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Die Rechtmässigkeit des Tödens selbst ist übrigens durch die stärksten gedrukten Bücher viel zu gut befestigt, als daß sie noch meinen d. i. der Wahrheit Beitritt bedürfte. Gab nicht sogar meine ausgemachte Feindin, die Unwahrheit, der Zuverlässigkeit der Ketzerhinrichtungen ihre Stimme willig? Ich kann aber nicht weniger wie sie thun. Das Allerwichtigste ist, daß man wol – gesezt auch man schlüge deßhalb viele Bücher nach – keine andere erlaubte Weise finden wird, die Irgläubigen auf die rechte Strasse zu zerren, sobald man nicht die Hand des Henkers dazu nimt. Denn Bekehrung durch Gründe ist ein so schlechter Behelf als einer. Gründe sind erstlich gar nicht so leicht zu haben als ein Henker, woran vielleicht niemand zweifelt. Gründe sind zweitens ein solches Zwangsmittel für die armen Seelen, daß ieder rechtschaffene Mann sich desselben zu einer Bekehrung zu bedienen schämt. Denn wahre und nur in einigem Grade starke Gründe sind eine Art von Fatum, von Maulkorb und von Daumenschrauben für den menschlichen Verstand, die ihn zu allen Meinungen von der Welt vermögen und ihm völlig die Freiheit ihrer Wahl benehmen; sie springen unmittelbar auf die Seele los: Verbrennen hingegen, Gefängnis und Exkommunikazion und Kassazion sind gelinder, tasten blos den Körper an, und entreissen immer der Seele noch von ihrer Freiheit nichts, was sie will zu glauben. Dritens haben Gründe sich schon so oft zur Verfechtung der größten Lügen dingen lassen, daß ein Missionar sich schämen muß, sich deren zur Vertheidigung seiner richtigen Meinungen zu bedienen; sie treten wie die Schweizer in ieden Sold und unterstehen sich denn nicht hier, gar wie die Juden unter dem Titus, wider sich selbst zu fechten? Wie vielmehr vollends gegen die Wahrheit; Ich mache mir daher beinahe ein Gewissen, noch meinen lezten Grund gegen diese seine Mitbrüder aufzufahren. Er kann übrigens nicht anders als so klingen: Gründe treffen selten in einem Irgläubigen das aufgelockerte Gehirn an, das sie zum Einwachsen bedürfen und das im Kopfe eines Kindes, aber keines Erwachsenen liegt. Was können also Gründe bei einem Irgläubigen verfangen, der völlig so alt ist wie ich? Wie sollen besonders schwache sich in sein versteinertes Gehirn einbeissen, da sich in das des vernünftigsten Inquisitors nicht die stärksten einarbeiten? Es geht nicht und die ganze Bekehrung des armen Ketzers, den man doch nimmermehr zum Kinde mit einem weichen Gehirn machen kann, wird blos dadurch boshaft aufgehalten, daß man ihn auch nicht verbrennen will, welches das wenigste ist was man für ihn thun kann. Ich habe eine katholische Streittheologie in Prag geschrieben, in der ich nach hundert Sommer- und Winterfeldzügen gegen die Ketzer doch am Ende sage, daß ich es nun dem Henker überlassen müsse, das der Streittheologie zu geben was ich nicht könne, nämlich Anhänger und Besiegte und daß ich zu den bloßen Wahrheiten, die ich in Linie gestellt, aus seiner Hand die Beweise erwarte. Man probir' es doch nur und mach' ein entsetzliches Feuer und brenne einen Menschen wegen irgend eines großen oder kleinen Irrthums völlig zu Pulver: lässet er ihn dann nicht fahren, es sei nun mitten im Brennen und Verstäuben (wäre der Rauch nicht, so könnt ers uns melden) oder es sei nach demselben (wenn er in den Himmel oder die Hölle gefahren, wo ich – die Wahrheit – auf ihn passe und ihn, nach seiner Losfesselung vom sündigen Körper fast spielend umkehre:) so hab ich verloren und Wahrheit ist leider Unwahrheit.
Ich bringe es schon anderswo ein, wenn ich hier zu weitläuftig gerathe. Ich wil daher noch sagen: ein Laster ist eine Art von Irrthum und gute Philosophen behauptens häufig. Auch gute Polizeibeamte behauptens und fügen daher an manchen Orten das Zucht- und das Tollhaus in Ein Gebäude zusammen und der Verbrecher ist der Stubenkamerade des Rasenden: gienge dieser Zusammensperrung auch der kammeralistische Nutzen ab, so blieb' ihr doch iederzeit der, daß die Verbrecher dadurch am ersten rasend werden und folglich durch unsinnige Gedanken völlig die sündigen verdrängen. Das Laster ist also ein Irrthum, indessen doch nur auf eine sehr entfernte Art. Gleichwohl beleget die Obrigkeit diesen nur uneigentlichen Irrthum mit tödlichen Strafen, um den Inquisiten und Zuschauer zu bessern. Wie weit mehr muß sie befugt und verbunden sein, von ketzerischen Meinungen, die nicht etwan wie Mordthaten, entfernter Weise sondern im eigentlichen Sinne Irrthümer sind, durch die Strafe des Todes theils loszureissen, theils abzuschrecken? Indessen hätte man das eher überlegen sollen.
Sucht man nun wichtige Irrwege mit Scheiterhaufen zu verbauen: so kann ich ia mit Grunde an unwichtige Irsteige untödliche Schreckbilder hie und da aufstellen; und wenn der, der über den Werth des großen Inquisizionsgerichts in Irrthum schwebt, gebraten zu werden verdient, warum soll der, der sich von meinem kleinen unrichtige und anzügliche Vorstellungen macht, nicht zum wenigsten werth sein, daß ich ihn mäßig prügle? Und da Sie insgesamt, wie ich vermuthen kann, sicher so schlecht von meinem ganzen Autodafee denken: so möcht' ich mich wol an der strengsten Billigkeit nicht sehr vergreifen, wenn ich iezt, eh' ich ieden wegen seines besondern Solo-Irrthums in concreto prügle, die ganze Versamlung wegen ihres gemeinschaftlichen Irwahns nur im Allgemeinen prügelte und überhaupt Sie vorläufig darum schlüge, um erst einen rechten Beweis zu führen, daß ein Stock und ein Sorites nicht zweierlei ist: denn eh' ich das mit dem Stocke dargethan, kann ich gar nicht daran denken, ihn weiter zu handhaben. Aber das Autodafee soll doch angehen.« –
Der erste Inquisit, der mir vorgeführet wurde, war ein rothgekleideter junger Liefländer, der irgendwo studiret hatte. Sein Verbrechen war, er hatte auf einem Kaffeehause im Ernste behauptet, er wollte sein Pferd verwetten, er wäre weiter nichts als eine bloße Maschine. Ich nahm daher einen alten Krumstab und schlug ihn eigenhändig so lange bis er ruhig gestand, es fehlte ihm an Gründen gar nicht, zu glauben, er bestehe aus zwei Maschinen, nämlich aus dem Leibe und der Seele. Das freuete mich unsäglich und ich redete ihn so an. » Sie müsten den Artikel von der Eva im Bayle gar nicht gelesen haben, wenn Sie nicht wüsten, was einige Rabbinen von ihr erzählen. Die Eva, sagen sie, brach einen Ast vom Baume des Erkenntnisses herunter und hieb so lange damit auf den ungefalnen Patriarchen loß, bis er nachgab und einen Bissen vom Baum nahm. Sie werden das ganze Autodafee leicht bereden, daß das Werkzeug, womit ich Sie vor einigen Augenblicken zum Baume der Erkenntniß trieb, das nämliche war. Sie können iezt sagen, daß Sie ienem Kerl, von dem Sie flüchtig im ältern Pikus von Mirandula gelesenDer Liefländer hätte auch in andern Schriftstellern Beispiele davon finden können; und wären sie nicht so häufig, warum hätten denn die Kanonisten die Frage gethan, ob eine Frau, die iede Umarmung aus dem Mann erst erprügeln muß, zu diesem elektrisirenden Schlagen verbunden sei? Brükner in seinen decis. matrim. und Lange in seinem Geist. Recht sagen, Nein und die Frau könne, wenn sie den Mann nicht prügeln wolle, sich von ihm trennen lassen – einige Weiber sagen ja, und dieienige Frau, sagen sie, müste sehr hart sein, die nicht mit Lust den Mann durchschlagen wollte, zumal aus solchen Gründen. , so ähnlich sind wie ein Ei einem gemalten: Der konnte – und hätte man ihm Geld gegeben oder eine Grafschaft – durchaus nicht seine Geliebte umarmen bevor sie ihm nicht quantum satis abgeprügelt hätte. Sie können fragen, ob Sie vor der ganzen Operazion wol sehr warm für mich, diese sichtbare Wahrheit, gewesen und mich Ihrem unsichtbaren Irrthum vorgezogen? Denn es geschah erst wirklich nach der Operazion. Eben so ists schon eine alte Geschichte aber eine der merkwürdigsten, daß ein gewisser Stoiker, da ich – nach einer verdrüßlichen Disputazion über die Zornlosigkeit – seine längsten Seitenhaare in meine Hände schlang und sie aus Lust und aus menschlichen Absichten hin und her zog, und dadurch seinem Kopf im Vorbeigehen das Ansehen gab, als würde derselbe von iemand in etwas geschüttelt, daß sag' ich dieser Stoiker auf die verdrüßliche Vermuthung verfiel, ich woll' ihn im Grunde raufen. Was that ich aber in dieser Lage? Ich that nichts, sondern sagte zu ihm: »könntest du in mein Herz hineingehen; so würdest du so gut empfinden als ich, mit welchem Rechte du dir weis machst, ich schüttelte dich nicht sowol aus Liebe als aus Abneigung und wahrer Kälte. So aber gehst du ganz über das hinweg, daß ich einen vernünftigen Schlösser sichtbar nachahmen will: dieser wird allemal die Eisenstangen, die man ihm feilbietet, in die Höhe halten und gewaltig schütteln; denn sind sie überhärtet und schlecht, so springen sie davon entzwei und er mag sie nicht kaufen. Aus einer ähnlichen wiewol figürlichen Absicht rüttelte ich dein Haupt vermittelst deines natürlichen Haares sehr: mein Vorsatz war, wenn du diese Bewegung ohne vor Zorn zu zerspringen ausgehalten hättest, zu mehr als einem zu sagen, du wärest meines Wissens nicht überhärtet, sondern gerade stoisch genug.«
Es wurde ferner vorgebracht, ein dicker Verwalter einiger fürstlichen Domainen. Nicht daß er iemals vom Gifte der Philosophie genaschet hätte – er rührte ihren Gift so wenig als ihren Honig an – aber daß er ein heimlicher Ubiquitist sei, und folglich die gefährlichsten Zweifel gegen den großen Satz des Widerspruches nähre, das schien durch gewisse Spuren in seinem Schreiben an die Fürstliche Kammer, schlecht widerlegt zu werden. Denn er behauptete darin mit dürren Worten, den Theil des fürstlichen Getreides, den er aufgezehret hatte, hätte der Kornwurm gefressen und schien es demnach für möglich zu halten, daß einer und derselbe Scheffel Korn dem Fürsten könne vom Kornwurm und vom Verwalter zu gleich gestohlen werden. Ich ließ ihn gerade vor mich hintreiben, und flehte ihn in der beweglichsten Rede, die man noch seit Christi Geburt gehalten, ums Himmels und einiger Philosophen willen an, er möchte doch nicht aus blosser Freßsucht den herrlichen Satz des Widerspruchs, auf den sich alle menschliche Kenntnis steure und der noch unentbehrlicher wäre als Korn frevelhaft umreissen und ausmerzen: »warlich, sagt ich mit erlaubtem Eifer, ohne ienen Satz hält die wahre Philosophie kein Monat Haus, sondern nähert sich ihrem iüngsten Tage entsetzlich und was bliebe noch übrig? Es ist kaum der Rede werth, blos die ganze Philosophie der Höfe und einiger Bodensatz vom theologischen System.« Aber der Verwalter war mit nichts zu rühren. Ich muste daher befehlen, ihn augenblicklich in die Rauchkammer abzufahren, und da so lange ohne einen Bissen zu lassen, bis er seinen eignen Diebstahl nicht mehr auf die Kornwürmer wälzte, sondern gestände, eine Sache, könnte offenbar nicht zugleich sein und nicht sein: »Denn, rief ich dem fortgehenden Verwalter nach, nichts kläret wol den armen menschlichen Kopf mehr auf als dauerhafter Hunger: der Geist äzet sich in einem solchen Fall gleich dem Bären, aus völligem Mangel äusserer Kost unablässig mit eignem Fette und eine magere sensitive Seele apportiret, wie ein hungriger Jagdhund stets der vernünftigen weit flinker. Ueberhaupt wenn ich mich daran erinnere, daß vielleicht alle jetzige Menschen einen Magen haben und daß dieser seinen guten Anlagen nach... (der Verwalter stand mit den beiden Füssen auf der Thürschwelle und machte mit iedem Komma meiner Nutzanwendung die Thüre weiter auf) der Verwalter soll doch stehen bleiben und meine nicht unangenehme Nutzanwendung vollends aushören: er eilt dergestalt, daß man so hurtig reden muß, daß ich noch bis auf diese Minute nicht weis, was ich in der vorigen wollte... daß der Magen seinen guten Anlagen nach durch ein schwaches Darben sicher werden könnte der Blumen- und Nelkentopf der herrlichsten poetischen Gewächse – der Spalttopf hoher philosophischer Bäume der Erkenntniß mit grossen Früchten – das Schirachische Brütkästgen und der Brütofen, worum kameralistische Ideen ausgemessen werden, wie man sie nicht überall hat – das Sublimirgefäß der rohesten alchymistischen Gedanken – das Seitenhölgen mehr als eines reichen Pietisten – der Religionsfond wahrer Jesuiten – der laute Klingelbeutel, den der Pabst in der ganzen christlichen Kirche unabsehlichen Händen herumböte – der Arbeitsbeutel der massigsten Rentirer und Damen – das Samengehäuse weitwurzelnder Begebenheiten in der Universalhistorie und Zeitung – das Trieb- und Mistbeet des richtigen Witzes aller Seelen und auch der meinigen – und überhaupt das sensorium commune von ganz DeutschlandEr müst' es denn schon sein. Bei wenigen Völkern nahm die Kultur die glückliche Wendung, daß sie wie das Deutsche von der Neigung zu den schönen Wissenschaften entfernet blieben: nur unser ernsthafter Karakter (und der Holländische) arbeitet nicht sowol auf diese wahre Spielerei als auf Selbsternährung los, und ein ordentlicher Pachter ist uns in tausend Stücken lieber als ein unordentlicher Poet, welcher sagt, er seines Ortes flöge stets. So hat man auch vom nützlichen Hausthiere, vom Schweine bemerkt, daß sein Temperament männlichen Ernst beweise, daß es niemals, nicht einmal in seiner Kindheit, wie andere Thiere spiele und scherze, und daß sein ganzes Dichten und Trachten nie auf etwas schlechters gehe als auf einen ordentlichen – Fraß. ... Gott behüte und bewahre, mit meinem Verstande gehen bedenkliche Dinge vor und die ganze Welt scheint mir um mich und sich zu springen – aber blos der fatale wegwollende Verwalter brachte mich in diesen schlimmen Schuß, worin ich keine einzige Metapher überlegen konnte, Dinge wofür mich die Zorn- und Dintenschale der Rezensenten an ihrem Orte gewiß begiesset: da er nun fort ist, so setz' ich meinen Stab gelassener und ohne besondere Beleidigung der Kritiker weiter... wenn ich mich, sagt' ich sehr weit oben, daran erinnere, wie unsäglich viel der arme menschliche Magen durch den Hunger werden könnte: so gefället es mir nicht, daß die Menschen auf diesem Planeten etwas zu essen haben. Die Palläste beherbergen mehr erstikte Genies als die Hütten, und Schwelgerei tödet den Geist öfter als der Hunger; und die Polizei vergisset ihres Amtes ganz, wenn sie mit so wenig wahrem Ernste dafür sorgt, daß die Lebensmittel zu allen Zeiten mangeln. Aber ich kenne der Welt Lauf ganz gut: so wie Reichthum vor dem Mangel umbeugt und stets wieder nur zu Reichthum rinnet; so wird wahrer Hunger dem selten zu Theil, der einen schlechten Kopf auf seinen Hals geladen und es wird mit ihm nicht besser umgesprungen als wär' er eine lebendige Kochmaschine; die hingegen fliehet der beste und gesundeste Hunger nie, die ohnehin schon die besten Köpfe aufhaben und die sich daher nimmermehr mit Recht beschweren könnten, wenn man sie manchmal zu Gaste bäte.«