Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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15. Einige Neuigkeiten in der alten Stadt Batavia

Die nächsten Tage sprach man in Batavia von nichts anderem als Heffkens Verwundung durch einen Malaien und von der Verhaftung des liederlichen Horbach, die natürlich damit in Verbindung gebracht wurde. Am Anfang, solange sein Diener Tojiang ebenfalls festgehalten wurde, glaubte man allgemein, dieser habe auf seines Herrn Befehl den Mordangriff durchgeführt, so unwahrscheinlich dies auch den meisten vorkam und so ungewöhnlich dieses Beispiel in dem javanischen Leben dastand. Der Javaner mordet nämlich wohl aus irgendeiner Leidenschaft, sei es Rache oder Eifersucht, aber höchst selten oder nie wegen Geld, und Raubüberfälle kommen deshalb auch im Innern des Landes fast nie vor. Durch die Aussage von Heffkens Leuten aber: daß ihr Herr nämlich an jenem Abend ein fremdes Mädchen mitgebracht habe, kam das Gericht sehr bald auf eine andere, und zwar die richtige Spur, daß dieser Überfall nämlich nichts anderes gewesen sei, als der Wutausbruch eines eifersüchtigen Liebhabers. Ob Klapa aber, der seine diebische Tätigkeit an demselben Abend in Meester Cornelis ausgeübt hatte, zugleich auch der gewesen war, der das Blut eines Weißen vergossen hatte, ließ sich nicht so bald ermitteln. Denn unglücklicherweise war in jener Nacht Melattie, die einzige, die darüber hätte Auskunft geben können, verschwunden. Man hatte sie, da Heffken mehrmals ohnmächtig wurde und alles nur mit ihm beschäftigt war, vorläufig in einer der kleinen Dienerschaftswohnungen untergebracht. Mitten in der Nacht aber entwich sie daraus – ob allein, ob mit Hilfe, ließ sich nicht ermitteln –, und alle Nachforschungen, die sogar die Polizei am nächsten und an den folgenden Tagen nach ihr in Batavia anstellte, um ihr Zeugnis gegen den Mörder zu bekommen, blieben fruchtlos.

Als sich Heffken wieder so weit erholte, um Rechenschaft geben zu können, erfuhr man allerdings durch ihn, daß Schong-ho ihre Heimat kenne, und die Möglichkeit blieb, daß sie dorthin zurückgekehrt sei. Zwei im Dienst der Regierung stehende Eingeborene wurden dann auch unverzüglich dorthin abgesandt; aber Melattie war nicht daheim; ihre Eltern hatten seit jenem Abend nichts wieder von ihr gesehen, und Hetavi, dem das für den Verkauf seines Kindes eingenommene Sündengeld an demselben Abend wieder entwendet worden war, klagte Patani als den Räuber seines Eigentums wie auch wahrscheinlich seiner Tochter an. Aber selbst diese neue Spur half der Polizei nichts, denn auch Patani war und blieb verschwunden; und die einzige Möglichkeit war, daß er Mittel und Wege gefunden hatte, mit Melattie auf einer Prau zu irgendeiner anderen Insel zu entfliehen. Wer aber sollte ihn da verfolgen und wiederfinden, wo der Ostindische Archipel, selbst ganz in der Nähe Javas, Unmengen von Schlupfwinkeln bot, die nie der Fuß eines Weißen betrat. Es wäre ein hoffnungsloses Unternehmen gewesen. Unter solchen Umständen lag allerdings kein weiterer Verdacht gegen Horbach vor, und dieser sowohl wie Tojiang, sein Diener, mußten freigelassen werden. Horbach hatte aber auch erfahren, daß er diese schimpfliche Behandlung niemandem weiter als Heffken verdanke, und seine Wut gegen den kleinen Buchhalter kannte keine Grenzen.

Unzertrennlich von ihm war Nitschke, und die Holländer sprachen schon ernsthaft davon, die nötige Summe aufzutreiben, um die beiden vollkommen verdorbenen Menschen aus der Kolonie fortzuschaffen, denn sie konnten den Eingeborenen als weiße Tuwans nur ein ärgerliches Beispiel geben.

Da erlag Horbachs Körper endlich, wenigstens für den Augenblick, diesen ewigen Ausschweifungen; man fand ihn eines Morgens, noch betrunken und dabei in einem hitzigen Fieber, mitten auf dem chinesischen Marktplatz nahe der alten Stadt liegen. Natürlich blieb jetzt nichts anderes übrig, als ihn in das Spital zu schaffen, denn auf der Straße konnte man ihn nicht sterben lassen. Die ganze Nacht hatte Nitschke noch mit ihm durchgetrunken und war dann selber am nächsten Morgen nicht in seine Wohnung zurückgekommen. Zwar wurde überall nach ihm geforscht, er blieb aber verschwunden, wenigstens die nächsten Tage, und länger suchte ihn niemand. Was lag daran, wenn das nutzlose Menschenkind im Kali besaar auch ein unzeitiges Ende genommen hätte, sparte man in dem Fall doch Passage, um ihn von Java fortzuschaffen, und er fiel keiner Seele mehr zur Last.

Mit Heffkens Wunde besserte es sich indessen rasch. Der Stoß des Mörders war allerdings mit großer Sicherheit und Stärke geführt worden, dadurch aber, daß Heffken den Arm vorwarf, wurde die etwa zehn Zoll lange Klinge aufgehalten, durchstach ihm zwar den Arm und drang noch in seine Seite ein, verletzte aber doch keine edlen Teile und war nur dadurch gefährlich, daß die rauh damaszierte Schneide eine sehr böse und schwer heilende Wunde machte, die den Patienten einem heftigen und in diesem heißen Klima gefährlichen Wundfieber preisgab. Heffkens ansonsten gesunde Natur überwand dies aber bald, und nach einigen Wochen schon war er so weit hergestellt, daß er seine Arbeiten wieder aufnehmen konnte.

Es war an einem Montagmorgen, als die Kaufleute aus den luftigen und freundlichen Vorstädten, in denen ihre Wohnungen lagen, in die eigentliche »alte Stadt« Batavia eilten, in der sich ausschließlich die Kontore befinden, um ihre am Sonnabend verlassenen Geschäfte wiederaufzunehmen. Am Kali besaar herrschte schon reges Leben; Massen von Lastträgern drängten sich mit ihrer an einem starken Bambusstab hängenden Ladung auf dem Steindamm des Flusses dahin, an dem überall indische Prauen gelandet waren, um Fracht einzunehmen oder von eingetroffenen Schiffen auszuladen.Batavia hat, seiner seichten Meeresufer wegen, keinen Hafen, sondern nur eine Reede. Die Schiffe ankern draußen auf See, eine ziemliche Strecke vom Ufer entfernt, und sämtliche Ladungen müssen deshalb mit nicht tief gehenden Prauen an Bord oder an Land geschafft werden. Fruchtverkäufer, denen ihre Waren in zwei von einem Stab getragenen Körbchen über der Schulter hingen, keuchten ihren verschiedenen Ständen zu, und chinesische wandernde Krämer, alles nur Erdenkbare auf dieselbe Art mit sich führend, schauten in die verschiedenen Läden hinein, um ihre Waren an den Mann zu bringen.

Dazwischen rollten die Bendis der Weißen unaufhörlich aus den Vorstädten heran, und die Kutscher hielten, wenn ihre Herren ausgestiegen waren, geduldig unter besonders zu dem Zweck errichteten Schuppen den ganzen Tag, um jeden Augenblick abrufbereit zu sein. Hier und da trabte auch wohl ein langbeiniger Chinese auf einem so kleinen javanischen Pony, daß seine Füße fast den Boden berührten, zwischen diesem Treiben dahin und hielt dabei seinen langen Zopf vorsichtig in der einen Rocktasche, damit das seidene Band an dessen Ende nicht auf dem Rücken des kleinen schweißbedeckten Tieres beschmutzt würde.

Vor den Türen der Schiffsmakler, in denen die Schiffskapitäne fortwährend aus und ein gingen, hielten Eingeborene, die lebendige Tiere und Vögel zum Verkauf hereingebracht hatten und die ganze Nacht damit marschiert waren, um sie in der Morgenkühle schon bereit zu haben. Scharen neugieriger Malaien und Chinesen standen darum her, um die eingesperrten Tiere zu bewundern und sich über den Wert zu streiten.

Oben in den Kontoren der alten düsteren Gebäude saßen indessen die Kommis hinter ihren Büchern oder übernahmen unten in den geräumigen und luftigen Hallen hereinkommende Waren, die dann wieder eingeborenen »Markthelfern« übergeben und in die verschiedenen dazu bestimmten Lokalitäten geschafft wurden. Und wie seltsam sonnengebrannt und verwittert diese alten Kaufmannshäuser aussahen, die jetzt nur als Warenhallen und Schreibstuben benutzt wurden, während früher Glanz und Pracht in ihren Bäumen herrschte. Noch waren auch die Anzeichen davon an den Wänden in verblichenen oder zerstörten Malereien, in Goldleisten und wertvollen, jedenfalls früher einmal sehr kostbaren Schnitzereien zu sehen, mit denen die alten Handelsherren von Batavia ihre Wohnungen schmückten. Noch steckten die eisernen oder bronzenen Bolzen in den Wänden und über den Fenstern, von denen früher schwerseidene Stoffe niederhingen, aber diese Zeiten waren vorbei. Nur die alten Gehäuse früherer Herrlichkeit waren geblieben, und wo damals seltene Kostbarkeiten die Hallen zierten, waren jetzt gleichförmige hölzerne Regale angebracht, auf denen seltsame Mischungen europäischer Waren zusammengeschichtet auf Ballen mit Pfeffer, Zimt, Kaffee, Reis und anderen Produkten der Tropen lagen. In früheren Zeiten bildeten diese Hallen auch den Mittelpunkt des ganzen ostindischen Handels, und Reichtümer wurden in Monaten erworben, denn die Ostindische Kompanie war allmächtig und duldete keine Konkurrenz neben sich. Hatte sie doch den Handel so sehr in der Gewalt, daß sie einmal sogar ganze Schiffsladungen von Gewürzen verbrennen konnte, um nur zu verhindern, daß sie im Preis sanken.

Aber so massenhaft in jener Zeit auch Schätze angehäuft wurden, während die Europäer selbst noch um den Besitz der Insel mit den Eingeborenen kämpfen mußten, so lagerte doch ein böser und gefährlicher Feind in den Ringmauern der alten Stadt, der weder mit Gold bestochen noch mit Feuergewehren besiegt werden konnte, und das war die »ungesunde Luft«, die furchtbar unter den Nordländern aufräumte. Freilich trug auch viel die Bauart der Stadt dazu bei. Die alten Holländer hatten, den Gebräuchen ihrer Heimat getreu, enge dumpfe Straßen angelegt, die noch dazu von jeden Luftzug abschneidenden Wällen und Bastionswerken umgeben wurden. Der »große Fluß«, von den Malaien Kali besaar, von den Javanen der Tji-liwong genannt, mündete in seichten, schlammigen, die Luft verpestenden Ufern, und während eine Menge mit langsam fließendem Wasser gefüllte Kanäle die Einschiffung von Waren zwar erleichtern mochte, vermehrte sie doch nur die schädlichen Dünste, die den Aufenthalt in der »alten Stadt« zuletzt für die Europäer tödlich machten. Erst seit der Regierung des Generalgouverneurs van der Capellen wurden diese Übelstände zum großen Teil behoben. Der Fluß bekam eine feste Eindämmung, wodurch er die schlammigen Ufer verlor und rascher strömte; ebenso wurden die Kanäle ausgebaut. Sobald die Kriege mit den Eingeborenen beendet und diese vollständig unterworfen waren, bedurfte man auch nicht mehr der Wälle und des Kastells, die bis dahin die frische Luft aus den Straßen abhielten. Ja, man fühlte sich endlich so vollkommen sicher vor einem neuen Aufstand der Eingeborenen, daß weit vor der Stadt draußen, in einem gesünderen und luftigen Distrikt, Vorstädte angelegt wurden, in die hinaus selbst der Gouverneur seine Wohnung legte.


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