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Sobald Reisende in der holländischen Kolonie einen Zielpunkt ihrer Fahrt erreicht haben, ist ihre erste Sorge, es »sich lecker zu machen«, das heißt ein Bad zu nehmen, sich umzuziehen und dann in aller Ruhe und Ordnung eine stärkende Mahlzeit zu verzehren. Unsere kleine Gesellschaft machte dann auch davon keine Ausnahme und sammelte sich erst wieder um die Tafel, um von hier aus gemeinsam zu einem kleinen Gebäude im Garten des Hotels hinauszuwandern. Dort trank man Kaffee und bewunderte die wundervolle Aussicht.
Van Straaten hatte übrigens ein paar alte Freunde in Buitenzorg, höhere Beamte bei der Regierung, denen er versprochen hatte, sie zu besuchen, wenn er je den Ort wieder besuche. Natürlich nahm er seine Frau mit dorthin, und Hedwig mußte sie begleiten. Lockhaart weigerte sich aber hartnäckig, seine schöne Zeit mit irgendeiner faden Visite zu vergeuden, wem diese auch gemacht würde. Wagner entschuldigte sich ebenfalls – Lockhaart hatte ihn gebeten, ihm etwa eine halbe Stunde heute nachmittag zu widmen, um etwas mit ihm zu besprechen, und die alte Kathrine wäre auf diese Art auch den ganzen Nachmittag sich allein in dem fremden Ort überlassen geblieben, wenn sie nicht zufällig in dem Wirtshaus selber eine deutsche Köchin gefunden hätte, mit der sie augenblicklich enge Freundschaft schloß.
Der Wirt war allerdings ein Holländer, seine Frau aber eine Deutsche, die deshalb auch soviel wie möglich deutsche Dienstboten hierhergeholt hatte, und Kathrine saß, der Hitze draußen wie dem Herdfeuer trotzend, mit dem seligen Gefühl bei ihrer Landsmännin in der Küche, doch endlich einmal ein ebenbürtiges und lebendes Wesen gefunden zu haben, mit dem man sich aussprechen, das man verstehen konnte. Eine sehr angenehme Einrichtung in javanischen Küchen – das Aufwaschen nämlich, wie alle gröbere Arbeit den malaiischen Dienern zu überlassen – ermöglichte es auch Kathrines neugefundener Freundin, gleich nach Tisch einen Spaziergang mit ihr zu machen. Da sie indes gehört hatte, daß neue Rekruten angekommen wären – die Offiziere logierten sogar in demselben Hotel – beschlossen sie, der Kaserne zuzuwandern und zu schauen, ob sie vielleicht frisch eingetroffene Landsleute zwischen ihnen fänden. Sie brauchten deshalb nicht lange zu suchen; den ersten Chinesen, dem sie mit seinen Körben begegneten, fragte die Freundin, die schon längere Zeit auf Java lebte und vollkommen gut Malaiisch sprach, nach den neugekommenen Soldaten, und der breiten Allee nachgehend, in der sich links und rechts bald Wohnungen von Europäern, bald von Chinesen und Javanen befanden, erreichten sie einen freien, nur von Waringhis bestandenen Platz, an dem die Kaserne von Buitenzorg stand. Davor lagerten noch die neu eingerückten Rekruten, bis ihre eigenen Wohnungen im Innern hergerichtet waren.
Die Kathrine war nun freilich gewohnt, anderes und besser diszipliniertes Militär zu sehen; die wilden, farbigen Gesichter der Leute imponierten ihr aber doch, und wo sie besonders einen Trupp von Negern und Mulatten miteinander lachen und erzählen sah, machte sie einen großen Bogen um die Leute und ging ihnen scheu aus dem Weg. So hatten sie schon fast den ganzen Trupp umgangen, sehr häufig dabei von den Malaien viel mehr angestaunt, als diese von ihnen, da die Eingeborenen gar nicht daran gewöhnt waren, weiße Frauen zu Fuß gehen zu sehen; Landsleute fanden sie aber noch immer nicht, nur Holländer höchstens und andere Europäer, die eine Sprache sprachen, von der sie selber keine Silbe verstanden – Engländer oder Franzosen vielleicht, was wußten sie. Plötzlich aber trafen deutsche Laute ihr Ohr, und trotz der fremdartigen Uniform hatten die beiden Frauen im Nu den deutschen Ausdruck in den Zügen der Männer erkannt.
»Grüß Gott!« redete die Köchin aus dem Hotel Bellevue den einen an, der eben versuchte, mit einem Chinesen um eine Tabakspfeife zu handeln, aber mit den malaiischen Wörtern nicht fertig werden konnte. »Nimm dich nur hübsch vor den langzöpfigen Lumpen in acht, denn die Kerle betrügen einen halt, wo sie nur können.«
»Grüß Gott!« rief der Deutsche zurück, erfreut in seiner Sprache angeredet zu werden, »ja, sprecht denn Ihr Malaiisch, oder wie sie das Kauderwelsch hier nennen? Wär' schon recht, wenn Ihr mir da ein klein wenig helfen könntet.«
»Und wie sidd denn Ihr in die fremde Uniform gekomme?« fragte Kathrine, der dieser arme blutjunge Bursche leid tat. »Wenn ich noch so jung wäre wie Ihr, wär' ich aach dahäm gebliwwe, anstatt so in die Welt hinaus zu laafe. Wenn ich so en jungs Blut in aner bunten Jack stecke seh, muß ich allsfort an mein junge Bruder denke.«
Unter dem Baum, mit dem Rücken zu ihnen gewandt, saß noch ein anderer Soldat, der sich jetzt, als er die Sprache hörte, langsam den beiden Frauen zudrehte. Die Kathrine bemerkte ihn zuerst und sah ihn starr und immer aufmerksamer an, und als zuletzt sein Blick dem ihren begegnete und er auch sie forschend und wie erstaunt betrachtete, rief die Alte aus: »Ja – ehnder wollt' ich doch glaube – ne ich wähs wahrhaftig net – sollte Sie denn...?«
»Kathrine?« rief der Soldat so überrascht wie sie aus.
»Ja – die Kränk will ich krigge – aber gerad' solche Hoor un solch en Schnorres im Gesicht un solche Aagen – aber – es ist ja doch nicht möglich – der Herr – der Herr Baron von Dorsek?«
»Die Kathrine – so wahr ich lebe«, wiederholte jetzt der Soldat, vom Boden aufspringend, »dann hatt' ich mich vorhin doch nicht geirrt, Hedwig ist hier; aber wie in aller Welt hierhergekommen?«
»Ja – freilich net als Soldat«, sagte aber jetzt die Kathrine, der auf einmal einfiel, wie sie beide zuletzt in Deutschland zusammen gestanden hatten. Sie begriff freilich nicht, wie der »Herr Baron« nach Java, noch weniger wie er in die Uniform eines gemeinen Soldaten kam. Daß er aber darin steckte, unterlag keinem Zweifel mehr, sein Zusammensein mit Negern und Indonesiern war dafür schon der beste Beweis, hätte ihn nicht sogar die grobe Uniform verraten. Und wenn er sich nun am Ende gar verkleidet hätte, um ihrem Fräulein hierher zu folgen? Aber dann brauchte er sie ja daheim gar nicht so schlecht zu behandeln und wäre auch nicht so erstaunt gewesen, sie, die Kathrine, hier zu treffen. Die alte Magd überlegte sich noch in aller Eile hin und her, was wohl der Grund dieser sonderbaren Begegnung sein könne, als plötzlich eine Trommel wirbelte und die Soldaten alle von der Erde auf und in Reih und Glied fuhren. Dorsek wollte zögern, es war, als ob er noch eine Frage an die alte Magd zu richten hätte, aber ein zweites Zeichen mahnte ihn an seine Pflicht, er wußte, daß er gehorchen mußte.
Die Soldaten standen in Reih und Glied aufmarschiert, die verschiedenen Farben wohl so gut wie möglich in gleiche Kolonnen eingeteilt, aber doch immer nebeneinander in gleichem Rang Neger, Malaien und Weiße, während die Sergeanten fast alle Holländer, einige auch Deutsche waren. Drüben an der Kaserne entlang fuhren jetzt in zwei leichten Bendis die Offiziere, die heute morgen von Batavia heraufgekommen waren, vielleicht um die Truppe zu mustern – was verstand die Kathrine von dem Militärwesen. So viel aber verstand sie, daß jetzt irgend etwas kommandiert wurde, wonach die Soldaten bei Trommelschall in Reih und Glied zur Kaserne hinaufmarschierten. Das war auch keine Verstellung oder Verkleidung mehr – wie die anderen gehorchten, mußte er auch mit, der sonst so stolze Herr Baron von Dorsek. Er war richtig gemeiner holländischer Soldat geworden, und die Hände vor lauter Staunen und Verwunderung zusammengeschlagen, den Kopf herüber und hinüber schüttelnd, stand sie da und schaute der Truppe nach, solange sie ihr mit den Augen folgen konnte. So ganz verblüfft blieb sie auch in ihrer Stellung, daß sie die mehrmalige Aufforderung ihrer Freundin, der Köchin aus dem Hotel Bellevue, gar nicht hörte und sich immer noch nicht mit dem Gedanken zufriedengeben konnte, dem Herrn Baron von Dorsek hier in Batavia als gemeinem Soldaten begegnet zu sein.
Das andere Mädchen aber, das schon vor vier oder fünf Jahren hier nach Java gekommen war und die Verhältnisse genauer kannte, sagte lachend: »Ja, darüber brauchst du dich nicht zu wundern; das kannst du öfter sehen, wenn du länger hierbleibst, daß alle möglichen Muttersöhnchen von ›drüben herüber‹ hier mit den Malaien und Negern in Reih und Glied dem Kalbfell nachmarschieren und links- und rechtsum machen.«
»Aber ein Baron!« rief die Kathrine, die Hände zusammenschlagend.
»Das bleibt sich ganz gleich«, sagte die Emilie verächtlich, »Grafen hab' ich sogar schon in der blauen Jacke stecken und Arm an Arm mit so schmutzigen Negern marschieren sehen, und dann werden sie mit einem Schiff fort nach Bali oder Sumatra oder Borneo geschickt, und wenn die Neger und Malaien auch vielleicht wiederkommen, die armen Teufel von Weißen haben sie sicher jedesmal drüben begraben.«
»Aber wie ist das möglich!« rief die Kathrine.
»Möglich? Was?«
»Daß sich so ein Herr dazu hergebe kann?«
»Ja, wenn sie's vorher wüßten!« meinte die Emilie. »Bei uns im Hotel haben die holländischen Offiziere oft und viel davon gesprochen, und die behaupten, die Herren dächten sich das Leben ganz anders, als es ist. Die glaubten, wenn sie auch als gemeine Soldaten anfingen und herübergingen, könnten sie doch in den ersten vier Wochen schon Offizier werden und dann ein ganz behagliches Leben führen. Ja, prost Mahlzeit, da hapert's aber; mit dem Offizierwerden ist's nichts, wenn man nicht seine Empfehlungen hat und seine Protektionen, und wie will die ein gemeiner Soldat hier kriegen – ein anständiger Weißer geht gar nicht mit ihm um.«
»Aber ein Baron...«
»Und wenn er zehnmal Baron wäre!« rief die weder Rang noch Stand achtende Köchin, »sobald er einmal in der blauen Jacke steckt und als gemeiner Soldat hier herumläuft, achten sich selbst die Malaien höher als er, ob er nun ein Baron oder sonst was ist, und wenn er mit einem Weißen sprechen will, muß er draußen an der Treppe mit der Mütze in der Hand stehenbleiben und warten, bis der Herr zu ihm herauskommt. Draußen in der Kaserne, ja, da können sie sich lustig machen, soviel sie wollen und imstande sind zu bezahlen, und ein heilloses Leben sollen sie dann auch da drinnen führen. Wenn man nur vorbeigeht, wimmelt's auf dem Hof schon von Kindern in allen Farben – arme, unglückliche Würmchen, die da aufwachsen wie bei uns die Hasen und Kaninchen im Feld. Aber was geht uns das Volk an; die mögen sehen, wie sie selber durchkommen, denn wenn sie einmal in der Jacke stecken, dann kannst du dich auch darauf verlassen, daß sie es verdient und oft doppelt und dreifach verdient haben, mit allem Kummer, den sie draußen anrichteten. Und jetzt komm, Kathrine, jetzt gehen wir einmal über den chinesischen Markt und dann durch den botanischen Garten wieder nach Haus zurück. Wenn du das noch nicht gesehen hast, wirst du Augen machen.«