Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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16. Auf der Reede

Draußen auf der Reede von Batavia, mitten zwischen den Flaggen fast aller Weltteile und Nationen, ankerte die holländische Bark, die Rebecca, und die Matrosen stiegen vergnügt und singend, trotz der heißen Sonne, in den Masten umher, um die verschiedenen Segel festzumachen und das Schiff, auf eine Zeitlang wenigstens, in Ruhestand zu versetzen. Sehnsüchtige Blicke warfen sie freilich zum fernen Land hinüber und wunderten sich dabei, daß man von dem so gerühmten Batavia nichts in der Welt weiter sehen sollte als ein paar rote Ziegeldächer, die aus dem dichten Grün der Baumschatten hervorschimmerten – aber das alles half ihnen nichts. Ihre Seereise war freilich beendet, aber deshalb kamen sie noch immer nicht an Land, denn die Gesetze in Batavia sind sehr streng gegen die Seeleute, und es ist ihnen keineswegs vergönnt, in tollem Übermut den Frieden der Uferbewohner zu stören wie in mancher anderen Hafenstadt. Nur sehr selten werden sie deshalb auch von ihren Kapitänen einmal auf ein paar Stunden hinübergelassen, und wollten sie sich da betrinken und zu lärmen anfangen, würde die javanische Polizei verwünscht wenig Umstände mit ihnen machen. Jetzt mußten sie sich deshalb nur mit dem begnügen, was ihnen einige vom Land herüberkommende Fruchtboote bringen konnten, und selbst die zu befriedigen, hatten sie noch kein Geld. Das einzige, was ihnen übrigblieb, war, Hemden und andere leichte Kleidungsstücke, die sie entbehren konnten, hervorzusuchen und den Malaien für die süßen und so lang entbehrten Früchte anzubieten, und die Eingeborenen ließen sich nicht einmal gern auf einen solchen Handel ein, wenn sie nicht übermäßigen Profit dabei machen konnten. Komische Gruppen bildeten sich aber dadurch an Deck, und der Pinsel eines Malers hätte reichlichen und dankbaren Stoff zu vortrefflichen Genrebildern hier gefunden. Unten schaukelte längsseits mit seiner süßen Fracht gefüllt das Boot, und zwei kleine schmächtige Malaien mit rabenschwarzem Haar und blitzenden Augen waren teils beschäftigt, ihr schmales und nicht eben sehr festes Fahrzeug von der Schiffsseite abzuhalten, teils die von oben heruntergerufenen Aufträge auszuführen. Drei andere, zwei Ruderer mit ihrem Bootsmann, Dolmetscher und Handelsagent in einer Person, waren indes nach oben an Bord gekommen, aber auf der Schanzkleidung oder den Bulwarks des Schiffes vorsichtig sitzen geblieben, da ein großes Windspiel gravitätisch an Deck herumging und den halbnackten braunen Gestalten ärgerlich die Zähne wies. Dort oben fühlten sie sich insofern sicher, als sie augenblicklich über Bord einem möglichen Angriff des Hundes ausweichen konnten, und dort saßen sie nun, ängstlich die Beine in die Höhe ziehend, sobald das Tier in ihre Nähe kam, und damit schlenkernd, sobald es sich entfernte. Währenddessen boten sie den vor ihnen stehenden Matrosen die von unten heraufgeworfenen Kokosnüsse und Ananas an.

Die Matrosen hatten aber alles hervorgesucht, was möglicherweise noch zu einem Tauschartikel dienen konnte, und gingen dabei von der irrigen Ansicht aus, daß diese Malaien außerordentlich entzückt über einen gelben Knopf, ein Stückchen Spiegelglas oder einen alten Nagel sein würden, wie es die Indianer Amerikas früher gewesen waren. Darin hatten sie sich aber vollständig geirrt, denn dazu standen die Eingeborenen schon zu lange mit Europäern und Chinesen in Verbindung, durch die sie die Wertlosigkeit solcher Artikel nur zu gut kannten. Selbst ein erst acht Tage getragenes Hemd betrachteten sie mißtrauisch und boten ein sehr geringes Quantum von Früchten dafür, während der Dolmetscher ein Paar ihm angebotene Leinwandhosen sogar zurückwies. Der Eigentümer hielt sie nämlich so vor ihn hin, daß der kleine braune Bursche die etwas defekte Rückseite nicht bemerken sollte. Dieser aber, gerade mißtrauisch gegenüber jenem Teil, faßte mit der den Malaien eigentümlichen Geschicklichkeit, und während er in jedem Arm eine große Kokosnuß trug, die Hose mit den Zehen des rechten Fußes, drehte sie, ehe es der Eigentümer verhindern konnte, herum, und rief dann lachend in seinem gebrochenen Englisch:

»Oh yes – you smart – very smart – but me no fool – thank you.«

»O verdamm mich!« sagte der verlegene Matrose, während seine Kameraden ein lautes und schadenfrohes Gelächter anschlugen, »das alberne Loch da hab' ich selber nicht gesehen.«

»Weil es hinten saß, Jan«, lachte ein anderer, »wenn du dich aber einmal herumgedreht hättest, wärst du mit dem Kopf hineingefahren.«

»Aber warum kann sich der braune Heide die denn nicht flicken?« sagte Jan ärgerlich, indem er das so verächtlich zurückgewiesene Kleidungsstück wieder vorsichtig zusammenrollte.

»Ich nicht anderer Leute Hosen flicke«, erwiderte ruhig und in gebrochenem Holländisch der Malaie, der die Worte recht gut verstanden hatte, »ich kein Schneider.«

»Hol' der Teufel, der Kerl spricht holländisch!« jubelten die anderen um ihn her, und der Malaie feierte im stillen seinen Triumph, denn er fühlte, daß er in der Achtung der übrigen sehr gestiegen sei.

Rascheren Handel schloß indes der Steward des Schiffes mit den Bootsleuten für den Bedarf der Kajüte ab, und nicht ohne heimlichen Neid sahen die Matrosen, wie Korb nach Korb der saftigen Früchte von dem Kajütsjungen aus dem Boot heraufgewunden und unter Deck geschafft wurde. Der Steward hatte freilich das, was ihnen gerade fehlte: Geld, und die braunen Burschen kannten dessen Wert gut genug.

Auf dem mit einem rot eingefaßten Sonnensegel gegen die heißen Strahlen geschützten Quarterdeck saßen die Passagiere des Schiffes, die bis dahin damit beschäftigt gewesen waren, ihr Gepäck in Ordnung zu bringen, um mit dem nächsten Boot an Land hinüberzufahren. Es war ein junges, etwas bleich und angegriffen aussehendes Mädchen mit ihrer Dienerin, ein älterer Herr mit ziemlich gelber Hautfarbe, der schon ein Lebensalter unter den Tropen zugebracht hatte und in Batavia ansässig war, und ein anderer, jedenfalls erst frisch aus dem Norden kommender Passagier, dessen fast etwas zu blühende Gesichtsfarbe dem sengenden Klima noch Trotz zu bieten schien. Der ganze Anzug des letzteren verkündete dabei den protestantischen Geistlichen: der schwarze, für diese Gegend etwas zu heiße Rock, der breitkrämpige flache, aber anständig steife Filzhut, die weiße Halsbinde und auch die ruhige, gemessene Haltung, die nur dann und wann durch das kleine, lebendig graue Auge Lügen gestraft wurde. Der ältere Passagier hatte sich durch den Kajütsjungen einen kleinen Tisch auf Deck bringen lassen und ordnete hier, ohne sich weiter um das vor ihnen ausgebreitete Land auch nur im geringsten zu kümmern, seine Papiere und Briefe, während der Geistliche in einem kleinen, schwarz eingebundenen Buch las und nur dann und wann bald nach der waldbedeckten Küste hinüberschaute, aus der die dunklen Ziegeldächer der alten Stadt Batavia hier und da hervorschimmerten, bald einen Blick auf seine Nachbarin, die junge Dame, warf. Diese war freilich ganz in das Anschauen des fremden, geheimnisvollen Landes versunken, das sich selbst jetzt noch unter einer dichten Laubdecke versteckte, und in wachen Träumen schweifte ihr Geist dabei zurück zu der verlassenen Heimat – zu dem Vaterland – zu dem Grab ihrer Mutter.

»Jetzt nicht mehr weine, lieb's Fräule«, flüsterte die alte treue Magd an ihrer Seite, als sie die versteckten Tränen an ihren Wangen niederrollen sah, »jetzt nicht mehr weine – die schlimme Zeit liegt dahinte. Was da geschehe, ist alles nicht wahr gewese und nur verloge, und jetzt sind wir erst neu geschaffe und wolle miteinander auch ein neues, frisches Leben beginne.«

»Es ist gut, Kathrine«, sagte Hedwig leise, »und ich danke dir für deinen freundlichen Trost. Es soll auch nicht wieder geschehen; nur bei dem Anblick des frischen, grünen Landes, das von so weiter Ferne fast aussieht wie ein deutscher Wald, fiel mir die alte Heimat wieder ein. Daß ich sie aber ganz vergessen soll, wirst du doch auch nicht verlangen.«

»Vergesse – das Vaterland!« rief die Kathrine, schon über den Gedanken empört, »da müßte mer ja – na ich will nix weiter sage, aber wann ich mei Frankfort je vergess' – dann lieg' ich auch tot und kalt unter dem Erdbode drunte und denk' an überhaupt nix weiter wie schlafe.«

Der alte magere Herr hatte einen Blick über Bord nach der Stadt zu geworfen und nahm jetzt, weil ihn dort jedenfalls etwas interessierte, sein kleines Fernrohr auf, das ausgezogen neben ihm lag. Sorgfältig schaute er eine kurze Weile durch das Glas, schob es dann wieder zusammen, und seine Papiere in einer breiten Ledertasche verschließend, stand er von seinem Platz auf. Der Geistliche hatte einen fragenden Blick auf ihn geworfen, aber der alte Herr beachtete ihn nicht und ging an ihm vorüber; zu der jungen Dame tretend, sagte er mehr barsch als freundlich: »Machen Sie sich zurecht, mein Fräulein. Das Boot kommt, und ich möchte gern rasch an Land, weiß aber schon, daß Damen nie fertig werden.«

»Ich bin bereit, das Fahrzeug jeden Augenblick zu verlassen«, sagte Hedwig leise. »Ich habe alles fertig und gepackt.«

»Sehr gut«, bemerkte der alte Herr, indem er die Hände in die Taschen schob und ein paarmal an Deck auf und ab ging, und Kathrine sagte leise.- »Ist das ein alter Brummbär – auf der ganzen Reis' hat er keine zwei Worte gesprochen und jetzt fängt er an – das ist Zeit.«

Der alte Herr hatte wieder nach dem Boot gesehen, das immer näher kam, und auch Hedwig warf einen verstohlenen, fast ängstlichen Blick hinüber. Es ließ sich aber nicht erkennen, ob irgendein Passagier darin saß, da das darüber gespannte Sonnensegel den inneren Raum vollständig verdeckte. Der Batavier – denn der alte Herr war früher schon lange Jahre Kaufmann in Batavia gewesen und hatte sich jetzt nur einige Jahre in Europa aufgehalten, um seine Gesundheit zu restaurieren – war wieder zu ihr getreten, betrachtete sie vom Kopf bis zu den Füßen und sagte dann: »Sie wissen doch wohl, daß Sie in Batavia, um sich dort aufhalten zu können, zwei Bürgen stellen müssen?«

»Nein«, erwiderte Hedwig, »das habe ich nicht gewußt – schreiben die Gesetze das vor?«

»Allerdings – aber Sie kennen doch jemanden in Batavia?«

»Nein«, stammelte Hedwig und fühlte, wie ihr dabei das Blut in die Schläfe stieg, »ich bin noch völlig fremd.«

»Völlig fremd?« rief der alte Herr erstaunt, »und Sie haben keine Familie, bei der Sie absteigen?«

»Keine«, sagte Hedwig leise, »aber – ich habe Briefe und – hoffe, daß mich jemand bei der Landung erwartet. Jedenfalls gibt es doch in Batavia ein Hotel, in dem ich die erste Zeit mit meiner Begleiterin logieren könnte?«

Der Batavier maß sie wieder mit einem erstaunten Blick von oben bis unten, dann schüttelte er den Kopf, drehte sich ab, nahm seine Mappe unter den Arm und schritt zu der Stelle, wo die Fallreepstreppe niederhing und wo jetzt zwei Matrosen standen, um dem heranschießenden Boot ein Tau hinunterzuwerfen. Was ging ihn auch das künftige Schicksal einer Fremden an, die jedenfalls alt genug war, für sich selber zu denken. Hedwig aber fühlte sich durch das sonderbare Wesen des alten Herrn, der jedenfalls Batavia und dessen Sitten genau kannte, beunruhigt, und zu ihm tretend, sagte sie leise und schüchtern: »Glauben Sie denn, verehrter Herr, daß man mich an Land lassen wird, ohne daß ich vorher Bürgschaft geleistet habe?«

»Torheit«, brummte der Batavier, »an Land kann jeder kommen, und so lange, bis dieses Schiff wieder segelt, können Sie sich unbehindert in der Stadt aufhalten. Haben Sie bis dahin aber keine Bürgen gefunden, so muß Sie der Kapitän wieder mit fortnehmen – ob er will oder nicht. Batavia ist außerdem ein sehr teurer Aufenthalt, wenn man in einem Hotel leben muß – doch das ist Ihre Sache, und ich will Ihnen nur wünschen, daß Sie sich nicht bloß auf ein paar Empfehlungsbriefe verlassen haben. Die nützen Ihnen gar nichts. Wenn ich Ihnen übrigens raten soll, so lassen Sie jetzt Ihr Gepäck herbeischaffen, sonst bleibt es zurück, denn jener Herr da scheint eine ganze Bootsladung eigener Fracht mitnehmen zu wollen.« Und mit diesen Worten, als ob er mehr als genug gesagt und sich mit fremden Angelegenheiten beschäftigt habe, wandte er sich ab, um seinem eigenen Diener die nötigen Befehle zum Landen zu geben. Der »andere Herr«, den der Batavier meinte, war aber der Geistliche, der in der Tat, von dem Untersteuermann dabei unterstützt, eine Anzahl Koffer und fünf oder sechs Kisten an Deck und bis zur Fallreepstreppe schaffen ließ, wo ein paar Matrosen rasch ein Tau darum schlugen und anfingen, das »Passagiergut« über Bord zu bringen.


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