Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Lockhaart ging indessen, so rasch er konnte, in das Bad, und er trank gerade seinen eben hereingebrachten Kaffee, als Salomon Holderbreit mit gefalteten Händen auf ihn zukam und ängstlich rief: »Aber sagen Sie mir um Gottes willen, bester Herr Lockhaart, was Sie mit Herrn Joost haben! Irgendein unglückliches Mißverständnis muß da jedenfalls...«

»Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Holderbreit«, schnitt ihm aber Herr Lockhaart das Wort ab, »Sie sind erst kurze Zeit auf Java und kennen die hiesigen Verhältnisse noch nicht; ich müßte mich aber sehr irren, wenn ich nicht glauben sollte, daß dieser Herr Joost Sie in irgendeine Sache mit verwickelt hat, die Ihnen vielleicht später unangenehm und dem Ziel gerade nicht förderlich sein könnte, das Sie hier verfolgen wollen.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Was für einen Scherz hat sich der Herr Joost mit der Wirtin dieses Hotels erlaubt?« fragte Lockhaart, den Geistlichen scharf fixierend, »und wofür hat er sich von ihr Geld geben lassen? Sie waren doch dabei beteiligt he?«

»Einen Scherz?« rief Herr Holderbreit erstaunt. »Von einem Scherz weiß ich nichts, dazu wäre die Sache auch wohl zu ernsthaft gewesen. Aber woher wissen Sie, daß Herr Joost Geld von Frau Soltersdrop bekommen hat?«

»Herr Joost hat sich aber bei mir damit entschuldigt, daß es eben nur ein Scherz gewesen sei – was Sie vielleicht für Ernst genommen haben. Sie müssen am besten wissen, ob es eine scherzhafte Sache war, um die es sich handelte.«

»Scherzhaft? In der Tat nicht!« rief Herr Holderbreit erschrocken.

»Dann geb' ich Ihnen zu bedenken«, sagte Lockhaart ernst, »daß Sie sich doch einen größeren Gefallen täten – wenigstens meiner Meinung nach –, wenn Sie Ihre Finger aus solchen Geschichten ließen, die mit einer Intrige anfangen und mit der Polizei enden.«

»Mit der Polizei? Herr Lockhaart, Sie glauben mir gewiß auf mein Wort, daß ich absichtlich nichts tun würde, wodurch ich mit den Gerichten in Kollision kommen könnte.«

»Gut, wenn ich Ihnen das glauben soll, dann sagen Sie mir offen und ehrlich, was Sie mit Joost und der Wirtin gehabt haben.«

»Ich habe ihm fest zusagen müssen, mit keinem fremden Menschen über den Gegenstand zu reden.«

»Gut«, sagte Lockhaart, das Kaffeegeschirr zurückschiebend und seine Zigarrentasche herausnehmend, »wenn Sie es lieber vor dem Residenten als vor mir berichten und dann noch das Vergnügen haben wollen, augenblicklich nach Batavia zurückgeschickt zu werden, um Ihre Zeugenaussagen dort zu wiederholen, so kann es mir auch recht sein.«

»Wenn Sie mir nur versprechen wollen...«

»Ich verspreche gar nichts. Sie haben sich mit einem Menschen eingelassen, den ich im Verdacht habe, daß er ein nichtswürdiger Halunke und durchtriebener Betrüger ist. Bewahren Sie sein Geheimnis, dann kommen Sie natürlich in Verdacht, mit ihm unter einer Decke zu stecken, und die Folgen können Sie sich selber etwa zusammenreimen.«

»Unter diesen Umständen«, sagte Holderbreit bestürzt, »glaub' ich mich keinem größeren Ehrenmann anvertrauen zu können als Ihnen. Sie werden sicherlich keinen Gebrauch davon machen, wenn es nicht unumgänglich nötig ist, und vor allem dem Wirt dieses Hauses nichts davon sagen.«

»Dem Wirt?«

»Herr Valentijn Joost ist der frühere Mann der jetzigen Mevrouw Soltersdrop«, sagte Holderbreit mit leiser Stimme, indem er nahe an Lockhaart herantrat. »Er war fünfzehn Jahre abwesend, und die Frau hat inzwischen schon wieder den dritten oder vierten Mann. Jetzt ist er zurückgekehrt, und aus Zartgefühl gegen die neuerdings wieder geschlossene Verbindung will er nicht einmal seine ganzen Ansprüche geltend machen, sondern hat sich mit tausend Gulden begnügt, die ihm heute morgen in meiner Gegenwart ausgezahlt wurden.«

»Valentijn Joost fünfzehn Jahre abwesend?« wiederholte Lockhaart leise vor sich hin, indem er den vorhin wiedergefundenen Zettel aus der Tasche nahm, noch etwas besser glättete und dann zum Licht hielt. »Valentijn? Hm – der Bursche heißt weder Valentijn, noch war er schon vor fünfzehn Jahren in der Kolonie. Sein Vorname ist Everard, und er ist jetzt gerade – lassen Sie mich sehen – zwölf Jahre und zwei Monate in der Kolonie. Er hat aber einen Bruder gehabt, der irgendwo im Innern – möglicherweise hier in Bandong – lebte und seit langer Zeit verschollen ist.«

»Aber woher haben Sie diese Nachrichten?« fragte Holderbreit bestürzt.

»Daher«, sagte Lockhaart, »wo man nur authentische Berichte bekommt: von der Polizei. Merken Sie nun, wie die Sache hier steht und weshalb Herr Joost das Ganze einen Scherz nennt?«

»Er hat sich für seinen Bruder ausgegeben«, stöhnte Holderbreit.

»Es ist mir lieb, daß Sie noch so viel Auffassungsvermögen besitzen«, erwiderte Lockhaart trocken. »Das Geld hat er also bekommen?«

»Ja.«

»Gut, das weitere werden wir dann gleich mit dem übrigen erledigen. Es läßt sich in einer Rechnung machen.«

»O bester Herr Lockhaart!« rief jetzt der Geistliche in größter Bestürzung, da ihm der ganze Betrug klar wurde, »wenn Sie es möglich machen könnten, daß ich bei dieser Sache nicht kompromittiert würde? Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort zum Pfand, daß ich in bester Absicht gehandelt habe.«

»Ich glaube es Ihnen«, sagte der Holländer, »aber schon der armen Frau wegen müssen wir diskret mit der Geschichte umgehen, und Sie – kommen dabei ebenfalls gut weg; also beruhigen Sie sich.«

Lockhaart hatte seine Zigarre angezündet, und ohne weiter dem Missionar ein Wort des Trostes zu sagen, ja ohne sich auch nur im geringsten mehr um ihn zu kümmern, setzte er seinen Hut auf, steckte den Zettel wieder in die Tasche und wanderte, so rasch er konnte, der Wohnung des Residenten zu, um die Morgenkühle noch dazu zu benutzen, alles Geschäftliche abzuwickeln.

Das mußte aber wohl länger dauern, als er am Anfang vermutet hatte; die bei Joost gefundenen Papiere erwiesen sich außerdem so interessant, daß der Resident, als ihn Wagner und Lockhaart gegen zehn Uhr wieder verließen, um in das Hotel zurückzukehren und die Damen zu erwarten, es vorzog, Herrn Joost bei sich zu behalten, anstatt ihn ebenfalls auf freien Fuß zu setzen. Die Untersuchung war nämlich noch nicht zu Ende, und ein weiterer Zeuge mußte beigebracht werden, der aber noch oben in den Bergen steckte. Klapa.

»Wie trotzig und frech der Bursche am Anfang war«, sagte Wagner, als sie zusammen zum Hotel zurückgingen, »und wie demütig und zerknirscht er nachher wurde.«

»Die Rechnung jener letzten Prauen-Fracht bricht ihm den Hals«, entgegnete Lockhaart, »er hatte keinenfalls eine Ahnung, daß wir so genau von allem unterrichtet waren. Außerdem kann er auch keine Rechenschaft geben, von wem er die Doublonen hat.«

»Wahrscheinlich weisen sich die bei ihm gefundenen Banknoten auch noch als zu den gestohlenen gehörend aus«, sagte Wagner, »Wenn sie nur erst verglichen werden können. Es war doch ein sehr gescheiter Gedanke von Ihnen, den Burschen bei dieser ziemlich unbedeutenden Gelegenheit gleich festzuhalten und durch die Gerichte visitieren zu lassen. Riskant blieb es freilich immer.«

»Was war daran riskant?« fragte Lockhaart verächtlich. »Wenn wir nichts bei ihm gefunden hätten, konnte er mich verklagen. Ich wußte aber vom ersten Moment an, daß er irgendwie sich nicht ganz behaglich fühlte. Jetzt haben wir ihn fest und Herrn Heffken ebenfalls. Daß der nur nicht Wind von der Sache bekommt, sonst macht er sich eilig aus dem Staub, und der ist so mit allen Hunden gehetzt, daß ich auch fest überzeugt bin, er käme durch.«

»Er darf nichts merken, bis wir nach Batavia kommen, und dann wollen wir schon Maßnahmen ergreifen, die eine Flucht für ihn unmöglich machen.«

»Er weiß, daß er den Galgen oder lebenslänglich Zuchthaus verdient hat.«

»Fühlt sich aber so vollkommen sicher, daß er schwerlich an irgendeine Gefahr denkt, bis sie eben über ihm zusammenbricht. Und der Mensch hat um Hedwig Bernold geworben?«

»Bah, das kann man niemandem verwehren«, brummte Lockhaart. »Der Schuft scheint aber sehr entschlossen, sich eine Frau irgendwoher zu verschaffen, denn Joosts jetzige Reise hat wirklich – von Heffkens Seite aus – keinen anderen Grund gehabt, als jenes arme javanische Mädchen wieder einzufangen, das ihm damals, als ihn der Javaner in den Arm stieß, entwischte. Durch Klapa hat er ihren Aufenthalt erfahren, und Joost, der unterwegs noch dabei eigene Geschäfte zu betreiben suchte, wurde zum Merkur gewählt.«

»Wir werden aber nicht wagen dürfen, ihn mit in die Berge zu nehmen.«

»Sind Sie fest überzeugt, Wagenaar, daß Sie jenen Klapa wiedererkennen würden?«

»Am hellen Tag, ja.«

»Dann brauchen wir ihn auch gar nicht, sondern besorgen es allein.«

»Aber er kennt uns alle beide, denn ich glaube nicht, daß dieser durchtriebene Geselle unsere Züge vergessen hätte. Sowie er Verdacht schöpft, ist alles verdorben, und oben im Wald, falls er drei Schritte Vorsprung hat, dürfen wir nicht daran denken, ihn je wieder einzuholen.«

»Nein«, sagte Lockhaart, »das glaub' ich auch; aber dann nehmen wir unseren Geistlichen mit, wofür haben wir denn den hier?«

»Der wird sich dazu nicht hergeben wollen.«

»Er gibt sich zu allem her, um was ich ihn ersuche«, sagte Lockhaart, »denn ich habe ein vortreffliches Mittel, um ihn kirre zu machen. Doch hier sind wir am Haus, unsere Damen müssen auch gleich kommen, falls sie beizeiten mit ihrer Toilette fertig wurden. Außerdem habe ich noch einen Auftrag an die Wirtin, den ich erst erledigen möchte.«

»Von Herrn Joost?«

»Es ist Privatsache«, sagte Lockhaart, »und wenn ich auch mein Wort nicht gegeben habe zu schweigen, geschieht doch niemandem ein Schaden, eher ein Nutzen dadurch. Ich bin gleich wieder da.« Wagner ging im Schatten der vor dem Hotel stehenden Waringhis auf und ab, und Lockhaart betrat indessen den Innenraum des Hauses und klopfte an die Tür, die zu dem kleinen Bürozimmer führte.

Madame rief »Herein!« Sie saß auf dem schmalen Bambussofa in der Ecke und hatte ein Buch vor sich, in dem sie jedenfalls gerechnet haben mußte. Sie sah aber bleich und niedergeschlagen aus und blickte Herrn Lockhaart groß und erstaunt an, als er sich ohne weiteres neben ihr niedersetzte und ein Notizbuch aus der Tasche nahm.

»Mevrouw, ich habe Ihnen etwas auszuhändigen«, sagte er dabei, indem er ihr ein ganzes Paket Banknoten überreichte, »bitte, zählen Sie es nach; es müssen gerade tausend Gulden sein.«

»Tausend Gulden?« rief Mevrouw erschrocken und warf einen scheuen Blick auf das Geld, das sie nur zu gut kannte. Sie wußte auch, daß Joost heute morgen von Polizeidienern abgeholt worden war, und zitterte jetzt, was für ein Verbrechen er wohl begangen haben könne, in das auch sie vielleicht verwickelt würde.

»Ich möchte Sie bitten«, fuhr aber Lockhaart fort, »mir dafür Ihren Schwager zu überlassen.«

»Meinen Schwager?« wiederholte die Frau, die nur noch immer verwirrter wurde.

»Herr Everard Joost, Bruder des verschollenen Valentijn, mit dem er eine frappante Ähnlichkeit haben soll«, sagte Lockhaart, »hat nämlich eine so lebhafte Phantasie, daß er sich manchmal einbildet, wirklich sein Bruder zu sein. Wir haben ihm aber heute morgen das Gegenteil bewiesen, und er war so gerührt darüber, daß er mich bat, Ihnen diese tausend Gulden zum Andenken auszuhändigen. Seine Rechnung bitte ich Sie noch besonders abzuziehen – zu den Papieren, die er Ihnen vorlegte, ist er Gott weiß wie gekommen.«

»O der verlogene, niederträchtige Halunke, der!« rief da Madame, die jetzt erst ihre Sprache wiederfand. »Er und der nichtsnutzige Geistliche, der...«

»Pst, Mevrouw«, unterbrach sie aber Lockhaart, »dem Geistlichen verdanken Sie eigentlich besonders, daß wir dem sauberen Burschen auf die Spur gekommen sind, denn er ist am Anfang so gut wie Sie von dem Schuft getäuscht worden.«

»Und jetzt der Spott – der Hohn!« jammerte die Frau.

»Wenn Sie etwas weniger schreien, haben Sie auch das nicht zu befürchten«, sagte Lockhaart. »Wir, die wir davon wissen – der Resident, der Geistliche und ich –, werden niemandem ein Wort darüber sagen, und von dieser Seite sind Sie also sicher, sofern sie selber den Gegenstand nicht weiter berühren. Hat aber Ihr Gatte vielleicht davon gehört?«

Die Spieldose antwortete dieser Frage, denn in dem Moment begann sie mitten im alten Dessauer: »So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage«, und Lockhaart rief, halb lachend, halb ärgerlich: »Bitte, bemühen Sie sich nicht; Ihr Herr Gemahl hat schon für Sie geantwortet – lassen Sie ihn in seiner Unschuld.« Und ehe die Wirtin ihm nur danken konnte, zog er sich, keinen Blick auf Mynheer Soltersdrop werfend, in sein eigenes Zimmer zurück.


 << zurück weiter >>