Sagen aus Schwaben
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Der Titisee

Unterhalb der Seesteige stand in alter Zeit eine reiche Stadt mit einem Kloster. Als Reichtum und Verschwendungssucht so groß geworden waren, daß man die Brotlaibe aushöhlte, die Brosamen dein Vieh verfütterte und in der Kruste wie in Schuhen umging, da versank die Stadt in die Erde, und an ihrer Stelle entstand der Titisee. In seiner Tiefe wird bei hellem Wetter die Turmspitze des Klosters wieder sichtbar, und an stillen Sonntagsmorgen tönen die Glocken der versunkenen Stadt herauf. Man sagt, wenn einst das Kloster vom nahen Friedenweiler versinke, dann werde aus dem Titisee das alte Kloster wieder heraufsteigen.

Vor vielen Jahren begann der See auszubrechen. Da kam in der Nacht eine alte Frau, verstopfte unter beschwörenden Worten die Öffnung mit ihrer weißen Haube und verhinderte den Ausfluß. Von der Haube aber verfault jedes Jahr ein Faden, und wenn der letzte Faden geschwunden ist, bricht der See aus und überschwemmt die ganze Umgebung.

Nachdem schon manche vergebens versucht haben, die Tiefe des Sees zu ergründen, fuhr endlich einmal ein Mann auf einem Kahn in die Seemitte und warf an einer fast endlosen Schnur das Senkblei aus. Schon waren achtzig Spulen Faden im Wasser und noch genug zum Abwickeln vorhanden, da rief eine fürchterliche Stimme:

»Missest du mich, so verschling ich dich!«

Vor Schrecken ließ der Mann nun von seinem Unternehmen ab, und seither hat es niemand mehr gewagt, die Tiefe des Sees zu erforschen.

 


 


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