Sagen aus Schwaben
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Der Popele von Hohenkrähen

Eine der lieblichsten Landschaften Badens ist der Hegau. Schaut man vom Stettener Schlößle, dem Neuhewen, nach dem Bodensee zu, so stehen wie Riesen einer uralten Vergangenheit die Hegauberge in greifbarer Nähe. Vom kleinsten, aber steilsten unter ihnen, dem Hohenkrähen, weiß die Sage viel zu berichten.

Dort lebte einst, es war wohl zwischen 1200 und 1300 n. Chr., ein Mann namens Johannes Christoph Popelius Maier, Burgvogt einer verwitweten Freifrau von Kraien. Seine Gebeine hat man in der Pfarrkirche zu Mühlhausen bei Engen gefunden, die früher gräfliche Grabkapelle war. Aber sein Geist war jahrhundertelang unruhig, bald hilfreich, dann auch wieder boshaft umhergeirrt. Man kennt das Gespenst unter dem Namen: der Popele von Hohenkrähen.

Die Hegäuer wissen verschiedene Gründe anzugeben, warum der Burgvogt nach seinem Tode umgehen mußte. Er soll während seines Lebens die Leute geplagt haben und daher im Tode keine Ruhe finden.

Einst sprach spätabends am Hohenkrähen ein vorbeifahrender schwäbischer Abt um eine Nachtherberge vor. Diese wurde ihm gastfreundlich gewährt. Nach dem Nachtessen zechten der Burgvogt und der Abt noch lange miteinander. Dabei tranken sie reichlich Hegäuer Wein, wurden lustig und neckten einander. Der Abt war sehr beleibt, Popelius aber klein und mager. Im Wortwechsel brüstete sich der Burgvogt mit seiner Stärke. Der Abt lachte darüber, der Burgvogt könne sich doch nicht seiner Stärke rühmen, er gleiche ja leibhaftig dem Knochenmann und könne durch ein Nadelöhr gezogen werden. Der Burgvogt, der keine Verulkung ertragen konnte, war darüber erbost, sprang von der Tafel auf und befahl, »das wohlbeleibte Pfäfflein« in das Burgverließ zu werfen und es bei Wasser und Brot so lange gefangenzuhalten, bis es auch so mager geworden sei, daß man es durch ein Nadelöhr ziehen könne. Das geschah: der Abt wurde in Verwahrung genommen, bis er so mager war wie sein ungastlicher Wirt, der Burgvogt. Doch der Abt sann nach seiner Entlassung auf Rache. In seiner Klosterbibliothek fand er ein Zauberbuch. Darin waren verhängnisvolle Beschwörungsformeln aufgezeichnet. Der Abt lud einen schrecklichen Fluch auf den Burgvogt. Dieser brach sich bald darauf das Genick und muß seither als Burggeist umgehen, der die ganze Gegend mit seinen Spukereien beunruhigt.

Die Äbtissin von Arnptenhausen reiste einmal nach Öhningen, um das zu ihrem Kloster gehörige Weingut zu besichtigen. Als sie am Hohenkrähen vorbeifuhr, drehten sich auf einmal die Räder ihres Wagens nicht mehr. Äußerlich war alles in Ordnung. Man vermutete daher gleich, der Popele habe seine Hand im Spiel. Wohl wußte die Äbtissin, daß ein kräftiges Fluchen gegen den Zauber des Geistes helfe, aber die fromme Frau hatte ihrem Kutscher verboten, während der Fahrt zu schelten. Doch es war an kein Weiterkommen zu denken. In ihrer Verzweiflung rief sie dem Kutscher zu: »Nu, Seppele, so fluch halt mal in Gott's Namen!« Das tat der Kutscher denn auch kräftig, und augenblicklich lief der Wagen weiter.

Jeden Sonntag, nachts um zwölf Uhr, kommt der Popele in einem unterirdischen Gewölbe der Burg Hohenkrähen mit vielen Rittern zusammen, um zu kegeln. Die Kegel wie die Kugeln sind aus reinem Gold. Auch am Sonntagmorgen während des Gottesdienstes hat man den Popele schon beim Kegeln beobachtet. Einst sahen ihn um diese Zeit zwei Handwerksburschen im Burggraben Kegel schieben. Als der gespenstische Vogt die Burschen bemerkte, lud er sie zum Spiel ein, und diese weigerten sich nicht lange. Anfangs gewannen sie auch einige Gulden, dann aber verspielten sie den ganzen Gewinn und ihr Reisegeld dazu bis auf den letzten Kreuzer.

Ärgerlich zogen die Burschen weiter. Unterwegs entdeckte der eine von ihnen eine Kegelkugel in seinem Felleisen, hielt es aber für eine Neckerei seines Kameraden und warf die Kugel weg. Die beiden Burschen kamen bald darauf ins Dorf Mühlhausen am Mägdeberg. Indes der zweite seinen Ranzen abnahm, staunte er nicht wenig, als er obendrauf einen Kegel aus lauterem Golde sah. Gleich wollte er diesen Schatz zu Geld machen, aber niemand im Dorf konnte den kostbaren Kegel bezahlen. Endlich ließ sich einer ein Stück für zweitausend Gulden absägen. Den Rest des Kegels nahm der Handwerksbursche mit nach Schaffhausen und löste dort viele tausend Gulden dafür ein. Voller Neid suchte nun der andere Handwerksbursche nach der weggeworfenen Kugel, aber er konnte sie nirgends

mehr finden. - Wenn man seitdem den Popele kegeln sah, hatte immer nur acht Kegel und eine einzige Kugel.

Ein Müller aus Radolfzell fuhr einst vom Möhringer Fruchtmarkt heim. Da kam unter der Burg Hohenkrähen ein schlechtgekleideter Wanderer und bat den Müller, ihn bis Singen mitzunehmen. Der Fuhrmann hatte nichts dagegen. Kurz vor Singen mußte der Müller absteigen, da erschrak er aber nicht wenig, als er merkte, wie sein Geldgurt, den er um den Leib trug, ganz leicht geworden war. Mit der unschuldigsten Miene sagte der Fremde: »Geht einmal zurück, vielleicht findet Ihr das Geld wieder.« Wirklich, gleich hinter dem Wagen blinkte der erste Taler im Mondschein auf der Straße, einige Schritte weiter lag wieder einer, der letzte fand sich da, wo der Fremde eingestiegen war. Dieser war inzwischen lachend verschwunden. Jetzt merkte der Müller, daß er den Popele auf dem Wagen mitgenommen hatte.

Glasträgern und Eierfrauen spielte der Popele oft übel mit. Er verwandelte sich in einen Stock oder Baumstumpf am Weg. Setzten sich die Leute drauf, um auszuruhen, so verschwand er. Die müden Wanderer aber fielen zu Boden, Gläser und Eier zerbrachen, und Popele lachte boshaft darüber.

Dem Torwart von Radolfzell raubte er manchmal die Nachtruhe: er ahmte das Posthorn nach. Wenn dann der Torwart eilig aufstand, um das Stadttor zu öffnen, so verschwand der Popele lachend.

Auch der Fischer von Moos wußte vom Popele zu erzählen. In dunklen Nächten hörte er oft rufen: »Hol, Hol«, und eilte an die Fähre, weil er meinte, es wolle jemand von dem andern Ufer übersetzen; aber wenn er dann hinkam, war das Schifflein losgebunden, und die Ruder lagen im Wasser. Wenn der Fischer im See bei Nachtzeit seine letzten Netze setzte, so patschte es, als wären die Fische haufenweise im Garn. Sobald er jedoch zur Stelle eilte, fand er die Netze zerrissen, und im Nachtwind erschallte ein schelmisches Gelächter. Jedesmal aber folgte auf einen solchen Spuk ein Unwetter.

In Hohenkrähen war einmal eine Magd, die stets beim Melken von der Milch trank. Dabei bekam sie von der unsichtbaren Hand Popeles immer Ohrfeigen. Deshalb kündigte sie ihrer Herrschaft den Dienst auf. Den Grund des Austrittes wollte sie dem Hausherrn freilich nicht nennen. Endlich erklärte sie, sie wolle sich beim Melken nicht länger schlagen lassen.

"Dann mußt du etwas Unrechtes getan haben", meinte der Herr, »sonst hättest du keine Schläge bekommen.« Die Magd gestand schließlich ihre Schuld und wurde ermahnt, das Milchtrinken in Zukunft zu unterlassen. Das tat sie und hat seitdem keine Ohrfeigen mehr bekommen.

Manchen Hegäuern zeigte sich der Popele auch wieder sehr gefällig. Vor allem den Leuten auf dem Bruderhof war er sehr nützlich: er tat alles, was ihm aufgetragen wurde, holte Wasser und Holz in die Küche, warf Stroh und Heu vom Boden herunter, fütterte das Vieh, putzte die Pferde, wendete den Dreschern die Garben um und langte zu, wo es fehlte. Bei jedem Auftrag aber mußte man sagen: It z,litzel und it z,viel (nicht zuwenig und nicht zuviel), sonst warf er alles Heu vom Boden und schleppte alles vorrätige Holz in die Küche. Zum Lohn für seine Dienste aber mußte man für ihn alle Tage mitdecken, ihm einen besonderen Teller hinstellen und sagen: »Popele, iß auch mit!« Vergaß man den Spruch, so warf er das Gedeck und alle Speisen durcheinander, band das Vieh im Stall los und trieb allerlei Unfug. Ebenso mußte man ihn einladen, wenn man ausfahren wollte: »Popele, fahr auch mit!« Dann setzte er sich hinten auf das hervorstehende Wagenbrett, die »Schnättere«, und fuhr mit ins Feld. Wurde er nicht eingeladen, so geschah dem Fuhrwerk gewiß ein Unglück.

Nach dem Backen mußte man jedesmal dem ersten Bettler, der ins Haus kam, einen ganzen Laib Brot geben, sonst holte der Popele das übrige Brot und brachte die Küche in Unordnung.

Solche Geschichten weiß man vom Popele in Hohenkrähen in Unzahl aus alter Zeit zu erzählen. Wer aber glaubt, daß der spukende Burgvogt auch heute noch sein Unwesen treibe, dem muß gesagt werden, daß der Popele sich schon lange nicht mehr sehen ließ.

 


 


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