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Im Amsterdam-Hotel logierte der von Deutschland herübergekommene Missionsprediger Salomon Holderbreit, und er hatte jetzt glücklich sein ganzes Gepäck nicht nur an Land, sondern auch – eine viel schwierigere Sache – durch das Zollhaus bekommen. Vergeblich waren nämlich all seine Versicherungen gewesen, daß er, was er an Waren bei sich führe, nur zu Geschenken für die heidnischen Eingeborenen mitgebracht habe, deren Erziehung und Bekehrung er sich widmen wolle. Die Steuerbeamten behandelten ihn nach dieser Erklärung eher noch nachsichtsloser und starrer, und Bitten wie Drohungen, es dem Gouvernement anzuzeigen, nützten gar nichts. Stück für Stück, was seine Kisten enthielten, mußte er nach dem Tarifsatz versteuern, und er wurde noch außerdem bald aus dem einen in das andere Büro gehetzt, um hier ein Papier ausstellen, dort ein anderes unterzeichnen oder bestätigen zu lassen, so daß er zuletzt fast in Verzweiflung das ganze batavische Steuer- und Regierungswesen verwünschte und schon beinahe bereute, jemals einen Fuß auf javanischen Boden gesetzt zu haben – der Heiden wegen. Aber dieses unangenehme Gefühl überdauerte seine Ursachen nur kurze Zeit, denn zu viel des Neuen und Interessanten umgab den neuen Missionsgeistlichen hier, um ihn lange an die hohen Steuerkosten denken zu lassen, die ja doch die Missionsgesellschaft in B. bezahlte.
Am liebsten hätte er nun freilich gleich eine Unterhaltung mit den malaiischen Dienern im Haus angefangen. Zu seinem Erstaunen hörte er nämlich, daß sie sich alle, obgleich im Dienst von Christen, noch zur mohammedanischen Religion bekannten; aber er traf hier auf ein Hindernis, mit dem er vorher nicht gerechnet hatte. Ihm war allerdings bekannt, daß im Innern des Landes die malaiische Sprache die Verkehrssprache sei, aber er hatte nie gedacht, daß selbst in Batavia die Holländer mit ihren eingeborenen Dienstleuten nur Malaiisch sprächen, diese also auch keine andere Sprache verstanden und nicht einmal der ihrer Herren mächtig wären, auf die er sich vollkommen gut vorbereitet hatte. Anstatt also mit seinen Bekehrungsarbeiten gleich beginnen zu können, blieb ihm nichts anderes übrig, als vor allen Dingen erst einmal Malaiisch zu lernen, denn wie hätte er sonst hoffen dürfen, auch nur den geringsten Einfluß auf die zu Bekehrenden auszuüben? Was für eine Zeit verging aber darüber, wie teuer war der Aufenthalt im Hotel, und wie genau mußte die fremde Sprache studiert werden, um sie so zu erlernen, daß man sich nicht allein verständlich machen konnte, sondern auch imstande war, die Malaien von den Irrtümern ihrer bisherigen Glaubenslehren – die Herr Salomon Holderbreit übrigens gar nicht kannte – zu überzeugen. Aber was half's. Unser Missionsgeistlicher gehörte nicht zu den Menschen, die sich viele Sorgen um die Zukunft machen. Nicht gerade mit übermäßigen Geisteskräften, jedoch mit einem ziemlich praktischen Verstand ausgestattet, hatte er schon in den ersten zwei Tagen herausgefunden, daß sich das Leben hier viel angenehmer gestaltete, als ihn die bisher gelesenen Berichte der übrigen Missionsprediger, die ebenfalls »zwischen den Heiden lebten«, vermuten ließen. Hier gab es nicht allein keine Entbehrungen für ihn, sondern er schwelgte sogar, nur dem gewöhnlichen Leben folgend, in einem Luxus und in einer Bequemlichkeit, die er früher kaum dem Namen nach kannte und gegen die er wohl deshalb auch mit allen Kräften als sittenverderbend geeifert hatte. Aus diesem Grund brauchte er vorderhand weiter nichts zu tun, als seinen übernommenen Pflichten nachzukommen; schon dabei befand er sich völlig wohl, und was hätte er Besseres verlangen können?
Er war aber auch fest entschlossen, seine übernommenen Pflichten zu erfüllen, und schon am zweiten Tag seines Aufenthaltes in Java (den ersten brauchte er, um nur erst einmal zu Atem zu kommen) begann er die malaiische Sprache mit allem Fleiß zu studieren. Hierbei stand ihm indessen eine Überraschung bevor; denn ein alter Malaie, der sich viel in seiner Nähe zu schaffen machte, und den er jetzt anredete, um vor allen Dingen ein kleines Alphabet malaiischer Wörter zu sammeln, antwortete ihm in holländischer Sprache und versetzte dadurch Herrn Holderbreit in ein sehr angenehmes Erstaunen.
Ohne weiteres ging er deshalb zum Wirt, um ihn zu ersuchen, daß er ihm diesen Malaien als Diener zuteilte.In den batavischen Gasthöfen hat jedes Zimmer seinen besonderen malaiischen Diener, der es tagsüber in Ordnung hält und nachts auf einem Stückchen Matte vor dessen Tür schläft, um gleich bei der Hand zu sein, falls der Gast etwas wünscht. Der Wirt lächelte zwar dazu still vor sich hin, erklärte aber, nichts dagegen zu haben. Bali, wie der Bursche genannt wurde, da er eigentlich von Bali stammte, schleppte deshalb schon an diesem Abend seine Matte vor die Tür des ehrwürdigen Herrn Holderbreit und schlief davor wie ein treuer Hund. Die nächsten Tage ging der Geistliche nicht aus, sondern beschäftigte sich nur mit dem alten Balinesen – von dem sich die übrigen Diener eigentlich erzählten, daß er eines Diebstahls wegen von Bali verbannt worden wäre. Von diesem lernte er eine bedeutende Anzahl malaiische Worte, schrieb sie auf und suchte ihm dafür die Lehren der christlichen Religion einzuprägen.
Bali war eigentlich von Haus aus ein Heide, als er aber nach Java kam, anstatt zur christlichen zur mohammedanischen Religion bekehrt worden und dieser, wie er versicherte, bis jetzt treu geblieben. Ob es die richtige sei, wisse er freilich selber nicht, aber er glaube, sie sei gut – besser als die alte, die er früher gehabt und jetzt abgelegt habe, und bis er nicht eine noch bessere finde, wolle er sie behalten. Bali war jedenfalls für seine Abstammung und Erziehung ein ganz intelligenter Kopf und, wie Herr Holderbreit sich gestand, ein wahrer von Gott gesandter Schatz, den er hier fand. So vortreffliche Fortschritte der Geistliche nämlich bei ihm im Malaiischen machte, so vortreffliche Fortschritte machte Bali auch in den Lehren der christlichen Religion, denen er mit wirklich rührender Aufmerksamkeit lauschte. Herr Holderbreit hatte einen so raschen Erfolg kaum für möglich gehalten, aber die Tatsache, die ihm hier vorlag, berechtigte ihn auch zu den schönsten Hoffnungen in seinem Beruf, wenn er nur einmal die ersten Schwierigkeiten der Sprache überwunden haben würde.
Ein anderes Hindernis trat aber desto schroffer an einer Stelle vor ihm auf, wo er es gar nicht erwartete, und zwar von seiten der holländischen Regierung, die er früher dem Missionswesen günstig gestimmt geglaubt hatte. Dank der Empfehlungsbriefe, die er mitgebracht hatte, fand er allerdings zwei Bürgen, die für ihn gutsagten und ihm vorderhand den Aufenthalt in Batavia sicherten – aber auch weiter nichts. Die Erlaubnis, das Landesinnere zu besuchen, wurde ihm kurz und einfach abgeschlagen – nicht einmal einen Paß sollte er bekommen, viel weniger irgendeine Unterstützung, die »Heiden« zu bekehren. Wollte er indessen absolut sein Heil mit diesen versuchen, so – deutete ihm der Beamte, den er um einen Paß angegangen war, einfach an – würde er hier in Batavia selber Arbeit für eine ganze Lebenszeit finden, ohne auch nur einen Fuß in das Innere des Landes zu setzen. Darin hatte der Beamte auch sehr wahrscheinlich vollkommen recht, denn heidnische Chinesen und mohammedanische Javanen und Malaien gab es hier in Mengen, denen allen noch das Licht des Christentums fehlte, aber – der Aufenthalt selber in Batavia war nicht allein enorm teuer, sondern auch ein eigentliches Leben mit den Bekehrten, noch dazu von allen Verführungen einer solchen Stadt umgeben, vollständig unmöglich. Wo hätte sich hier der Missionar ein Haus mit einem Garten anlegen können, in dem die Eingeborenen, nach patriarchalischer Sitte, ihm Gemüse und Früchte anbauten, wo war hier einer der Vorteile zu finden, die er als Missionar auch für alle »Gefahren und Entbehrungen« beanspruchen konnte, und sollte er dafür gleich mit dem Proletariat einer großen Stadt beginnen, das, wie er noch von Europa wußte, überhaupt in der ganzen Welt das verworrenste ist? Es ging nicht, es ging wahrhaftig nicht, und der einzige Trost blieb ihm jetzt nur noch der alte Bali, an dem er ein leuchtendes Beispiel aufzustellen gedachte. Gelang es ihm, den braunen Burschen in den nächsten Tagen vollständig zu bekehren, so konnte ihm die Regierung mit solchen Tatsachen vor Augen ein größeres Feld für seine Wirksamkeit kaum mehr verweigern. Er hatte dann bewiesen, was er imstande sei zu leisten, und alles andere mußte sich leicht ohne Schwierigkeit gestalten.
Mit solchen Gedanken beschäftigt, saß er im Portico des Hofes, wohin die Strahlen der untergehenden Sonne nicht reichen konnten. Er hatte ein kleines malaiisches Wörterbuch vor sich liegen, mit dem er die von Bali erhaltenen Wörter verglich, und achtete dabei nicht darauf, daß unweit von ihm ein paar Schiffskapitäne neben einer Flasche Genever saßen und allerlei tolle Schnurren aus ihrem Leben erzählten. Was kümmerte sie der Mann in dem dunklen Rock mit dem breitrandigen Hut und dem weißen umgeschlagenen Hemdkragen. Sie hatten davon mehr auf ihren verschiedenen Reisen gesehen und für sie gerade kein günstiges Vorurteil gefaßt. Schiffskapitäne und Missionare sind nun einmal, aus verschiedenen Gründen, geschworene Gegner und nicht selten Feinde.
Im Hof entstand ein Lärm, und als Herr Holderbreit aufsah, erkannte er zu seinem Erstaunen Bali, den der Wirt des Hauses bei der Schulter hatte und ihm nicht allein ein paar tüchtige Hiebe mit einem Rohr überzog, sondern auch noch in malaiischer Sprache die bittersten Grobheiten sagte. Herr Salomon Holderbreit verstand allerdings nichts davon, aber er bemerkte zu seiner Bestürzung, daß Bali nicht recht fest auf seinen Füßen stand, also krank oder – das viel Wahrscheinlichere und Schlimmere – betrunken sei. Er widersetzte sich auch nicht im geringsten seinem Herrn, nahm die ihm zugeteilte Strafe geduldig hin und taumelte dann nach dem sich links hinziehenden Säulengang, in dem sich Herrn Holderbreits Zimmer befand, kauerte sich davor auf die Steine nieder und war bald sanft und süß eingeschlafen.
Der Wirt sah dem in der Tat angetrunkenen Burschen noch eine Weile nach; dann den Stock von sich werfend, kam er in nicht eben bester Laune auf den Tisch zu, an dem der Geistliche Platz genommen hatte, setzte sich zu ihm, sah eine Weile still vor sich nieder und sagte dann mit etwas unterdrückter Stimme, damit es die Kapitäne nicht hören sollten: »Ich muß Sie auf etwas aufmerksam machen, mein guter Herr, denn Sie sind noch fremd hier und kennen Land und Leute nicht.«
»Ja!« sagte Herr Holderbreit, etwas erstaunt über diese Vorrede aufhorchend, denn er ahnte ganz richtig, daß sich die Einleitung auf niemand anderen als Bali beziehen sollte.