Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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Sowenig er aber jetzt, das gekaufte Opium krampfhaft in seiner Hand festgeballt, an seine Umgebung dachte und nur durch die dort Stehenden drängte, um die eigentliche Höhle zu erreichen, so aufmerksam wurde er von jenem Fremden beobachtet, dessen Blick er vorhin auf sich gezogen und der ihn davon abgehalten hatte, seine verborgene Barschaft hervorzuholen und zu zeigen. Der Bursche schien einer der gewöhnlichen Bergjavanen zu sein, wie sie häufig als Boten oder mit Güterkarren aus dem Innern kommen, ihr schwer verdientes Geld auf den batavischen Basaren vergeuden und dann, wie sie hier angelangt sind, in ihre Berge zurückkehren. Er trug die Landestracht: baumwollene Jacke und kurze Hose, das braune Kopftuch und einen kleinen runden, korbartigen Hut, aber den Kris im Gürtel und den längeren Klewang an der Seite, und dazu ein finsteres Gesicht mit lauernden dunklen Augen, die keine Sekunde fest an einem Gegenstand hafteten, sondern rastlos umherschweiften und nichts mehr zu scheuen schienen als den Blick eines anderen Menschen. Hatte er aber die Absicht gehabt, sich selber Opium zu kaufen, so änderte er sie jetzt, und als Hetavi den Tisch verließ, zog er sich ebenfalls zurück und folgte ihm in kurzer Entfernung, bis er sich überzeugt haben mochte, wohin der Alte ging. War der erst einmal in dem Rauchzimmer, würde er von dort nicht so bald zurückkehren, es sei denn, um eine neue Dosis Gift zu holen. Wenn es auch niemand weiter bemerkt haben mochte, dem kleinen dicken Chinesen hinter seinem Tisch war es nicht entgangen, und als der fremde Javaner das »Kontor« wieder betrat, rückte er sich seine Brille zurecht und sah den Burschen scharf und forschend an. Ob das diesem nun fatal oder er überhaupt nur hierher gekommen war, um sich das Leben an einem solchen Platz einmal anzusehen, er hielt sich jedenfalls nicht lange in dem menschengedrängten dumpfen Raum auf, sondern trat wieder hinaus vor die Tür und mitten in das eigentliche Leben des Basars hinein, durch dessen Scharen er sich langsam drängte.

Dort draußen schien der Lärm inzwischen seinen höchsten Grad erreicht zu haben, denn neben dem ersten Rongging der chinesischen Tänzerinnen hatten noch drei andere ihre Lampen entzündet, jeder natürlich mit einem Musikchor von Anklongs und anderen nationalen Instrumenten, die ihr disharmonisches Toben zusammen begannen. Dicht nebeneinander, verfolgte jedes einzelne Orchester auch seine eigene Melodie – wenn ein solches Chaos von Tönen überhaupt Melodie genannt werden konnte. Das hämmerte und schlug, klopfte, strich und schrie auf eine Weise durcheinander, daß dem Europäer davon die Ohren gellten und schmerzten. Eingeborene wie Chinesen erfreuten sich aber trotzdem dieses, immer aufs neue wiederholten Skandals und standen voller Seelenruhe mitten zwischen den tobenden Instrumenten. Und dabei schrien die Tänzerinnen bei ihren tollen Sprüngen ihre kreischenden Lieder in die Nacht hinein, wirbelten und hüpften um die in der Mitte aufgehängte Lampe, kokettierten durch ihre Fächer mit den sie umstehenden Zuschauern und schienen in ihren Anstrengungen unermüdlich. Dann und wann aber sprang auch wohl ein Javaner oder Chinese in den Kreis und einer der Tänzerinnen gegenüber, und der wildeste Cancan konnte dann nicht widerlicher, nicht sittenloser ausbrechen als diese nächtlichen Tänze des javanischen Basars, was die Zuschauer mit jubelndem, wieherndem Gelächter und Beifallsrufen belohnten.

Mitten zwischen diese Gruppen hatte Horbach seine beiden Freunde, die Kapitäne, geführt und ihnen wohl nicht zuviel versprochen, wenn er ihnen sagte, daß sie hier besser als in Batavia echt javanisches Leben sehen könnten. Horbachs Diener aber, Tojiang, verwertete die geringe Summe, die er aus seinem Herrn herausgepreßt hatte in einem Glas Arak – schlechter Muselmann, der er war – und einem Teller trockenen Reis mit Curry oder rotem Pfeffer und war dann eben im Begriff gewesen, seinen Herrn noch einmal anzureden und einen zweiten Angriff auf seine Börse zu versuchen, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte und, sich rasch danach umdrehend, ein Gesicht erkannte, das er, wie es schien, hier nicht erwartet hatte.

»Klapa!« rief er, sein Erstaunen im ersten Augenblick nicht verhehlend, »was zum Henker machst du hier, mitten auf dem Basar? Weißt du nicht...«

»Pst«, warnte aber der Javaner, unser Bekannter aus der Opiumhöhle, indem er seinem wiedergefundenen Freund ein Zeichen gab, vorsichtig zu sein. »Wenn du meinen Namen etwas weniger laut schreien wolltest, mein alter Gefährte, so würde ich dir dankbar sein. Wir sind hier eben nicht allein.«

»Aber weißt du nicht«, flüsterte ihm Tojiang leise zu, »daß die Polizei der Weißen deine Streiche noch lange nicht vergessen hat und daß jenen armen Teufel von Chinesen die Krokodile keineswegs...«

»Pst«, winkte aber Klapa wieder warnend mit der Hand, während er nur einen scheuen Blick nach rechts und links hinüber warf, ob nicht vielleicht unberufene Lauscher die leichtsinnigen Worte gehört haben könnten. Der Lärm der Anklongs übertönte freilich alles, und er brauchte deshalb nicht besorgt zu sein. »Laß die alten Geschichten – es ist dunkel, und Jahre sind darüber vergangen, seit ich den Boden hier betreten habe. Wer kennt Klapa noch? Wer kümmert sich um ihn?«

»Und warum bist du nicht in deinen Bergen geblieben?«

»Schlechtes Leben da oben«, sagte der Eingeborene, unwillig dabei den Kopf schüttelnd, »nichts zu verdienen, nichts zu machen; ein faules, ärmliches Leben mit noch schlimmerer Polizei als hier. Klapa haßt die Berge!«

»Und was willst du jetzt hier?«

»Geld verdienen – viel Geld, und dann...«

»Und dann?«

»Nach den tausend Inseln gehen als Tuwan«, sagte der Javaner mit solchem Ernst, daß Tojiang laut auflachte.

»Und womit?« fragte er spottend. »Als Boedjang vielleicht oder als Lastträger bei den orang Wolandas oder als...«

»Bah«, unterbrach ihn Klapa unwillig; »wenn ich hätte ein Sklave sein wollen, wäre ich nicht hierhergekommen. Klapa weiß besser Bescheid in der Welt. Zeig mir nur einen Weg, und ich finde mich zurecht. Lieb ist mir's aber, daß ich dich hier getroffen habe, denn du bist bekannt und kannst mir vielleicht helfen; sollte dein Schaden nicht sein.«

»Und der Chinese?«

»Laß die alten Geschichten ruhen!« rief unwillig der Berg-Javaner, »ich habe jede nötige Vorsicht gebraucht und« – setzte er leise flüsternd hinzu – »Mit seinem Blut meine Lippen genetzt.Die Javanen haben einen alten Aberglauben, daß nämlich ein verübter Mord verborgen und unentdeckt bleibt, wenn sie mit dem noch blutigen Kris ihre Lippen berühren. Gefahr ist deshalb nicht zu fürchten. Du bist der einzige Sterbliche, der davon weiß, und du wirst schweigen – weil du eben nicht reden kannst.«

»Und willst du dich wirklich nach Batavia hineinwagen?« fragte kopfschüttelnd der vorsichtigere Tojiang.

»Und warum nicht?« lachte Klapa. »Wenn es nämlich nötig sein sollte; vorderhand versuch' ich aber, ob ich hier draußen nicht eine angenehme Beschäftigung finde – vielleicht irgendwo einen guten Handel machen kann.« Tojiang sah eine Weile nachdenklich vor sich nieder, dann sagte er leise. »Der alte Tonké da drüben von Tji-soka hat eine hundertjährige Taube, aber – er verlangt viel Geld dafür.«

»Weißt du das gewiß!« rief Klapa rasch. »Aber zum Henker mit den Schuften; sie lügen es alle, um die orang Wolanda und sich selber zu betrügen.«

»Nein«, sagte Tojiang, »ich wußte es schon von meines Vaters Bruder. Die Mutter Tonkés hat sie geerbt, und als die im vorigen Jahr auch gestorben ist, hat sie der Alte an sich genommen und bewacht sie jetzt wie seinen Augapfel. Mein Tuwan fragte ihn nach dem Preis; er forderte einen Berg von Säcken dafür.«

»Weißt du, wo er wohnt?«

»Kennst du noch Schong-ho?«

»Den alten Fuchs? Gewiß; aber ich gehe ihm aus dem Weg.«

»Gleich rechts das Haus daneben – aber...«

»Ein Dienst ist des andern wert«, nickte Klapa, der keinen Augenblick an den Sagen seines Vaterlandes zweifelte und so fest davon überzeugt war, daß hundertjährige Tauben Diamanten statt Eier legen müssen, wie von dem Wiedererscheinen der Sonne am nächsten Morgen. »Wenn er sie hergibt«, und der schlaue Bursche lachte dabei still vor sich hin, »so weiß ich ein reizendes Plätzchen in den Bergen, wo sie ganz ungestört ihre guten Eier legen könnte, und dann, Tojiang, besuchst du mich einmal dort oben.«

»Nimm dich in acht«, warnte Tojiang, »der alte Tonké ist mißtrauischer als zehn Wolandas.«

»Was tut's?« lachte Klapa, »ich muß doch hin und ihm Grüße von Tji-panas bringen, wo er so lange gelebt hat und wo ich den ganzen Kampong kenne.«

»Nimm dich in acht!« warnte Tojiang, der dabei nicht aufgehört hatte, seine Nachbarschaft zu mustern, noch einmal, »da drüben steht auch einer der Oppass und hat schon ein paarmal hier zu uns herübergesehen.«

»Du fürchtest wohl für deinen Ruf?« lachte Klapa, nichtsdestoweniger aber der vorsichtig angedeuteten Richtung den Rücken kehrend. »Hab keine Angst; die müssen schnell sein, die Klapa bei Nacht und auf einem Basar erwischen wollen.«

»Hast du denn Reisegeld?«

»Etwas – nicht viel – werde aber schon mehr bekommen.«

»Ich bin blank...«

»Wie immer«, nickte der Javaner, »aber du hast mir eine gute Nachricht gegeben, und was ich habe, teil' ich gern. Komm indes mit fort von hier in den Schatten der Häuser da drüben. Es braucht gerade niemand zu wissen, daß wir beide Geldgeschäfte miteinander haben«, und die beiden Burschen schlenderten, als ob sie einander gar nichts angingen, nach verschiedenen Richtungen durch die Menge, um sich heimlich an der von Klapa bezeichneten Stelle wiederzufinden.

In der Opiumhöhle ging es inzwischen zu wie in einem Bienenschwarm, nur daß diese Bienen – im Gegensatz zu jenen in der Fabel – allein das Gift sogen und in ihre Zellen trugen, sich dabei wenig um den Honig kümmernd. Es gehörte aber auch schon Opium dazu, sich in Lust und Seligkeit hineinzuträumen, wo nichts als Jammer, Laster und Elend sie in Wirklichkeit umgab. Auch Horbach war mit den beiden Kapitänen hier herübergekommen, weniger um das Treiben selber anzusehen, das er fast bis zum Ekel kannte, als es ihnen, den Neulingen, einmal zu zeigen. Bald betraten sie einen engen, düsteren Raum, der nur von den dunkelbrennenden Lampen erleuchtet wurde, die vor den Rauchern zu deren Gebrauch standen, und acht oder zehn halbnackte Menschenkinder lagen hier ausgestreckt auf einer von Bambus geflochtenen Pritsche, einige ein altes mit Dapatwolle gestopftes schmutziges Kissen, andere einfach nur ein plattes Stück Holz unter dem Kopf. Die kurze Pfeife hielten sie dazu in der Hand; ihr Opium hatten sie, hier und da mit etwas Tabak, auf dem Sirihblatt vor sich ausgebreitet liegen, und nur dann und wann sich in halber Betäubung aufrichtend, stopften sie eine kleine Kugel davon in die winzige Öffnung der Pfeife, zogen den Dampf mit einem leisen Pfeifen langsam ein und bliesen ihn dann wieder, nachdem sie ihn eine Weile im Mund behalten und halb verschluckt hatten, durch die Nase aus. Ein widerlicher, warmer und weicher Dunst herrschte in dem niedrigen Raum, in dem sich nur die Raucher wohl und behaglich zu fühlen schienen; die beiden Kapitäne aber, fortwährend an frische, gesunde Luft gewöhnt, konnten kaum Atem holen und hätten am liebsten gleich wieder den verpesteten Ort verlassen, wenn sie nicht Horbach daran gehindert hätte.

»Nicht so rasch, meine Herren«, sagte er lachend, »das ist ein Ort, den Sie wahrscheinlich nicht so bald wieder besuchen, und den müssen Sie sich deshalb auch ein wenig genauer ansehen. An der ganzen Einrichtung ist freilich nicht viel zu bewundern, aber die Menschen darin, wenn Sie diese Geschöpfe überhaupt Menschen nennen wollen, sind der Mühe wert, daß man sie einmal genauer betrachtet.«

»Ach was«, sagte der eine Kapitän, »ich sehe da auch keinen großen Unterschied zwischen einem gewöhnlichen deutschen oder europäischen Säufer und diesen Kreaturen, die sich halb bewußtlos auf ihrem harten Lager herumwälzen. Ja, wenn ich die Wahl haben soll, sind mir die hier noch lieber, denn sie machen wenigstens keinen Skandal, werfen sich keine Bierkrüge an den Kopf, stechen sich keine Messer in den Leib und schreien, juchzen und toben nicht.«

Horbach fühlte sich möglicherweise durch diesen Vergleich mehr getroffen, als der ehrliche Seemann ahnen mochte, hatte auch vielleicht an eine solche Ähnlichkeit zwischen sich und einem Opiumraucher, den er von Herzen verachtete, noch nicht einmal gedacht. War ihm aber ein solcher Gedanke in diesem Augenblick durch das Hirn gefahren, so lag es keineswegs in seinem ganzen Wesen, sich dem lange hinzugeben, und lachend rief er: »Das wäre immer noch eine Schmeichelei für diese Schufte, die sich hier zu Skeletten abzehren und nur den ganzen Tag in einem Halbtraum vergeuden, um abends wieder aufs neue das faule Gift in ihre Adern zu ziehen. Sehen Sie den Alten da an! Können Sie sich ein scheußlicheres Bild menschlicher Versunkenheit denken als diesen alten Knaben, der, selber nur noch Haut und Knochen, an seiner schmutzigen Pfeife saugt, um auch das letzte Fünkchen Verstand zu verlieren? Das Trinken endet doch in einem fröhlichen, wenn auch wilden Rausch – das Rauchen hier mit einem elenden Absterben des Geistes wie der Glieder.«

»Nun, der Bursche da sieht wenigstens noch nicht so aus, als ob ihm die Glieder abgestorben wären«, sagte Kapitän Meier, indem er auf einen neuen, eben den Raum betretenden Raucher zeigte, der das Sirihblatt mit dem Opium in der Hand hielt und sich, wie es schien, nach einem Platz umsah, auf dem er sich bequem niederlegen konnte. Sein muskulöser kräftiger Körper und die breite nackte Brust, die durch die geöffnete Jacke frei gezeigt wurde, verriet auch nichts weniger als einen entnervten Körper, und der flüchtige, fast scheue Blick, den der Bursche auf die hier keinesfalls erwarteten Europäer warf, zeigte, daß auch seine Geistesfähigkeiten noch nicht durch das Gift gestört seien.

»Das ist jedenfalls ein Neuling«, sagte Horbach, während Klapa, der neue Ankömmling, vorsichtig auf das Bambuslager stieg, eine der dort stehenden Lampen anzündete und sich dann neben dem Alten, unserem Bekannten Hetavi, niederlegte. »Ich wollte nur, Sie könnten ihn mal in ein oder zwei Jahren wiedersehen, um festzustellen, welche Wirkung der Genuß des Opiums dann bei ihm hervorgebracht hat.«

»Kommen Sie«, sagte aber der eine Kapitän, »ich werde seekrank, wenn ich hier noch länger in dem Giftdunst bleibe. Der Kopf wird mir schon schwindlig, und der Schweiß tritt mir auf dem ganzen Körper heraus. Das ist eine Luft zum Ersticken.«

»Ich habe ebenfalls nichts dagegen, wenn wir wieder ins Freie gehen«, meinte der andere, »es ist hier auch nicht viel zu sehen, denn von dem, was die Burschen da träumen, erfahren wir doch nichts. Der junge Bursche scheint übrigens schon halb im Schlaf zu sein.«

»Faulheit«, sagte Horbach, »weiter nichts, denn so schnell wirkt das Opium nicht; aber kommen Sie, denn wenn Sie es hier satt haben, fühl' ich auch kein Bedürfnis, mich länger hier herumzutreiben.«

»Wollen wir nicht noch einmal zu dem Chinesen gehen?« sagte Meier.

»Aha, die jungen Damen stecken Ihnen im Kopf!« lachte Horbach; »meinetwegen, es wird jetzt drüben auch vielleicht nicht mehr so voll sein. Zuerst müssen wir uns aber die Ronggings noch einmal ansehen, denn die stehen jetzt in voller Blüte. Das Haus hier zittert ordentlich von dem infernalischen Lärm, und dann werde ich mir die Freiheit nehmen, Sie einmal meinem alten Freund Schong-ho vorzustellen.« Die drei Europäer verließen das dumpfe Gemach, und Klapa hob langsam den Kopf, um ihnen nachzusehen. Als sie den Raum hinter sich hatten, schweifte sein Blick noch einmal über die träumenden Raucher hinweg; dann drückte er sich fester an die Seite des schon fast bewußtlosen Hetavi und sank wie schlafend auf sein Kissen zurück.


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