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Es war in der Tat Heffken gewesen, der die zankenden Stimmen im Haus gehört und seine besonderen Gründe hatte, sich nicht dabei zu zeigen. Als er den Chinesen, der bereits wartete, zu Haus gefunden hatte, war er mit ihm der Wohnung der Alten zugeschritten und schickte ihn dort vor allen Dingen erst einmal hinein, um zu sehen, ob die Luft rein sei; er blieb auch in seinem Versteck, bis Schong-ho wieder aus dem Haus kam und mit leiser Stimme rief: »Tuwan – Tuwan! – Wo zum Henker steckt denn der Tuwan jetzt? Er ist fort!«
»Wer ist fort, mein Alter?« sagte Heffken, der hinter dem Haus hervorkam und auf seinen Führer zuschritt. »Wer war der Bursche, der da eben das Haus verließ?«
»Bah, ein Tollkopf«, lachte der Alte still vor sich hin, »und verrückt genug zu glauben, er könne ein Mädchen, wie das da drinnen, mit dreißig Gulden von seinen Eltern kaufen.«
»Und ist Melattie da?« fragte der Europäer rasch.
»Ist sie da?« wiederholte der Alte mit seinem heiseren Lachen. »Hat es Euch Schong-ho nicht versprochen, und wird der sein Wort nicht halten? Gewiß ist sie da und wartet mit Schmerzen auf den Tuwan, der ihr das Leben einer Nona geben wird – was kann solch ein armes, in den Bergen wild aufgewachsenes Ding Besseres auch wohl verlangen?«
»Und ihr Vater ist auch da, um den Handel gleich fest abzuschließen?«
»Alles in Ordnung, wie es Tuwan befohlen haben«, erwiderte der Chinese in seiner kriechenden Freundlichkeit. »Kommt nur herein, ich darf heut abend nicht so lange von zu Hause wegbleiben, denn es ist Basar, und die Mädchen wollen immer unter strenger Aufsicht gehalten sein, wenn sie nicht Unsinn treiben sollen.«
Heffken zögerte noch einen Augenblick und sah zurück. Es fiel ihm der Javaner ein; aber die Straße war jetzt leer; das Mondlicht beleuchtete sie hell und klar, und seinem Führer folgend, betrat er vorsichtig die schwankende Veranda des kleinen Bambushauses.
Darin hatte sich indessen die Szene verändert. Der alte Mann war an die Tür getreten, und als er die Stimme des Weißen draußen hörte und diesen mit Schong-ho herankommen sah, schritt er auf seine Tochter zu, faßte sie am Arm, und das zitternde Mädchen emporziehend, sagte er leise und rasch: »Jetzt sei vernünftig, Melattie. Der Tuwan ist ein reicher Herr; du wirst es gut haben – hübsche Kleider, goldenen Schmuck und reichlich zu essen. Was hätte dir der arme Tropf, der Patani, bieten können, und ist es nicht außerdem ein tollköpfiger, heißblütiger Bursche, der nur immer Zank und Streit mit den Opass hat? Sie wollen ihn sowieso nicht mehr in Bandong dulden, weil er die Abgaben verweigert und den Vornehmen den gehörigen Respekt. Das wär' ein Glück für dich gewesen, mit dem Vagabunden im Land herumzuziehen und deinen Reis zu erbetteln; Hetavis Tochter ist zu gut dafür.«
»Ich fürchte mich, Vater«, flüsterte das Mädchen, indem es sich fester an die Mutter klammerte. »O laß mich bei euch; ich will arbeiten von früh bis in die Nacht und niemals klagen, niemals!«
»Ob du gehorchen wirst!« zischte der Alte sie zornig an. »Hab' ich das Geschwätz doch jetzt satt und übersatt. Komm – du weißt, daß du mußt.«
»Ich weiß es«, hauchte das arme Kind, und willenlos erhob sie sich und folgte dem Vater, der sie auf die andere Matte, dicht zu der noch immer dort kauernden Alten führte. Die Mutter blieb in der Ecke sitzen, barg ihr Gesicht in ihrem Schultertuch und weinte still; sie wußte, daß sie ja doch keine Stimme gegen den Willen des Mannes hatte.
So finster und herrisch der alte Javaner aber noch vor wenigen Sekunden gegen die Tochter gewesen war, so kriechend freundlich und demütig verbeugte er sich jetzt gegen den eintretenden Weißen und kauerte vor ihm, als er nur auf der Schwelle erschien, neben der Matte mit seinem »Tabé Tuwan – tabé« nieder. – Hoch aufgerichtet aber und nur den Blick gesenkt, die Arme auf der nackten Brust gekreuzt und am ganzen Körper zitternd, stand das schöne Mädchen, und Heffkens gieriger Blick sog sich fest an der lieblichen Gestalt.
Schong-ho hatte in der Tat Wort gehalten. Melattie, nach der duftenden Blume ihrer Heimat genannt, in frischer Jugendblüte aus den freien Bergen herunterkommend, war eins der schönsten Mädchen ihres Stammes und hätte wohl einen braven Mann ihres Volkes – so gut wie schön – glücklich machen können. Aber was fragte der weiße Käufer nach ihrem Herzen – nur die Gestalt hatte er sich ausbedungen –, nur für den Körper bezahlte er das Blutgeld, und die Angst nicht achtend, die auf den anmutigen Zügen lag und ihr Herz in raschen Schlägen pochen ließ, ging er auf sein Opfer zu, nahm ihre Hand, die sie ihm willenlos überließ, und sagte, sich jetzt zu dem Vater wendend: »Deine Tochter soll es gut bei mir haben, Alter. Weiß sie alles, Schong-ho, was sie bei mir zu beachten hat?«
»Die Mutter hat sie darin unterwiesen, Tuwan«, bemerkte der Chinese, der mit gekrümmtem Rücken neben dem Weißen stand. »Versteht sich von selber, daß sie ihre Pflichten kennt.«
»Es ist viel Geld, das ich zahlen muß«, meinte der Weiße.
»Ein Spottgeld für das Mädchen«, versicherte aber Schong-ho, »wir wollen uns wiedersprechen, und der Tuwan wird seinen gehorsamen Diener bei all seinen hohen Freunden empfehlen.«
»Und an wen hab' ich das Geld zu zahlen?«
»An mich, Tuwan«, sagte der Chinese; »ich mache dann alles mit dem Bergmenschen ab – Tuwan können sich nicht weiter mit ihm einlassen.«
»Das Mädchen verläßt nicht eher das Haus«, rief aber der Alte, der dem Chinesen nicht trauen mochte, »bis ich die zweihundert Gulden in Händen habe.«
»Zweihundert?« fragte Heffken mit einem Blick auf seinen Unterhändler. »Du sagtest mir ja...«
»Ich muß seine Reise hin und zurück bezahlen, Tuwan, und der Alten hier ebenfalls einen Anteil geben. Dann habe ich selber die Reise nach Bandong machen und dort lange umhersuchen müssen, bis ich das Rechte fand. Rechne ich alles zusammen, behalte ich keine zehn Deut Nutzen. Nur die Ehre, für Sie ein Geschäft zu machen, und die Hoffnung auf weitere Empfehlung.«
»Schon gut, Schong-ho«, unterbrach ihn der Weiße, »ich kenne Eure Art von Uneigennützigkeit. Hier, Alter, sind deine zweihundert Gulden.«
»Halt, großer Herr«, wollte Schong-ho abwehren, »Hetavi hat noch außerdem an mich...«
»Das geht mich nichts an«, schnitt ihm aber der Weiße kurz das Wort ab. »Ich will hier keine weiteren Umstände haben und kümmere mich nicht um euren Handel. Hast du sonst noch etwas von ihm zu fordern, so laß es dir geben.«
Gierig griff indessen der Javaner nach dem Geld, und während der Weiße dem Chinesen eine andere Summe in die Hand zählte, kauerte er auf der Matte neben der Lampe nieder, um es in kleine Haufen abzuteilen. Melattie aber, das arme Mädchen, lief zurück zur Mutter, warf sich neben ihr nieder und barg ihr Antlitz in deren Schoß, und die Frau beugte sich über sie und lehnte ihre Stirn auf das Haupt der Tochter.
So saßen sie viele Minuten lang, keiner sprach ein Wort, und ungeduldig wartete Heffken indessen, bis der Alte mit dem Zählen und wieder Zählen fertig war. So viel Geld hatte er noch nie auf einmal in Händen gehabt, und es ging nicht so rasch mit ihm, bis er sich da hineinfand. Heffken wurde endlich die Zeit lang.
»Nun, Braunfell«, sagte er, »bist du bald fertig? Du darfst es mir auf mein Wort glauben, daß die Summe richtig ist; ich würde dich nicht um ein paar Gulden betrügen, wenn es auch vielleicht andere täten«, setzte er mit einem verächtlichen Seitenblick auf den Chinesen hinzu.
»Alles gut – alles gut, Tuwan«, murmelte der Alte vor sich hin, »schönes Geld – gutes Geld – braves Geld! Da nehmt das Mädchen – Melattie, komm, der Tuwan wartet. Wirst du ein Ende machen!« rief er, heftig auf den Boden stampfend, als sich die Tochter noch immer nicht von der Mutter losreißen konnte.
»Geh – geh, mein Kind«, flüsterte diese. »Allah sei mit dir und schütze und hege dich – deiner Mutter Segen geht mit dir – deiner Mutter Gebet wird für dich jeden Tag zum Himmel steigen. Geh, dein Vater zürnt und der weiße Tuwan wartet auf dich.« Noch einmal preßte das arme Kind sich fest an der Mutter Brust, dann erhob es sich langsam und schritt auf den Vater zu.
»So, mein Herzchen«, sagte dieser freundlich, aber in Hast, denn er konnte die Zeit schon nicht mehr erwarten, wo er die Opiumhöhle betreten sollte. »Komm, mach schnell! Dummes Ding; weint, als ob ihr das größte Unglück begegnen sollte, während es jetzt vornehm wird und in einem schönen Haus wohnt mit dem weißen Tuwan. – So, so, das ist genug«, rief er, die Tochter leise von sich drückend, als sich diese ebenfalls an seine Seite schmiegte. »Der Tuwan wird freundlich zu dir sein und dich nicht schlagen, wenn du hübsch folgst.«
»Du bringst mir das Mädchen an meinen Bendi, Schong-ho«, sagte jetzt Heffken, der unwillkürlich an den jungen Javaner dachte und diesem nicht draußen mit dem Mädchen allein begegnen mochte. »Tabé, Alter – Tabé, Mutter – eure Tochter soll es gut bei mir bekommen, und ist sie brav, dann schicke ich sie euch auch einmal in die Berge zum Besuch – komm, Melattie –«, und ihren Arm ergreifend, führte er sein Opfer mit sich vor die Tür. Die Mutter blieb regungslos auf ihrer Matte sitzen; aber die Alte krümmte und bog sich und winselte ihr »Tabé«, solange sie den Weißen sehen konnte, während der Vater kaum einen Blick hinter seiner Tochter herwarf und nur mit zitternden Händen das Geld, das viele Geld betastete. Heffken zögerte noch einen Moment auf der Schwelle. Er dachte daran, ob es nicht vielleicht besser sein würde, seinen Bendi gleich hier an das Haus kommen zu lassen. Dieser nichtsnutzige Bursche aber, der Horbach, dem er vorhin fast in die Hände gelaufen war, hätte die Straße herabkommen können. In das Haus wollte er auch nicht noch einmal hinein – der Abschied zwischen Mutter und Tochter war ihm fatal gewesen –, und auf der Straße hier so lange zu warten, wo der junge Bergbewohner vielleicht noch irgendwo umherkroch, behagte ihm ebenfalls nicht. Das beste blieb, wie er es zuerst beschlossen hatte, daß Schong-ho das Mädchen zu der Stelle führte, wo die Wagen standen; er brauchte dann nicht einmal bei ihm zu bleiben und traf dort nur mit ihm zusammen. Erst einmal mit seiner Beute im Bendi, war er so gut wie daheim.
Ein paar dem Chinesen zugeflüsterte Worte, bei denen dieser sich nur mehrmals, zum Zeichen seines Gehorsams, verbeugte, genügten auch, um alles Weitere zu ordnen, und während dieser Melatties Arm ergriff und sie mit sich fortführte, schritt Heffken so lange hinter den beiden her, bis sie den belebten Teil des Ortes erreichten und hier auch eine Menge anderer lachender und erzählender Chinesen und Javanen trafen. Zwischen diesen wollte sich der Europäer nicht sehen lassen, da ihn manche vielleicht von Batavia her kannten, und er bog deshalb links ab, um oben den Basar zu umgehen. Die hier entlangführende Straße lag aber so dunkel und einsam und war außerdem so schmutzig, daß er fürchtete, in irgendein Schlammloch zu fallen. Auch war es ihm fast, als ob er ein paarmal Schritte hinter sich hörte, wenn er auch niemanden erkennen konnte, und mit nicht reinem Gewissen bog er wieder in die belebtere Richtung ein, dem Basar zu, von wo die wilden, wunderlichen Töne eines AnklongAnklong: Ein aus Bambus hergestelltes javanisches Musikinstrument, das nur gestoßen und geschüttelt wird., mit den kreischenden Stimmen der Tänzerinnen untermalt, zu ihm herüberdrangen. Der Platz war nicht sehr groß, und dessen ganzer Verkehr drängte sich hier zusammen; desto unbeachteter konnte aber auch der einzelne hindurchkommen, und Heffken, rasch seinen Weg verfolgend, hatte sich schon durch den eckigen Schwarm, der vor der Opiumhöhle lagerte, gearbeitet und schritt rasch die hier freier werdende Straße hinab, als er plötzlich einen derben Schlag auf seiner Schulter fühlte und eine lachende Stimme jubelnd ausrief: »Heffken, alter Junge, wie geht's! Auch auf dem Schnepfenstrich, he? Sieh einer den Duckmäuser an, wie ehrbar er sonst tut, und jetzt kriecht er hier ganz allein in Meester Cornelis herum, der kleine Don Juan.«