Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Färg holt sich eine doppelte Abfuhr

Über Lantz war der Weg zu Bühler für den Grafen rasch geöffnet. Der Herzog war außerhalb des eng umgrenzten, aufeinander abgestimmten Kreises am Hof wenig mit Menschen zusammengekommen. Außer dessen kleinen Kabalen hatte er Konflikte zwischen Menschen kaum kennen gelernt und so auch keine Menschenkenntnis erworben. Und daß er für den Geheimrat eine mit einer gewissen Furcht gemischte Hochachtung hatte, in der er Lantz die unmöglichsten Dinge zutraute, genügte ihm, in diesem einen Helfershelfer für Färgs Mission zu sehen.

Als er Lantz den Fall andeutungsweise dargelegt hatte, lächelte dieser an ihm vorbei und sagte die Vermittlung zu.

Er brachte Färg auch gleich am Abend in die Italienerkneipe. Das war ein neutraler Boden, auf dem Lantz mit Hilfe des wirksamen Barbera keine unwitzigen Ergebnisse aus dem Zusammenstoß Färg-Bühler erwartete. Denn er war sich sicher, daß Färgs Sendung auf einen solchen zulief.

»Graf Färg«, sagte er, als er zusammen mit ihm hinfuhr, »der Schauplatz, an den wir uns begeben, ist eine Italienerkneipe. Sie dürfen also nicht erwarten, daß Kronen in die Tischtücher gestickt sind. Denn Tischtücher gibt es keine. Sie können auch ruhig einmal die beiden gräflichen Hände auflegen, ohne Angst zu haben, kleben zu bleiben.«

»O, ich habe eine starke Neigung zu solchen … ich verstehe schon, … zu solchen saftigen Lokalen, wie? Saftig ist wohl eine Bezeichnung dafür«, antwortete Färg.

»Sicherlich«, meinte Lantz.

»Und das Volk läßt sich drin gehen, wie es ist. Das Volk ist etwas Schönes für mich, wissen Sie. Ich mag es nur nicht im Sonntagsanzug, denn da fälscht es gerne etwas von sich fort.«

»In bezug auf Volk werden Sie übrigens mit einem recht bedeutenden Exemplar desselben zusammenkommen, um Sie ganz ins Bild zu setzen, mit Concordia nämlich, der Nichte des Wirts.«

»Eine Italienerin, o famos!«

»Ein Abenteuer!« sagte Lantz, der diese Bezeichnung mit Vorliebe auf Concordia anwandte.

Färg hatte die Sendung ohne Überzeugung und nur aus einer Art von Pflicht dem Schwiegervater gegenüber angenommen. Er hatte mit Lantz noch kein Wort darüber gesprochen und fand die Gelegenheit dieser Bemerkung, die er übrigens mißverstand, geeignet, ein Gespräch über den Fall zu eröffnen.

»Wir bleiben also in Italien wie in Mont'Alto im selben Kreis!« lächelte er und hoffte über diese Anspielung zum Ziel zu kommen.

Doch der Geheimrat wich ihm aus.

Nachdem Lantz den Grafen drei Abende hintereinander mitgebracht hatte, fragte Bühler, als er den Geheimrat am nächsten Tag traf:

»Was will dieses gräfliche Nichts von mir? Er liegt mir immer mit seinem ordnungslosen Gewäsch in den Ohren, und ich habe die Empfindung, er verfolgt eine geheime Absicht. Wie kommen Sie an diesen langbeinigen Standesgenossen?«

»Durch Sie!« antwortete Lantz gleichmütig.

»Wie? Ich?«

»Er ist der Schwiegersohn des Herzogs von Mont'Alto. Haben Sie das nicht gewußt?«

Narcissa!, sagte Bühler angstvoll für sich. Ist er ihretwegen hier? Laut antwortete er:

»Nein, das habe ich nicht gewußt.«

»Dann werden Sie es wohl bald erleben«, bemerkte der Geheimrat.

Bühler antwortete nicht. Als er nach Hause kam, lag ein Brief für ihn da.

 

»Unsere anregenden Begegnungen in der Schweiz, die mich mit Gefühlen einer starken Sympathie für Ihre Klugheit und Überlegenheit erfüllen, geben mir den Mut zu der Bitte um eine Aussprache in einer bestimmten Angelegenheit. Um Sie nicht besonders zu bemühen, werde ich heute um elf Uhr bei Ihnen vorsprechen. Sollten Sie um diese Zeit verhindert sein, so bitte ich um die Güte, zu hinterlassen, wann es Ihnen anders paßt.

In besonderer Wertschätzung Ihr

Graf Färg.«

 

Narcissa!, sagte Bühler laut in den Brief hinein, von zwiespältigen Gefühlen hin- und hergerissen. Es war ihm längst klar geworden, wie töricht er sich dort im Park verhalten hatte. Es war unbesonnen und gewalttätig gewesen, was er getan hatte. Er hätte überlegen und liebevoll zurechtweisen müssen. Er hatte doch gefühlt, wie »ihr Herz in seiner Hand gezittert« hatte. Es ist ja auch möglich, dachte er dazwischen immer wieder, daß ich etwas nicht verstanden habe. Was weiß ich denn von ihr? Und wenn jetzt dieser Fremde kommt und greift zwischen sie und mich … und das gerade in diesem Augenblick, wo mein Unrecht die Waagschale nach der falschen Seite hinuntergleiten läßt … Wie komme ich darauf, daß es sich bei diesem Besuch um Narcissa handeln kann? Ach, weil es sich bei mir doch überhaupt um nichts mehr anderes handelt als um sie. Man kann einen Bogen überspannen. Dann bricht er. Und er stellte sich vor, Narcissas Herz sei ein Bogen.

Färg kam pünktlich.

»Wir sind beide Männer. Sie gestatten, daß ich ohne Umschweife auf die Ursache meines Besuchs komme. Was ich vorzubringen habe, geschieht im Namen meines Schwiegervaters. Meine Schwägerin Narcissa hat …«

»Verzeihung, Herr Graf, handelt es sich bei Ihrem Auftrag um Ihre Schwägerin und mich?« fragte Bühler.

»Ja, sehen Sie, gerade deswegen … und wegen der Schwierigkeiten, die …«

Aber Bühler fiel ihm abweisend ins Wort:

»Es ist mir nicht möglich, jemandem das Recht zu geben, sich in meine Dinge einzumischen. Ich bedaure, Sie darüber belehren zu müssen, daß ich mich imstande fühle, etwaige Schwierigkeiten selbst zu meistern. Kann ich noch mit etwas dienen?«

Färg erkannte bei dem ersten Wort, daß er seinen Gegenspieler unterschätzt hatte. Welche Torheit hatte er begangen? Er hatte sich eingebildet, hier mit dem Prestige gräflichen oder herzoglichen Glanzes etwas ausrichten zu können. Wie konnte er einlenken? Hätte er seine Einmischung doch überhaupt abgewiesen! Er geriet aus dem Geleis, und um den Faden nicht in einer jener Zwischensituationen, in denen das Stummbleiben dem andern zeigt, daß er »getroffen« habe, ganz abreißen zu lassen, begann er aufs Gradewohl hinzusagen:

»Ja, es ist, daß meine Schwägerin, die Prinzessin …«

»Auch wenn es Ihre Schwägerin und wenn es eine Prinzessin ist …«

Da schrie Färg, der nun über seinem Versagen den Kopf ganz verlor:

»Aber die Gegensätze des Blutes!«

Das war eine neue Torheit. Wo hatte er heute seinen Kopf? Aber da hörte er schon den andern dazwischenfahren:

»Aus meiner Antwort hätten Sie verstehen dürfen, daß mir diese von Ihnen erfundenen Gegensätze des Blutes, wonach das eine blau und das andere rot sein soll, völlig gleichgültig sind. Ich sehe unsere Unterhaltung als beendigt an.«

Er ging auf die Tür zu. Färg fing sich wieder auf, raffte rasch seinen Hut an sich und bemühte sich, Bühler zuvorzukommen, um dem Schein aus dem Weg zu gehen, er sei hinausgewiesen worden. Mit einer kurzen Verbeugung peilte er an Bühler vorbei, öffnete ruhig die Tür und durchschritt gemessen den Flur.

Der Herzog erwartete ihn. Färg sagte:

»Hoheit – Schwiegervater! Ich bin ein schlechter Gesandter.«

»Will er nicht abstehen?« fragte der Herzog matt und enttäuscht.

»Das weiß ich nicht. Ich kam gar nicht dazu, ihn nach seiner Absicht darüber zu fragen, geschweige denn, ihn zu bitten, das zu tun.«

»Wie hat er sich benommen?«

»Eigentlich muß ich sagen: er hat mir besser gefallen als ich!«

Der Herzog entgegnete kleinlaut:

»Leider erinnere ich mich gar nicht mehr an ihn … Färg, willst du mir noch einen Gefallen tun? Sprich auch mit Narcissa.«

Ich werde sie bitten, mich als Brautwerber zu diesem Bühler zurückzuschicken, damit ich die Gelegenheit habe, durch meine neue Mission ihn in die Fassungslosigkeit zu setzen, in die er bei der ersten mich drängte, sagte Färg für sich.

»Ja, lieber Färg, sprich mit ihr! Es ist doch indiskutabel! Hör mal: Frau Doktor …«

Aber er sprach es nicht aus. Es war zu peinlich. Da er jetzt sein Gesicht von einem Frösteln berührt fühlte, von dem ihm schien, es mache dessen linke Hälfte gefrieren, warf er wieder einen verstohlenen Blick in den Spiegel. Es war aber keine Veränderung festzustellen. Alles nach innen … nach innen, dachte er wieder. Jetzt müßte mein Herz schneller schlagen, aber es geht eher langsamer. Habe ich überhaupt noch ein Herz?

»Sprichst du mit Narcissa?« fragte er nochmals fast ängstlich.

»Ich werde es jedenfalls versuchen«, antwortete Färg und begab sich gleich zu ihr. Er begann mit derselben Technik wie bei Bühler. Vielleicht war sie bei einer Frau besser am Platz.

»Du weißt, ich habe stets eine besondere Neigung zu dir gehabt. Du gleichst ja auch meiner toten Amelda. Und es ist mir deshalb ein Herzensbedürfnis, mich mit dir über etwas auszusprechen, was mir dein Vater …«

Deshalb ist er gekommen. Er ist gerufen worden, um zwischen uns zu greifen, dachte Narcissa. Sie unterbrach ihn hastig errötend:

»Daß er mir etwas abgelehnt hat? Ist es das?«

Färg nickte.

»Es bleibt dabei!« sagte Narcissa.

»Schau mal, die Gegensätze zwischen euch …«

»Klaus, die Gegensätze zwischen uns, wenn welche bestehen, gehen nur uns selber an.«

»Aber du bist aus einer Familie …«

»Und er ist auch aus einer Familie. Sein Vater war Angestellter bei den Schiffen. Seine Mutter lebt bei ihm, bescheiden und glücklich.«

Bei Gott, sagte sich Färg. Hier ergeht es mir genau wie dort. Nun wurde er ärgerlich:

»Ihr seid gut aufeinander eingespielt. Wer hat Regie geführt?«

»Was sind wir?« fragte Narcissa betreten.

»Ich komme von ihm. Er hat mich auch nicht zu Wort kommen lassen, gerade wie du! Auch er hat …«

Da schrie Narcissa erblaßt und außer sich:

»Was tut ihr hinter meinem Rücken? Und das nennt sich Herzog und Graf und Adel und will ein anderes Blut haben!«

»Jetzt weise mir nur noch die Tür!« entgegnete Färg. »Dann ist es genau wie bei ihm. Aber vorher bitte ich dich, mich einen Satz ganz aussprechen zu lassen …«

Mit einer flammenden Haltung stellte sich Narcissa vor ihn. Hart blickte sie ihm voll in die Augen.

»Geh, geh! Hinter dem Rücken eines wehrlosen Mädchens!« schrie sie.


 << zurück weiter >>