Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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VIII.

Erzählung dessen, was ich einige Schlafende reden hören

Die Wilden hören mit ihren durch Uebung geschärften Ohren Meilen weit. Die Leser nicht; sie haben zwar musikalische aber taube Ohren. Meine richtete ich durch die Jagd dermassen ab; daß ich noch weiter höre als sehe; ausserdem kann ich sie bewegen und spitzen, wie ein Pferd; und das Publikum könnte es auch, wenn es seine Ohren nicht in seiner Kindheit durch Hauben sich so schändlicher Weise hätte lähmen lassen. Auf meinen nächtlichen Sommerspaziergängen durch unsere Stadt höre ich daher vieles, was Schläfer und Schläferinnen im Traume sprechen: am Tag breit' ich hernach alles in der Stadt aus und werde dadurch ein ganz angenehmer Gesellschafter. Ich will's auch unter das Publikum ausbringen und die Nacht des 21ten Maies dazu ausheben.

Die Nacht war still und ich hörte nichts als meine Füsse und ein paar Sphären, als ich zum Thore hinein kam. Aus den zwei erstern Häusern konnt' ich wegen dem lauten Fluchen und Spielen im und am Thore nichts rechts vernehmen.

Das nächstfolgende gewährte mir einige wahnwitzige Reden und da ich nicht wuste, ob sie zum Verfasser einen Poeten, der eine Tragödie machte, oder einen Schauspieler, der sie deklamirte, oder einen Fieberkranken, oder einen Schläfer hätten: so wollt' ich deswegen fast das Haus aufwecken.

Im dritten Stockwerk des Alischen Haußes entfuhren dem kleinen Jaques (es ist ein Knabe von 11 Jahren, der Sohn einer adelichen Landdame aus Cassel) einige offenbar deutsche Wörter. Ob ich gleich sehe, daß ers nur im Schlafe gethan, und ich so gut als einer weis, daß er sich wachend vernünftiger nämlich französisch ausdrücken würde: so muß ich doch seine vortrefliche Mutter bedauern, daß der kleine Schelm in seiner deutschen Muttersprache, die er wachend vielleicht bei französischen Büchern und Bedienten wirklich verlernen könnte, wider meine Erwartung im Schlafe sich übt: aber wahrhaftig niemand wird dies wünschen, der es denk' ich ein wenig weis, daß man mit den Menschen wie mit den Hunden blos französisch reden soll.

Ich schlich vor meiner Wohnung vorüber, in der niemand mehr als mein Johann aufsas, der unter dem Warten auf mich vor seinem Lichte eingeschlafen war. Er hinterbrachte gerade meinem Schwestersohn die fröhliche Nachricht von meinem frühzeitigen Ableben und beantwortete die Kondolenz mit einiger Höflichkeit und kurz. Zu meinem Erstaunen stammelte er iezt wenig, da er sonst wachend iedes Wort zehnmal wiedergebäret. Ich könnte, wenn ich wollte, diese Bemerkung den erklärenden Philosophen hier als ein kleines Geschenk überreichen.

Es iammert mich, daß es mir im nächsten Hause vorkam, als hört' ich meinen Beichtvater schlafend über die Keuschheit in einem Zimmer nicht schlecht predigen, das eine ganze Gasse von seinem eignen schied und das einer Schönen zugehörte, die wol das Schaf, aber nicht die Schäferin dieses Seelenhirten sein konnte. Mit ihrem Manne konnt' ich ihn unmöglich vermengen; denn der zog kurz darauf, hinter dem Bedienten einer Schauspielerin, die Gasse herauf. Ich besorge aber völlig, es war gar der Teufel, der sich darum in diesen schwarzen Engel des Lichts verkapte, um meinen armen Seelsorger durch meine Feder – es soll ihm aber nicht gelingen und ich setze deswegen diese Hypothese ausdrücklich her – bei dem grösten Theil von Deutschland in den Ruf zu bringen, er habe in einem fremden Schlafzimmer nicht nur geschlafen sondern auch gewacht. Ich befragte ihn überdem den andern Tag selbst darum und der gute Mann wuste von dem ganzen Vorfall kein Wort, so wenig als seine Frau. Es scheint, ich setze die Dazwischenkunft des Satans vollends ausser Zweifel, wenn ich noch beibringe, daß dieser schon neulich ähnliche Possen spielte. Denn ich setze meinen Kopf zum Pfande, ich errath' es, wers war, der neulich in der Gestalt meines Beichtvaters überal herumschlich und den Kollegen desselben durch Frömmelei die Beichtkinder abfieng. Indessen bin ich nicht so unbillig, daß ich läugnete, für diese List verdiene der Satan fast den wahren Dank meines Seelenhirten, da sie offenbar nur seiner Rechtschaffenheit zu einigem wirklichen Nachtheil, seinem Beutel hingegen zum grösten Nutzen gereichte.

Ein paar Verliebte sahen schlafend aus einem Ekhauß zum Fenster heraus und redeten mit einander ganz gut und leise, um sich nicht aufzuwecken.

Auf dem Markte horcht' ich blos auf zwei Nachtigallen. Die Verfluchungen aus dem hintern Zimmer eines Kaffeehauses – sie kamen offenbar nur von schlafenden Pharaospielern, da sie ganz laut und vernünftig waren – vergas ich insgesamt vor Schrecken über meinen Schatten, den ich von ungefähr im Mondschein erblickte.

Im prächtigen f-schen Gebäude hört ich einige französische Wörter, die ich sicher hier öffentlich dem Papagai und nicht der Dame des Haußes zuschriebe, wenn ich nicht von ihrem Friseur Tags darauf erfahren hätte, daß das Papgen, das die Dame sich verschrieben, um von ihm reden zu lernen (denn sie kanns noch nicht) bis auf die Stunde, da er mich frisirte, gar noch nicht angekommen wäre. – Was in der nämlichen Gasse eine vom Tanze zurük gekommene Dame gesprochen, muß ich wider meinen Wunsch völlig unterdrücken, um nicht der Schamhaftigkeit meiner männlichen Leser damit ein Aergernis zu geben. Weiterhin votirte ein alter Rathsherr in seiner Schlafkammer, als wenn er auf dem Rathhause säße und die wichtigsten Dinge entschiede. Sonderbar ists, daß er mir am andern Tage beim Termin selber erzählte, ihm hätte geträumt, er schliefe.

Nun gieng ich vor dem Gasthof zum grünen Esel vorbei. Im ersten Stockwerk beteten, im zweiten fluchten die Schläfer. Im dritten vorne heraus hört' ich iemand parliren und ich dachte, der französische Sprachmeister thät es im Schlafe; allein am Morgen fuhr H. v. Kempele nebst seiner sprechenden Maschine ab, die iene Reden geführet hatte.

»Porto und der Teufel!« rief der Sammler einer Monatsschrift: allein die unfrankirten Briefe, die er im Traume bekam, hatte er ia selbst geschrieben.

»Wau! Wau!« boll der träumende – »Hund« wird der Leser mit einer völlig tadelswerthen Voreiligkeit herausfahren: allein wie kann das sein, da es nicht nur der Poet selber war, der oben wohnte, sondern da auch der Pudel desselben im neulichen Hundsschlag schon gefallen war? Wahrscheinlich las der schlafende Herr des erschlagnen Hundes einem andern Poeten seine Verse vor; (der darum darüber nicht einschlief, weil er gar nicht existirte): denn in den Versen guter ieziger Dichter kommen die Stimmen von allem Vieh und also auch des Hundes seine gar häufig vor.

Die lezte Person, die ich im Schlafe reden und sogar blasen hörte, war niemand als der Nachtwächter. Aus seinem lauten und abgebrochnen Gesange und aus seiner krächzenden Stimme, womit er sich selbst geschickt in den Schlummer und andere aus demselben sang, und aus den erlaubten Hinweglassungen, womit er seine youngischen Nachtgedanken von sich gab, merkt' ich augenblicklich, er sei fest eingeschlafen; und die Wahrheit zu sagen, es schlafen oft die besten Nachtwächter und Könige. Auch wolt' ich den Mann nicht mit meiner blossen Bitte aufwecken mir nur in Prose zu sagen, wie viel Uhr es sei, sondern spazierte unbelehrt nach Hause.

Es kann mir und diesem Aufsaze nicht zuträglich sein, daß ich vieles verhalten müssen: allein, ich will nicht durch Offenbarung der Schandthaten, die mir viele Schlafende gebeichtet, unsere Stadt in eine Verwirrung setzen, daß der Reisende, der durch unsere Thore geht, denken muß, man baue da den Thurm zu Babel gar aus. Indessen zog ich dabei – denn die Ohrenbeichte einer ganzen Stadt scheint mir vieles auf sich zu haben – nicht blos meine Einsichten zu Rathe, sondern auch eines Exiesuiten seine. Er versezte: »ich und meine Ordensbrüder offenbaren auf Befragen nur, was das Beichtkind nicht gebeichtet; nennt man aber das, was es wirklich gebeichtet, so schweigen wir und sagen um alles nicht das geringste.« Da ausser dem Jesuiten noch die Nachtigall für diese Meinung war, welche an den Stellen, die ihr Nest blos umgeben, schreiend herumflattert, an dem Sitze desselben aber plötzlich zu schweigen anfängt, um es den Menschen nicht zu verrathen, die daher nicht eben dieses Stillschweigen zu einem Mittel der Entdeckung brauchen sollten: so kann man nicht beweisen, daß ich nicht recht thue, wenn ich neugierigern Fragern zwar gern sage, was ich gewisse Schläfer nicht bekennen hören, allein ihnen nie mittheile, was sie bekannten, sondern wenn man in mich viel zu unbedachtsam dringt und mich ausholen will, ob der hiesige Jägermeister A. von Holz- und Wilddiebereien, ob die Frau v. S. von ihren bethlehemitischen Kindermordungen ihrer Schönheit wegen, ob der H. G. von den Sünden, die er mit den Schönen erst wiederholet eh' er sie bestraft, ob der Kaufmann Z. von seinen Schindereien der Fuhrleute, für die er vom öffentlichen Almosengeben Ablas erwartet, und der Frühprediger L. von seiner Räuberei und Verachtung zeitlicher GüterSieht man freilich die Sachen mit einem philosophischen Auge an: so hat der Frühprediger vielleicht Recht. Wer die zeitlichen Güter nicht zu sehr schätzet und ihren Beitrag zur wahren Glückseligkeit fast auf Nichts heruntersetzet: der kann sich nicht entschuldigen wenn er sie seinem Nächsten, den sie so wenig wie ihn selbst beglücken, weniger abnimmt als auflädt. Denn man muß seinen Nächsten ganz wie sich selber lieben und nicht blos sich solche Güter aus Tugend versagen, sondern auch andern. Indessen wenn ich auf der einen Seite meinen Mitchristen diese zweideutigen Güter nehmen und versagen soll: so seh ich auf der andern deutlich daß ich grosse Verpflichtung habe, desto freigebiger mit dem einzigen wahren Gute zu sein, nämlich mit Ermahnungen zur Tugend. Ein frommer wird z. B. nicht sowol Freigebigkeit selbst zu haben trachten als sie andere zu lehren und das sollte ieder. , ob sag' ich diese sich von dem allen etwas im Schlafe entfallen liessen: so werd' ich recht gut wissen, daß ich über alles dieses, da es wahr ist ein wolangebrachtes Stillschweigen zu beobachten und nicht einmal mit meiner Mine etwas zu verrathen habe – am allerwenigsten mit meiner Feder.

Unmöglich könnte die Polizei, besonders der Polizeileutenant in Paris ausserordentlichen Schaden haben, wenn sie oder er Leute mit guten Ohren zu Nachts in die Gassen vertheilte, damit sie ieden Bürger des Staats belauschten wenn er schliefe. Ich wünschte ohnehin, man könnte in Zukunft den Großen nicht mehr vorwerfen, sie wären den Spionen und Denunzianten eben so unzugänglich, als den Personen von Verdienst: die Welt erwartet von ihnen vielmehr, daß sie unter allen ihren Ohren, die sie dem tausendzüngigen Elende verschließen müssen, doch das Ohr des DionisiusDiesen Namen trägt ein Gefängnis, das sich nach oben zu einem Hörrohr oder Trichter spizte und dadurch dem Dionisius die leisesten Worte der Gefangenen mittheilte. offen erhalten und eine Selbstanklage fast wenns möglich ist, noch lieber hören als eine Selbstvertheidigung.

Ich bin kein Konsistorialrath und es thut meiner körperlichen Verfassung Schaden: allein auch ohne diese Würde steh' ich das Unheil auf allen Seiten ein, daß hohe und niedrige Geistliche im Schlafe oft Behauptungen ausstossen dürfen, die der Schärfe nach nichts anders sind als äusserst ketzerisch. Es stehet hellsehenden Konsistorien vielleicht an, ieden Geistlichen bei seiner Ordinazion mit darauf schwören zu lassen, daß er nichts im Schlafe und Traume glauben und predigen und schreiben wolle, was er nicht völlig mit den symbolischen Büchern harmonisch befände, wenn er ausser dem Bette wäre und die Nachtmütze herunter hätte.


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