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Ein Herzog sieht keinen Ausweg

Jean-fait-tout trat herein und reichte auf einem Silberteller dem Herzog eine Visitenkarte. Der Herzog las:

Doktor Lorenz Bühler.

»Da kommt Narcissas Segler«, sagte er. »Und, mein lieber Klaus Eduard, wenn du ein Anliegen hast, du findest bei mir ein geneigtes Ohr.«

Er folgte Jean-fait-tout in den Empfangsraum. Dort stand Bühler, wartend. Der Herzog bedankte sich für die rasche Erfüllung seiner Bitte, hieß ihn umständlich willkommen, nötigte ihn mit höflicher Förmlichkeit auf ein Sofa und nahm selber auf einem Stuhl Platz, den er nahe an Bühler heranschob.

»Ich fürchte schuldlos mich für den Schritt entschuldigen zu müssen«, begann der Herzog, »den in meinem Auftrag mein Schwiegersohn bei Ihnen unternahm. Ich glaubte, in einer Angelegenheit von solcher Zartheit mich selber heraushalten zu müssen, im Hintergrund bleiben zu müssen. Ich wäre glücklich, wenn Sie die Berechtigung meines Vorgehens anerkennen könnten, und unglücklich, wenn der ergebnislos verlaufene Besuch meines Schwiegersohnes Ihnen Anlaß zu Unwillen gegen mich hätte geben müssen. Nichts ist mir dabei ferner gelegen, als daß Ihnen …«

»Der Herr Graf ist mir nicht zu nahe getreten«, antwortete Bühler, da der Herzog sich unterbrach und anscheinend eine Entgegnung erwartete. Er fand den Herzog von einer kameradschaftlichen Höflichkeit, ja väterlich.

»Darüber sehen Sie mich sehr befriedigt«, fuhr Mont'Alto fort. »Ich möchte von unserer Angelegenheit alles ferngehalten wissen, was irgendwie zu Erbitterungen führen könnte. Ich weiß, Sie sind ein Ehrenmann und folgen Ihrem Gefühl. Sie wissen deshalb, daß ein jeder seinem Gefühl folgen muß, das sein Gesetz ist, und das meine sieht unüberwindliche Hindernisse gegen die bewußte Verbindung. Ich bitte Sie, mir als Vater eine so offene Aussprache nicht zu verübeln. Es sind Hindernisse des Blutes.«

Der Herzog schaute verstummt auf den Teppich.

»So müssen sie überwunden werden!« sagte Bühler, schroffer als er wollte.

»Sie sind energisch, ich weiß es. Sie haben bedeutende Erfindungen gemacht und eine große Zukunft vor sich und fühlen mit Recht ein starkes Selbstbewußtsein. Aber diese Hindernisse sind eingeboren. Sie sind das Werk von Jahrhunderten, von Geschlechtern, von Geschlechterreihen. Mein lieber Freund, glauben Sie nicht, daß mir unbekannt ist, was Sie dem entgegenhalten können.« Er hob die beiden Hände mit den Handflächen nach oben zu Bühler hin, als biete er auf ihnen diese Einwendungen unsichtbar dar. »Aber Ihre Einwendungen richten sich gegen einen Glauben. Er ist stärker als ich.« Er machte eine abwehrende, abschätzende Pause. Es kam keine Entgegnung. »Ich kann meine Einwilligung nicht geben«, fuhr der Herzog rasch fort. »Bitte, sehen Sie ein, daß ich mich nicht selber vergewaltigen kann.«

Wieder wartete er. Aber der andere antwortete nicht. Er saß mit aufeinandergepreßten Lippen da, die Augen geradeaus gerichtet.

Mit wachsendem Staunen schaute der Herzog zu. Er war ein wenig müde. Er sah diesen Lippen an: sie werden sich nicht öffnen, ihm nicht das Wort geben, für das er ein Gegenwort bereit hätte. Herzoginnen und Könige hatte er überzeugt, wenn sie ihm in den Irrgarten des Wortes folgten. Das Schweigen dieses Gegners drohte ihn schachmatt zu setzen.

Er würde nicht antworten, das war dem Herzog nun klar. Aber es mußte doch ein Mittel geben, diesen Mann da vor ihm zu überzeugen, daß es einfach nicht ging, wenn Narcissa und er …

Dieses Schweigen war zermürbend, es machte den Herzog fast bang um sein Recht, um sein unbezweifelbares Recht, die Zukunft seiner Tochter in seit Jahrhunderten vorgeschriebene Bahnen zu lenken. Gegen diesen schweigenden Widerstand, den das Schweigen allzu deutlich kundgab, stand doch sein Recht! Konnte er ihn nicht brechen, so war seine kleine Prinzessin in Gefahr, zu entgleiten und in die Welt draußen, in den Hexenkessel der Roheit und des Unadeligen zu treiben.

Und da brachte die Verzweiflung der Angst ihm einen Einfall, in dem er seine Anständigkeit daranwagte, um sein Kind zu retten. Er sah keine andere Hilfe mehr.

Hatte nicht Färg vor einigen Minuten um die Hand Narcissas angehalten? Gewiß, das hatte er, wenn auch schweigend, und er selbst, der Herzog, hatte sein Jawort gegeben mit der Antwort, daß Färg mit seinem Anliegen bei ihm ein geneigtes Ohr fände.

Er räusperte sich leise, als helfe er sich damit über das Hindernis des letzten Einspruchs seines Gewissens hinweg:

»Als ich Sie bat, mir diesen Besuch zu machen, tat ich es nicht nur in der Hoffnung, Sie von erwähnter Unmöglichkeit zu überzeugen, sondern ich tat es auch, um Ihnen eine Mitteilung zu machen, die Ihnen nahe, ja sehr nahe …« Ein anteilnehmender Unterklang lag in seiner Stimme. »… die Ihnen sehr nahe gehen wird und wegen derer ich Sie bitten wollte, daß Sie sich nicht zur Erbitterung hinreißen lassen möchten. Ich darf Sie als Fremden nicht mit Angelegenheiten behelligen, die meine Familie angehen, aber da ich jedenfalls in gewisser Weise Ihr Interesse voraussetzen darf, werden Sie mir erlauben, anzudeuten, daß sich die Prinzessin von der Unmöglichkeit überzeugt haben könnte und daß eine offizielle Verbindung zwischen meiner Tochter und dem Grafen Färg …«

Bühler war aufgeschnellt. Das ist eine Lüge, das muß eine Lüge sein, war seine erste Regung. Es war unmöglich, daß Narcissa … War es unmöglich nach jener Szene im Park? Und mit welchem Recht durfte er die Mitteilung ihres Vaters in Zweifel ziehen? Er hatte es geahnt, welchen Grund die Anwesenheit des Grafen Färg hatte. Narcissa liebte den Grafen nicht, das war gewiß, aber in diesen Kreisen kam es darauf wohl nicht an; sie hatte sich dem Zwang und der Tradition gefügt, der Vater hatte es bestätigt.

Mit einemmal dachte er an seinen Vater. Er machte eine Verbeugung, wollte noch sagen: »dann ist mein weiteres Verbleiben überflüssig«, vergaß es aber und ging.

Verzweifelt und willenlos ließ er sich auf den Sitz hinter dem Steuerrad seines Wagens fallen. Ein Zittern durchlief seinen Körper, so daß er eine Weile nicht einmal den Anlasser bedienen konnte. Dann stieß er ihn in der Wut gegen dieses Versagen mit dem Absatz an, und mit aufheulendem Motor stürzte der Wagen auf das Einlaßtor zu.

Im Hinrasen durch die einsamen Villenstraßen des Jakobviertels fiel ihn immer wieder die Eingebung an, daß es gut wäre, die Hände vom Steuer zu nehmen und sich mit dem Wagen an der nächsten Hauswand zerschellen zu lassen.


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