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In dem großen altertümlichen Kontor in Batavia saß Herr Nitschke verkehrt auf seinem Drehstuhl und schaute, die Hände gefaltet, still und halb verlegen vor sich nieder. Vor ihm aber stand Horbach, heute etwas reinlicher gekleidet als sonst, das Haar nicht so wirr, die Augen nicht so tief in ihren Höhlen, und sagte: »Nun, schlag ein, Nitschke, komm mit. Morgen segelt mein Schiff, und ich helfe dir dort drüben mit irgend etwas auf die Beine.«
»Ich danke dir, Horbach«, erwiderte der blasse Buchhalter, indem er die ihm gebotene Hand nahm und schüttelte, »ich danke dir von Herzen für dein freundliches und großzügiges Angebot, aber – ich muß es ausschlagen.«
»Und weshalb?«
»Erstens würden wir beide zusammen auf einem Schiff und auf der langen Überfahrt kaum einen Tag nüchtern werden – sei versichert, ich kenne uns da alle beide viel zu gut –, und zweitens habe ich mir auch fest vorgenommen, mich selber und aus mir selbst heraus wieder emporzuarbeiten. Zum einen hab' ich mehr Freude daran, und dann beweise ich auch den Leuten damit, daß ich noch nicht so schlecht gewesen hin, für wie mich einige von ihnen hielten.«
»Überleg es dir noch einmal.«
»Ich danke dir; ich bin ganz fest entschlossen und kehre nicht eher wieder nach Deutschland zurück, bis ich mir selber das Geld dazu mit ehrlicher Arbeit erworben habe. Aber – da kommt jemand. Entschuldige mich einen Augenblick.«
»Mynheer van Roeken im Geschäft?« fragte mit einer leichten Verbeugung gegenüber Herrn Nitschke der alte Lockhaart, indem er sich überall im Kontor umsah.
»Nein, Mynheer«, sagte Nitschke, von seinem Stuhl aufstehend, »er ist hinunter zum Zollhaus gefahren, um dort irgend etwas zu erledigen.«
»Wird er bald zurückkommen?«
»Vielleicht in ein oder zwei Stunden. Es läßt sich das nicht immer so genau bestimmen.«
»So lange kann ich nicht warten; dann müssen wir beide es zusammen abmachen«, sagte Herr Lockhaart mit einem Seitenblick auf Horbach. »Dürfte ich Sie vielleicht bitten, mir einen Augenblick unter vier Augen zu gönnen? Es betrifft die bewußte Sache, wegen der Ihr Prinzipal Wagenaar mit mir in die Berge gefahren ist –«
»Bitte sich um Gottes willen nicht zu genieren«, sagte Horbach, indem er seinen Hut ergriff.
»Bleib da, Horbach«, hielt ihn aber Nitschke zurück, »es betrifft Heffken. Vor Herrn Horbach können Sie offen reden, Mynheer, denn besonders er hat uns wesentliche Anhaltspunkte in der Sache Heffken geliefert...«
»Und die besten außerdem noch auf Lager!« lachte Horbach vergnügt vor sich hin. »Wenn Sie etwas zu sagen haben, was den Fuchs aus seinem Bau bringt, mein Herr, so würden Sie wohl kaum noch zwei Menschen auf Java finden, die diesen Berichten mit soviel Interesse folgten wie wir beide, und können wir Sie in irgend etwas unterstützen, so disponieren Sie nur über uns.«
»Desto besser«, sagte Herr Lockhaart, mit einer leichten Verbeugung gegen Herrn Horbach, während er ihn jedoch mit einem scharfen und raschen Blick von Kopf bis zu den Füßen maß. Dem reinlichen, an strenge Ordnung gewöhnten Holländer gefiel wohl kaum das unordentliche, verstörte Wesen des jungen Herumtreibers, das dieser, so steif er sich heute auch zu halten versuchte, doch nicht verleugnen konnte. »Dann kann ich Ihnen auch mitteilen, daß wir den Eingeborenen Klapa eingefangen und durch ihn sowie Heffkens früheren Mitschuldigen Joost die unumstößlichen Beweise für Heffkens Schurkereien in den Händen haben. Ich bin eben im Begriff, einen Haftbefehl gegen den Burschen zu erwirken und ihn dann unverzüglich festnehmen zu lassen.«
»Alle Teufel!« rief Horbach rasch, »das geht nicht – das verdürbe mir den ganzen Spaß.«
»Das geht nicht?« sagte Herr Lockhaart erstaunt, »ich möchte in der Tat wissen, weshalb?«
»Das will ich Ihnen sagen«, erwiderte Horbach, indem er mit seiner liebenswürdigen Unverschämtheit den Arm des alten Herrn ergriff und ihn an das entgegengesetzte Ende des Zimmers führte. Dabei flüsterte er ihm mit raschen Worten etwas zu, und Herr Lockhaart, so mißtrauisch er seinen neuen Vertrauten am Anfang betrachtete, schien sich doch bald für das, was er ihm mitteilte, zu interessieren. Seine ernsten Züge verzogen sich sogar zu einem finsteren Lächeln, als er endlich antwortete: »Und sind Sie Ihrer Sache völlig sicher?«
»Vollkommen«, erwiderte Horbach. »Schon seit mehreren Wochen lauere ich auf diese Gelegenheit, die ich heute morgen ausgekundschaftet habe, und Sie dürfen mir diesen Spaß nicht verderben; ganz abgesehen davon, daß wir ein gutes Werk damit stiften.«
Lockhaart sah eine Weile vor sich nieder, endlich sagte er: »Wel! Außerdem hält es das Ganze nur um höchstens zwei oder drei Stunden auf. Um wieviel Uhr soll ich also die Leute hinaufbestellen?«
Wieder flüsterte ihm Horbach etwas zu, und der alte Herr nickte langsam und bedächtig mit dem Kopf, während Nitschke nicht wußte, was er von allem denken sollte.
»Aber ich begreife gar nicht –«, sagte er endlich.
»Dich hol' ich um vier Uhr ab!« rief aber Horbach. »Du mußt mit dabeisein, und solange wirst du dich schon hier im Geschäft freimachen können. Donnerwetter, das gibt einen Mordsspaß, und ich feiere den letzten Tag meines Aufenthalts auf Java in einer würdigen Weise!«
»Aber van Roeken?« sagte Lockhaart.
»Ich warte auf ihn, bis er zurückkommt«, erwiderte Horbach; »lassen Sie mich nur machen, in dieser Sache bin ich Feuer und Flamme und garantiere Ihnen, daß Sie keinen Besseren hätten werben können.«
»Gut!« sagte Lockhaart nach einer kurzen Pause. »Ich verlasse mich auf Sie und werde inzwischen die nötigen Schritte unternehmen, daß Herr Heffken diese Nacht schon in sicherem Gewahrsam zubringt. Herr Nitschke, auf Wiedersehen! – Um sechs Uhr, Herr Horbach, werde ich an Ort und Stelle sein.«
»Lieber ein klein wenig später – sagen wir halb sieben, daß wir mit Sicherheit Dämmerung haben. Van Roeken ist erst auf sechs Uhr eingeladen worden, und wir dürfen auch nicht zu früh kommen, sonst verfehlen wir unser Ziel.«
»Gut – also Schlag halb sieben. Geht Ihre Uhr richtig?«
»Es fehlen bei mir noch fünf Minuten an elf –«
»Und bei mir sieben – also auf Wiedersehen!« Und mit einem freundlicheren Kopfnicken als bei seinem Eintreten verabschiedete sich der alte Herr und fuhr wenige Minuten später in seiner Carreta zum Stadthaus hinunter.
Es war Abend geworden. Mynheer van Roeken, der heute eingeladen war, hatte in seiner Wohnung Toilette gemacht und war im Begriff, in seinen Wagen zu steigen.
»Aber du gehst nun schon wieder fort«, sagte Mevrouw, die ihn bis vorn an die Treppe begleitete, »und wieder zu so einer schrecklichen Junggesellen-Gesellschaft, wo ihr bis zum frühen Morgen feiert und trinkt. Es ist entsetzlich!«
»Aber, liebes Kind«, sagte van Roeken, der heute merkwürdig blaß und aufgeregt aussah, »du weißt, daß ich erstens die Einladung nicht ablehnen konnte, und dann auch spätestens bis zwölf Uhr wieder zu Haus bin. Keurhuis feiert heute seine Geschäftseröffnung mit Bylderheer, beide sind frühere, sehr gute Bekannte von mir, und ich hätte sie beleidigt, wollte ich mich von dem Diner zurückziehen. Außerdem werden wir in so enge Geschäftsverbindung mit dem Haus treten, daß ich bei Wagners Abwesenheit unsere Firma notgedrungen repräsentieren muß.«
»Soedah! Soedah!« sagte die Frau, mit der Hand abwehrend; »ich sehe es ja auch ein. Ihr Männer habt ohnehin immer Gründe genug, und wir armen Frauen müssen indes allein zu Haus sitzen – Kassiang! – Also um elf schicke ich dir den Wagen?«
»Nicht zu früh, die Pferde müssen sonst zu lange warten. Um halb oder dreiviertel zwölf ist es Zeit genug; ich kann mich nicht eher losmachen. Adieu, mein Herz!«
»Tabé, mein lieber Mann – tabé!« winkte ihm Mevrouw zu und stand noch lange auf der Treppe, als der leichte Wagen schon um die Ecke der nächsten Straße verschwunden war.
Mynheer van Roeken fuhr aber nicht zu Keurhuis' Wohnung, wenigstens nicht direkt, sondern bog vorher nach Wagners Anwesen ein, an dessen Tür ihn Horbach schon erwartete. Der Kutscher bekam Befehl, vorerst zu halten, und van Roeken folgte Horbach und Nitschke in das Haus.
»Sie sind Ihrer Sache gewiß?« fragte van Roeken hier, als er den Innenraum betrat.
»So gewiß, wie wir drei hier beisammenstehen«, erwiderte Horbach. »Schon am ersten Morgen, den ich in Ihrer Wohnung verbrachte, machte ich jene überraschende Entdeckung, war aber selber noch zu wirr im Kopf, mir der ganzen Sache klar bewußt zu sein, bis es zu spät war und ich keine festen Beweise mehr liefern konnte. Von da an habe ich mich auf die Lauer gelegt, und wären Sie ein paarmal bei mir gewesen, hätten wir das Pulvermagazin schon damals in die Luft sprengen können. Es paßte aber immer nicht, und ich war viel zu vorsichtig, um irgend etwas zu verderben. Heute morgen habe ich aber die Gewißheit bekommen, daß wir an diesem Abend nicht fehlgehen werden. Erlassen Sie mir, Ihnen zu sagen, wie ich das erfahren habe, da ohnehin das Wie auch gar nichts zur Sache tut.«
»Und ist es jetzt Zeit?«
»Ich denke, ja – die Sonne geht eben hinter jenen Büschen unter. Bis wir zu Fuß hinüberkommen, wird es gerade recht sein.«
»Zu Fuß? – Den ganzen Weg?«
»Wir brauchen dann nicht der breiten Straße zu folgen, denn ich weiß hier auf allen Schleichwegen durch die Gärten Bescheid. Außerdem dürfen wir Ihr Grundstück nicht vorn vom Eingang betreten, denn unsere hellen Kleider leuchten zu weit, und Sie wissen, daß man das Portal von Mevrouws Stube aus überblicken kann.«
»Ich bin mit allem einverstanden«, zischte van Roeken durch die Zähne hindurch, »mit allem! Solange Sie mir nur Ihr Versprechen halten. Finde ich aber, daß ich es mit einem Verleumder zu tun hatte, den ich arglos und freundlich in meine Familie aufnahm, dann...«
»Sollen Sie berechtigt sein, jede Strafe über mich zu verhängen, die Sie für gut befinden«, sagte Horbach ruhig. »Ich würde mich wohl hüten, in ein solches Wespennest zu stechen, wenn ich nicht meiner Sache ganz sicher wäre. Aber kommen Sie; es ist Zeit. – Nitschke, paß du ein wenig unterwegs auf, ob du den einen oder anderen der von Herrn Lockhaart zitierten Herren erspähen kannst. Ich glaube zwar nicht, daß wir ihnen auf unserem Weg begegnen werden, aber Vorsicht ist immer gut.«
»Und die Wagen?«
»Mögen in einer Stunde nachkommen; bis dahin sind wir fertig.«