Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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Die Malaien schossen mit ihren Lunten von allen Seiten vor, und Wagner, von einem Feuer nehmend, ohne die anderen eines Blickes zu würdigen, fuhr fort: »Es ist überhaupt eine falsche Idee, zu glauben, daß dir hier in Indien eine Frau – nämlich eine im Lande erzogene Frau – irgendeine Bequemlichkeit im Hause bereiten würde. Das müssen dir doch die Dienstboten tun. Willst du es besser haben, bleibt dir nichts anderes übrig, als selber nach Europa hinüberzugehen und dir eine Frau dort auszusuchen.«

»Daß das jetzt nicht geht, weißt du selber am besten«, sagte van Roeker, »und es kann noch Jahre dauern, bis ich imstande wäre, das Geschäft so lange zu verlassen.«

»Dann gib mir den Auftrag«, lachte Keurhuis, ein junger Mann von kaum dreiundzwanzig Jahren, »ich gehe mit der nächsten Mail nach Holland, um mir selber eine Frau zu holen, und bringe dir gleich eine mit.«

»Du wärst der letzte, dem ich die Wahl anvertrauen möchte«, sagte van Roeken, »denn die Beste behieltest du doch für dich selber.«

»Dann macht's wie der Missionar auf Celebes!« rief Bylderheer, ein anderer der Gesellschaft, der längere Zeit in einem Celebes-Handlungshaus konditioniert hatte und erst seit einigen Monaten von dort zurückgekehrt war.

»Und wie hat es der gemacht?« fragte van Roeken.

»Ganz einfach dem Board der Missionare in England Auftrag gegeben, ihm eine passende Frau herüberzuschicken.«

»Und das ist geschehen?«

»Geschehen? Allerdings. Schon mit dem nächsten Schiff traf seine Braut ein, ein liebes, prächtiges Mädchen, einfach und bescheiden, nur ein bißchen schwärmerisch-fromm, was aber zu dem Mann vortrefflich paßte.«

»Und nach acht Tagen werden sie beide wünschen, daß sie einander nie gesehen hätten«, sagte Wagner.

»Bitte um Verzeihung!« rief Bylderheer. »Die beiden Leute sind jetzt sechs Monate miteinander verheiratet und leben so glücklich, wie nur Eheleute leben können. Zufällig habe ich gerade heute abend mit einer von dort eingetroffenen Prau Briefe bekommen, worin mir Ballenheg, unser Kommissionär, der mit dem Engländer gut bekannt ist, über die beiden schreibt. Aber bei Euch, Roeken, kann man keinen Brief lesen; es ist ja stockfinster geworden.«

»Wahrhaftig!« rief van Roeken. »Der Abend war aber so wundervoll, und ich hatte gar nicht darauf geachtet. He, Licht da, und ein bißchen rasch; wie wär's, meine Herren, wenn wir heute keinen Tee tränken, sondern eine Bowle machten? Es ist kühl genug, ein Glas zu vertragen, und morgen überhaupt Sonntag, so daß wir ausschlafen können.«

»Vortrefflich, vortrefflich!« jubelten ihm die anderen zu. »Eine Bowle, den Tag würdig zu beschließen!«

»Ich bitte aber um eine Tasse Tee«, sagte Wagner. »Mit euren Bowlen bleibt mir zu Haus; ich habe es einmal versucht und nicht wieder.«

»Wer Tee trinken will, kann es ja tun«, sagte der Wirt, während die Malaien beschäftigt waren, die sechs im Portico hängenden Astrallampen anzuzünden. »Zu einem fröhlichen Abend gehört aber Bowle, und dann fehlte uns weiter nichts, als daß wir uns noch von Meester Cornelis einen RonggingRongging: Chinesische Tänzerinnen, die auf den Basaren oder Märkten und manchmal auch in Privathäusern, aber natürlich nur bei Junggesellen, ihre originellen Tänze aufführen. kommen ließen.«

»Damit morgen in ganz Batavia die Nachricht die Runde macht, die Firma Wagner und van Roeken hätte Orgien gefeiert«, sagte der ruhigere Kompagnon. »Wenn ihr das tun wollt, dann geht lieber gleich an die Quelle zu Meester Cornelis selber, erlaubt mir aber, daß ich hierbleibe und meinen Tee allein trinke.«

»Der alte Moralist«, lachte Heffken. »Aber hier geht es auf keinen Fall, und diesmal hat er recht. Die Nachbarschaft ist zu nah, und rechts und links sollten wir bald neugierige Gesellschaft genug haben. Übrigens bitte ich um die Erlaubnis, die Bowle zu brauen. Ich bin darin ein alter Praktikus.«

»Zugestanden, zugestanden!« riefen die übrigen fröhlich.

»Und jetzt, nachdem wir Licht haben, den Brief«, sagte Bylderheer, das fragliche Schriftstück aus der Tasche ziehend; aber niemand hatte mehr Geduld, ihm zuzuhören.

»Oh, laßt Eure langweilige Epistel!« rief Heffken; »was geht denn uns das an, ob der englische Pfaffe auf Celebes glücklich oder unglücklich mit seiner Herzallerliebsten lebt. Für uns die Bowle, und ich bitte Euch um noch eine Eurer Zigarren, van Roeken. Diese Havanna ist wahrhaftig vortrefflich – habe sie in meinem Leben nicht besser geraucht.«

»Wo fahren denn diese vielen Carretas heute hin?« fragte Wagner. »Ich habe jetzt sieben hintereinander gezählt, die alle dort links einbogen.«

»Zu van Romelaers«, sagte van Roeken, »dort ist heute Empfangsabend, und wie ich hörte, soll sogar Musik hinbestellt sein.«

»Alle Teufel!« rief Heffken, »dann ist heute abend auch Verlobung dort; ich habe diesen Morgen im Kontor davon gehört. Das schöne Kätchen soll weggegeben werden.«

»Unsinn«, sagte van Roeken rasch, »wer hat das Märchen erfunden?«

»Märchen?« lachte Heffken. »Hauptmann Regterwyl wird Euch bald beweisen, daß nicht viel Märchenhaftes an der ganzen Sache ist. – Verd... Roeken, war die kleine Käthe nicht auch eine von Euren Flammen?«

»Nicht daß ich wüßte«, sagte van Roeken lachend, aber er wandte sich rasch vom Licht ab, denn er fühlte, wie er bei der Nachricht die Farbe veränderte. Die vorzubereitende Bowle gab ihm indessen leicht einen Vorwand, sich zurückzuziehen, und als er, von einigen Malaien gefolgt, in das Haus ging, beugte sich Keurhuis zu dem Buchhalter und flüsterte: »Aber Heffken, wußtet Ihr denn nicht, daß van Roeken einen Korb von der kleinen Romelaer bekommen hat?«

»Waarachtig niet!« rief dieser überrascht aus, »kein Wort! Deshalb wurde er so rot. Aber er muß doch schon vorher davon gehört haben, daß sie halb und halb diesem Offizier versprochen war.«

»Wahrscheinlich nicht; aber sprecht nicht so laut; Wagner braucht nichts davon zu hören. Laßt das Gespräch auch lieber fallen, wenn Roeken zurückkommt.«

»Gewiß – gewiß«, nickte der Buchhalter. »Dürfen ihn heute an seinem Geburtstag nicht ärgern. Später ist immer noch Zeit, ihn damit zu necken.«

»Er verträgt darin vielleicht keinen Spaß.«

»Bah, was will er machen«, lachte Heffken still vor sich hin. »Das ist also schon der zweite Korb, den er hier bekommen hat.«

»Der zweite?«

»Die Tochter des alten Rats Boderwend hat ihn auch ausgeschlagen.«

»Aber weshalb? Er ist jung und reich.«

»Und liederlich«, sagte Heffken. »Die Pariser Luft steckt ihm noch zu sehr in den Gliedern. Aber da ist er mit der Bowle. Jetzt kommt meine Arbeit, und nun sollt Ihr einmal sehen, was ich Euch zusammengießen werde.«

Wagner, van Roekens älterer Kompagnon, war indessen aufgestanden und vorn an den Porticus getreten, wo er tief in Gedanken auf die wundervolle Szenerie vor sich hinausstarrte; und doch hätte diese wohl verdient, ihr volle und ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen. Es gab auf der Welt kaum ein reizenderes Bild als das hier vor ihm ausgebreitete, und die inzwischen vollständig hereingebrochene Nacht hatte seine Reize eher vermehrt als vermindert. Vor dem breiten, nur aus einem Stockwerk bestehenden und von Säulen getragenen Gebäude dehnte sich ein mit duftenden Büschen und Fruchtbäumen bedeckter Garten aus, über dem die hohen federartigen Wipfel der Kokos- und Areka-Palmen im kühlen Luftzug rauschten und nur in der Mitte den Blick zu dem sternbesäten, tief dunkelblauen Himmel freiließen. Vor dem Garten zog sich der breite, von Hecken eingefaßte Weg hin, und zwischen zwei riesigen Waringhis konnte man durch das Buschwerk des gegenüberliegenden Gartens die ebenfalls hell erleuchtete Säulenhalle des vis-à-vis erkennen. Dort war, wie hier, eine Gesellschaft versammelt; aber dort drüben wurde keine Junggesellenwirtschaft geführt, sondern elegant gekleidete Damen bewegten sich in den zu Tageshelle erleuchteten Räumen hin und her, und von den hohen, prachtvollen Bäumen eingefaßt, sah das Ganze aus wie ein zierliches, künstlich hergestelltes lebendes Miniaturbild.

Hier und da glänzte Fackelschein durch die Nacht mit dem Rollen vorbeifahrender Wagen. Jeder Wagen nämlich hat abends ein oder zwei Malaien hinten aufstehen, die aus Bambus geschnitzte Fackeln, sogenannte obors, tragen und den Weg beleuchten. Besonders schön und eigentümlich sieht das bei dem lebhaften Verkehr auf den Straßen abends aus, und neben den flammenden Leuchten ziehen noch kleine, oft nur glimmende Feuerbrände wie Glühwürmchen durch die Dunkelheit, da kein Eingeborener, Javaner oder Malaie und selbst Chinese, nachts über den Weg gehen darf, ohne etwas Brennendes bei sich zu haben. Unheimlich aber zuckten zu gleicher Zeit dunkle große Körper durch die Nacht, mit geräuschlosem Flügelschlag vorüberschießend; es war der »Fliegende Hund«, jene riesige Fledermaus von der Größe einer mittleren Katze, der seine Flugkünste zwischen den hängenden Zweigen der Waringhis trieb und hier und da auch nach den Fackeln stieß, ohne ihnen jedoch zu nahe zu kommen. Selbst im Portico war das Tierleben, oft nur zu reichlich, vertreten. An den Wänden, sogar an der Decke entlang, liefen jene braunen geselligen Eidechsen, die erst mit den angezündeten Lampen zum Vorschein kommen und dort Jagd auf eingeschlafene Fliegen machen. Ein paarmal kamen vom Garten aus schwerfällig ein paar Kröten die Stufen heraufgehüpft und kehrten wieder um, als sie dort oben so unerwartet zahlreiche Gesellschaft fanden, und Tausende von fliegenden Ameisen flirrten um die Lichter herum und fielen auf die Tische nieder. Aber niemand kehrte sich an das; es waren zu gewöhnliche Erscheinungen, um sie auch nur noch mit einem Blick zu beachten. Außerdem interessierte sie alle jetzt viel mehr die Bowle, mit der van Roeken in der Tür erschien, während ihm alle seine Malaien mit Flaschen, Zucker und Gewürzen folgten. Als dann die Sachen auf dem mittleren Tisch angelangt waren und Heffken sein Werk begonnen hatte, wurden rasch ein paar Spieltische arrangiert, um dem Abend auch nicht einen Augenblick Langeweile zu gönnen. Die verschiedenen Parteien hatten sich eben geordnet, als wüstes Geschrei von der Straße herübertönte und ein zweispänniger Wagen – eine sogenannte carreta – mit zwei Fackelträgern hintendrauf, wie rasend herangerasselt kam. Alles drehte sich erstaunt den ungewohnten wilden Geräuschen zu, denn in Batavia herrscht ein so gesetzter, anständiger Ton, wenigstens in dem äußeren Leben der Europäer, daß ein betrunkener Weißer auf der Straße fast nie gesehen wird; er würde auch von dem Moment an von jeder anständigen Familie gemieden. Noch mäßiger sind Chinesen und Javanen, und gespannt schauten deshalb die jungen Leute nach der Straße hinaus, um bei dem hellen Schein der Fackeln vielleicht einen flüchtigen Blick auf die Urheber solchen Lärms zu werfen. Dicht vor dem Garten tat es wieder einen grellen Schrei, einen richtigen Juchzer, wie er auf deutschen Dörfern wohl gehört wird, wenn Bauern von der Kirmes angetrunken heimkehren. Ehe das Fuhrwerk aber voll in die offene Lichtung des vorderen Gartens kam, verlöschten die Fackeln plötzlich, ein Krachen folgte und dann ein Aufschrei von Stürzenden. Jedenfalls war das Fuhrwerk umgeschlagen. Lautes Lachen und deutsches Fluchen verriet indessen bald, daß kein Unglück geschehen sei; aber auch im andern Fall hätte keiner der jungen Leute einen Fuß gerührt, den Verunglückten beizuspringen. Es waren eben Trunkene – ja das Schlimmste von allem, Trunkene auf der Straße, und mit denen hätte sich keiner von ihnen persönlich eingelassen. Höchstens konnte man einen Malaien hinausschicken. Heffken übrigens, der neugierig war, wer die Störenfriede sein könnten, die auf solche Weise Cramats stille Ruhe entweihten, sandte einen der Malaien ab, um nachzusehen, warnte ihn aber, den Garten nicht zu verlassen, sondern bloß über die Hecke zu schauen. Vom Haus aus konnten sie indes erkennen, wie die malaiischen boedjangs oder Fackelträger durch Umherschwingen ihre ausgelöschten, aber noch glimmenden obors wieder in Brand zu bringen versuchten, was ihnen nach einiger Zeit auch gelang. Sie waren jetzt wenigstens imstande, das an ihrem Wagen geschehene Unglück bei Licht zu sehen.

Das Geschrei und Lachen draußen nahm indessen überhand und näherte sich dem Einfahrtstor des Anwesens. Ehe der abgesandte Malaie noch zurückkommen konnte, öffnete sich das Tor, und ein paar hellgekleidete Gestalten wurden sichtbar.

»Das ist nicht übel!« rief Wagner erschreckt; »wir bekommen, wie ich fürchte, höchst unangenehmen Besuch, und leider besteht keine Aussicht, uns zu verleugnen; die Lampen brennen zu hell.«

»Wenn wir die Lichter nun rasch auslöschten!« rief Bylderheer, nach irgendeiner Ausflucht suchend, um der fatalen Störung zu entgehen.

»So?« meinte Heffken, »daß uns die Vents in die Bowle taumeln und Flaschen und Getränk über den Haufen werfen? Zum Henker auch, wer uns hier nicht genehm ist, den schicken wir fort.«

»Zehn gegen eins!« rief van Roeken, »das ist der verzweifelte Mensch, der Horbach, der sich eine Zeitlang gut geführt hat und seit ein paar Tagen wieder ausgebrochen scheint. Er hat einen Wechsel aus Deutschland bekommen und rast nun herum, bis er ihn wieder durchgebracht hat.«

»Du bist ja wohl mit Bürge für ihn?« fragte Wagner.

»Leider«, seufzte van Roeken, »und ich werde auch noch in den sauren Apfel beißen müssen, ihm freie Passage nach Hause zu geben. Beim Himmel, er ist es; ich kenne die Stimme zu meinem Schaden gut genug.«


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