Sagen aus Schwaben
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Das Rockertweibchen

Nach dem Tode eines Grafen von Eberstein sprach dessen Witwe den Rockertwald bei der Murg sich zu eigen an, obwohl er Eigentum der Gemeinden Scheuern, Hilpertsau und Reichental war. Es wurde daher ein Gericht einberufen, vor dem die Gräfin an einem Platz im Wald beschwören sollte, daß er ihr gehöre. Da sie das wahrheitsgemäß nicht behaupten konnte, bediente sie sich einer List. Sie versteckte in dem Federbusch ihrer Haube einen Löffel oder Schöpfer, tat in ihre Schuhe Erde aus ihrem Burggarten und schwur dann vor dem Gericht. »So gewiß der Schöpfer über mir ist, so gewiß stehe ich auf eigenem Grund und Boden!« Daraufhin ward ihr der Forst zuerkannt; aber sie starb nach wenigen Tagen und geht seitdem, zur Strafe für ihre Lüge, in der Gegend um, besonders im Rockertwald und auf der angrenzenden Gättelwiese. Sie wird das Rockertweibchen genannt und wird oft mit einem Bund Schlüssel und in der schwarzen Trauerkleidung, die sie seit dem Tode ihres Mannes trug, gesehen. Zuweilen fährt sie in einer vierspännigen Kutsche, gewöhnlich aber geht sie zu Fuß, wobei sie manchmal von vielen Hunden begleitet ist, mit welchen sie das Wild hetzt. Öfter schreit sie wehklagend: »Hu, hu!« Mädchen, die Laub oder Gras holten, hat sie schon die Körbe aufgeholfen; binnen Jahresfrist aber waren die Mädchen tot.

Ein Schneider aus Obertsrot hörte nachts beim Heimgang von Lautenbach die Gräfin rufen und fing an, sie laut zu beschimpfen. Da faßte sie ihn am Arm und führte ihn gewaltsam durch Hecken und Stauden auf den Lautenfelsen. Hier mußte er dann bis zum Morgen bleiben und warten, bis er von Vorbeigehenden herabgeholt werden konnte.

Andere Leute, welche das Rockertweibchen beleidigten, hat sie in einen Gumpen oder Weiher getaucht oder sich ihnen auf den Rücken gesetzt und sich auf den Berg hinauf und hinab bis an den Bach tragen lassen, wo sie dann, wie ein Maltersack, ins Wasser fiel.

In einer regnerischen Nacht kam sie im Rockert zu drei Wilderern, die an einem Feuer saßen, und wollte an der Wärme ihre nassen Kleider trocknen. Da rief einer von ihnen: »Pack dich fort!«, aber im gleichen Augenblick war er von ihr ergriffen und durch dick und dünn fortgeschleift bis zum Tagesgrauen, so daß er, von Dornen zerkratzt, vier Stunden von dem Wald entfernt in Ohnmacht aufgefunden wurde.

Manche Wanderer hat sie schon irregeführt, aber auch manchen Verirrten wieder auf den rechten Weg gewiesen. Nicht jedes Jahr läßt sie sich sehen; aber wenn sie erscheint, dann gibt es in diesem Jahr Frucht und Heu in Hülle und Fülle.

 


 


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