liebe gewesen, die da in der Brautnacht das Sterbliche gänzlich ausgezogen hatte. Der Teufel sprang wie toll im Krankenzimmer und um das Krankenbett herum und hatte sich als ihren Todesengel angestellet: Allein wir kannten ihn alle recht gut und sagtens ihm zulezt »unsertwegen bedürf' er gar keiner Verkappung; wir wären keine solche Leute, die ihn hindern würden, der Tugend den Garaus zu spielen, sondern vielleicht bessere.« Es war Zeit, daß sie das Testament aufsetzen ließ. Es gefället mir nicht, iezt von vielen Leuten zu hören, unter den sieben Todsünden, die dabei Zeugen sein musten, hätten einige gefehlet: denn man giebt dadurch vielleicht zu verstehen, man hielte den Pariser Polizeihäscher, den Wiener Denunzianten und den Spaaer Croupier für keine gültigen Repräsentanten der drei fehlenden Todsünden, von denen sie doch ausdrücklich hergesendet worden. Ich bin zum Exekutor des Testaments ernennt: allein ich werde nicht spitzbübisch dabei verfahren, sondern iederman soll das haben, was ihm die Tugend vermachte, der hiesige Superintendent ihr Gesicht, die hiesige Herrnhuterin ihre Augen, und die Toden Könige ihr Herz »weil, ließ sie niederschreiben, man ihnen allzeit ihres nach dem Tode ausschneidet und es in ein goldenes Gefäß einsargt: denn die Lebendigen, denen ich sonst meines gern gegönnet hätte köntens nicht brauchen, da sie glücklicherweise wirklich noch ihr eignes haben.« Was noch von ihrem Körper übrig bleibt, soll wie bekannt zu einer Mumie gebaizet werden, damit man ihn wie andere Mumien zerreiben und zur braunen (männlichen) Farbe brauchen könne. Ich merke nicht erst an, daß ihre Kleider gar nicht ins Testament kommen konnten, da sie in Paris verstarb und folglich als eine Fremde ihren ganzen Anzug dem Könige in Frankreich nach dem droit d'Aubaine hinterlassen muste, den ich Frankreich auch nicht vorenthalten will.

Ich wollte, sie hätte niemand weniger im Testamente vergessen als mich oder auch meine Frau.

Als sie entschlafen war und wir alle still und einigen von uns die Erde enger wurde: so sagt' ich zum Satan, neben den ich stand, und trat ihn auf den Schwanz: »es ist, mein lieber Satan, in England gewöhnlich, daß man um den Anverwandten, die nahe bei London wohnen, von der Hinrichtung des ihrigen Nachricht zu ertheilen, eine Taube vom Richtplaze dahin fliegen lässet: wie machen wirs! die Welt muß doch von dem betrübten Todtesfall belehret werden.« Freilich, sagte er, und er wolle es den Augenblick selbst thun. Er verwandelte sich in einen grossen Raben, dessen Schwärze er schon vorher hatte und schoß hinaus und zog langsam zum Zeichen über die Welt, daß die Tugend nun gestorben und in die bessere geflogen sei, wo die ersten Griechen wo die ersten Römer und ersten Christen sind, aber keine grosse Welt.

Die Heuchelei hielt hernach ordentlich die Leichenwache und die Gelehrten dieses Jahrhunderts schossen die Lichter her, die ganz den Sarg umgaben und auf ihre blasse Grösse schimmerten. Die Trauerleute – welches alle Menschen waren, d. i. 1000 Millionen ohne mich – wollten einige Begräbnismünzen und Sterbethaler schlagen lassen: allein ich fragte sie, ob sie denn toll und das bisherige Geld nicht eben so gut wäre, besonders die Ablaspfenige und Subsidiengelder. Wie bei den Römern ein Sklave von dem Toden die Fliegen mit einem Fliegenwedel wegschlug: so stand ich mit einer langen satirischen Peitsche hart an der erblasten Tugend und schwenkte sie von Zeit zu Zeit, um das philosophische und höfische Ungeziefer, das sich und seinen Unrath noch auf sie setzen wollte, wegzubringen: es ist wahr, himmlische Tugend, das ist das geringste, was ich oder ein anderer Autor für dich thun konnte! Ich hörte erst vor einigen Tagen, sie hätte in der Besorgnis, die Geistlichen würden sie nicht gratis begraben wollen, in die Hildesheimer Sterbegesellschaft, in eine Todenlotterie und in die Göttingische Sterbebeitragsgesellschaft (diese zerschlug sich ia aber, so ich weis, schon längst) einige Gulden gesezt: ich ersuche daher Personen, die darum wissen, mir es gefälligst zu schreiben oder sagen zu lassen, obs wirklich wahr ist oder nicht. Die Jesuiten wollten sie ins heilige Grab beisetzen und haderten darüber mit mir sehr: allein ich fragte sie, ob denn dieses nicht in Palästina läge oder noch weiter ab, und obs nicht für tausend Christen gemächlicher und näher wäre, wenn man sie in die – Hofkirche begrübe. Und da wars, wo ich folgende Rede, die mir, wenn ich Leser wäre (und ich bins auch), unvergeßlich sein sollte, an die Tugend hielt
 

»Erblaste Tugend!

Die gemeinen Irländer (und auch viele andere Wilde) schelten allemal den Verstorbnen tapfer aus, daß er sich entschliessen können, sich hinzulegen und zu sterben; sie bitten ihn um alles in der Welt ruhig nachzusinnen, ob sein Tod seine vernünftigste Handlung sein könne, da er eine Kuh und Frau und Kinder und Kartoffeln genug gehabt. Ich muß es gestehen, liebe Tugend, dein Ableben ist nicht die That, die mir von dir am meisten gefället oder auch der Vernunft. Thaten wir Menschen dir denn etwas anders als die Ehre an, die sich für dich und sie schikte? Oder liessen wirs vielleicht an Weihrauch fehlen? Waren nicht die Hofleute gegen dich so höflich wie gegen das Laster? Wahrhaftig, ich vermuthe, wir thaten mehr als nöthig war; du aber unterliessest manches, du verschmähtest unsere 2 Herzkammern, die wir dir zu einer guten Wohnung aufschlossen und sagtest, du sähest nichts darin als Goldkoth und album graecum und Caca du Dauphin und Teufelsdrek, welches viele verdrüssen muste: gleichwol fragten wir ganz und gar nichts darnach, sondern dachten allezeit gut und gelassen und brauchten dich gern, wie die Mexikaner ihr unsägliches Gold, aus Achtung blos zur Ausschmückung der schönsten Tempel, aber gar nicht im Handel und Wandel. Wir hoften ganz vergeblich dich dadurch zu rühren, daß wir dich zur Prima Donna unserer Nazional- Familien- und Marionettentheater und Schuldramen seit vielen Jahren auserlesen; ia wir giengen so weit als wir bei aller Anstrengung vermochten und machten auf deine Reize so viel gute Verse, daß Unkundige hätten schwören sollen, du wärest eine Königin oder eine Geliebte und wir deine Unterthanen oder Liebhaber. Zum wenigsten war es einsichtigen und belesenen Personen niemals möglich sich vorzustellen, du würdest gleichgültig bleiben, wenn die mächtigsten Potentaten sich gern für deine Gönner ausgäben, in ihren Kriegs- und Friedensschlüssen und Negoziazionen und ostensiblen Instrukzionen der Gesandten deinen Namen oft anführten und mit mehr Rücksicht auf deinen als auf ihren Ruhm blos dir die grösten Unternehmungen zuschrieben, die wie man ganz wol weis, nur ihre eigne Politik so glüklich volführet hatte; diese Politik, die vielleicht – so wie nach Simonides lediglich Gott die Metaphysik vollkommen versteht – nur der Satan recht inne hat, gegen den die besten italienischen Höfe nichts weiter vorstellen, als blosse deutsche Echos desselben. Unmöglich hast du vor deinem Absterben ernsthaft genug überdacht, daß wir deinetwegen ein grosses Heer Leute, die wir Geistliche nennen, mit vielen Kosten längst in schwarzes Tuch gethan, und ihre Kanzeln in buntes und einige Beichtgroschen in ihre Beutel: dieses Tuch und diese Groschen beweisen mehr als schlechtere Gründe, daß die Menschen für dich zu allen Zeiten vielleicht eben so sehr eingenommen waren wie für das Laster, wenn nicht noch mehr. Wenn ich dich aber von Seiten vieler wolhabender Christen versichere, daß sie übermorgen das Geld zum Tuche zusammenschiessen und damit die gegenwärtige Kanzel nebst dem Altar neu bekleiden wollen, um etwann durch dieses leichte und unschuldige Hausmittel (das doch deswegen, sagt der gute Vesperprediger, nicht schlechter wirkt) dich ganz wieder zu beleben: so wünschte ich zu wissen, was du davon dächtest. Da ich aber gar zu deutlich sehe, daß du dich nicht lebendig machen wilst und meine ganze Rede verachtest, die doch ein Mensch gemacht: so schnapp' ich sie auch augenblicklich ab.«


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