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Ueber die Wahrheitsliebe der Hof- und Weltleute
Am Hofe fället ieder so gut er kann mit Drukkugeln, die Belidor aussann, seinen Nächsten und dessen Verwandte an; die Krieger sind über der Erde, der Krieg ist unter der Erde und der Mineur der einen Parthei gräbet oft dem Mineur der andern entgegen, und beide hölen hart nebeneinander, – aber das ist auch das einzige was man gegen den Hof aufbringen kann.
Denn eben da ists, wo man über den großen Werth der Unwahrheit so wie über zwanzig andere Punkte der Moral mehr am allergesundesten denkt; es ist dasselbst kein böhmisches Dorf und keine auffallende Wahrheit mehr, daß der Mensch die Wahrheit eben so wenig und eben so schwer reden als finden könne und für die freiwillige Verbreitung oder Erschaffung eines Irrthums eben so viel Toleranz verdiene als für die Annahme desselben. Wahrhaftig sich selber heftet ieder ohne Bedenken iede Woche eine Lüge auf, bald eine metaphysische, bald eine theologische, bald eine pharmazeutische bald eine anticke: warum soll ich nicht mit dem grösten Vergnügen auch meinem armen Nächsten, der doch wenigstens mein halbes Ich ist, verschiedene Lügen beibringen? In der That, wenn ich ihm blos von Zeit zu Zeit etwas weismache: so ists vielleicht nicht zuviel und der Teufel thäte mehr. Wenn das Beispiel ganzer Völker, die ohne Pabst in Blutschande gelebt, endlich den Irrthum aus alten Hirnschalen zu iäten vermochte, daß der Mensch einen natürlichen Abscheu vor ihr trage: so sollte doch ein sachkundiger Mann einmal erwarten, daß auch das Beispiel der Höfe mächtig genug sein werde, um den alten Wahn wegzulöschen, als ob der Mensch wirklich eine Art Antipathie gegen die Lüge hätte. Denn dort weis man von iener wahren Affenliebe gegen die Wahrheit am allerwenigsten, und was gewisse Manichäer des 13. Jahrhunderts (nach Fueßlin) in ihren Antiphonien in der Kirche sangen: »es ist gelogen was man sieht, es ist gelogen was man singt, es ist gelogen was man sagt« würd' ich, wenn ich am Hofe lebte, nachsingen.
Allein nichts ist leichter als daß das menschliche Geschlecht sich in den Ursachen dieses Phänomens völlig irret und Miniaturschwingungen in seinem Kopfe erregt, die gar nicht hergehören. Denn man konnte denken, der meiste Dank dafür falle dem Plato anheim, der in seiner Republik dem Regenten die gültige Erlaubnis der Lüge ertheilt, diese Erlaubnis, könnte man weiter fortdenken, schränke sich wol nicht blos auf die, die den Regenten bei andern Regenten repräsentiren, nämlich auf Gesande ein, sondern reiche sicher auf die ganze buntgeflekte Nachbarschaft seines Throns. Es ist aber völlig falsch und die Sache ist vielmehr blos so: die französischen Philosophen nahmen Sprachröhre, Herolde und die Staatssprache, und schrien damit in Europa herum, nun müße und solle ieder seines Orts beherzigen, daß es ietzt nach einer ganzen abgelaufenen Ewigkeit a parte ante Zeit genug sei, endlich gewisse Sätze zu prüfen und sie nicht iedem oder sich selber aufs Wort zu glauben, nur z. B. den Satz von der Fortdauer der Seele. Dem Hofman im gesellschaftlichen Gewühl fiel das so gut in die Ohren wie uns allen und er dachte ernsthaft darüber nach, als er durchs Puderstübgen und dessen Schneewolken lief; da er vollends die Bücher selbst aus Paris bekam: so las er den ganzen Rücken derselben mit Verstand durch und wuste nun, woran er wäre und dachte an seine Pflicht. Zum wenigsten must' ers, wenn nicht für eine Pflicht, doch für eine Mode halten, die wichtigern Wahrheiten, auf die schärfste Probe zu bringen. Da der Graf Shaftesbury den Satz früher als die Franzosen drucken lassen, daß das Lächerliche der treueste Probierstein des Wahren sei: so kann der Hofmann den Satz recht gut von ihm geborgt haben. Er kann ihn aber auch aus den Alten eingeschöpft haben, die das Lachen zum Unterscheidungszeichen des Menschen vor dem Thier aufstellten; denn eben weil das Vieh keine Wahrheit prüfen und belachen kann, so ists auch ausser Stand eine zu erkennen – endlich kann er vielleicht durchs Hofbeispiel oder auch von selbst darauf gefallen sein. Zum Glück ist doch soviel gewis, er machte von dieser Feuerprobe der Wahrheit den besten Gebrauch, einen viel bessern als Dutzende von Streittheologen und Rechtsfreunden, die durch Belachung nur die Sätze ihrer Gegner, nicht ihre eigne probieren, oder als die gewöhnlichen Satiriker, die durch sie nur nichtswürdige Sätze (z. B. wie viel der Luftfahrer Blanchard oder die weiblichen Stahldiademe in Paris werth sind) untersuchen; denn er hielt mit dem ganzen Ernste, den eine Prüfung der grösten Materien auferlegt, viel wichtigere Sätze (vom Dasein einer Gottheit, der Tugend etc.) an den besagten Probierstein des Lächerlichen und gab Acht, ob sie spashaft wären oder nicht.Ueberhaupt ist vielleicht der Hof eben wegen seines Spottgenies der erste und angenehmste Prüfungsort der Wahrheit. Blos da wächset neben der giftigsten Persiflage die wolriechenste Schmeichelei, wie etwan in Italien Gefässe voll glatten Skorpionenöhl in den geheimen Gemächern hängen, weil da die meisten Skorpionen lauern; wofern es anders schicklich genug ist, diese Hofleute mit diesen Thieren zu vergleichen die nach der neuen Naturgeschichte, in Europa gar nicht giftig sind.
Er that das alles noch dazu nicht im Schlafrock, sondern im Gallakleid und an Kourtagen, wenn er gerade mit andern aus der Sache sprach, weil er in der Einsamkeit nichts Wichtiges, und ohne Reden gar nicht denken konnte. Es lässet sich leicht denken, daß eine so weitgetriebene Unpartheilichkeit der Prüfung ihm das Resultat nicht lang verheimlichen konnte, wie wenig an allen menschlichen Behauptungen im Grunde sei, und wie so gar leicht sich ieder Satz und sein Gegentheil lächerlich und wankend machen lasse. Die einzige Wahrheit, die ihm diese satirische Untersuchung nicht ausrupfte, war die, daß der Mensch sicher zu etwas besserem auf der Erde stehe als dazu, die Wahrheit zu suchen, die in einem tiefen Brunnen modert und klebt, und vielmehr dazu, sein Glück zu suchen, das auf oder an dem Throne nistet. Indessen lies ihm diese strenge Visitation des Reichs der Meinungen einen gewissen skeptischen Indifferentismus zurück, der für einen Menschen und Hofmann von so großen Nutzen ist und vor dem alle Sätze und Beweise ohne Ansehen derselben gleich sind, und der eben Leute von Verstand und Stand erst recht vermögend macht, heute über den Atheismus so gut zu spassen als morgen über den Theismus: kurz wie Attikus der Freund von Leuten war, die einander selbst anfeindeten, so weis besagter Hofmann sich in Freundschaft mit Sätzen zu erhalten, die sich selber mit einander nicht vertragen.
Wenn mein unbedeutender Scharfsinn Neid nachlies, weil er die bisherige lange Schluskette zu schmieden und zu löthen wuste: so weis ich nicht, was erfolgen wird, wenn ich gar in selbige diesen Hauptring einhenke: Schon die griechischen Skeptiker sprachen und handelten doch im gemeinen Leben so als hätten sie nicht Recht; sie zogen z. B. die Gefährlichkeit und das ganze Dasein des herspringenden tollen Hundes aus recht guten Gründen in Zweifel, so wie die guten Gründe und die Zweifel selbst: allein sie stellten sich doch als wär' es, ihres Wissens, nicht so und schlichen dem Hund wirklich aus dem Wege. Es ist das eine Klugheitsregel, deren Beobachtung auch einem neuern Skeptiker ansteht, wenn er nicht will toll werden. Deswegen spricht und handelt auch der skeptische Hofmann wirklich nicht so wie er denkt, sondern wie andere denken, wenigstens reden; er muß sich daher als den Proselyten einer ieden Meinung stellen, deren Eigner für ihn ein Strebepfeiler, oder eine Staffel oder ein Fußgestell werden kann; und das ist auch recht. Denn wahrhaftig wenn die Seele keinen grössern Schmuck umlegen kann als Wahrheit: so giebt der Hofmann der seinigen (so wie dem Körper) niemals einen andern um, als den gerade die meisten tragen und der modische ist der beste. Wenn er vollends Gründen, die überhaupt noch keine einzige gute Satire umstossen konnten, unterläge, ohne – in dieser Antinomie des reinen Witzes – ihnen einen siegenden Einfall entgegenschicken zu können: so wäre das ausserordentlich schlecht; aber ich würde es niemals glauben; die Ataraxie des Pyrrho könnte ihm niemals fehlen.
Ich habe meiner gedruckten Uebersetzung von Arrians Epiktet einen grössern Werth durch eine Note unten gegeben, die wie ich merke gar nicht weit in der Welt herum ist und hieher nicht gehört. Sie heisset: »Wenn man dem Zizero glauben wollte, ders für schwieriger ausgiebt, das Glück als das Unglück ohne Uebermaas der Empfindung auf den Schultern zu haben: so sollte man nicht hoffen so viele Hofleute aufzutreiben als man wirklich ausfindet, die ihrer Freude über das gröste Glück philosophisch zu gebieten wissen, das einem andern zuwuchs und die sich beinahe nur desto gelassener, kälter und trauriger erhalten, ie grösser es gewesen. Eben so wird nur von wenigen Hofleuten das Misvergnügen über beträchtliche Unfälle überspannt, die andern zustossen. Es ist besser, sagen sie mit Antonin, daß wir dieses Unglück (des andern) standhaft als gar nicht leiden. – Ich glaube mit Epiktet gern, daß ein Weiser an seinen Widerwärtigkeiten, wenn er sie zum voraus wüste, selber mit entwerfen und schneiden helfe: Denn im Grunde geht man in der guten Meinung von den Hofleuten nicht zu weit, wenn man sich von ihnen etwas ähnliches verspricht und wirklich glaubt, daß sie nichts als die zuverlässige Weissagung irgend eines großen Unfalls oder Sturzes – er betreffe ihre Feinde oder ihre Freunde – begehren, um den Augenblick durch That zu zeigen, mit welchem Vergnügen sie den fremden Sturz mehr beschleunigen als erschweren.«
Es giebt überhaupt da gute Seelen, die keinen Menschen fällen sondern blos ieden, den sein Sturz vor ihnen vorbeiführt, durch einen neuen Stos früher dem Boden zuschnellen, gleich Pürschhunden, die nur angeschossenem Wilde nachsetzen.