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Brief eines Naturforschers über die Wiedererzeugung der Glieder bei dem Menschen
P. P.
Nicht eine Gräte von den Meerfischen kann ich Ihnen übermachen, auf die wir beide so lange pasten. Die Tonne damit langte gestern aus Amsterdam in einem Zustand an, daß mein Sohn sagte, sie gliche der einen Tonne in Jupiters Vorsaal ganz, die nichts als lauter Schlimmes enthielt. Alle die seltenen Meerfische, für die ich schon verschiedene Plätze in meinem Naturalienkabinet ausgeräumt hatte – ich warf von allem Unrath, den ich etwan dreifach hatte, ein Drittel zum Fenster hinaus – must' ich diesem nachwerfen. Das versofne Matrosenvolk hatte wieder (wie neulich) die Tonne angefallen und den Brandwein, der unsere Fische konserviren sollte, meistens herausgezapft.
Indessen kömmt auf Leid immer Freude und die Sonne, die am Charfreitage verfinstert wird, tanzt (wie sonst die Leute glaubten) am ersten Ostertage öffentlich. Büßet auch der Mensch zuweilen Meerfische ein: so macht er doch bald darauf eine Entdeckung in der Naturgeschichte, auf die glaub' ich wenige fallen. Sie werden von meiner Entdeckung vielleicht nächstens im hallischen Naturforscher einen langen Aufsatz antreffen: ich muste darin besonders mit zeigen, daß ich meine Entdeckung nicht gestohlen, sondern daß unzählige naturhistorische Schriftsteller nichts von ihr aufzuweisen haben, als einige präexistirende Keime, denen noch die ganze Entwicklung fehlt. Ich schrieb ungefehr so.
In der Lehre von der Reprodukzion oder Wiedererzeugung der Thiere weis man nur das gewis, daß die Eidexe einen neuen Schwanz, einige Schnecken einen neuen Kopf, andere neue Fühlhörner, die Krebse neue Scheeren etc. hecken, wenn sie die alten einbüssen: ich glaube nicht, daß man noch höher den Vorhang aufwand, der zwischen der Natur und den Naturforschern herabhieng. Es sollte vielleicht mir zugedacht bleiben, den Vorhang noch höher aufgehen zu lassen: zum wenigsten hats noch niemand öffentlich gezeigt, daß ausser den Insekten und Würmern auch die Menschen neue Glieder an der Stelle der verlornen treiben.
Nach meinen iezigen Erfahrungen erneuern sich am Menschen blos Nase, Zähne und Augen: ob ihm auch Kopf, Magen und Beine wieder nachwachsen, das kann ich, eh' ich meine Versuche weiter getrieben, iezt gar nicht beiahen. Die grösten Naturforscher sollten aber über die Ursache etwas drucken lassen, warum diese leibliche Wiedergeburt der Glieder, die alten nie durch neue aus Fleisch, sondern stets durch solche aus Metall oder sonst etwas hartem erstatte.
Schneiden Sie nur – ich gehe Sie ausdrücklich darum an, und machen Sie an so vielen Personen den Versuch als Sie, Zeit haben – schneiden Sie einem Jüngling, oder wem Sie wollen, die Nase ab: so werden Sie wenn Sie wieder kommen, mit Erstaunen finden, daß wirklich eine frische nachgesprossen, aber keine aus Fleisch, sondern, wie es auch der Justiz ergieng, eine ordentliche aus Wachs. Zum wenigsten stehen solche Ditonasen auf vielen Gesichtern der Damen in Paris und Marseille, die mehr aus Liebe zur Naturgeschichte als auf mein Zureden die Probe machten – denn gleich den Völkern stiegen die Weiber von der Oekonomie zu den schönen und zulezt zu den ernsthaften Wissenschaften auf – und ich wünschte, Sie wären mit diesen verständigen Damen bekannter. – Was die Augen anlangt, so stach, schnitt und baizte ich unzähligen Damen ihre aus, – denn da ich in der hiesigen Gegend für einen nicht ganz schlechten Okulisten (vielleicht mit Unrecht) gelte: so gewinn' ich viele Gelegenheiten richtige Versuche anzustellen und halbblinde Augen ganz neuen Platz machen zu lassen – allein, nie konnt' ich an den nachgewachsenen wahre Aehnlichkeit mit den verlornen verspüren: vielmehr würde mancher lieber behaupten, sie schienen ihm von Gold oder Glas zu sein, wenn er sie befühlte oder auch wöge. Auch haben mir verschiedene Damen versichert, man könnte mit solchen metallenen Augen am allerwenigsten sehen und ich will hoffen, daß sie mich nicht belogen: das wäre wieder ein grosser Unterschied vor den natürlichen, mit denen man wie bekannt, völlig sehen kann. – Endlich nimmt man an allen weiblichen Zähnen, die an der Stelle der ausgefallenen aufschiessen, die unerwartetste Aehnlichkeit mit Walroß- und Elephantenzähnen wahr, wiewol nicht so sehr in der Größe als in der Materie; und doch sitzen diese Zähne in einem menschlichen Munde und erfüllen sich wahrscheinlich mit menschlichen Säften: hat man dergleichen und viel andere Dinge in der ganzen Naturgeschichte noch erhört? Ich wollt' es anfänglich gar nicht einräumen, sondern bat nur erst von einer Dame ihre Zähne, die solche Nachlese waren, auf eine Nacht zum Besehen aus: ich steckte ihr Gebis zu mir und reiste am andern Morgen in gröster Frühe davon, vergas es aber (wiewol nicht ohne Vergnügen,) völlig ihr die Zähne wieder einzuhändigen. Daher kömmt es nun, daß sie iezt in meinem Naturalienkabinette stehen, und von iedem leicht in die Hand genommen werden können, ders nicht recht glauben will, daß sie wie Elephantenzähne aussehen.
Es waren allerhand Theologen auf meiner Stube, die mich fragten, warum ich diese Entdeckung nicht zum grösten Nutzen der Theologie verwendete? Ich gestand ihnen, es thäte mir leid, daß sie nicht vor dem Abgange der Hällischen Post in meinen Aufsatz hätten schauen können, in dem ich gegen die grösten Atheisten einen Religionskrieg wagte. In der That wenn wir darum doppelte Augen von der Natur bekamen, um dem Verluste eines so wichtigen Gliedes minder blos zu stehen: so müste einer ia wol des Teufels sein, wenn er leugnen wollte, daß die Natur aus der nämlichen Ursache sich nicht einmal bei der bloßen Verdoppelung des Auges beruhigte, sondern in die Augenhölen unzähliger Menschen noch das Vermögen legte, neue aus Gold oder Glas anzuschiessen. Warum lässet aber die christliche Kirche es geschehen, daß mich die vernünftigsten Leute auslachten, als ich vor einem halben Jahre die besten Bücher um eines vermehrte und in diesem in einem fliessenden Style bewies, daß wir Männer zwei kleine Brüste an uns aus keiner andern Absicht haben als weil wir die Kinder, die wir hervorbringen, auch säugen und unsern Weibern die Verunstaltung des schönern Busens ersparen sollen? Oder dankte deswegen auch nur Eine Dame ihre Amme ab, und legte das Kind an die Brust ihres ernsthaften Mannes? Nicht einmal meine eigne wollt' es. Ich bitte Sie aber, kann ich wol bei solchen Umständen einige Aufmunterung haben und mich und andere überreden, ich schafte wenigstens Einem Welttheil gewissen Nutzen, der vier andern gar nicht zu erwähnen?
Sonst wird die Naturgeschichte mir von Tag zu Tage lieber; und ich wollte, ich könnte der Anekdote, die mir gestern erzählet wurde, ganz trauen. Zwar die Alten lachten gar nicht darüber, als sie auf Platos kindliche Lippen drei Bienen sitzen sahen, sondern sie schlossen daraus vielmehr, er würde wie diese, attischen Honig zusammentragen. Aber würd' ich unsern freidenkenden Zeiten vielleicht nicht Stof zum Auslachen anbieten, wenn ich annehmen wollte, der wirklich sonderbare Zufall, da einmal mein Grosvater vor mir – ich schlief neben einer Haselstaude – vorbei gieng und auf meinem Maule drei Hornschröter antraf, wäre gewisser Massen nicht ohne alle Vorbedeutung? Ich müste den Vorfal nämlich so ausdeuten; Diese Thiere, die nichts thun als Insekten fangen, wären Propheten – mehr kleine, als Teraphim – gewesen, daß ich es wie sie, zum Hauptgeschäfte meines Lebens machen würde, Insekten zu fangen und zu spiessen.
Ueberhaupt, will es mir vorkommen, schätzen die meisten Menschen das Ungeziefer ieder Art noch wenig. Nicht daß ich mich zu sehr für die Aegypter erklärte, die den Käfern Tempel baueten; wie wol ich gar gerne es nicht verhele, daß ich mein kleines Naturalienkabinet mir mit Vergnügen als eine Art von Tempel oder Lararium vorstelle, worin ich meine Insekten als so viele Hausgötter aufgestekt, die mir vielleicht werther sind, als dem Römer die seinigen: allein zum wenigsten behutsamer würd' ich an anderer Stelle in der Geringschätzung der Insekten verfahren zu müssen denken, wenn ich bald da läse, daß der Kirchenvater Ambrosius ohne alles Bedenken Christum mit einem Käfer verglich, bald im Pausanias erführe, daß die Eläer den Jupiter am würdigsten unter dem Bilde einer Fliege abzubilden glaubten. Sehr würd' es mich noch für die Insekten einnehmen, wenn ich sähe, daß man sowol die Krebse als die Hofleute in den neuern Zeiten darunter rechnet. (Es ist daher weniger ein schmeichlerisches, als ein wahres Lob, wenn man die Fürsten Götter nennet: denn schon durch ihr Walten über ihre Höflinge verdienen sie den Namen eines Fliegengottes oder des Apollo culiciarius oder des Herkules Konopius.) Freilich kann das Bild eines Insekts, worunter man iezt den Höfling gern vorstellet, mit der Zeit viel von seinem Adel verlieren, wie die Homerischen Vergleichungen mit Eseln und Kühen in unsern Zeiten nicht halb mehr so würdig sind, als in den troianischen: aber gut genug, daß iezt dieses Bild ganz edel ist und wenn nicht für die Götter selbst, wie sonst, doch für die Diener derselben, die Höflinge, sich noch ausserordentlich schicket.
Ich habe viel Bücher darüber nachgeschlagen; aber weder die noch meine Vernunft lehren mich etwas anders als daß dem Menschen unmöglich eine minder edle Bestimmung beschieden sein kann, als die augenscheinliche ist, sich durch Kenntnis von den Insekten dieser Welt auf die von den Insekten der zukünftigen in einem gewissen Grade zu rüsten, das Ungeziefer zu seiner wahren Gesellschaft zu machen, es zu fangen, zu klassifiziren, zu beschreiben und so mit interessanten Stekbriefen unbekannter Insekten »die allerneuesten Mannigfaltigkeiten in Berlin« zu segnen, die ich meines Erachtens sehr gern lese, und endlich nicht aus dieser Welt zu scheiden, ohne ihr ein gewis nicht schlechtes Naturalienkabinet nachzulassen, an deren Veraukzionirung sich Frau und Kind erholen kann, und in dem die meisten Stücke wie in Holland gar doppelt sind.
Wie kömmts, daß es nichts hilft, daß die Menschen das Buch der Natur, das sie weniger lesen als nachdrucken und rezensiren, vor sich liegen haben? Sie wissen es gar wol, daß in diesem Buche die großen Thiere die grobe Sabonschrift, die Menschen die Kapitalbuchstaben, die Sterne die Sterngen, die auf weitere Erläuterungen hinweisen, und blos die Insekten die kursiv und Perlenschrift ausmachen: gleichwol kann man nur wenigen Gelehrten (in Holland sind deren einige mehr) das Lob nicht versagen, daß sie wie bei einem andern Buche, so auch bei dem der Natur ihre Augen meistens auf die kursiv Schrift oder das Ungeziefer heften, nicht wie die Kinder, die sich an den Kapitalbuchstaben belustigen. Und wenn die Anmahnung des delphischen Tempels sich selber kennen zu lernen, nicht schädlich war – denn es wird sie ohnehin kein vernünftiger Mann befolgen: – so ist gewis die vollends unentbehrlich, die Insekten kennen zu lernen; denn ohne eine wahre Kenntnis derselben wird der Mensch niemals wahrhaftig gros, sondern verläuft sich immer weiter von seinem Ziele, und in der That machten die Mikroskopen durch Aufdeckung ganz neuer Miniaturwelten zugleich die Insekten und den Menschen und den Naturforscher gros genug.
Und ich wollte wol meine besten Konchylien darauf verwetten, daß die Betrachtung und Samlung des Gewürms das darinnen saß, und überhaupt der Thiere in der künftigen Welt eine der allerreinsten Freuden der Seligen ausmacht, denn ich will hoffen, daß die Philosophen es ein wenig beweisen, daß dort dergleichen Geschöpfe, blos des Menschen wegen in Menge hausen. Zum wenigsten seh' ich so viel voraus, daß mir, wenn es da an allem Ungeziefer und sogar an seinen Seelen fehlet, der ganze Himmel, es mag soviel Musik und Lust da sein als man will, unfehlbar so gut als völlig versalzen sein wird; und ich werde mich den ganzen Tag blos nach Holland herunter sehnen.
Ja, lieber Freund, wenn man so sieht, daß sogar Fürsten, deren Gedanken der Thron zugleich mit ihrem Körper hebt, ihre wichtigsten Geschäfte und den Umgang mit den besten Hofleuten nicht dem Umgange mit Insekten vorziehen, daß sie Schmetterlinge für würdigere Gegenstände der Parforceiagd erkennen als die besten Hunde, Jäger und Bauern, und daß sie niemand weiter mit glühenden Zangen zwicken und spießen lassen, als sehr rare Käfer: so wandelt einen leicht ein unschicklicher Hochmuth an, daß auch unser einer einem Geschäfte obliegt, das so grose und lange Hände adeln.
Dieses alles hab' ich fast mit den nämlichen Worten im hällischen Naturforscher vorgetragen.
Der hiesige Subrektor hatte in der vorigen Woche einen guten Tag: seine Frau erfreuete ihn mit einem sonderbaren Abortus, den er Tages darauf mit eben soviel Vergnügen einbalsamirte und aufbewahrte als er ihn, erzeuget hatte; »auch in Rücksicht des Vergnügens, sagte er, ist die Erhaltung die andere Erschaffung.« Von der heimlichen Freude, womit ein Autor seine Sammlung fremder geistiger Kinder (seine Bibliothek) durch sein eignes vermehret sieht, giebt iezt das Vergnügen des Subrektors einen Begrif, wenn er sich als den Eigenthümer einer Sammlung von Misgeburten denkt, die er um eine eigene verstärken können.
Sagen Sie Ihrem H. Bruder, ich arbeitete zur Zeit noch an der Aufzälung der Stralen des bewusten Meersterns, und wäre erst bei dem dritten Tausend. Mit dem Korkstöpsel aber bin ich zu Rande; er enthält dreizehnhundert und sechs und siebzig Zellen und der H. Bruder können in Ihrer natürlichen Theologie zuversichtlich darauf fussen; denn ich zählte sie dreimal durch. Auf den Schwanz der Meerkatze pass' ich schon seit fünf Wochen vergebens.
Der Kautz, der Poet, hat meinem Schreiben ein langes Postkript angeknüpft, worin er seine Nase lobt. Am Sylvestertage wollt' er sich ertränken, weil niemand mehr Verse und Silhouetten bei ihm bestellet, die er beide immer besser macht. etc.