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Die Sonne war untergegangen, und die Nacht hatte ihren dunklen Fittich über die Erde gebreitet, als sich im hinteren Teil von van Roekens Anwesen eine kleine Gruppe von Männern zusammenfand. Unter drei oder vier schlanken Kokospalmen, die über dem darunter hinmurmelnden Kalibesaar standen, lag eine niedrige Bambushütte, in der der Gärtner des Anwesens wohnte, und der kleine Platz war von Kakao-, Gewürznelken- und Muskatnußbüschen so vollständig und dicht eingeschlossen, daß durch das engverwachsene Laub nicht einmal ein Lichtstrahl fiel.
»Wen zum Teufel haben Sie hier?« flüsterte van Roeken Horbach zu, als sie die Schwelle der Hütte überschritten und einen Herrn dort neben der Kokosnußöllampe stehend fanden.
»Einen Mitspieler«, erwiderte Horbach, »der aber erst im zweiten Akt vorkommt. Den ersten Akt spielen wir beide allein durch – natürlich mit dem passenden Hintergrund, und nachher wird Mynheer Lockhaart, den ich die Ehre habe Ihnen hiermit vorzustellen, die weitere Sorge für Herrn Heffken übernehmen. Er ist als Kassendieb und sonstiger Betrüger entlarvt, und die Regierung möchte sich heute abend seiner versichern.«
»Die Zeugen waren aber unnötig.«
»Zeugen müssen Sie haben, sonst können Sie sowieso nichts gegen Ihre Frau ausrichten«, warf Horbach ein. »Jetzt aber ist es für jedes weitere Überlegen zu spät, denn wenn Sie nicht mitgehen, wird Mynheer Lockhaart die Leitung des Ganzen übernehmen.«
»Das wenigstens hätten Sie mir ersparen können«, sagte van Roeken bitter, »da es aber einmal so weit gediehen ist, läßt sich in der Tat nichts mehr daran ändern.«
Der Malaie, der das kleine Haus bewohnte, trat jetzt auf die Schwelle, und Horbach redete ihn rasch und leise an: »Ist er da?«
»Schon seit einer Viertelstunde«, lautete die Antwort. »Sie waren zuerst vorn im Haus und sind jetzt...«
»Gut – gut – es ist also Zeit?«
Der Mann zeigte nickend seine beiden Reihen gelber Zähne, und Horbach, ohne ein Wort weiter zu verlieren, machte gegen van Roeken eine Bewegung, ihm zu folgen, und schritt, ohne die anderen weiter zu beachten, ihm voran hinaus ins Freie und auf das Haus zu. Vorsichtig schlichen die beiden Männer, von Nitschke dicht und den übrigen in etwas größerer Entfernung gefolgt, neben dem Kiesweg auf dem Rasen dahin und glitten so bis an das Haus. Hier erst hielt Horbach an und beugte sich zu Nitschke zurück.
»Es ist alles in Ordnung«, flüsterte der, »er kann nicht mehr fort!«
Ohne weiter ein Wort zu verlieren, ergriff Horbach van Roekens Arm, der wie Espenlaub' zitterte, und führte ihn um das Haus herum der Treppe zu. Dort hielt er einen Moment an und streifte seine Schuhe ab.
»Was machen Sie?«
»Was Sie auch tun müssen«, lautete die Antwort, »wir gehen sonst zu laut.«
In dem Salon brannten wie immer die Lampen, und in der einen Ecke kauerte eins der Mädchen von Mevrouw.
Van Roeken war schon Horbachs Beispiel gefolgt, und dieser wechselte ein paar Zeichen mit der Malaiin, die ihm ängstlich zunickte und auf die nächste Tür deutete. Geräuschlos schritten die beiden Männer durch den Saal und das Arbeitszimmer Mynheers und hielten gleich darauf vor dem nächsten Zimmer, das nur mit einer schweren dunklen Gardine dicht verhangen war. Zögernd stand van Roeken einen Augenblick davor. Sein Herz schlug ihm wie ein Hammer in der Brust, seine Glieder zitterten, und er stützte sich auf Horbachs Schulter, um nur nicht umzusinken.
»Nur Courage!« flüsterte dieser aber, indem er mit einem leisen, heiseren Lachen den Vorhang etwas beiseite schob. Diese Bewegung gab van Roeken sich selber wieder; die entscheidende Handlung war geschehen, und mit einem Schritt stand er, von Horbach dicht gefolgt, in dem kleinen, nur von einer mattbrennenden Astrallampe erleuchteten Raum. Draußen, dicht vor der Tür, stand Nitschke und hinter ihm Lockhaart und horchten mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf das, was dort drinnen vorging. – Aber nur einen leisen Aufschrei von Mevrouw vernahmen sie, dann war alles still, bis sie plötzlich Horbachs laute Stimme hörten, der lachend sagte: »Ah, mein lieber Heffken – sehr angenehm, daß ich Sie noch treffe. Da ich morgen in See gehe, können wir gleich voneinander Abschied nehmen.« Zugleich fast mit diesen Worten teilte sich rasch der Vorhang, und Heffken trat hindurch und wollte hinaus, schrak aber zurück, als er auch hier zwei Männer stehen sah.
»Ich gratuliere, Herr Heffken«, sagte Nitschke trocken, »ließe sich nicht vielleicht auch hier im Zimmer mein Zahnstocheretui anbringen?«
»Unverschämter Mensch!« rief der kleine Buchhalter und wollte, der größeren Gestalt scheu ausweichend, an dieser vorüber die Treppe gewinnen, als ihm Lockhaart in den Weg trat und mit donnernder Stimme ausrief: »Halt! Kassendieb und Pirat! Du bist entdeckt und wirst jetzt der gerechten Strafe nicht entgehen!« Und mit diesen Worten sprang er auf ihn zu und faßte ihn am Kragen. Ehe er aber einen festen Halt gewinnen konnte, riß sich Heffken, der jetzt alles verloren sah, in wilder Verzweiflung von ihm los, und während sein durch die Gefahr geschärftes Auge auf der Treppe vorn drei oder vier andere Gestalten entdeckte, schoß er in wilder Flucht seitwärts in eine andere Stube hinein. Rechts und links zugleich ein paar Stühle fassend und hinter sich werfend, um die Verfolger aufzuhalten, war er dann mit einem Satz auf dem Vorbau des offenen Fensters und draußen im Freien.
»Haltet ihn! Packt ihn!« schrie Nitschke, der dicht hinter ihm war und über einen der geschickt umgeworfenen Stühle hinwegstürzte, und Lockhaart, der schon vermutete, was der schlaue Bursche beabsichtigte, sprang auf die Veranda hinaus, um den Fliehenden dort gleich in Empfang zu nehmen. Hier aber wäre er zu spät gekommen. Heffken, der mit der Angst eines Verzweifelten den engen Raum um das Haus überquerte, hatte eben schon die Hecke erreicht und wollte in den rückwärtigen Teil des Anwesens flüchten, als er von dort den Gärtner sich entgegenkommen sah. Nach vorn zu waren sechs oder acht Polizeidiener postiert, und dahin blieb ihm deshalb jede Flucht abgeschnitten – über die Hecke aber konnte er noch, und mit einer Gewandtheit, die er sich selber nie zugetraut hätte, warf er sich mit einem Sprung mitten hinauf. Wohl hielten ihn dort einen Moment die dicht verzweigten Büsche, aber von unten konnte ihn schon niemand mehr mit dem Arm erreichen, und sein Gewicht auf die andere Seite drängend, wollte er sich eben dort hinunterfallen lassen, als er einen wilden Schmerzensschrei ausstieß und seinen Hals wie von tausend scharfen Zangen festgehalten fühlte. Gleichzeitig klammerte er sich in Todesangst an die starren Zweige, denn er kannte nur zu gut das Instrument, das ihn hielt, und wußte, sein Fleisch würde ihm erbarmungslos vom Hals gerissen, daß er elend verbluten mußte, wenn er dem hätte mit Gewalt entfliehen wollen. Der Jubelruf eines der Malaien versammelte zugleich blitzschnell die übrigen an dieser Stelle, und keine zwei Minuten später war die ganze Hecke an beiden Seiten umstellt, auf der der Gefangene lag, von jenem seltsamen Instrument nur locker am Hals gehalten, aber mit beiden Händen fest in die Büsche verkrallt.
Alle jene Malaien nämlich, die auf Java nachts den Dienst als Wächter haben, sind mit einer so einfachen wie zweckmäßigen Waffe versehen, Verbrecher oder unnütze Nachtschwärmer einzufangen. Statt der albernen und nutzlosen Lanze oder Hellebarde, mit denen die europäischen Nachtwächter bewaffnet sind, führen sie eine sogenannte Fanggabel, bestehend aus einem langen Stiel und einer in Gabelform geflochtenen dornigen Bambusart. Die Stacheln des Dorns sind dabei so eingelegt, daß sie sämtlich zurückstehen, und der Wächter hat also nur diese Gabel so zu stoßen, daß er einen Arm, ein Bein, oder am besten den Hals des Verfolgten hineinbringt, der dann rettungslos darin festsetzt, bis der Bambus mit Gewalt wieder auseinandergebogen wird, um ihn freizulassen.
In einer solchen Gabel lag Herr Heffken, denn der ihm nachspringende Malaie hatte eben noch Zeit gehabt, sie nach seinem Hals zu stoßen. Heffken wußte aber nur zu gut, in welch erbarmungslosen Fängen er hing, aus denen an ein Losreißen nicht zu denken war; ja er fürchtete, daß der braune Wächter nur ein klein wenig fester anziehen würde, und wie die spitzen Dornen dann in sein Fleisch eindrangen, fühlte er schon. Die Malaien kannten aber selber die gefährliche Eigenschaft gut genug, und während der Bursche, der die Gabel hielt, nur ruhig und unbeweglich stehenblieb, sprangen vier oder fünf andere rasch auf die Hecke hinauf, banden vor allen Dingen Herrn Heffkens Füße zusammen und erlösten ihn dann nicht ohne Mühe aus der Stachelklammer, in der er festsaß. Wenige Minuten später fand sich der ertappte Buchhalter mit auf den Rücken geschnürten Armen in der Gewalt seiner Hüter und dem Mann gegenüber, den er vielleicht am meisten auf der ganzen Insel fürchtete: Herrn Lockhaart.
Der Hof war indessen von zehn oder zwölf Bambusfackeln fast zu Tageshelle erleuchtet, und Herr Nitschke, der fühlte, daß es für die Europäer eben keinen guten Eindruck auf die Malaien machen könne, einen des gefürchteten Geschlechts der Weißen in diesem Zustand in ihren Händen zu sehen, beorderte rasch den schon von Lockhaart bereitgehaltenen Wagen, um den Verbrecher in das seiner wartende Gefängnis einzuliefern. Lockhaart stand mit untergeschlagenen Armen vor dem Buchhalter. Dieser aber, halb in Scheu, halb in Trotz und Wut, sah wild zu ihm auf und rief mit vor Angst und Ingrimm fast erstickter Stimme: »Herr! Das sollen Sie mir büßen. Ist das – ist das eine Behandlung für einen Holländer auf dieser Insel?«
»Schande und Schmach, daß Sie ein Holländer sind!« sagte aber Lockhaart ruhig. »Übrigens mögen Sie am besten beurteilen, inwiefern Sie gerecht oder ungerecht behandelt werden, wenn ich Ihnen sage, daß Ihr Kommis und Helfershelfer Joost alles gestanden hat und der Javaner Klapa in unseren Händen ist.«
»Das ist – das ist eine Lüge!« stammelte Heffken, der bei den Worten totenbleich geworden war.
Lockhaart wandte sich verächtlich von ihm ab, und auf sein Zeichen faßten die Malaien den Gefangenen und hoben ihn in den Wagen; ein paar Polizeibeamte setzten sich zu ihm, und schon rollte das leichte Gefährt zum Gartentor hinaus seiner Bestimmung zu.