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Am Lierbächlein im Schwarzwald sieht der Wanderer heute noch die Ruinen des Klosters Allerheiligen. Vor vielen Jahren war die fromme Stätte blühender Mittelpunkt jener Gegend. Mit dem Kloster war eine Schule verbunden, die weit und breit berühmt war. Einer der Schüler, ein Waisenknabe, stammte aus Straßburg. Seine Mutter hatte ihm vor ihrem Ableben einen Ring geschenkt, den ein funkelnder Rubin schmückte. Der Ring war dem jungen Menschen als Erinnerung an seine Mutter so teuer, daß er ihn immer bei sich trug.
Eines Tages hatte sich der Jüngling beim täglichen Spaziergang etwas von seinen Kameraden entfernt und war zurückgeblieben. Als er seinen Mitschülern nacheilen wollte, traf er plötzlich auf ein junges Mädchen, es war dunkelhaarig und von freundlichem Aussehen. Überrascht blieb er stehen und plauderte mit ihm. Als er dann die Klosterschüler wieder eingeholt hatte, blieben seine Gedanken noch immer bei dem fremden, schönen Mädchen. Anderntags schaute er beim Spaziergang wieder nach der Jungfrau aus und traf sie auch wirklich.
Täglich richtete es der Jüngling nun so ein, daß er das Mädchen sehen und mit ihm sprechen konnte. Eines Tages schenkte er ihr, um ihr eine Freude zu bereiten und seine Liebe zu bezeugen, den Ring, das teure Erbe seiner Mutter. Von dieser Stunde an trug ihn das Mädchen am Finger.
Nach kurzer Zeit trafen sich die beiden wieder im Wald. Verstört berichtete das Mädchen dem Freund, daß ein großer Vogel ihr den Ring fortgetragen habe, als sie das Kleinod beim Händewaschen auf einen Felsblock niedergelegt hatte. Sie zeigte ihm auch das Nest des Vogels auf einer Tanne neben dem Lierbächlein. Sofort erbot sich der Klosterschüler, die Tanne zu erklettern und den Ring zu holen. Doch als er eben die Hand nach dem Nest ausstreckte. brach der Ast und der Jüngling stürzte herunter. Zerschmettert blieb er auf einem der Felsen im Lierbach liegen.
Das Mädchen stieß einen fürchterlichen Schrei aus und rannte zum Kloster, um Hilfe zu holen. Die Mönche kamen, aber sie konnten den jungen Klosterschüler nur als Leiche ins Kloster zurücktragen.
Wer aber an jener Stelle am Lierbächlein vorbeikommt, soll heute noch angsterfüllte Rufe und lautes Jammern vernehmen.