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Färg taucht den Kopf ins Wasser

Färg stand zu Narcissa in einem besonderen Verhältnis der Erinnerungen. Bis zu dieser Zusammenkunft hatte er sie gelöscht geglaubt. Aber in dem Anprall der gewaltsamen Worte Narcissas war in einer jener unerklärlichen und scheinbar willkürlichen Wendungen, die sich wie unter dem Einfall eines mystischen Schattens in der Seele vollziehen, alles wieder ins Leben getreten, was er im Vergessen begraben gewähnt hatte.

Er war aufgewachsen in der Obhut einer früh verwitweten Mutter, die in der Flucht ins Jenseits und in einem Glauben voll verträumter Süße und Dunkelheit den Zweck des Lebens sah. Von diesem mütterlichen Einfluß hatte er einen Hang mitbekommen, seine Angelegenheiten aus dem Gesetz des natürlichen Alltags herauszuheben und sie einer höheren, in Geheimnisse gehüllten Macht zu überantworten.

So hatte nach dem Tod Ameldas, mit der er nur kurze Zeit verheiratet gewesen war, das, was in seinem Bewußtsein von der Verstorbenen geblieben, eine rasche Wandlung vollzogen. Er glaubte auf einmal, er könne die flüchtigen Überreste der Erinnerungen und des Besitzes am Andenken der Toten nur durch den Besitz Narcissas binden, die Amelda wie eine Zwillingsschwester glich. Er war Hals über Kopf in eine Liebe geraten, von der er sich so gar nichts zu erklären vermochte, daß er sich vor ihr als einem Werk des Bösen ängstigte. Er bezwang sich und widerstand dem Unbegreiflichen. Aber gerade unter der Unterdrückung seiner Wünsche schossen diese bis zu einer verruchten Verwilderung in ihm auf.

Er hatte dann wie ein Verbannter und Verfehmter monatelang in der Vereinsamung seines Schlosses auf der Rauhen Alb gelegen. Dann hatte er in einem tätigen Leben auf seinen Gütern sein so plötzlich mit böser Urgewalt aufgetauchtes Begehren nach Narcissa gemeistert.

Seit Jahren lebte er nun auf seinem Schloß und auf seinen Gütern in einem anspruchslosen und zurückgezogenen Leben. Er kam wenig unter Menschen außerhalb dieses engen Kreises. Einmal im Jahr, am Todestag Ameldas, die in der Schloßkapelle begraben lag, reiste er zu den Mont'Altos.

Und heute war alles wieder aus dem Schacht des Innern heraufbeschworen worden und glänzte in einem bösen Licht. Als sich Narcissa wie eine Artemis gegen ihn richtete, hatte ihn der Speer wieder getroffen, hatte er das Flammenschwert, das eine Frau aus den höchsten Kräften ihres Wesens in das Herz eines Mannes zu senken vermag, wieder empfangen.

Ruhelos wanderte er in seinem Zimmer von einer Wand zur andern.

Vorstellungen stiegen und ebbten weg. Pläne flogen auf und verwehten. Es war an ihnen nichts Festes und Gestalthaftes. Färg war der Mann nicht, der mit solchen verwehenden, ungreifbaren seelischen Komplikationen ohne eine »habhafte« Hilfe fertig werden konnte. Er mußte etwas tun, etwas in der Hand fühlen. Nur um etwas zu unternehmen, zog er Jacke und Hemd aus, tauchte den Kopf ins Wasserbecken und rieb sich Kopf und Brust heftig ab. Die Kühle des Wassers, das rauhe Reiben auf der Haut übte in der Tat die erwünschte Wirkung aus. Er begann ruhig zu überlegen.

Ich habe zwei Wege vor mir, sagte er sich.

Entweder muß ich mich einsetzen, um bei dem Herzog zwischen Narcissa und dem anderen zu vermitteln und so die böse Brücke zwischen mir und ihr endgültig abbrechen, oder ich habe die Entscheidung auf etwas Wunderhaftes zu setzen, auf nie erfüllbare Träume aus Wolken und Chimären. Dieses Wunder geschähe, wenn Narcissa meine Frau wird. Aber sie liebt ja den anderen. Ich darf nicht daran denken.

Er überlegte nicht lang weiter. Er war es Anstand und Ehre schuldig, den Weg des Vermittlers zu gehen.

Innerlich gesammelt, saß er dann vor dem Herzog, aber ihm war, als habe er dabei eine Tarnkappe auf, die er über sein Begehren gezogen hatte. So setzte er dem Herzog auseinander, er sei auch von Narcissa mit seinem Vermittlungsversuch zurückgewiesen worden. Bei der Haltung sei es so eindeutig, daß es vielleicht das Klügste wäre, ja zu sagen. Es sei nett und schön, eine Prinzessin von Mont'Alto zu sein, auch glanzvoll, gewiß. Aber es sei heutzutage ein Luxus. Ja, es sei geradezu ein va-banque-Spiel mit der Existenz. Dieser Bühler sei ein Mann, dessen Begabung, wie er durch Lantz wisse, ihn zu großer Bedeutung und zu großen Ehren führen würde. In Anbetracht der geänderten Verhältnisse in der Welt bedeute es nichts anderes als einen väterlich klugen Akt, wenn auch eine Tat der Selbstverleugnung, die Ehre, aus dem Haus Mont'Alto zu stammen, mit den Ehren, die diesen Mann erwarteten, zu verbinden. Draußen wehe, wie gesagt, ein anderer Wind, und der Doktor Bühler habe diesen Wind im Segel!

Er war beredt. Er war so beredet, daß er sich unheimlich vorkam. Er hatte unter seiner Tarnkappe Furcht davor, diese Beredsamkeit könnte Erfolg haben.

Der Herzog stellte die kosende Beschäftigung mit seiner Nase ein, hob die rechte Hand wie zu einem Schwur hoch und sagte:

»Indiskutabel, lieber Färg. Ich danke dir für die Mühe, die du mir geopfert hast. Willst du so freundlich sein, Jean Bescheid zu sagen, er möchte für mich anspannen. Ich will Lantz sprechen.«

Der Herzog fuhr zu dem Geheimrat.

Da die Kräfte auf seiner Seite versagt haben, blieb ihm nichts übrig, als sich diese andere Seite, zu der Doktor Bühler gehörte, zu sichern. Er bemühte sich so vorsichtig und zart, so taktvoll und gewandt, wie ein an einem Hof in der Unterhaltung geschulter Mann es vermag, dem Geheimrat darzustellen, welche Hindernisse dieser Verbindung entgegen stünden. Und ob Lantz nicht glaube, diese Dinge, von ihm, dem Geheimrat selber als nicht unmittelbar Beteiligtem vorgetragen, könnten ihre Wirkung nicht verfehlen.

Lantz ließ ihn ausreden. Dann sagte er:

»Ihre Darstellung, Herzog, war meisterhaft. Nur steht, von mir aus, der von Ihnen gewünschten Einmischung ein Hindernis im Weg: Ich war es, der Bühler darauf aufmerksam gemacht hat, was für eine vortreffliche Frau die Prinzessin für ihn wäre.«

Den Herzog verließen Haltung und Gehaltensein. Er wand seine lange Gestalt hilflos hin und her.

»Verzeihung!« stotterte er in dieser Verlegenheit.

»Da ist doch nichts zu verzeihen«, machte Lantz gutmütig und burschikos.

»Aber einen Rat vermögen Sie mir doch zu geben«, meinte der Herzog.

»Freilich: Lassen Sie die beiden sich heiraten! Oder wenn Ihnen das zu direkt ist: versuchen Sie doch Ihr Glück bei Bühler!«

Das war wie eine Erleuchtung. Ich hätte das von Anfang an tun müssen, dachte der Herzog.

Er bedankte sich und fuhr nach Haus, um auf eine mit einem eingeprägten Wappen versehene große Briefkarte folgendes zu schreiben:

»Seine Königliche Hoheit, Egon Alfredo, Herzog von Mont'Alto, bittet Hochwohlgeboren Herrn Doktor Bühler ergebenst, ihm die Liebenswürdigkeit eines Besuches zu erweisen.«

Jean-fait-tout brachte den Brief gleich hin. Die Form dieses Schreibens bestach Bühler. Die maßvolle Höflichkeit der Einladung, ja schon allein diese selber, spielte ihm weitläufige Hoffnungen hin, als werde ihm eine Hand dargeboten, die ihm auf den Weg helfe, sein Unrecht gegen Narcissa wieder gutzumachen. Er war entschlossen, gleich ins Schloß zu fahren.


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