Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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»Nun, Freund?« sagte er, die Hand des Mannes ergreifend, mit einem ernst-wehmütigen Blick. »Sie haben einen schweren Moment überstanden. Trug sie es mit Fassung?«

»Sehr!« sagte Valentijn, der den Händedruck erwiderte, »sie hat einen sehr starken Charakter. Ich glaube nicht, daß sie so leicht irgend etwas erschüttern kann.«

»Nein, das glaub' ich auch nicht«, sagte Holderbreit. »War sie gerührt?«

»Sie hat vor allen Dingen meine Papiere behalten, um zu untersuchen, ob sie auch echt sind. Eine solche Frau wird nur dann gerührt, wenn sie bestimmt weiß, daß sie begründete Ursache dazu hat. Morgen früh werde ich sie aber wieder sprechen, ehrwürdiger Herr, ich hin Ihnen sehr dankbar, daß Sie so freundlich waren, die erste Vermittlung zu übernehmen – das erste Eis zu brechen, wie sie in Europa sagen.«

»Mein lieber Herr, ich habe nicht mehr als meine Schuldigkeit getan«, sagte Holderbreit treuherzig. »Es ist meine Pflicht, zu versöhnen, soweit meine schwache Kraft reicht; die hab' ich erfüllt.«

»Und, wie ich hoffe, ein gutes Werk damit gestiftet«, bestätigte Valentijn Joost. »Ich glaube mit Zuversicht, daß diese Begegnung wesentlich zu unserer beiderseitigen Ruhe beitragen wird – daß der Friede wieder einkehren wird in dieses Haus – und – in meine Brust. Das alles verdanken wir Ihnen.«

»Reden wir nicht weiter davon; da kommt das Essen«, sagte Holderbreit freundlich. »Mir selber aber soll es als ein gutes Omen zu meinem beginnenden Unternehmen gelten. Sie glauben gar nicht, mit welcher Lust und Liebe ich darangehen werde – aber hungrig darf der Mensch auch nicht sein – famos riecht das. Nach getaner Arbeit ist gut ruhen – wir haben heute schon einen hübschen Weg gemacht und dürfen es uns jetzt mit gutem Gewissen schmecken lassen.«

»Und was das für eine reizende Aussicht hier hinaus ist!« bemerkte Herr Joost. »Wie heißt der Berg dort drüben?«

»Ja, das fragen Sie mich?« sagte Holderbreit erstaunt während sie beide Platz an dem Tisch nahmen. »Sie müssen den Platz – nur hierher die Schüsseln, Freund, und daß wir dann auch etwas zu trinken bekommen – Sie müssen den Platz hier doch viel besser kennen als ich – wenn Sie eben die Namen nicht vergessen haben.«

»Fünfzehn Jahre ist eine lange Zeit«, sagte der Mann mit einem scheuen Blick zuerst auf seinen Nachbarn und dann auf den sie bedienenden Malaien. »Und was habe ich alles in der Zeit erlebt!« Er drehte sich etwas überrascht um, denn dicht hinter ihnen begann eine Spieldose mit einem Werk, das wenigstens eine anderthalb Fuß lange Walze drehte, mitten in einem Tanz, mitten aus einem Takt heraus, in dem sie abgelaufen stehengeblieben war, ihr nicht unharmonisches Getön.

Auch Salomon Holderbreit wandte rasch den Kopf, und sie sahen jetzt, wie ein Mann in der bequemen, leichten Tracht der Tropen, einen breitrandigen Strohhut auf und ein Paar geflochtene chinesische Pantoffeln an den Füßen, mit stillem Behagen sich seiner Überraschung freute und liebevoll bald auf das Instrument, bald wieder auf die Gäste sah. Er ließ sie übrigens nicht lange in Zweifel, wen sie vor sich hätten, sondern mit einem gemütlichen Kopfnicken beide grüßend, legte er seine rechte Hand breit auf die Brust und sagte: »Willem Soltersdrop, meine Herren, Wirt zu Bandong, der sich eine Ehre daraus macht, Sie bei sich zu sehen. Wie gefällt Ihnen meine Musik, he?«

Der Spielkasten hatte indessen den Bauernwalzer aus dem »Freischütz«, dem gestern nur noch ein paar Takte fehlten, beendet, schnurrte und hämmerte ein paarmal auf die derartigen Instrumenten eigentümliche Weise und ging dann, ohne vorherige Warnung, direkt in einen feierlichen Choral über, in dem aber leider ein oder zwei Stifte fehlen mußten. Gerade an entscheidender Stelle störte dies den Effekt bedeutend. Willem Soltersdrop wußte das auch, aber da es nur in dem Choral war und er genau die Stelle kannte, hustete er jedesmal heftig, sowie es diesen Takt erreichte, und rettete so die Ehre seines Instruments.

»Komm' ich ja gerade recht«, fuhr er fort, als beide Gäste aus leicht begreiflichen Gründen den Mann wie seinen Musikkasten aufmerksam betrachteten, »habe den Mittag ein kleines Schläfchen gehalten und wieder vollen Appetit, von neuem zu beginnen. Ein schweres Leben ist das in einem – ahem – ahem ahem – der nichtsnutzige Husten – ahem – ahem – ahem – schweres Leben das, in einem so heißen Land.«

»Wollen Sie sich nicht zu uns setzen, Mynheer -?«

»Soltersdrop.«

»Mynheer Soltersdrop«, sagte Holderbreit freundlich und warf unwillkürlich einen Blick dabei auf seinen Nachbarn, dessen gelbes Gesicht noch um einen Schatten strohfarbener geworden war. Allerdings konnte man es ihm nicht verdenken, daß ihn die Gegenwart des jetzigen Mannes seiner früheren Frau aufregte – es blieb immerhin ein eigentümlicher Verwandtschaftsgrad, in dem er zu ihm stand, und Holderbreit fürchtete nur, daß er sein Interesse zu sehr zeigen und sich dadurch vielleicht verraten würde. Valentijn Joost besaß aber mehr Fassung, als er ihm am Anfang zugetraut hatte, und während sich seine dünnen, kaum sichtbaren Augenbrauen allerdings immer höher hinaufzogen, lächelte doch der untere Teil des Gesichts ganz vergnügt den Nebenbuhler an und schien sich besonders über die Musik zu freuen.

»Warum nicht«, erwiderte indessen Willem Soltersdrop, der eine sehr gesellige Natur besaß. »Sapáda, mir noch einen Teller her und ein Glas! Aber mit wem habe ich denn eigentlich die Ehre?«

»Salomon Holderbreit – Missionar der Evangelisch-Lutherischen Kirche.«

»Sehr angenehm, Ihre werte Bekanntschaft zu machen – werden nur hier verdammt wenig zu bekehren kriegen – und Sie?«

»Everard Joost, Kommis der Maatchappey in Batavia«, log Valentijn Joost mit einer solchen Unverschämtheit, als ob er nur seinen alltäglichen Namen nenne. Der Geistliche erschrak auch in der Tat über diese gar nicht vermutete »Fassung« seines neuen Freundes. Der Wirt aber fühlte sich jetzt, noch dazu als die Spieldose auch sein Lieblingslied »Freut euch des Lebens« begann, vollkommen zufriedengestellt, und mit den hereingebrachten Speisen und dem vortrefflichen Wein – über dessen Existenz er ganz erstaunt schien – befand er sich ausnehmend wohl.

Die Mahlzeit unterbrach Mynheer Soltersdrop nur ein einziges Mal, um seine Spieldose wieder aufzuziehen und nach seiner Frau zu fragen; dann setzte er sich wieder zu seinen beiden Gästen an den Tisch und freute sich ungemein über die fabelhafte Freigebigkeit, mit der »Everard Joost« eine Flasche des vortrefflichen alten Weines nach der andern bestellte. Noch saßen die drei in voller Gemütlichkeit bei den immer wieder aufs neue gefüllten Gläsern, obgleich Holderbreit selber nur sehr mäßig von dem starken Getränk probierte. Er blieb auch in der Tat nur bei Tisch noch sitzen, um seinen neugefundenen Freund zu überwachen, damit dieser nicht, vielleicht vom Wein erregt, sich eine unvorsichtige Äußerung entschlüpfen lasse – eine übrigens unnötige Vorsicht. Während also die drei Herren noch um den Tisch saßen und jetzt zum Dessert die herrlichen Früchte verzehrten, die ihnen die Umgegend in reichster Auswahl bot, rasselte ein leichter Wagen vor die Tür, und ein paar »nußbraune« Hausknechte und Markeure stürzten rechts aus dem Hof und links um das Haus herum, das Gepäck in Empfang zu nehmen, das die beiden darin sitzenden Reisenden mitgebracht haben mochten.

»So«, sagte der Ältere von ihnen, als er, die Hilfe der Malaien verschmähend, allein heraussprang, »da sind wir am Ziel, Wagenaar, und eine tüchtige Tour haben wir gemacht.«

»Es war aber auch Zeit, daß wir Dach und Fach erreichten«, meinte Wagner, »denn die Wolke dort über dem Gedé hat nicht umsonst gedroht. Wir werden gleich einen tüchtigen Schauer bekommen.«

»Jetzt, sobald es gefällig ist«, lachte Lockhaart. »Hinein mit dem Gepäck, ihr Schlingel, und daß der Wagen augenblicklich unter einen Schuppen kommt – so, und nun zu unserer Leibesstärkung.«

Die beiden Herren traten durch die hohe Glastür, die in den mittleren Speise- und Gesellschaftssaal führte, und während Wagner, ohne sich irgend um die übrigen Gäste zu kümmern, gerade hindurch ging, um sein eigenes Zimmer zu erreichen, warf Lockhaart einen raschen Blick durch den Saal, der im nächsten Moment erstaunt auf dem bekannten Gesicht des Geistlichen haftete.

»Alle Teufel!« rief er, ordentlich überrascht vor diesem stehenbleibend, »wie kommen Sie hier in die Berge? Ist Ihnen denn der Paß schon ausgefertigt worden?«

»Dank Ihrer gütigen Fürsprache, ja«, sagte Holderbreit, der etwas verlegen von seinem Stuhl aufstand und auf Lockhaart zuging. Er hätte ihm auch sehr gern eine Hand zur Begrüßung gereicht, da aber Lockhaart in der einen ein kleines Reisetäschchen, in der andern eine Zigarrenkiste trug und nicht die geringste Miene machte, eins oder das andere abzulegen, wußte er nicht, wie er es anfangen sollte. »Ich hatte mir allerdings vorgenommen, noch einmal zu Ihnen zu kommen und Ihnen meinen besonderen Dank auszusprechen«, fuhr er endlich, da Lockhaarts Auge jetzt zu Herrn Joost hinüberschweifte, schüchtern fort. »Aber die – die Zeit drängte so.«

»Unsinn«, meinte Lockhaart, der die Worte nur halb verstanden hatte, »möchte wahrhaftig wissen, wofür. Ich habe dem Gouverneur nur geschrieben, daß wir miteinander über See gekommen wären und ich Sie nicht im geringsten für gefährlich hielte. Wenn Sie das für eine Schmeichelei nehmen, ist es Ihre eigene Schuld; der Gouverneur hat es schwerlich getan, sonst – hätten Sie keinen Paß bekommen.«

»Ich weiß«, sagte Holderbreit errötend, »daß Sie überhaupt gern jeden Dank vermeiden.«

»Tun Sie mir den einzigen Gefallen und werden Sie nicht weitläufig. Wem gehört denn der verfluchte Marterkasten mit seinem ewig grünen Jungfernkranz?«

»Er ist, glaub' ich, Eigentum des Wirts.«

»Ich wollte, ich hätte ihn einmal auf etwa fünf Minuten in der einen, und einen guten Hammer in der andern Hand...«

»Wären Sie vielleicht imstande, mir die beiden fehlenden Stifte wieder zu ersetzen?« fragte da Mynheer Soltersdrop, der nur ungefähr die letzten Worte verstanden hatte, ihnen aber einen ganz anderen Sinn gab; »ich würde mich sehr gern erkenntlich erweisen.«

»Wer? Ich?« sagte Lockhaart und sah den Mann mit einem halb wütenden, halb drolligen Blick an. Das Komische der Situation gewann aber bald die Oberhand, und er rief, indem er in das ihm angewiesene Zimmer hineintrat: »Ja, ich denke, ich kann's – bringen Sie mir den Kasten nur nachher einmal in mein Zimmer – und einen Hammer sowie eine Zange dazu.« Und mit diesen Worten warf er grimmig lächelnd die Tür hinter sich ins Schloß.


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