Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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Wenige Minuten später hielt das leichte Fuhrwerk vor dem Haus des Residenten, und Lockhaart wurde zu einem etwas im Garten liegenden Seitengebäude geführt, das dem Gefangenen zum vorübergehenden Aufenthalt diente und von Wachen rings umgeben war. Selbst vor jedem in den freundlichen Garten führenden Fenster standen zwei Oppass. Lockhaart fand den Residenten selber eifrig beschäftigt, Herrn Joosts Bekenntnisse aufnehmen zu lassen. Herr Joost war nämlich nicht mehr der lächelnde, selbstzufriedene Mann von gestern abend. Er saß, seine Hände zwischen den Knien, auf einem Rohrstuhl mitten in der Stube, dicht hinter ihm aber standen zwei javanische Oppass, schlanke, kräftige Gestalten, denen selbst die halb europäische geschmacklose Beamtentracht keinen wesentlichen Abbruch tun konnte, und vor ihm lehnte, in einem bequemen Sessel, seinen Schreiber neben sich, der Resident, um das ihm abgelegte Geständnis sogleich rechtskräftig aufzunehmen. Als Lockhaart in das Zimmer trat, erschrak Herr Joost. Scheu blickte er zu dem gefürchteten Mann auf, während sich in alter Gewohnheit seine Lippen zu einem grinsenden Lächeln verzogen und die beiden grellweißen Zahnreihen bloßlegten. Die hellblauen, runden Augen fuhren dazu unruhig von einem der Herren zu dem anderen, bis er sie wieder mit einem halb verlegenen, halb tückischen Blick zu Boden senkte.

»Herr Joost ist zur Vernunft gekommen, Mynheer«, redete der Resident den Eintretenden an. »Einmal in den Händen des Gerichts, mit solchen Beweisen wie wir haben, konnte Leugnen auch seine Sache einerseits nur schlimmer machen, während er sich andererseits durch ein offenes Bekenntnis eine bedeutende Milderung seiner Strafe sichert.«

»Gesteht er wirklich alles klar und unumwunden, so daß wir ohne längere Weitläufigkeiten dem eigentlichen Verbrecher die Beweise vorhalten können«, sagte Lockhaart, »dann will ich mich selber verbindlich machen, was in meinen Kräften steht zu tun, um seine Strafe zu verringern. Der Maatchappey liegt natürlich außerordentlich daran, diesen verschiedenen frechen Betrügereien auf die Spur zu kommen, und wenn ihr jemand dazu mit reuigem Herzen behilflich ist, wird sie sich dankbar erweisen. Im anderen Fall weiß Herr Joost, besser als ich es ihm sagen kann, daß eine lange Untersuchungshaft in den batavischen Gefängnissen für den Europäer mit großen Gefahren verbunden ist. Er wird das Beste wählen.«

»Sie – Sie haben recht«, stammelte Herr Joost, und die Worte gingen ihm nur schwer von den Lippen. »Das Gericht wird auch gnädig mit mir sein; Herr Heffken hat mich verführt.«

Lockhaart wollte etwas darauf erwidern, ein warnender Blick des Residenten hielt ihn aber zurück.

»Wir wissen, daß Herr Heffken ein sehr gefährlicher und verschmitzter Mensch ist«, sagte er, »und es scheint deshalb nur soviel wahrscheinlicher, daß er Ihre von ihm abhängige Stellung benutzt hat, sich Ihrer Dienste zu versichern. Um so eher werden Sie auch zu entschuldigen sein. Aber Sie müssen uns eben beweisen, daß er diese verschiedenen Betrügereien angeordnet und geleitet sowie auch den Hauptnutzen daraus hat.«

»Das kann ich!« rief Herr Joost schnell, »das kann ich auf Ehre und Gewissen! Schaffen Sie mich nach Batavia, dort will ich Ihnen in vierundzwanzig Stunden sämtliche Beweise bringen, die Sie nur wünschen können – was nämlich den Kassendiebstahl betrifft. Über das Verschwinden der beiden Prauen freilich...«

»Bitte, fahren Sie fort, Herr Joost«, sagte der Richter ruhig.

»... habe ich keine Beweise in Händen«, setzte Joost leise hinzu.

»Und wer hat sie?«

»Klapa.«

»Also Sie wissen bestimmt, daß auf Heffkens Veranstaltung damals wie in der letzten Zeit jene Prauen verschwanden?«

»Ja.«

»Dieser Heffken ist doch ein ganz abgefeimter Halunke!« rief Lockhaart, seinen Stock auf den Boden niederstampfend.

»Und welchen Zweck hatte Ihre Reise hierher, wenn man fragen darf?« sagte der Resident. »Denn wie Sie uns heute morgen schon erklärten, ist Ihnen das Abenteuer mit unserer armen Mevrouw Soltersdrop erst hier oder unterwegs eingefallen.«

»Ich habe es Ihnen schon angegeben«, sagte Joost leise, und sein bis jetzt aschfahles Gesicht bekam wieder Farbe, denn selbst er schämte sich des schmutzigen Auftrags, dem er sich unterzogen hatte. »Ich sollte mich jenes Mädchens versichern, das er von ihren Eltern gemietet hat und deretwegen jener Javane schon einmal nach ihm stach.«

»Und woher hat Herr Heffken jetzt so plötzlich ihren Aufenthalt erfahren? Ich erinnere mich, daß wir vor einiger Zeit alle Berge nach dem Burschen absuchten, der im Verdacht steht, sie entführt zu haben. Wie hieß sie gleich?«

»Melattie.«

»Ganz recht.«

»Klapa hat ihren Aufenthalt verraten. Patani hat eine kleine Hütte am Goenong boekit Toengoel.«Oe nach der holländischen Schreibweise wird immer wie u gesprochen.

»Und Sie allein hätten sich dem aussetzen wollen, jenem tollkühnen Javaner die Frau wegzuholen? Besinnen Sie sich auf etwas Besseres, mein guter Herr Joost, diese Aussage ist zu unwahrscheinlich.«

»Sie haben recht, Mynheer«, sagte Joost leise, »ich allein würde es auch nie gewagt haben, wenn uns nicht Klapa fest versprochen hätte, das Mädchen an einer bestimmten Stelle abzuliefern, sobald ich nur bereit sei, sie in Empfang zu nehmen. Für Leute, die sie bis Bandong brächten, wollte er selber sorgen; ich sollte ihm nur versprechen, daß sie nicht wieder in die Berge käme.«

»Und welcher Lohn war Klapa für diesen Liebesdienst zugesichert?« fragte Lockhaart.

»Eine Geldsumme, die ich bei mir trage und ihm dort oben persönlich aushändigen sollte.«

»In der Tat?« sagte der Resident rasch. »Dann, Herr Joost, ist Ihnen jetzt die Möglichkeit gegeben, uns zu beweisen, daß Sie es wirklich ernst und ehrlich meinen. Glauben Sie, daß es Ihnen gelingen könnte, ihn festzunehmen?«

»Die Möglichkeit ist allerdings vorhanden«, stammelte Joost, noch vollständig unschlüssig, was er erwidern solle.

»Und Klapa steckt mit hinter der Prauengeschichte?«

»Er hat sie selber von der Reede abgeholt und im Nebel durch die Schiffe gesteuert«, versicherte Joost. »Ebenso hat er die Quittung von dem Araber in Händen, dem die Waren geliefert wurden. Heffken hat sich die größte Mühe gegeben, sie von ihm zu bekommen; er will sie aber unterwegs aus seinem Kopftuch verloren haben, und Heffken fürchtet jetzt, der schlaue Bursche habe das Papier nur deshalb in Händen behalten, um später noch mehr Geld aus ihm herauszupressen.«

»Und ein solches Leben voll Angst und Gefahr mochten Sie führen, bloß der paar Gulden wegen, mit denen Sie etwas besser essen und trinken konnten?« rief Lockhaart erstaunt und den Kopf schüttelnd aus. »Daß jemand aus Not ein Verbrechen begeht, ja, das begreif' ich; aber hier in unserem reichen Java, den Überfluß sowieso schon im Schoß, aus reinem Mutwillen ein ganzes Los auf das Zuchthaus zu spielen, ist mehr, als ich mit meinem alten Kopf begreifen kann.«

»Und wie glauben Sie, daß wir uns am besten dieses Klapa versichern können?« fragte der Resident, dem diese Ausbrüche des Gefühls nicht besonders behagten, weil sie den Gefangenen leicht stutzig machen konnten.

»Ohne mich bekommen Sie ihn nicht«, erwiderte leise Herr Joost, an dem die Erwähnung des Zuchthauses keineswegs unbeachtet vorübergegangen war. »Liegt Ihnen aber wirklich daran, Beweise, und zwar feste und unumstößliche Beweise gegen Heffken zu bekommen, dann müssen Sie auch etwas dafür opfern.«

»Und das wäre?« fragte der Resident mit einem vorwurfsvollen Blick auf Lockhaart.

»Mich«, sagte Joost fest und bestimmt und nickte dazu drei- oder viermal mit seinem bleichen, gelblichen Gesicht.

»Herr Joost«, sagte der Resident, »ich fürchte, daß Sie Ihre Fähigkeiten überschätzen. Wenn sich Klapa wirklich in unserer Gegend befindet – und der Goenong boekit Toengoel ist nicht so außerordentlich groß und weitläufig –, dann zweifle ich nicht im geringsten, daß wir ihn auch allein finden können.«

»Versuchen Sie es«, sagte Joost ruhig. »Sie wissen aber selber recht gut, mit welchem Erfolg Sie früher nach Patani gesucht haben.«

Der Resident war aufgestanden und ging mit raschen Schritten ein paarmal im Zimmer auf und ab, und Lockhaart stieß noch immer, ungeduldig vor sich hingehend, seinen Stock auf den Boden.

»Was verlangen Sie für sich?« fragte der Beamte endlich, indem er plötzlich vor dem Gefangenen stehenblieb und ihn scharf ansah.

»Völlige Straflosigkeit«, sagte Herr Joost, wobei er aber doch nicht wagte, dem Blick des Residenten zu begegnen. »Ich bin nur ein armes, schwaches Werkzeug in den Händen Heffkens gewesen. Was kann den Gerichten daran liegen, mich eine Zeitlang einzusperren – meine Gesundheit ertrüge das nicht einmal. Verbannen Sie mich von Java, wenn Sie wollen – selbst aus den holländischen Besitzungen, wenn Sie es für nötig halten –, aber lassen Sie mich laufen. Ich bin doch auch wahrhaftig zu unbedeutend, Ihren Zorn an mir auszulassen.«

»Aber wir können nicht der Regierung in Batavia vorgreifen«, sagte der Resident zögernd. »Wir wissen nicht einmal, ob wir ihre Genehmigung erhielten oder uns vielleicht selber dadurch strafbar machten.«

»Gut«, sagte Joost störrisch. »Dann mag sich die Regierung in Batavia auch selber die Zeugen holen, die sie zu ihren Beweisen braucht. Ich riskiere doch mein Leben dabei, wenn ich den listigen Javaner in Ihre Hände zu bringen versuche, und nur, um der Regierung einen Gefallen zu erweisen und dann noch so viel sicherer eingesperrt zu werden, tät' ich das nicht. Überhaupt fürcht' ich«, setzte er nach einer kurzen Pause immer störrischer werdend hinzu, »daß ich mich habe überreden lassen, manche Dinge hier auszusagen, die sich ganz anders verhalten. Beim Vorlesen des Protokolls werde ich noch – wenn mir doch das Zuchthaus in Aussicht steht – verschiedene Änderungen machen müssen.«

»Leugnen wird Ihnen nichts mehr helfen.«

»Ein Geständnis scheint dieselbe Wirkung zu haben und ist jedenfalls noch unsicherer.«

»Es bleibt immer ein Unterschied, ob man zu zwei oder zu zehn Jahren verurteilt wird.«

»Hier auf Java nicht«, sagte Joost, sich die Hände reibend, während sein Gesicht immer bleicher wurde und seine großen blauen Augen immer unheimlicher leuchteten. »Es bleibt sich ziemlich gleich, ob man auf zwei oder zehn Jahre verurteilt wird, denn der müßte eine Bärennatur haben, der nur die ersten zwei Jahre aushielte. Es geht alles drauf und – soll ja auch wohl alles draufgehen.«

Lockhaart hatte, ärgerlich die Zähne zusammenbeißend, dem Ganzen zugehört. Jetzt winkte er dem Residenten und trat zum Fenster, wohin ihm dieser folgte.

»Wir werden dem Lumpen den Willen tun müssen«, sagte er.

»Ich kann es aber kaum, bis ich nicht wenigstens deshalb nach Batavia berichtet habe«, meinte der Resident.

»Und bis Antwort kommt, ist es zu spät«, warf Lockhaart ungeduldig ein, »denn Sie wissen selber, besser als ich es Ihnen je sagen könnte, auf welche Weise die Eingeborenen zusammenhängen. Lassen Sie nur ein paar Tage vergehen, und Klapa mag auf dem entferntesten Bergrücken sitzen, so erfährt er doch durch die eine oder andere Hilfe, daß ein Weißer hier in Bandong gefangen sitzt und wie er aussieht. Einmal gewarnt aber, und es ist unmöglich, ihn zu fangen. Die Javanen müßten sich denn in den fünf Jahren, in denen ich sie nicht sah, sehr verändert haben.«

»Ich setze mich aber den größten Unannehmlichkeiten aus.«

»Das sollen Sie nicht«, versicherte ihm Lockhaart, »ich stehe Ihnen dafür, daß der Generalgouverneur, sobald wir zurückkommen, den ganzen Sachverhalt genau erfährt. Ich bin selber gut mit ihm befreundet und weiß, wie viel ihm daran liegt, Beweise gegen den wirklichen Urheber jener Verbrechen in Händen zu haben. Ich stehe Ihnen auch dafür, daß er jeden Schritt billigen wird, den Sie dafür tun; Sie können es deshalb getrost wagen, dieses erbärmliche Subjekt in seinem Namen zu begnadigen, vorausgesetzt nämlich, daß er auch alles erfüllt, was er uns verspricht.«

»Hab' ich Ihr Wort dafür?«

»Ja – das haben Sie.«

»Gut – wir wollen es mit dem Lumpen riskieren. – Herr Joost«, redete er dann den Gefangenen laut an, indem er sich zu ihm wandte, »Sie werden begreifen, daß ich große Verantwortung auf mich nehme, wenn ich Ihnen nach dem Vorgefallenen Ihre Freiheit garantiere. Halten Sie aber alles, was Sie versprochen haben, und sind Sie bereit, in Batavia als Zeuge gegen Heffken aufzutreten, so verspreche ich Ihnen, daß Sie augenblicklich die Erlaubnis haben sollen, Java zu verlassen, sobald das Zeugenverhör gegen den Schuldigen abgeschlossen ist.«

»Und bis dahin?«

»Bleiben Sie allerdings in Gewahrsam, werden aber nicht – als Verbrecher behandelt.«

»Ich habe Ihr Ehrenwort?«

»Ja.«

»Ich danke Ihnen«, sagte Joost, und während ein tief heraufgeholter Seufzer seine Brust hob und über seine häßlichen Züge ein triumphierendes Lächeln zuckte, fuhr er leise fort: »Und jetzt lassen Sie uns, je eher desto besser, aufbrechen, und ich stehe Ihnen mit meinem Kopf dafür ein, daß ich Klapa in Ihre Hände liefere.«


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