Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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Willem Soltersdrop sah den finsteren Mann erstaunt an. So entschieden hatte, außer seiner Frau, noch niemand mit ihm gesprochen. Aber durch diese nachgerade daran gewöhnt zu gehorchen, verließ er nur innerlich murrend das Haus, um seinen geliebten Spielkasten wiederzufinden und aus der feuchten Luft in Sicherheit zu bringen. Was sich diese Herren aus Batavia nur einbildeten, die hier ins Land kamen und dabei genauso taten, als ob sie allein auf der ganzen Insel zu befehlen hätten! »Hol sie der Böse!« Willem Soltersdrop verließ im Unmut das Zimmer, um draußen seinen Spielkasten zu suchen, und die beiden Gäste konnten jetzt hören, wie er mit der unermüdlichen Maschinerie, die eben wieder den »Jungfernkranz« abwalzte, um das Haus herum und hinten in seine eigene Stube ging. Lockhaart und Wagner hatten inzwischen ihr Mahl beendet und zündeten sich eben, den Kaffee erwartend, ihre Zigarren an, als Joost wieder in das Zimmer kam und wie vorher seine durch den Schatten einer der Säulen ziemlich verdunkelte Ecke einnahm. Ein malaiischer Diener brachte ihm ebenfalls Kaffee, und wenige Minuten später saß er in eine solche Rauchwolke eingehüllt dort hinten, daß kaum noch die Umrisse der Gestalt sichtbar blieben. Nur die Augen und Zähne blitzten dann und wann aus dem Dampf hervor, nicht unähnlich einem ausgehöhlten und geschnitzten Kürbiskopf, in den Kinder eine glühende Kohle gelegt oder ein Licht gesteckt haben.

Nicht lange dauerte es, da kam Holderbreit wieder herein, denn der Saal bildete den Mittelpunkt des Hauses, und die verschiedenen Gastzimmer lagen – die Front des Hotels ausgenommen – rings umher. Zugleich mündeten sie, nicht unähnlich den state rooms oder Kabinen auf einem großen Dampfer, durch Glastüren mit mattgeschliffenen Scheiben alle nach innen, so daß niemand sein Zimmer verlassen oder betreten konnte, ohne von den im Hauptsaal befindlichen Gästen gesehen zu werden. Holderbreit war nicht in seinem eigenen Schlafzimmer gewesen, sondern kam von draußen herein und mußte sich wirklich erst eine Zeitlang im Saal umsehen, ehe er seinen neugewonnenen Freund fand. Endlich hatte er ihn erspäht, und auf ihn zugehend, verschwand er mit in der Dampfwolke wie hinter einer spanischen Wand. Dort sprach er allerdings nur heimlich mit ihm; Lockhaarts scharfes Gehör fing aber doch einige Wörter auf, die mit Salomon Holderbreits Beruf als Missionar keineswegs in Zusammenhang zu stehen schienen.

»Sie weint«, hörte er ihn sagen, »weiblicher Stolz gebrochen... unangenehme Sache... Mann erfährt.« Dann schien Joost ihn zu warnen, vorsichtiger zu reden, und seine Worte sanken zu einem Flüstern herab, aus dem sich nichts mehr verstehen ließ. Während sie noch dasaßen, kam ein Opass vom ResidentenDer Resident ist die erste Behörde jedes Distrikts und steht nur unter dem Befehl des Generalgouverneurs. , zu dem sie gleich nach der Ankunft ihre Karten geschickt hatten, und lud sie auf heute abend dorthin ein. Der Wagen, der sie abholen sollte, hielt schon vor der Tür. Da Lockhaart vor allem hier in Bandong geblieben war, um mit dem Residenten seinen Verdacht zu besprechen und von ihm womöglich Unterstützung zu erhalten, kam ihnen die Einladung sehr erwünscht. Lockhaart übrigens, der einen kleinen, kaum vierzehnjährigen Malaien als Diener mitgenommen hatte, flüsterte mit diesem ein paar Worte, horchte noch einen Moment nach der Rauchwolke hinüber, in der die beiden Männer jetzt vollständig verschwunden waren, und verließ dann mit Wagner das Hotel.

»Sie kennen den langen Herrn?« sagte Herr Joost, nachdem er gehört hatte, daß der Wagen draußen mit den beiden Fremden fortgerollt war.

»Allerdings – sehr gut. Ich bin mit ihm erst ganz kürzlich über See gekommen, und seiner Fürsprache verdank' ich es auch allein, daß ich einen Paß ins Landesinnere bekommen habe.«

»Hm, so! Er heißt Lockhaart, nicht wahr?«

»Jawohl – Martin Lockhaart.«

»Und der andere Herr ist Wagenaar, von der Firma van Roeken und Wagenaar?«

»Tut mir leid, Ihnen darüber keine weitere Auskunft geben zu können«, sagte achselzuckend der Geistliche, »ich habe nicht die Ehre, den Herrn zu kennen.«

»Aber was zum Teufel tun die beiden jetzt hier oben in den Bergen?« fragte Joost, fast mehr mit sich selber als zu seinem Nachbar sprechend.

»Was sie hier tun?« erwiderte Holderbreit, eben nicht sehr erbaut von dem ewigen Fluchen und Blasphemieren seines Gefährten. »Ja nun, dasselbe wohl, was so viele Menschen, wie mir gesagt wurde, in den Bergen tun. Sie machen eine Vergnügungsreise.«

»Die beiden Herrn allein?« sagte Joost, ungläubig den Kopf schüttelnd. »Dann wären sie schwerlich noch so spät am Abend hier angekommen.«

»Sie sind wahrscheinlich nur so rasch gefahren, um Quartier für die Damen zu bestellen, die wohl morgen früh nachkommen«, sagte Herr Holderbreit; »so wenigstens hat mir der Wirt versichert, der es von dem Diener gehört haben will.«

»Damen kommen noch? So – das ist etwas anderes«, nickte Joost still und vergnügt vor sich hin. »Ich – dachte schon – aber – hm – bleibt sich gleich – vielleicht kann ich dieses schmerzliche Geschäft beendet haben, ehe die Damen kommen.«

»Gewiß – sicher, mein werter Freund«, sagte Holderbreit begütigend. »Ich habe vorhin noch einmal mit Mevrouw gesprochen, und sie ist gern bereit, Sie zufriedenzustellen. Sie leugnet freilich, daß sie irgendeine Verbindlichkeit gegen Sie...«

»Natürlich – natürlich«, unterbrach ihn ungeduldig Herr Joost; »welche Frau würde unter gleichen Umständen gern etwas herausgeben, aber – ich bin nicht hergekommen, um mich mit ihr zu streiten; Gott soll verhüten, daß ich in Unfrieden wieder von ihr scheiden möchte. Schmerzlich, recht schmerzlich wäre es aber für mich, einen derartigen Fall einem Advokaten zu übergeben.«

»Torheit; denken Sie gar nicht daran«, sagte Holderbreit begütigend. »Wenn Sie auf alle weiteren Ansprüche verzichten und der Frau versprechen wollen, gegen niemanden weiter ein Wort zu erwähnen, auch die Preanger Regentschaften nicht wieder zu betreten, dann will sie Ihnen morgen früh tausend Gulden in guten Papieren und Gold übergeben.«

»Sagen Sie mir das in ihrem Auftrag?«

»Ja.«

»Hm, das sind drei Bedingungen, die mir nach allen Richtungen hin die Hände binden.«

»Aber sie verlangt nichts Unbilliges.«

»N-ei-n, – das kann ich gerade nicht sagen«, überlegte Joost, »außer der Tatsache, daß ich mich mit eintausend Gulden begnügen soll, während ich Anrecht auf wenigstens zehntausend habe.«

»Sie versichert mir aber, daß sie nur eintausend Gulden bar in Händen hat, die sie Ihnen geben könnte, ohne daß ihr Mann etwas davon erführe. Sind Sie damit nicht zufrieden, müßte sie, um eine größere Summe aufzutreiben, ihren Mann jedenfalls davon in Kenntnis setzen, denn sie wäre dazu nicht hinter seinem Rücken imstande, und wüßten er und die Welt erst einmal davon, so wollte sie es auch auf die Klage ankommen lassen. Die tausend Gulden gäbe sie nicht deshalb, weil sie den Betrag schulde, sondern um die Sache damit ein für allemal abzumachen und geheim zu halten – also ihres eigenen Friedens wegen.«

Joost saß eine ganze Weile still und sah nachdenklich vor sich nieder.

»Wenn ich das Geld nötig brauchte«, sagte er endlich, »wenn ich es zum Leben haben müßte, dann bliebe mir keine weitere Wahl, als es eben auf eine Klage ankommen zu lassen, obgleich ich selber fühle, daß ihr Erfolg nicht ganz sicher sein würde. Der paar tausend Gulden wegen will ich die arme Frau aber nicht noch härter drücken, als sie schon gedrückt ist. Sie soll nicht sagen können, daß ihr Valentijn hart mit ihr verfahren wäre, als er sie nach so langer Abwesenheit wiedersah. Ich nehme ihren Vorschlag an, und – möge ihr Gott in ihrer neuen Ehe das Glück geben, das sie an meiner Seite nicht hat finden können. Nicht wahr, lieber Holderbreit, Sie haben die Güte, morgen in aller Frühe die ganze Sache zu erledigen, daß ich gleich nach dem Frühstück Bandong verlassen kann?«

»Mit großer Freude erbiete ich mich zu jeder Gefälligkeit in dieser Angelegenheit«, sagte der Geistliche gerührt, »da Sie so bereitwillig den Wunsch der armen Frau erfüllen. Ich denke, daß morgen früh in einer Stunde alles geregelt sein kann. Aber leid sollte es mir tun, so bald wieder Ihre Gesellschaft zu verlieren. Eigentlich hatten Sie versprochen, mich in die Berge zu begleiten.«

»Und mein Wort will ich auch halten«, sagte Herr Joost; »denn ehe ich die Preanger Regentschaften für immer verlasse, habe ich noch eine Pflicht gegenüber einem Verstorbenen zu erfüllen, die mich nach Norden in die Berge führt.«

»Gegenüber einem Verstorbenen?«

»An Bord des letzten Schiffes, mit dem ich nach Java kam, hatten wir einen javanischen Matrosen aus dieser Gegend. Der arme Teufel erkrankte schwer und hat mich, als Cargador des Schiffes, eine kleine Summe, die er sich erspart hatte, seiner alten Mutter oder seinem Bruder zu bringen, die irgendwo an den unteren Halden jener Vulkane wohnen. Diese Pflicht will ich jetzt erfüllen, und es ist gut möglich, daß Sie gerade in jener Familie schon fruchtbaren Boden für Ihre heiligen Lehren finden. Jener Javaner an Bord, der bald nachher starb, war auch zur christlichen Religion übergetreten.«

»Also es kommt doch vor?«

»Gewiß, sogar sehr häufig – allerdings sieht es die Regierung nicht gern, weil sie die Eingeborenen gerade so dumm und verblendet, wie sie nun einmal sind, auch notwendig braucht; aber lassen Sie sich dadurch nicht abhalten, und wenn es Ihnen irgend möglich ist, dann schiffen Sie sich nach der Westküste von Sumatra ein.«

»Und glauben Sie, daß ich dort ein Feld für meine Tätigkeit finden würde?«

»Ein brillantes!« sagte Herr Joost. »Hier in der Kolonie wird man Ihnen allerdings die schrecklichsten Geschichten von Menschenfressern und allem möglichen solchen Unsinn erzählen – derartige Märchen sind eben dazu erfunden, Fremde abzuhalten, in das Land hinüberzufahren – aber lassen Sie sich davon nicht abschrecken, sage ich. Sie sollen einmal sehen, welchen Erfolg Sie haben, und außerdem werden Sie dadurch ein berühmter Mann.«

»Sie glauben in der Tat, daß ich dort besser reüssieren werde als hier auf Java?«

»Hier auf Java richten Sie nichts aus«, sagte Joost kopfschüttelnd. »Solange Sie keinen Erfolg haben, läßt Sie die Regierung vielleicht zufrieden und sieht Ihnen indessen nur scharf auf die Finger; sobald Sie aber irgend etwas, und sei es noch so wenig, erreichen, können Sie sich auch fest darauf verlassen, augenblicklich so beschränkt zu werden, daß Sie sich nicht mehr rühren können.«

»Sie glauben wirklich?«

»Sie brauchen mir nicht zu glauben; fragen Sie, wen Sie wollen. Wenn Sie meinem Rat folgen wollen, dann gehen Sie, so rasch Sie irgend können, nach Sumatra und dort nur unerschrocken und furchtlos in das Innere hinein, es tut Ihnen niemand etwas zuleide, und ich garantiere Ihnen, daß Sie einen glänzenden Erfolg in jenem Land haben. Doch es wird spät; ich wenigstens bin nach den Aufregungen des heutigen Tages so angegriffen, daß ich mich niederlegen werde.«

»Ich wünsche Ihnen eine angenehme Ruhe.«

»Gleichfalls, lieber Herr Holderbreit – und vergessen Sie nicht, morgen mit Tagesanbruch bereit zu sein, daß wir unser Geschäft hier im Haus beenden und dann vielleicht gleich in die Berge aufbrechen können. Nicht wahr?«

»An mir soll es gewiß nicht fehlen«, sagte der Geistliche, »und dies erste gute Werk, das ich stifte, den Frieden in einer Familie zu erhalten, mag mir als ein gutes Zeichen für mein späteres Wirken gelten.«

Die beiden Freunde waren zur Ruhe gegangen; nach einer Stunde etwa kamen Lockhaart und Wagner ebenfalls nach Haus und gingen bald darauf zu Bett, denn auch sie waren von der Reise angegriffen. Eine Viertelstunde etwa lag das Zimmer in voller Ruhe, nur die Lampen brannten noch. Da öffnete sich die Tür, und Mynheer Soltersdrop kam herein, den unvermeidlichen Spielkasten unter dem Arm, den er auf seinen alten Platz an die mittlere Säule setzte. Eine Menge Dinge gingen ihm aber im Kopf herum, und diesen in beide Hände gestützt, setzte er sich an einen der Tische und blieb eine ganze Weile in tiefes Nachdenken versunken. Was war heute mit seiner Frau vorgegangen, daß sie sich den ganzen Nachmittag einschloß und weinte? Ja, weinte, eine Frau, die sonst von Stahl und Eisen schien. Was hatten der Fremde und der protestantische Pfaffe immer miteinander zu zischeln und zu flüstern, und warum konnte der Lange seine Spieldose nicht leiden? Das letzte kränkte ihn fast am meisten, und er sprang zuletzt auf und ging ein paarmal im Zimmer auf und ab. Endlich ging die Tür auf, die in die hinteren Gebäude führte, und ein Malaie, der ein zum Überlaufen volles Glas heißen Grog auf einem Teller trug, balancierte, ängstlich das Glas beobachtend, in das Zimmer, und Willem Soltersdrops Züge heiterten sich auf.

»Ah, mein Schlaftrunk!«, murmelte er leise und vergnügt vor sich hin. »Hol der Teufel die Grillen – setz ihn hierher, mein Junge, und Api! So rasch du kannst.«

Der Malaie befolgte den Befehl, nahm dann eine an seinem Gürtel hängende Lunte, zündete sie an der nächsten Lampe an und reichte sie seinem Herrn.

»Sehr brav!« nickte Soltersdrop vergnügt, während er eine Manila aus seiner Zigarrentasche nahm. »So, Willem, jetzt kannst du dir's in aller Bequemlichkeit bequem machen. Hol der Teufel die Grillen, sag ich noch einmal!« Und damit ging er zur Spieldose, zog sie auf, setzte sich dann mit seinem Grog und der Zigarre dem Kasten gerade gegenüber, den er mit liebevollen Augen betrachtete, und gab sich dem Genuß mit voller Seele hin. So arbeitete er sich durch den Choral, wo ihn zur regelmäßigen Zeit wieder sein Husten befiel, dann kam »Freut euch des Lebens«, dann der »Jungfernkranz«, dann »So leben wir, so leben wir alle Tage«, hiernach »Fordre niemand, mein Schicksal zu hören« und zuletzt der Freischützenwalzer, um das Gemüt vor dem Schlafengehen noch heiter zu stimmen.

Drinnen hinter der Glastür mit mattgeschliffenen Scheiben wälzte sich Lockhaart auf seinem Bett herum, verfluchte den Wirt und seine Spieldose und schwor, daß er dem einen den Hals und der andern die Schrauben verdrehen wolle, und draußen saß Willem Soltersdrop, blies den blauen Rauch der guten Manila von sich, nippte an seinem Grog und lächelte freundlich bei den melodischen Tönen.


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