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Eins der niedrigen Bambushäuser stand von dem nächsten durch einen kleinen Garten getrennt. Den Boden aus roh behauenen Planken gelegt, die Wände aus Bambus dicht geflochten, die Stützen darin ebenfalls Bambus und das Dach mit dem Bast der Arekapalme gedeckt, hatte das kleine Haus kein Fenster und nur eine Bambustür, die den Tag über offen blieb, um Licht hereinzulassen. Luft konnte sowieso überall durch die Wände dringen. Im Innern brannte jetzt eine einfache Lampe: eine flach ausgeschnittene Kokosnußschale, mit Kokosnußöl und einem dicken baumwollenen Docht in der Mitte. Sie verbreitete ein ziemlich helles Licht in dem kleinen Raum und ließ zwei Gruppen von Eingeborenen erkennen, die drinnen auf ausgebreiteten, weich aus Binsen geflochtenen Matten saßen.
Es waren drei Frauen und ein Mann. Die eine, ein altes, häßliches und widerliches Geschöpf, die schwarzen struppigen Haare wirr um den Kopf hängend, einen Sarong um die Hüften, eine alte schmutzige cabaya über die Schultern geworfen, saß dicht neben der Lampe, deren Flamme ihr volles Licht auf die runzligen, fast dunkelbraunen Züge der Frau warf. Sie war eben beschäftigt, in ein Sirihblatt eine frische Mischung der nötigen Ingredienzen einzuwickeln, um den noch im Mund gehaltenen und ausgekauten gelben Knollen zu ersetzen.
Neben ihr, auf dem anderen Ende derselben Matte, kauerte ein alter Bursche, unter dessen Kopftuch grau gesprenkelte Haare hervorhingen und dessen Augen tief und unheimlich in ihren Höhlen lagen. Die Beine steckten in kurzen blaugestreiften Hosen, der Oberkörper war nackt, und als er sich vorbeugte, um seine angezogenen Knie mit beiden, vorn zusammengefalteten Händen zu umspannen, trat sein Rückgrat deutlich aus dem fleischlosen Rücken hervor und zeigte jeden Knochen, jede Rippe, die er hatte. Auch er hielt einen SirihklumpenDer Sirih – dasselbe, was im Orient Betel genannt wird – ist eine Mischung, die Eingeborene und Chinesen ebenso leidenschaftlich kauen wie der Matrose seinen Tabak. Der Sirih selbst ist eine pfefferartige Schlingpflanze mit einem Blatt, das unserem Bohnenblatt ähnelt. Die Mischung des Sirih besteht aus kleinen Stücken ziemlich geschmacksneutraler Arekanuß, etwas Kalk, manchmal auch ein wenig Tabak dazwischen und noch einigen anderen Ingredienzen. Sein Genuß soll zu Anfang betäuben und Übelkeit verursachen. Männer und Frauen kauen ihn, nur nicht junge, unverheiratete Mädchen – emanzipierte Damen ausgenommen. im Mund, schob ihn aber unruhig von einer Seite auf die andere, und der etwas scheue, rasche Blick, den er oft nach der Tür warf, verriet, daß er dort jemanden erwarte. Ganz in der entferntesten Ecke der Hütte kauerte noch auf einer anderen Matte eine Frau, und neben ihr saß oder lag mehr ein junges bildhübsches Mädchen mit dem Kopf auf dem Knie der Mutter und den rechten Arm um ihren Leib geschlungen. Beide Frauen trugen den Sarong, die ältere noch ein ähnliches Tuch um die Schultern, die jüngere ging mit dem Oberkörper nackt; und dies, wie auch die Sandalen aus festem Leder, die ihre Sohlen schützten, schien sie als Bewohner der Preanger Regentschaften auszuweisen. Keine von ihnen sprach aber ein Wort, und nur die Mutter strich manchmal sanft und liebkosend mit der Hand über das Haupt der Tochter, die sich dann nur fester an sie schmiegte.
»Er kommt noch immer nicht«, brummte der Alte endlich zwischen seinem Kauen, »daß ihn der Blitz treffe, den langzöpfigen gelben Schuft; er hat mich betrogen und den weiten Weg von Bandong umsonst hier heruntergelockt. Noch immer nicht, und keinen Deut mehr im Gürtel, keinen einzigen Deut mehr – um nur zurückzugehen.«
»Warte«, murmelte aber die Alte, »Schong-ho hält sein Wort; aber der Tuwan wird noch nicht gekommen sein. Die Weißen fahren hier nicht gern heraus, ehe es dunkel wird.«
»Keinen Deut mehr«, stöhnte der Alte wieder, »keinen einzigen Deut mehr, um eine Handvoll Reis oder eine Pfeife Opium zu kaufen.«
»Das ist's, um was du jammerst, du gieriger, liederlicher Mensch«, schimpfte aber die Alte. »Das Opium steckt dir im Kopf, und du kannst es nicht erwarten, bis du wieder sinnlos auf der Bank liegst, daß dir morgen deine Glieder wie gelähmt und zerschlagen sind. Wenigstens warten solltest du, bis du oben und daheim in deinen Bergen bist.«
Der Alte zerkaute einen Fluch zwischen den Zähnen, antwortete aber nichts darauf, und nur der ungeduldige Blick, den er wieder und wieder nach der Tür warf, verriet, wie wenig er gesonnen sei, der Mahnung zu folgen. Da öffnete sich plötzlich knarrend die Pforte, und als der alte Javaner rasch und erschreckt auffuhr, stand eine dunkle Gestalt auf der Schwelle und überschaute wenige Sekunden still und schweigend die Gruppe. Auch die Mutter warf einen scheuen Blick nach der Tür, während das junge Mädchen ihr Antlitz nur fester in ihrem Schoß barg. Aber staunend erkannte die Frau dort eine ganz andere Gestalt als erwartet, und sie konnte einen leisen Ausruf nicht unterdrücken. Der alte Mann aber sprang mit beiden Füßen empor, und seine Augen mit der einen Hand gegen das Licht der Lampe abschirmend, rief er: »Und was willst du hier, Patani! Wer hat dich gerufen, und was folgst du uns heimlich bis an die Seeküste, heh?«
»Patani?« stöhnte das Mädchen, als sie den Namen hörte, und das Antlitz hebend, aus dem sie die langen dunklen Haare zurückwarf, starrte sie den jungen Mann wie eine Erscheinung an. Hoch aufgerichtet stand dieser noch immer in der Tür. Ein braunes Tuch hielt, nach der Sitte der Einheimischen, seine langen vollen Haare zusammen, den Oberkörper bedeckte eine kurze Jacke aus dem einfachsten Stoff, die Beine steckten, wie bei dem Alten, in nur bis über die Knie reichenden enganliegenden Hosen. An der Seite hing ihm aber der wohl zwei Fuß lange schwere Klewang, mit dem sich die Eingeborenen im Wald die Bahn freihauen müssen, und im Gürtel steckte der seltsam geformte Kris, freilich mit ganz einfachem, nur etwas ausgeschnitztem Holzgriff und in hölzerner Scheide. Der junge Bursche gehörte jedenfalls den Ärmsten seiner Klasse an, aber hoch und schlank wie er da in der Tür stand, mit einem edlen Ausdruck in den dunklen, so schwermütigen Zügen, hätte man ihn fast für ein schönes Bild seines Stammes halten können, das Schicksal der Seinen mit finsterem Schweigen betrauernd.
Der Alte aber kannte ihn nur zu gut und hätte in diesem Augenblick wohl jeden andern lieber da gesehen als gerade ihn. War er doch der einzige, der ihm die Tochter noch immer gegen seinen Machtspruch aufhetzte, und was auf der weiten Welt konnte er ihm bieten, womit bezahlen, was ihn das Mädchen seit ihrer Geburt an Nahrung und Kleidung schon gekostet hatte? Und er war entschlossen, das bezahlt zu bekommen. Der junge Mann antwortete nicht gleich auf die direkt an ihn gerichtete Frage; sein Blick suchte in dem nur notdürftig erhellten Raum das Mädchen, und nach dem ängstlichen Ausdruck seiner Züge schien er zu fürchten, zu spät gekommen zu sein. Erst als er sie in der Ecke neben der Mutter entdeckte, hob ein leichter, aber froher Seufzer seine Brust, und mit leiser, doch klangvoller und melodischer Stimme sagte er: »Was ich suche, Hetavi? Du weißt es, ohne daß ich das Wort auszusprechen brauche – deine Tochter!«
»Und du weißt, daß du sie nicht bekommen wirst, Patani!« rief der Alte, in Zorn ausbrechend. »In Bandong habe ich es dir gesagt und sage es dir hier. Hast du Geld, das du mir für sie auf die Matte legen könntest? Hast du...«
»Ja«, unterbrach ihn der Jüngling rasch, indem er einige Schritte vor und dicht zur Lampe trat. »Ich weiß, wie gierig du danach bist, ich weiß, daß dir Geld alles, das Glück deiner Tochter aber nichts gilt, und bin dir gefolgt, um dir zu bieten, was ich vermag. Die letzte kleine sawa, die ich noch mein eigen nannte, habe ich in Bandong verkauft, dies ist das Geld dafür – dreißig Gulden –, für das Feld und für meinen Büffel. Nimm es und gib mir Melattie – ich kann arbeiten, und manche Mittel gibt es, wieder Geld zu verdienen und ein neues Feld zu kaufen.« Mit diesen Worten beugte er sich nieder und legte ein kleines Päckchen recepis auf die Matte dicht vor den Alten hin, der sie mit gierigen Augen betrachtete.
Eine volle Minute wohl herrschte Todesschweigen in der Hütte, da flüsterte die Mutter in der Ecke: »Gib sie ihm, Vater – gib sie ihm. Brich ihr das Herz nicht, brich es mir nicht; es tut nicht gut! Es tut nicht gut.«
»Sind dreißig zweihundert?« brummte die Alte an seiner Seite höhnisch vor sich hin. »Und ist die Dirne zu gut dafür, daß sie tut, was wir alle getan haben und was Reichtum in die Hütte ihres Vaters bringt?«
»Und wenn er nun nicht käme?« sagte Hetavi, halb zu sich, halb zu der Alten redend, »wenn er ausbliebe?«
»Und läuft dir der Junge da weg?« lachte die Alte verächtlich vor sich hin. »Aber er kommt. Was Schong-ho unternimmt, das führt er auch durch. Der Tuwan braucht ein Mädchen in seinem Haus, und er weiß, daß Schong-ho die beste Ware liefert. Dreißig Gulden«, setzte sie dann verächtlich hinzu, »und keinen Büffel, keine Sawa – und was dann, wenn die dreißig Gulden verbraucht sind?«
»Gib mir dein Kind, Hetavi«, bat da Patani noch einmal in herzlichem Ton, »gib mir Melattie. Bald werde ich wieder eine Heimat haben, und wenn du und die Mutter alt und schwach werden, finden sie ein Dach, zu dem sie kommen können. Nimm die dreißig Gulden und gib mir Melattie!«
»Das wäre ein Handel!« lachte in dem Augenblick eine heisere Stimme in der Tür, »hahahahaha – frag mich, ob ich einen Büffel oder lieber einen Reisvogel haben will. Nun, Hetavi? – Schlägst du ein? Dann schick' ich den Tuwan, der draußen vor der Tür steht, gleich wieder weg.«
»Ist er da!« rief Hetavi rasch und gierig.
»Hab' ich es dir nicht gesagt?«
»Und mit dem Geld?«
»Bah – er weiß, daß er nicht ohne Geld kommen darf. Er gibt zweihundert und der Mutter außerdem auch noch ein Presentie tetjil. Es ist ein sehr großmütiger und reicher Herr.«
»Gib mir dein Kind, Hetavi!« drängte in Todesangst der junge Mann, »stoß mich nicht von dir. Mein Vater und dein Vater waren Freunde, du weißt, was du ihm versprochen hast.«
»Fort mit dir, Hitzkopf!« rief aber Hetavi, die dreißig Gulden, von denen er bis zu Schong-hos Ankunft keinen Blick gewandt hatte, verächtlich mit dem Fuß fortschiebend. »Fort, ich habe keine Zeit mehr, dein Geschwätz mit anzuhören.« Patani rührte und regte sich nicht. Wie aus Marmor gehauen stand er da und starrte zu Melattie hinüber.
»Wenn er noch lange macht, geht der Tuwan fort«, sagte Schong-ho.
»Und jetzt gehst du, Orang gunong«, kreischte da die Alte, die bei solchen Aussichten ebenfalls einen Verlust fürchtete, »es sind noch mehr glatte Gesichter oben in den Bergen, noch mehr Melattieblumen – hol dir eine andere, und nun fort, oder ich schreie nach einem der Oppass, die dich hinbringen sollen, wo du hingehörst.«
Patani hörte gar nicht, was sie sprach. Mit leichten, elastischen Schritten stand er an Melattis Seite, und seine Hand auf ihren Arm legend, flüsterte er: »Komm mit mir, Herz – spring auf zu mir und vertrau auf mich. Sie sollen uns nicht halten und wenn...«
»Ich darf nicht«, stöhnte das Mädchen entsetzt. »Der Vater will es nicht – o Patani, gehe nicht fort – bleibe bei mir!«
»Wenn der Bursche nicht gutwillig geht«, rief der Chinese, der am Ende noch einen Gewaltstreich befürchtete, »so müssen wir andere Mittel finden, ihn fortzubringen. Nimmst du jetzt dein Geld da und gehst, oder soll ich zur Tür hinausrufen? Die Wächter stehen drüben an meinem Haus.«
Die Hand des jungen Mannes zuckte fast unwillkürlich nach seinem Kris, aber auch Hetavi war auf seine Tochter zugesprungen und hatte sich vor sie gestellt. Durfte er die Waffe gegen den Vater der Geliebten heben? –
»Soll ich rufen?« fragte der Chinese.
»So ruf und schwatz nicht lange!« schrie die Alte. »Beim Bösen auch, soll ich nicht mehr Herrin sein in meiner eigenen Hütte?«
»Es ist gut«, sagte der junge Bursche leise, indem er zu der Matte zurückschritt, auf der sein Geld lag. »Schande über dich, Hetavi, daß du dein Kind an einen der fremden Hunde verkaufst – Schande über dich; aber das Sündengeld wird dir unter den Händen zerfließen und dein Alter wird Verzweiflung und Reue sein.«
Mit diesen Worten hatte er die Banknoten wieder aufgenommen und in seinem Gürtel geborgen und wandte sich zur Tür, an der ihm der Chinese bereitwillig Raum gab.
»Lebe wohl, Melattie!« sagte noch einmal der junge Bursche mit schmerzbewegter Stimme. »Wie ich es ertragen soll, dich zu verlieren, weiß ich noch nicht – lebe wohl!« Und wie ein Schatten glitt er aus dem Haus. – In seiner ersten Aufregung wollte Patani auch die Straße gerade hinabstürmen, als sein Blick eine helle Gestalt traf, die sich scheu und eng in den Schatten des Hauses zurückdrückte. So weit verbergen konnte sie sich aber doch nicht, daß der junge Javaner nicht an dem Schnitt der Kleidung, wie besonders an dem weißen breitrandigen Hut den Europäer erkannt hätte. Unschlüssig, was er tun solle, zögerte er einen Moment, und Heffken hätte Grund gehabt zu erschrecken, wenn er imstande gewesen wäre, den Blick voll Haß und Ingrimm zu sehen, der aus den Augen des Jünglings blitzte. Wieder suchte auch dessen Hand den Dolch, und einen Moment war er unschlüssig, ob er sich auf den Gegner werfen sollte – aber die Scheu, die jeder Eingeborene vor dem Europäer hat und die allein es auch den Holländern möglich macht, mit wenig tausend Menschen viele Millionen Javanen unterjocht zu halten, siegte. Außerdem kam jetzt gerade ein Trupp Chinesen die Straße herab, und um diesen nicht zu begegnen, sprang er zur Seite und verbarg sich in dem Schatten der gegenüberliegenden Häuser.