Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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42. Die Geschäfte eines gewissen Herrn Joost. – Lockhaart und Wagner auf der Spur

Die Reisenden befanden sich nach etwa einer halben Stunde in dem behaglichen Zustand, den ein Bad nach einer staubigen Fahrt gewährt, tranken ihre Gläschen GeneveEs ist eine sonderbare Tatsache, daß auf ganz Java kein Holländer, der auf sich hält, den einheimischen und ganz vorzüglichen Arak trinkt; nur bei Soldaten und Fremden findet er Zuspruch. , was dort vor Tisch für das Gesündeste gehalten wird, und bestellten – wenn es auch inzwischen Nacht geworden war – ihr Diner.

Draußen hatte sich unterdessen ein tüchtiges Unwetter zusammengezogen; die Wolken ballten sich zu dichten drohenden Massen, Blitze zuckten, und der Donner krachte in kanonenähnlichen Schlägen über das Land, während ein strömender Regen niederschüttete. Aber niemand fürchtet hier ein solches Gewitter, das seine Blitze höchstens einmal an einem Stamm niederschmettert. Solange es regnet, hält man sich eben im Haus, und wenn die Wolken vorbeigezogen sind, dauert es kaum eine halbe Stunde, und der warme Boden hat auch die letzte Feuchtigkeit eingezogen. Salomon Holderbreit sah diesem Toben der Elemente allerdings nicht mit der Ruhe zu wie die übrigen. Es war das erste Gewitter, das er in Indien erlebte, und nie hatte er so furchtbar grelle Blitze gesehen, so Ohr und Sinne betäubenden Donner gehört wie hier. Auch solcher Regen war ihm noch nie vorgekommen, der wie ein dichter Schleier die ganze Welt um ihn her durch nasse Fäden abschloß, denn unter einem Wasserfall hätte es kaum stärker gießen können.

Doch: gestrenge Herren regieren nicht lange. Was aussah, als ob es das Fundament der Welt auseinandersprengen wollte, zog mit einem Lufthauch vorüber, und während sich am einen Ende des Städtchens noch die Palmen wie zur Flucht bogen und die langen gefiederten Blattstiele flehend zum Himmel warfen, lachte am andern schon wieder der blaue Äther durch, an dem jetzt einzelne Sterne hell hervorfunkelten und ihr mildes Licht zur Erde niedergossen. Die beiden zuletzt gekommenen Reisenden nahmen dagegen nicht die geringste Notiz von dem Wetter, so arg es auch tobte. Als sie bereit waren – wenn auch draußen die ganze Natur in Aufruhr schien und die Luft ordentlich nach Schwefel roch –, ließen sie die Lampen anzünden, bestellten ihre Mahlzeit und begannen sie trotz der zuckenden Blitze und schmetternden Donnerschläge so ruhig, als ob ihnen nicht der wilde Feuerstrahl das Dach im nächsten Augenblick über den Köpfen zusammenschlagen könne.

Um den Tisch standen mehrere Malaien, um sie zu bedienen, und Lockhaart, von der langen Fahrt sehr hungrig, hatte schon ernsthaft begonnen, über die vortrefflich zubereiteten Speisen herzufallen. Da fiel ihm die frühere Gesellschaft ein, die sie bei ihrer Ankunft getroffen hatten, und rasch hob er den Kopf, um sich nach ihr umzusehen. Salomon Holderbreit hatte für den Augenblick den Salon verlassen, um sich in sein eigenes »Kämmerlein« zurückzuziehen. Das Gewitter machte einen zu überwältigenden Eindruck auf ihn, als daß er das profane Teller-, Messer- und Gabelgeklapper hätte dazu hören mögen. In der anderen Ecke des Saales saß aber noch der andere Gast, und zwar ziemlich außerhalb des Bereichs der Lampen, so daß man seine Züge nicht mehr deutlich erkennen konnte. Nur die blendend weißen Zähne schimmerten klar und deutlich hervor und gaben, mit den unbestimmten Umrissen des dicken, gelben Gesichts, dem Ganzen etwas unheimlich Totenkopfartiges.

»Wo zum Henker hab' ich nur diese konfiszierte Physiognomie schon einmal gesehen?« murmelte Lockhaart halblaut vor sich hin. »Kennen Sie den Burschen nicht, Wagenaar?«

»Welchen?«

»Sehen Sie nicht gleich hin – den dort hinten in der Ecke links von Ihnen – genau links in einer Linie.« Die beiden aßen wieder eine Weile schweigend weiter, und dann drehte Wagner wie zufällig den Kopf halb hinüber.

»Es ist ja dort stockfinster«, lachte er aber gleich darauf vor sich hin, »wie soll man denn da einen Menschen erkennen?«

»Hm – ja so«, sagte Lockhaart, »ich habe das Galgengesicht noch von vorhin in der Erinnerung – Zähne hat er, so weiß wie gekochtes Elfenbein, und ein Paar große hellblaue Augen wie Glaskorallen rund.«

»Anständig gekleidet?«

»Danach hab' ich gar nicht gesehen; mir fiel nur das Gesicht auf, gerade als wir vorhin vorbeigingen. Ich gäbe was drum, wenn ich wüßte, wer es ist.«

»Soviel ich flüchtig im Vorbeigehen gesehen habe, saß er mit dem Geistlichen zusammen. Sollte der ihn nicht kennen?«

»Das ist ein guter Gedan... Pest! Das verfluchte Geklimper wieder. – Herr, Sie haben da wohl ein neu erfundenes perpetuum mobile, das ununterbrochen seine Stücke ableiert?«

»Bitte um Verzeihung«, sagte Willem Soltersdrop, indem er mit einem selbstgefälligen Blick auf den polierten Mahagonikasten niederschaute, war ihm doch seine Überraschung vollständig gelungen. »Leider spielt das Instrument nur sechs Stücke – einen Choral, ›Freut euch des Lebens‹, den ›Jungfernkranz‹, ›So leben wir, so leben wir‹, ›Fordre niemand, mein Schicksal zu hören‹ und den Walzer aus dem ›Freischütz‹ –, lauter deutsche Melodien, aber höchstens anderthalbmal durch und muß dann jedesmal wieder frisch aufgezogen werden. Sehen Sie? – Jetzt kommt der Choral.«

»Und wie oft gedenken Sie, diesen Kasten heut abend noch in Bewegung zu setzen?« sagte Lockhaart, aber mit weit mehr Ruhe, als Wagner erwartet hatte.

»Lieber Gott«, seufzte Willem, »hier so abgeschieden von der übrigen Welt, bleibt einem ja doch – ahem! ahem! ahem! – bleibt einem ja doch weiter – ahem – ahem – ahem! – ich bin in der Nacht ein paarmal aufgewesen und habe mir richtig einen Husten geholt – bleibt einem ja doch nichts weiter übrig als Musik. Welches Stück hören Sie am liebsten?«

Wagner lächelte, und Lockhaart, mit einem drollig wütenden Seitenblick auf den Mann, sagte: »Ich hoffe nicht, daß Sie die Musik unseretwegen machen, es wäre sonst ein verdammt schlecht angebrachtes Kompliment. Ich weiß auch nicht, ob der Kasten mit seinem musikalischen Skandal in Bewegung gehalten werden muß, wie ein altes Pferd vielleicht, das sonst steif wird, möchte Ihnen aber dann raten, ihn lieber auf den Boden oder, noch besser, auf das Dach zu setzen. Dort könnte er höchstens ›die Vögel des Himmels‹ ärgern.«

»Jetzt kommt: ›Freut euch des Lebens‹«, sagte Willem Soltersdrop, der indes gar nicht auf die Worte des Gastes, sondern nur mit großem Wohlgefallen auf seinen Kasten gehört hatte, »das hab' ich am liebsten – das könnt' ich den ganzen Abend mit anhören.«

Lockhaart zerbiß einen Fluch zwischen den Zähnen und hieb wütend in die vor ihn gesetzten Speisen ein; Willem Soltersdrop aber, doch jetzt über den Choral weg, in dem die zwei Stifte fehlten, und sein Instrument voll im Gange wissend, verließ für kurze Zeit das Zimmer, um schon mehrfach verlangten Wein zu holen. Außerdem zerbrach er sich übrigens den Kopf über das wunderliche Betragen Mevrouws an diesem Abend, die sich fest eingeschlossen hielt und – obgleich nicht zu Bett – doch durch keine Bitten bewogen werden konnte, ihre Tür zu öffnen. Ja, sie beantwortete nicht einmal die an sie gerichteten Fragen. Willem Soltersdrop wagte aber nicht Einspruch dagegen zu erheben, denn Mevrouw war doch nun einmal »Herr im Haus«. Kaum hatte er allerdings den Speisesaal verlassen, als Lockhaart seinen malaiischen Burschen anrief: »Tosy!«

»Tuwan!«

»Nimm einmal den Kasten und trag ihn hinaus.«

»Wohin, Tuwan?«

»Dort vor die Tür, nicht ins Haus herein, sondern ins Freie, an den Fluß oder auf den Gedé hinauf; wohin du willst.«

»Aber, Tuwan!«

»Wird's bald?«

Der Bursche, der recht gut wußte, daß ein einmal gegebener Befehl auch befolgt werden mußte, ging zu dem noch immer sehr eifrig arbeitenden Kasten. Da er aber etwas Derartiges noch nie gesehen hatte und die Musik unverdrossen weiterarbeitete, obgleich niemand auch nur in seine Nähe kam, fing es an, ihm unheimlich zu werden, und er hätte den Auftrag lieber jemand anderem überlassen.

»Ob du jetzt den Kasten anfassen wirst!« rief da sein Herr. »Glaubst du etwa, daß dich das Ding beißt? – Hinaus damit!«

Der Malaie, so in die Enge getrieben, konnte nicht mehr ausweichen, und den »lebendigen Gamelang«, wie er ihn nach einem ihrer Hauptinstrumente nannte, aufgreifend, lief er damit, so rasch er konnte, hinaus vor das Haus.

»So – Gott sei Dank!« seufzte Lockhaart recht aus voller Brust, als die feinen, aber die Nerven dadurch nur um so mehr angreifenden Töne verstummt waren. »Die feuchte Nachtluft, hoff' ich, wird das Ding so auseinanderziehen, daß es morgen keinen gesunden Ton mehr unter dem Deckel hat.«

Wagner lachte und beugte sich über seinen Teller, als ein dunkler Schatten seinen Sehkreis kreuzte. Er sah rasch empor und bemerkte eben den Fremden, der mit ein paar großen, völlig geräuschlosen Schritten dicht hinter Lockhaarts Stuhl entlang und zur Tür hinaus glitt. Als sich Lockhaart, durch die Aufmerksamkeit Wagners darauf hingewiesen, rasch nach ihm umdrehte, sah er nur eben noch, wie sich die Tür hinter dem Mann schloß.

»Was zum Teufel ist nur mit dem los?« rief er, erstaunt hinter ihm dreinschauend, »der geht ja wie auf Eiern; gerade, als ob er einen silbernen Löffel eingesteckt hätte und nun damit auskneifen wollte.«

»Sie haben recht, Lockhaart«, sagte Wagner jetzt, indem er den Kopf in die Hand stützte und vor sich niederschaute, »das Gesicht habe ich ebenfalls schon gesehen, und zwar mehr als einmal, wenn auch nie in eigentlich recht anständiger Gesellschaft. Wetter! Jetzt hab' ich's – wissen Sie, wo?«

»Nun?« fragte Lockhaart gespannt, »ich bin dem Patron auch schon begegnet, aber kann nicht wieder darauf kommen; sprechen Sie übrigens Deutsch, daß uns die Burschen nicht verstehen.«

»In Heffkens Kontor!«

Lockhaart legte plötzlich Messer und Gabel hin und blieb, starr vor sich auf den Teller sehend, eine ganze Weile regungslos sitzen. Plötzlich belebten sich seine Züge, seine Augen funkelten, und zu Wagner aufsehend, sagte er mit triumphierender, aber vorsichtig gedämpfter Stimme: »Und ich kenne die Fährte jetzt. Wissen Sie, wer es ist? – Das Hauptgeschöpf Heffkens, und sein Name Joost. Aber lassen Sie sich um Gottes willen noch nichts merken, denn der Schuft ist jedenfalls so schlau wie nichtswürdig, und der Zufall allein hat ihn sicher nicht hierher geführt.«

»Wissen Sie denn etwas Näheres von ihm?«

»Nichts, gar nichts weiter, als daß er in Heffkens Kontor arbeitet; aber die Liste, die ich mir über ihn und seine ›Freunde‹ gemacht habe und die von sehr zuverlässigen Leuten herrührt – auch Nitschke hat daran gearbeitet –, sagt, daß er einer der durchtriebensten Halunken sei, die je javanischen Boden betreten hätten. Die Hauptnachrichten über diesen Joost habe ich übrigens gerade von Nitschke, der ihn genau zu kennen scheint. Ich werde nachher einmal das Papier nachsehen und mich näher orientieren. Wir dürfen nur überhaupt so tun, als ob wir ihn kennten, damit er ganz sicher gemacht wird; aber Sie können sich mit Bestimmtheit darauf verlassen, daß den Patron irgendeine von seinen sauberen Geschichten hier herauf geführt hat. Ja, wer weiß, ob er nicht eben Klapas wegen hier oben ist, und dann will ich nur wünschen, daß keine Ahnung über unser Ziel seine Schritte hierher gelenkt habe.«

»Das ist kaum möglich.«

»Möglich ist alles, aber freilich nicht wahrscheinlich. Wie dem aber auch sei, es wäre merkwürdig, wenn er nicht unsere Gesichter ebenso rasch erkannt hätte, wie Sie das seinige, und wir dürfen uns dann darauf verlassen, daß er alle unsere Schritte auf das sorgfältigste beobachtet – besonders, wenn wir gezwungen sein sollten, uns länger hier aufzuhalten.«

»Was kann er tun?«

»Was er tun kann? Jenen javanischen Schuft ermahnen, sich aus dem Wege zu halten; ich denke, das wäre gerade genug. Hätten doch am Ende Ihren Tojiang mitnehmen sollen.«

»Das wäre zu gefährlich«, sagte Wagner, »und unsere ganze Expedition in dem Fall nur von dem Burschen abhängig gewesen, ob er uns nämlich unterstützen oder gegen uns agieren wollte. Ich glaube, auch jener Klapa weiß selber zu viel von Tojiang, als daß er es wagen dürfte, ihn zu verraten. Eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus.«

»Fast alle Sprichwörter sind falsch!« rief Lockhaart, »keins aber mehr als dieses. Und wie sie hacken, nur müssen die anderen Krähen eben erst tot oder vielmehr unschädlich sein. Wenn sich Tojiang nicht vor Klapa zu fürchten hätte, glaube ich nicht, daß ihn sonst Zuneigung oder Mitgefühl abhalten würde, zwanzig oder dreißig Gulden zu verdienen.«

»Hallo!« rief Willem Soltersdrop, der in diesem Augenblick wieder das Zimmer betrat und sich vergebens nach seinem Spielkasten umsah, »schon abgelaufen?«

»Ja – und hinaus dazu«, sagte Lockhaart trocken.

»Hinaus? Alle Wetter, wer hat denn den Kasten fortgetragen?«

»Ich will Ihnen etwas sagen, Mynheer Solventopp, oder wie Sie heißen«, erwiderte da Lockhaart, »ich hasse Tafelmusik – besonders wenn gleich hinter dem Choral ›Freut euch des Lebens‹ und der ›Jungfernkranz‹ kommen – deshalb habe ich den Kasten hinaustragen lassen. Wenn Sie imstande wären, den Choral gleich hinter ›Freut euch des Lebens‹ zu bringen, dann würde ich nicht das mindeste dagegen einzuwenden haben, sondern Ihnen noch dankbar dafür sein.«

»Ja, aber –«, sagte Willem verlegen, »das geht doch nicht, die Maschinerie erlaubt das nicht – und dann – aber wo ist denn nur die Musikdose?«

»Ich sage Ihnen, daß sie draußen im Freien steht«, erwiderte Lockhaart, »und dort kann sie spielen, solange sie will. Kommt sie aber wieder herein, solange ich noch beim Essen sitze, dann gehe ich, und verdammt der Deut, den ich für meine Mahlzeit zahle.«


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