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Kleiderschrank der Tugenden und Laster und anderer Wesen, die ganz abstrakt sind
Eine angenehme Allegorie
»Ei, sagt' ich im Traume zum Zeremonienmeister, es gefiele mir sicher, wenn Sie mir den Kleiderschrank der Tugenden, Laster oder auch anderer Wesen, die nicht existiren, wiesen.« Er sperrte den Schrank auf.
»Eine solche schöne Seeuniform wie diese hatt' ich noch nicht an: wer trägt sie wol?« – »Die Keuschheit, versezte der Zeremonienmeister; denn die ist stets zur SeeDa die Seeleute auf dem Schiffe keine Weiber haben: so ist freilich die Keuschheit ihr Schifprediger. So wie indessen Leute, die auf dem Schiffe die Seekrankheit nicht bekamen, sie mit grösserer Stärke auf dem Lande bekommen: so wird die Schifskeuschheit – gerade als wäre sie ein Seethier – sobald sie ans Land steigt, krank und nach einigen Minuten verscheidet sie. ; auf dem festen Lande aber thut auch die Unkeuschheit diese Uniform willig um.«
»Potztausend, da ist gar ein langes Hinterleder; wem –?« »Auch der Unkeuschheit, unterfuhr er mich, gehörts. Sie umwand sie zwar sonst auch noch mit einem Schamtuch, das iezt nicht da ist; aber dieses bindet sie seit vielen Jahren nur um das Maul und die Augen.«
»Was frag' ich darnach; und wenn mir iemand augenblicklich sagte, die Amors- Binde hätte sich längst von den Augen zur Nase heruntergeschoben und in eine schöne HabichtsbindeHabichtsbinde nennt der Chirurg die Bandage einer verwundeten Nase. verwandelt: so würd' ich ihm dennoch kaum dafür danken. Mich interesiren iezt blos die großen Hosen dort hinten, auf denen ich eben das Auge habe: sie müssen auf mein Wort einem dicken Kerl zugehören.« – »Gar nicht! sagt er. Sondern zwei zaundürre Wesen ziehen sie mit einander zugleich an. Die platonische Liebe steigt in das rechte Bein der Hose, die buffonsche fährt ins linke und dann spielen sie mit ganz guter Art HosenlaufensDer eine Kerl zieht in Baiern das eine Bein der Hose und der andere das zweite an und so laufen sie. , wie die Baiern: einen solchen Spas machen abstrackte Wesen immer gern und ich kann ihn alle Tage sehen. Den geistlichen Ornat dort legte die Frömmigkeit einmal ab; und nun erstand ihn die Heuchelei aus der Aukzion; er lässet ihr ungemein: denn sie hat ihn wenden lassen, so daß nun die innere oder Aasseite viel schlechter als die äussere ist, die die Gerber die Haarseite nennen.«
Mich unterbrach die Tugend, die hereintrat, nebst der Freundschaft, Schamhaftigkeit, Aufrichtigkeit und Standhaftigkeit. Mein Herz schwoll auf bei ihrem Anblick: denn ich begegnete ihnen, auf meiner Erdenpilgrimschaft ganz selten. Sie giengen alle mit einem wolkenlosen Anlitz hin zum Schrank und nahmen – Sterbekleider. Die menschliche Umhüllung schien wie eine verschattende Wolke unter ihrer Stralensonne hinwegzufliehen, und sie dünkten mich langsam gen Himmel zu ziehen, o du arme Erde, warum verlassen dich die Tugenden?
Ich wollte mich nach den Kleidern erkundigen, die ich an den ledigen Nägeln des Schrankes vermiste: es zog aber wieder ein Regiment abstrakter Wesen herein. Der Stolz kam in einem anständigen Demuthskleid oder dem sogenannten Habit des H. AlexisDer Habit des H. Alexis ist aus Millionen Lumpen zusammengeflickt und der Karmeliter bläht sich auf, der die Erlaubniß, ihn auf ein Jahr umzuhängen, vom Superior ausgewirkt. : »Das ist, bemerkte der Zeremonienmeister, das Gallakleid, das der Stolz nur ausser Haus anlegt: zwischen seinen vier Pfählen behilft er sich mit einem Rock er mag so kostbar sein als er will.« Er zog es aus und hiengs in den Schrank. Die Freude kam in ganzer Trauer und zog sich gleichfalls aus. Der Eigennutz kam in einem Taufkleide, das er hurtig herunterzerrte; er war gerade getauft worden, weil er sich für einen Juden ausgegeben hatte: auf das Buch, in dem er die Schöpfungsgeschichte seiner Bekehrung schreiben wird, will ich und ieder andere Christ mit der Zeit vorausbezalen. Die Schamlosigkeit traf auch ein, aber splitternakt; nur hatten ihre Wangen ein paar Schminklappen angezogen. Verschiedene gutdenkende Laster z. B. die Heuchelei und die Sprödigkeit sprangen um sie herum, und wollten ihr das Hemd reichen, allein sie schlug's aus: da sie sogar sich erboten, sie sogleich völlig zu schinden und aus ihrer Haut – wie die Schauspieler mit fremden Häuten nakte Rollen machen – ihr ein Kleid zu schneiden, wollte sie nicht einmal das. Ich kann beinahe sagen, daß auch die Freiheit ankam; denn sie schien mehr ein gemaltes, als beleibtes Wesen zu sein. Ich dachte daher nicht sowol an die Reichsritterschaft als an den Rock der Freiheit, der auf einem Schilde stand und nur gemalet war, wie es alle andere Wappenröcke sind; die lezten Glieder in diesem Ideenreiche waren der Friede in einem schrecklichen Panzer und mit einer Grenatiermütze, und der Krieg in einem grünen Schlafrock, den ich fast für ein Jagtkleid genommen hätte. Der Friede führte den Krieg bei der Hand, und ich konnte sie mit Noth von einander unterscheiden, und verwechselte sie ein oder zweimal.
Von ungefähr berührte ich mit dem Finger den Mantel der Liebe. »Ich glaube, sagt' ich, den wird man so oft borgen wollen wie einen Leichenmantel und deswegen sieht er so abgeschliffen aus.« – »Keine lebendige Seele, sagte er, will ihn haben; und ich gab mit Fleis darauf Acht – nicht einmal die Kleidermotten mögen ihn umnehmen.« – »So thu, ichs: (versezt ich) und zwar mit Lust. Ich habe nach und nach einen Familienzirkel von abstrakten Wesen (man nennt sie im gemeinen Leben Sünden und Fehler) zusammengezeugt, die ganz des Teufels sind und ihrem guten Vater und andern viele Streiche spielen: indessen sinds allemal meine leiblichen Kinder und keine Mantelkinder und können von mir gut verlangen, daß ich sie warm halte und mit dem alten Mantel der Liebe bedecke. Wollt' ich' ihn freilich auf fremde Fehler legen: so würd' ich sehen, daß er viel zu kurz wäre.« Und wenn unsere Tage nach Leute zeugten, die sich ein Vergnügen daraus machten, an den Körper verdienstvoller Männer Ehrenkleider zu hängen: so wäre gewis der Konsistorialrath Fex nicht der lezte, der eines anbekäme. Es ist der beste Mann von der Welt und übersieht gern die Fehler, die er etwan hat. Er hoft, so wie Zäsar die eroberten Briefschaften des Pompeius verbrannte, um lieber die Beleidigungen desselben nicht zu kennen, als nicht zu verzeihen, so hab' er es vielleicht so weit gebracht, daß er lieber seine Fehler gar nicht wissen, als sich in Gefahr setzen wollte, sie sich vielleicht nicht gerne zu vergeben, und er versagte sich freiwillig die Mittel ihrer Auskundschaftung. Ich wünschte, das Lob dieser Nachsicht für eigne Fehler käme allen Damen zu: Aber die Wahrheit zu sagen, nur eine geringe Menge von ihnen verdients.
Da ich mich entschlossen hatte, diesen Traum in eine Allegorie zu verkehren: so wacht' ich auf.