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Bühler hatte das Boot an seine Boje zurückgebracht und war in die Schweiz hinübergelaufen. Er konnte nicht allein sein. Von der Gesellschaft war jedoch niemand da, und er trank, darüber etwas enttäuscht, rasch hintereinander und nervös Barbera, während er mit gewalttätigen Vorstellungen rang. Er malte sich aus, er fange diesen Färg ab. Fang Färg! Fang Färg! machte er bei sich, als hetzte er einen Hund. Und wenn der Hund Färg in den Nacken sprang und ihn rückwärts niederriß, stand er, Bühler, lachend dabei, ohne einen Finger zu rühren. Kein Bild war roh genug, bis sich dieses Spiel seiner Einbildungskraft erschöpft hatte.
Wir werden uns schießen! sagte er vor sich hin. Er streckte die Hand vor sich hin, als halte sie schon die Waffe. Er ließ die Hand langsam steigen, zielte in eine Ecke des Raumes, wo sich ihm die Gestalt des Grafen Färg zusammenballte. Jetzt drückte er ab …
»Herr Doktor auf mich schießen?« sagte plötzlich Concordia mit ihrer weichen Stimme. Er hatte nicht gemerkt, daß sie gekommen war.
»Ja, auf dich auch! Auf die ganze Welt!« stieß Bühler hervor.
»Ich würde gern mich zu Herrn Doktor setzen, wenn ich nicht zu dieser Welt gehören würde«, antwortete Concordia.
Der ruhige, stille, sänftigende Ton, mit dem sie es sagte, ließ Bühler aufschauen. Dabei blickte er unmittelbar in Concordias Augen.
»Nie kommen Herr Doktor allein, immer mit den vielen Herren, die Lärm machen, und heut ist Herr Doktor allein gekommen …«
Concordia saß neben ihm. Er hatte nicht gesehen, nicht gehört, daß sie sich gesetzt hatte. Es war immer etwas wie Wehen und Lautlosigkeit in allen Verrichtungen dieses Mädchens mit den schwarzen Augen.
»Ja, ich bin allein gekommen«, wiederholte er, und er war ihr dankbar, daß sie neben ihm saß und ihn dem Alleinsein entzog.
Er wollte aus Dankbarkeit antworten, Concordia unterhalten. Was kann man mit ihr sprechen? Woran hätte sie Gefallen? Er fand nichts. Er hatte sie früher nie recht beachtet. Ob er ihr eine Makrone anbieten dürfe, fragte er schließlich, als er auf dem Nebentisch einen Teller mit Süßigkeiten stehen saß. Es genüge ihr, so dazusitzen, sie danke, antwortete sie.
Von welcher Schwerlosigkeit ihre Haltung war! Mit einer Wendung, deren Ursprung sich ihm entzog, entstand der Wunsch in ihm, Concordia zu erzählen, was ihm widerfahren war.
Unfug! Was geht das dieses Wirtshausmädchen an? Nun, ich werde mich nicht von einer dunklen Stimme und noch dunkleren Augen überrumpeln lassen. Ich werde eine Brisago rauchen. Die derbe Beize dieses Tabaks wird den Unsinn vertreiben …
Als sie ihm die Zigarre brachte, nach örtlicher Sitte auf einem Spiritushalter angezündet, tat er einen Zug, der nach einem Strauß von lichtgetrockneten Wiesenblumen schmeckte.
Wiesenblumen! Wiesenblumen! sagte es in ihm, und er zog an seiner Zigarre, und da plötzlich eine verzweifelte Schwermut in ihm anstieg, zerdrückte er den langen Stengel der Zigarre zwischen den Fingern in zwei Stücke.
»Brisago zerdrückt … Herz zerdrückt«, hörte er Concordias Stimme, und plötzlich spürte er ihre Hand auf seinem Arm.
»Ein Erlebnis, Herr Doktor?« sprach dazu die Stimme. Sie sagte es ohne Neugier, mit einem so klaren nahen Klang, als sei ein Kristall durch einen Schlag zum Tönen gebracht worden. War dies möglich? Ahnte sie, was ihm geschehen war? Ja, war so etwas möglich, daß er dachte: ich sage es ihr? und daß sie es wußte, ohne daß er es wirklich gesagt hatte?
Da war ihm, er sei mit seinen Nöten in ein Kesseltreiben geraten, aus dem es keine Rettung gab, und verzweifelt überließ er sich der Marter, die er mit Spott und Hohn noch vergrößerte.
»Erlebnis!« lachte er auf. »Ja, ein Erlebnis. Ein Liebeserlebnis! Natürlich!«
»Concordia weiß es!« sagte das Mädchen.
Sie hatte diese Worte geflüstert und sich damit in die Stellung einer heimlichen Vertrauten gespielt. Ihre Hand lag noch immer auf seinem Arm. Wenn er nur diese Hand los wäre … Er wagte nicht hinzuschauen. So klein sie war, so flaumzart sie da lag, sie war doch wie ein mächtiger Balken, der ihn aller Bewegungsfreiheit beraubte.
Schließlich kam er auf den Einfall, mit der freien Hand das Glas auszutrinken. Sie mußte ein neues holen, stand auf, und sein Arm war frei. Er rückte etwas vom Tisch ab und steckte die beiden Hände abwehrend tief in die Hosentaschen. Aber jetzt wurde es deutlich fühlbar, daß das, wonach es ihn verlangte, hier nicht geboten werden konnte. Er ließ das frische Glas stehen und ging hastig davon. Als er das Zimmer verließ und durch den vorderen Wirtschaftsraum auf die Tür zuging, spürte er, daß die Augen des Mädchens ihm folgten.
In dem nächtlichen Zimmer des Häuschens im Grüngang überkam ihn eine Sucht, zu arbeiten. Das war eine Abwehr. Er wird sich ernst in seine Arbeit vertiefen, sich gegen das, was ihn bedrängte, abriegeln. Arbeit, das war etwas Gutes, Klares und Festes.
Seit einiger Zeit beschäftigte ihn der Plan, einen Brennstoff für Kraftwagen zu schaffen, den der Fahrer in komprimierter Form sozusagen in der Westentasche mitnehmen könnte. Dieser Stoff mußte zugleich schwer entzündbar und hoch explosiv sein. Er würde die teuren Benzinanlagen und Pumpen erübrigen, Tanks und Fracht sparen, bedeutende Entlastung erzielen und den Kraftfahrern große Vorteile bieten. Verlockend stand das in Vorarbeiten Erreichte in seiner Einbildungskraft.
Doch sobald er beginnen wollte, seine Aufzeichnungen durchzuarbeiten, zerflatterte alles. Er ballte die Fäuste, er zwang sich mit diesen geballten Fäusten an die Papiere auf die Tischplatte. Es entwich, und Bilder tauchten in verwirrender Vielfalt auf. Da fiel ein haltloser Jähzorn über ihn. Er fegte alles vom Tisch.
Du hast es nötig gehabt, teurer Lorenz, dich mit dieser – mit dieser Prinzessin einzulassen, weil sie dich einmal mit ihren runden Augen angeschaut hat! Du bist ein Narr, lieber Lorenz, das ist nämlich eine Prinzessin, eine mit ganz blauem Blut. Sie hat sich einen hübschen Spaß mit dir gemacht! Jetzt sitzt sie vielleicht bei dieser aufgeblasenen Null, diesem Färg, und lacht über dich. Eigentlich müßte ich noch Dankeschön sagen für die Lehre, die du mir erteilt hast.
Dankeschön! Das werde ich ihr schreiben, mit einem kleinen Satz nur, aber der wird sie treffen bis ins Herz.
Ja, er wird ihr ein höhnisches Dankeschön schreiben, er wird es nicht so hingehen lassen.
Ein Blatt Papier liegt vor ihm. Er hat die Füllfeder in der Hand. Er will einen einzigen Satz schreiben. Aber das wird ein Satz sein … Er wird schreiben …
Bühler setzte die Feder aufs Blatt. Er lacht auf, voll von einer selbstquälerischen Genugtuung. Wenn du das liest, was ich da hinschreiben werde, da wird Dich die Scham anfallen – Du wirst Dich schämen über Dich und über mich, der Dir zeigt, daß er der Sohn eines Mannes ist, der Schiffe angebunden hat.
Er drückte die breite Spitze der Feder auf das Papier, er sucht den Satz, der sie treffen soll. So drückt er ihr die Spitze der Feder ins Herz, und es wird schwarz von der verfließenden Tinte.
Und er findet nichts, und er schreibt dann nur hin: Narcissa, Narcissa … Narcissa … – wie die Hilferufe SOS.