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– – Aufgewacht. Zuhörer! ihr werdet iezt wie Epimenides und die Siebenschläfer, mit eueren muntern Augen auf große Veränderungen um euch treffen und gar nicht wissen, wo ihr sizt. Denn während ihr ganz ruhig schliefet, haben wir, ich und der Pfarrer die grösten Dinge unternommen und vollendet. In einem so engen Zeitraum muste sich der ganze vierte Theil – er war denke ich der längste unter allen, da ich zumal noch an ihn den fehlenden ersten sties – von mir umständlich abpredigen lassen, und der überrittene Pfarrer schnaubt iezt erst (wie ich eben höre) in der Hälfte des vierten Theiles herum. Ich lies mich im besagten Theile über vieles nach meinem besten Wissen heraus und blieb immer allgemein nützlich. Es wird mir nichts schaden, daß ich darin nicht gelassen genug mich der Damen annahm, die die Gedächnisfehler anderer Damen – eine Dame vergisset oft dieses sie vergisset oft ienes Gebot, übertreten aber wird sie keines – schon mit der Zunge abzustrafen eilen eh' sie noch begangen worden: denn ich konnte mich dabei recht auf den Beckaria steifen, der den Zwischenraum zwischen dem Verbrechen und der Strafe möglichst abzukürzen anräth; ich sagte, solche Damen, die einen Fehler so schnell abstrafen, daß die Thäterin gar nicht Zeit hat, ihn vorher zu begehen, ständen vielleicht weit den Richtern vor, die oft das gröste Verbrechen erst heimsuchen, wenn es schon bereits verübet worden. – Hätte niemand geschlafen: so hätt' ich in diesem Theile sicher, ganz anders als ich that bewiesen, daß ein grosser Verläumder durch Reichthum glaubwürdig genug werde und sich auf gar keine andere Gründe zu beziehen brauche, als auf liegende, daher denkende Advokaten in ihren Fragartikeln allezeit die Glaubwürdigkeit nach dem Gelde schätzen und einem begüterten Zeugen mehr als einem dürftigen glauben. Ich hätte hierüber das merkwürdigste nicht vergessen sollen; mein eignes Beispiel nämlich, daß ich statt daß der römische Prätor, wenn er iemand verdammte, vorher seinen kostbaren Purpurrok von sich warf, allemal wenn ich einen oder mehrere zu verleumden hatte, (welches oft nicht anders sein kann) einen feinen Rok anzog, damit niemand denken konnte, ich löge. – Jezt hätt' ich mehr Zeit als bei der hastigen Durchrennung des vierten Theils, es zu untersuchen, warum – ob aus Trägheit oder Unverstand – die wenigsten Menschen die Fehler des andern so zergliedern, daß aus einem mehrere werden: allein um nur einige oder mehrere Minuten zu erkargen, stellt' ich mich als fiele mirs gar nicht ein, daß Augustin und die Theologen uns die brauchbarsten Handgriffe davon längst an der Sünde Adams vorgemacht; ich wuste, ich hätte dann die lange Ausrufung thun müssen: »Wenn der h. Augustin (in seinem Enchiridion) in der Aepfelnäscherei der ersten Eltern die Sippschaft aller Sünden antrift und diese Universalsünde in Stolz, Gotteslästerung, Todschlag, Hurerei und Geiz paraphrasiren kann: so sind wir Menschen ia nicht werth, daß wir nur eine spitzige und vernünftige Zunge führen, wenn wir mit ihr nicht aus einer kleinen Sünde – ich sage nicht einmal, mehrere sondern nur – eine große spinnen wollen oder können; ia wie wenig kann noch immer der, der auch aus einem Spaziergange unter dem Monde einen Ehebruch, aus einem modischen Anzuge Verschwendung, aus einem heterodoxen Einwurf den AtheismusMan kann in Gesellschaft eine Religionslehre mit geringerer Gefahr verspotten als bestreiten, weil man an die Vermuthung sich gewöhnet hat, daß die Menschen Sätze, die sie belachen, oft dennoch glauben. zur Noth zu machen versteht, sich mit dem h. Augustin vergleichen!« Ich sagte oft zu meinen Freunden in langen Winterabenden ich möchte wissen, wem ich gliche.
Ich will die Nutzanwendung meiner Predigt so geschwind als thulich machen; denn wenn ich einige Minuten erübrige, so hab' ich Lust, in das Exordium noch einige beiläufige Aussprünge zu thun.
Ich bestehe selber am wenigsten darauf, daß alle Gründe, die ich auf diesem niedrigen Stuhle für die Verläumdung zusammengerufen, eine gleiche Achtung verdienen, und die menschliche Schwäche setzet mich wahrhaftig am wenigsten ausser Sorgen mich zuweilen wider meinen Willen mit offenbaren Scheingründen gedeckt zu haben: allein die Verläumdung selber kann nie meine Vertheidigung entgelten, ia gesetzt, ich hätte sie mit lauter falschen Gründen zu vertheidigen das Unglück gehabt, so würde ein denkender Mann doch daraus noch nichts anders schliessen, als daß er die gültigen Gründe für ihre Zulässigkeit sich sicher nicht von mir versehen könne, sondern von einem geschicktern.
Allein ohne folgende Erzählung bleibt mein ganzer usus epanorthoticus ewig ohne gewissen Nutzen für meine so unzähligen Nebenchristen. Ich war nämlich in Nürnberg und der Rath daselbst wollte mich durchaus wider meinen klaren Willen hängen. Ich sagte anfangs zum Rathe, »er hätte an mir vielleicht einen ausgemachten Juristen vor sich, der ganz wol wisse und es längst vergessen, was zu ieder Stunde des Rechtens ist; ob er denn nicht sähe, daß ich wüste, daß die fünf Guldern, auf deren Diebstahl Karl V. den Strang gesezt, heut zu Tage von den ältesten Juristen viel anders und für fünf ungarische Goldgülden genommen würden, und daß die Juristenfakultät zu Jena ausdrücklich haben wollte, einer, der wegen eines Diebstahls gehangen zu sein wünschte, müsse für seine Person erst 26 Rthlr. und 16 gr. aus leicht begreiflichen Ursachen entwenden. Zum Beweis, sagt' ich, daß ich nicht lüge, bitt' ich, daß man den Gerichtsdiener oder sonst einen Kerl fortlaufen und mit der 6ten Edizion von Kochs Kriminalrecht wiederkommen lasse: ich kann den 197. Paragraphen, wo ichs las, aufschlagen und vor iedem hier ins Deutsche vertiren. Ueberhaupt glaube man mir, ich will völlig auf den Fuß der Advokaten behandelt werden, die ebenfalls kein Mensch zu hängen wagt, blos, weil sie in kleiner Schrift durch die weitläuftigste Hand, durch Beschneidung des Papiers, durch Einflechtung langer Allegate dem Klienten gerade 26 Rthl. sondern allzeit weniger stehlen; und man muß die kurze Zeit gar passen bis ich die ganze erfoderliche Summe irgendwo werde genommen haben.« Allein man versetzte, ich hätte freilich nichts geraubet und es wäre auch nicht möglich: aber ein gewisser Kerl aus dem Bambergischen hätte unglaublich viel an Geld und Meublen gestohlen und dafür könne man mich nicht anders als aufhängen: »Wie so?« sagt' ich. »Weil er nicht da wäre, replizirte man, und man ihn nur in effigie an den Galgen schaffen könnte; es wäre zwar sonst zweierlei, ob man nur ein gemaltes oder ein lebendiges Bild von ihm, nämlich mich, aufhienge: allein man ersparte den Aufwand des Malens und brächte noch dazu ein Bild an den Galgen, in welchem er unter allen am kenntlichsten sehe, wenn man, wie schon beschlossen, mich wirklich dazu nähme.Daraus ist es vielleicht begreiflicher als aus andern Dingen, warum die Justitz allemal nur Schuldige todmacht. Denn der Unschuldige, den sie entseelet, ist am Ende das leibhafte Bild irgend eines Bösewichts, dem sie nicht anders als in effigie zu Leibe kommen kann, und den sie durch diese stellvertretende Genugthuung zu iedermans Nutzen hart abstrafen muß. Freilich ist die ganze Sache nur eine iuristische Fikzion: allein wenn so etwas nicht gälte, wie könnte sich ein gerechter Richter noch ruhig auf den Richterstuhl setzen, um über einen Schuldlosen ohne Gefahr den Stab zu begehren? Wär' er dann wol hinlänglich sicher und müste er sich nicht das pflichtmäßige Verdammen der Unschuld durch die grösten Besorgnisse verbittern? Man überlege das öfter. « Ich verlor allen Muth und beinahe die Furcht auch, und hielt um die Todesangst an, die ich mit dem grösten Vergnügen auszustehen versicherte. Wahrhaftig, sagt' ich und redete schon ohne Bewustsein und Vernunft, die Todesangst wäre für mich so arg als der Tod selbst, wenn man beherzigen wollte, daß ich ein iunger zart aufgeäzter Edelmann bin, der meines Wissens eine ganze Kompagnie kommandiret, der schriftsässig in iedem Falle ist und im Grunde die Kriminalverbrechen und das Kriminalrecht sehr hasset.« Die Sache wurde merklich schlimmer, als man den Dieb selbst einfieng. Denn sein Defensor bewies in einer Schrift, die Einen Perioden hatte, es sei nicht blos ganz zweifelhaft, wer von uns beiden das Bild oder Original des andern sei: sondern aus den Akten und aus meinem sub. Lit. A. angebognen Taufschein erhelle wol ganz sonnenklar, daß ich viel älter als der Bambergische Inquisit, und mithin (da das Original allzeit älter sei als seine Kopei) auch nicht das Bild (wie ich vorgebe) sondern das wahre Original desselben wäre, das man nun ohne Zeitverlust wirklich aufzuhängen hätte. Aus einem solchen Handel rettete mich blos eine tüchtige Verläumdung und deswegen erzähl' ich alles. Der alte bekannte boshafte Rabulist ** war damals noch gar nicht tod, sondern fertigte aus Liebe zu meinem Bratschespielen den fatalen verläumderischen Beweis aus, ich und der Spitzbube seien seine leibhaften Bilder und er müsse es einfolglich, wenn man uns beide hienge, so aufnehmen als hätte man ihn, dessen ganzes langes Leben ein langer Nutzen für den Staat gewesen, auf einmal doppelt in effigie an den Galgen geknüpft. Man hatte den Muth nicht, ihn zu erbittern, sondern man lies uns beide los, um als lebendige Beweise vom Nutzen der Verläumdung noch iezt herumzugehen.
Das Bisgen ausgesparte Zeit hoff' ich iezt zu einem Exordio zu verwenden. Ich kann alsdann doch sagen, daß ich in dieser Loge eine Kontrapredigt gehalten, die ordentlich und schön war: ich fieng beim zweiten Theile an, und schritt darauf zum dritten über so wie auch zum vierten, aus dem ich in den erstern einen hinlänglichen Ausfall that; ich lies darauf den usus epanorthoticus nicht weg, und konnte doch das Exordium anstricken, welches wie ich gläube wohl nicht anders als so lautet: Gesetzt die grösten Gelehrten fiengen einen heftigen Krieg an, wo eigentlich meiner Predigt das Exordium, das ist der Kopf sässe – und ich besorge gar nichts anders, da der geendigte ähnliche, wo dem Bandwurme Kopf oder Schwanz stehe, sie nicht mehr davon abhält – so würd' ich mich doch stellen als säh' ichs nicht und darum nicht unruhiger in diesem Exordio fortfahren, das vielmehr die wahren, nicht die falschen Ursachen zu berichten hat, warum ich unter der ganzen Predigt eine Mütze aufhatte. Ueberhaupt hat ieder Mensch zwischen seinem Halse und seinem Hute im Grunde etwas Rundes sitzen, von welchem er überal aussagt, er halte das für nichts anders als für seinen Kopf; daher hört er es ungern, wenn man im Disputiren behauptet, er habe keinen: denn das besagte runde Ding scheint ihm gewissermaßen etwas anders zu beweisen. Inzwischen predigt der Quäker doch mit und unter dem Hute; unter der Predigt, sagt er, sollte allzeit dem Menschen etwas auf dem Halse stehen, es mag nun ein Kopf oder ein blosser Hut sein, und er sollte ohne die äusserte Noth nie beide mit einander abziehen. Demungeachtet laß' ich – ich kann überhaupt in diesen Reden wenig Zusammenhang des Quäkers mit meiner Mütze inne werden – die leztere droben. Denn sie ist eine sogenannte Kräutermütze, die das Gedächtnis unendlich stärkt. Denn das Gedächtnis des Menschen, und mein eignes ist ia ganz schwach und wirds von Tag zu Tage dergestalt mehr, daß das Publikum – es müste denn nicht zu spät eine Kräutermütze aufsetzen oder einen elenden Knoten ins Schupftuch binden – am Ende nicht mehr wissen wird, (- wir Autoren mögens ihm noch so oft auf unsern Titelblättern wiederholen –) wie dieser oder iener Autor oder ich selber heisse: alsdann würden wir Autoren alle uns über das vergesliche Publikum fast halb tod lachen. Diese Mütze ist die Schweinblase an meiner Predigt, wodurch sie nicht im Letheflusse untersinket. Wahrhaftig, wenn ihr, andächtige Zuhörer, gleich anfangs mir die Kräutermütze gewaltsam abgezogen hättet: so hätt' ich meine memorirte Predigt gänzlich fahren lassen und von diesem Stuhle schändlicherweise hinunterbringen müssen, ohne ein Wort mehr von meiner Predigt herausgebracht zu haben, als: Amen!