Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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11. Herr Horbach als Fremdenführer. – Der Basar in Meester Cornelis

Mehrere PaalenDurch ganz Java sind auf den vortrefflich instand gehaltenen Poststraßen Meilenpfähle – immer eine englische Meile voneinander entfernt, mit der Nummer daran – aufgestellt. Die Engländer haben dies getan, während Java in ihrem Besitz war, und die Einteilung ist von den Holländern als zweckmäßig beibehalten worden; man rechnet deshalb dort die Entfernung nur nach »Paalen«, was soviel wie eine englische Meile bedeutet. vor Batavia liegt ein altes Fort, Meester Cornelis genannt, das in früheren Jahren mit vielen anderen, ähnlichen, gebaut worden war, um den Europäern Schutz gegen die noch immer nicht vollkommen unterworfenen Eingeborenen zu gewähren. Batavia war damals mit hohen und festen Wällen umgeben, was viel dazu beitrug, den Durchzug der frischen Luft zu verhindern und die Stadt ungesund zu machen, und überall in der Umgebung standen solche detachierte Forts, um Malaien wie Chinesen durch ihre mit Kanonen gespickten Wälle den gehörigen Respekt einzuflößen. Jetzt aber sind sie fast alle geschleift worden, denn die Europäer gebrauchen andere und weit sicherere Mittel, um die Eingeborenen im Zaum zu halten, als Pulver und Blei: nämlich den Eigennutz und das Interesse ihrer eigenen Fürsten, und um sich das zu bewahren, bedarf es keiner Wälle von Lehm und Stein. Die Stadtmauern sind deshalb verschwunden und ebenso die Forts, und nur bei Meester Cornelis war das eine erhalten, um als Gefängnis für Verbrecher zu dienen. Dort aber entstand mit der Zeit ein kleiner geschäftiger Kampong (wie die Dörfer der Eingeborenen genannt werden), und nachdem sich eine Anzahl Javanen da niedergelassen hatte, fehlten auch bald die Chinesen nicht, die Blutsauger der javanischen Bevölkerung. Die Chinesen sind – das kann man ihnen nicht abstreiten – ein fleißiges, tätiges und keine Arbeit scheuendes Volk, und alle Handwerke im ganzen Indischen Archipel werden fast nur von ihnen betrieben. Sie sind aber dabei auch Handelsleute, wie es keine zweiten auf der Welt gibt, und selbst Yankees wie Israeliten könnten von ihnen lernen – und lernen von ihnen. Im Großen wie im Kleinen versteht der Chinese das Geschäft, und während ihm gerade die nötige Quantität Gewissen fehlt, so daß er im Handel alles richtig findet, was ihm Vorteil bringt, schreckt er andererseits vor keiner Mühe zurück und macht den Deut zum Gulden.

Fast alle Einzelhändler auf ganz Java sind Chinesen; ebenso haben sie das Opiummonopol von der Regierung gepachtet; Chinesen halten die Spieltische und chinesischen Theater; Chinesen schicken die Ronggings durchs Land, die sie unterhalten und die an sie dafür eine gewisse Summe zahlen müssen; und ob sie nun mit Juwelen oder mit Erdnüssen handeln, ob sie große Güter verwalten oder gemeinen Wucher pflegen, ihre Betriebsamkeit bleibt sich immer gleich. Wo deshalb ein Kampong der Eingeborenen liegt, da sorgt sicher wenigstens ein Chinese dafür, sich mitten zwischen sie hineinzusetzen und ihnen das zu bringen, was sie vielleicht zu ihrem Leben brauchen könnten, denn was sie wirklich brauchen, ist außerordentlich wenig. Dem einen folgen dann wieder andere, ein Tauschhandel wird eröffnet, wobei die Chinesen schlechte europäische Kattune etc. für gute Feldfrüchte geben, und es dauert nicht lange, so entsteht in dem Kampong eine ordentliche Straße mit Laden an Laden, alle Chinesen gehörend, alle einen guten Gewinn abwerfend, denn was der Javaner mit saurem Schweiß verdient, der Chinese hält davon die Ernte.

Meester Cornelis nun, ein kleiner Ort in einer günstigen Lage nahe Batavia und an der Hauptstraße von dort nach Buitenzorg und den Preanger Regentschaften, bildete sich bald zu einem nicht unbedeutenden Marktflecken heraus, der alle Segnungen der Zivilisation umschloß. Nicht allein, daß dort ein wöchentlicher sehr besuchter Basar oder Markt abgehalten wurde, ein Chinese errichtete dort auch eine Opiumhöhle. Außerdem frequentierten die Ronggings den Platz, und der Opiumpächter sorgte noch nebenbei dafür, daß nicht allein die Einheimischen, sondern auch batavische Besucher wohlunterhaltene Häuser voll fröhlicher Gesellschaft fanden. Meester Cornelis wurde dann auch mit der Zeit nicht allein ein berühmter, sondern ein berüchtiger Ort, der genug Eigentümliches bot, um besonders die Fremden zu sich hinauszulocken.

Die Ergötzlichkeiten des Basars beginnen aber gewöhnlich schon am Abend vorher, da die zum Markt kommenden Leute fast alle größere Strecken zurückzulegen haben und deshalb nicht erst am Markttag selber dorthin aufbrechen können. Und während die OpiumesserSonderbarerweise nennen die Javanen das Opiumrauchen Opiumessen, vielleicht, weil sie den Rauch dabei verschlucken. sich in ihrer Höhle sammeln, führen die Ronggingmädchen draußen ihre Tänze auf und locken auch nicht selten von den auf hohem Bambusgerüst aufgeführten Theatern mit ihrer ohrenzerreißenden Musik die Zuschauer herbei, die dann wieder den Spielpächtern in die Hände fallen. Buntgekleidete, mit Blumen geschmückte Mädchen aller Hautfarben huschen dazwischen umher, und die Fruchtverkäufer und Eßbuden, wie die Stände, in denen ziemlich harmloser Palmensaft und noch harmloseres heißes WasserDie Javanen sind ein außergewöhnlich mäßiges und genügsames Volk, das sich besonders selten oder nie mit alkoholischen Getränken berauscht. Schon die Bitte der Arbeiter um ein Geschenk ist charakteristisch, denn sie fordern nicht – wie bei uns – ein Trinkgeld, sondern sagen: »Ketil presentie, tuwan, poer makan« (ein kleines Geschenk, Herr, für Essen). Die Eßbuden bilden dann auch ihre Haupterholungsplätze, denn dort können sie trockenen Reis, spanischen Pfeffer, kleine Stücke Fleisch, verschiedene gekochte Gemüsesorten und süße Leckereien bekommen, wobei für einen Deut oder Pfennig eine Tasse heißes Wasser gereicht wird. Das trinken sie wie wir Tee oder Kaffee und scheinen sich dabei vollkommen wohl zu fühlen. verabreicht werden, geben besonders für den Neuling ein kaum zu beschreibendes pittoreskes Bild. Das eigentliche Leben eröffnet aber erst der Sonnenuntergang, dem fast unmittelbar die rasch einbrechende Nacht folgt, und der ganze Markt ist jetzt illuminiert. Jeder Fruchtverkäufer, jeder Stand, zündet nämlich seine mit Kokosnußöl genährte Lampe an, die er durch ein breites grünes Bananenblatt vor dem Wind schützt, und unter dem breiten Bambusschuppen der Ronggingmädchen, die sich zum Tanz aufstellen und dabei mit den um sie herdrängenden Javanen und Chinesen kokettieren, wird ebenfalls eine große tiefhängende, von vier Dochten unterhaltene Lampe angebrannt. Wohl gießt der Mond sein silbernes Licht über die ganze Szene und wirft seltsame Schatten auf den weiten Platz, aber der Tanz verlangt grellere Beleuchtung; die Mädchen wollen gesehen und bewundert werden, und doch – wieviel freundlicher würde ihre Erscheinung ohne die helle Lampe sein.

Hier und da fährt ein einspänniger Bendi auf den Platz des Basars und hält seitwärts unter einem breiten Schuppen. Auch eine zweispännige Carreta kommt an, und zwei Herren, die nach ihrer Kleidung und ihrem ganzen Wesen den Seemann nicht verleugnen können, steigen mit einem dritten, etwas eleganter, aber auch liederlicher Gekleideten aus und schlendern langsam mitten in das Menschengewühl des Basars hinein.

»Gehen Sie, meine Herren«, sagte Horbach, unser alter Bekannter von van Roekens Geburtstagsfest, »hier lernen Sie das eigentliche Leben Batavias mehr kennen, als wenn ich Sie in die ›Harmonie‹ oder alle die übrigen langweiligen Lokale der Stadt führte, um Sie der sogenannten Hautevolee vorzustellen – haute volaille wäre übrigens ein viel passenderer Name für derartiges Gelichter, denn Damen und Herren tun doch weiter nichts, als aufeinander herumzupicken und zu kratzen, was sie nachher Unterhaltung nennen. Hier dagegen finden wir die eigentliche Urnatur der ganzen Insel, das Volksleben, wie es im Buche steht, die nackte Wahrheit ohne Schminke und Verkleidung, wenn jene chinesischen Mädchen da drüben, die den Heidenlärm machen, auch ein halbes Pfund Schminke auf den Backen tragen; sie machen wenigstens kein Geheimnis daraus und hängen noch eine besonders große Lampe daneben, daß man es recht deutlich sehen kann. Heut abend werde ich Sie deshalb in die Geheimnisse von Meester Cornelis einweihen, und Sie sollen mir zugestehen, daß Sie einen genußreichen Abend davon haben.«

»Schön!« rief der eine, »dann wollen wir uns aber erst einmal vor allen Dingen die Tanzmädels da drüben ansehen. Donnerwetter, da geht's lustig zu, und wie die braunen Halunken so hübsch juchzen können. Die Bauern bei uns daheim verstehen es nicht besser. Wenn nur nicht jeder von den Schuften sein langes scharfes Messer im Gürtel trüge!«

»Es hat keine Gefahr«, lachte Horbach, »und ist mehr alte Gewohnheit als irgend etwas anderes; nehmen darf man ihnen das Messer freilich nicht, sonst würden sie, ebenfalls aus alter Gewohnheit, rebellieren; wenn sie es aber nur haben, sind sie zufrieden. Es sticht keiner damit.«

»Und dann müssen wir auch einmal die Opiumraucher besuchen«, sagte der andere, »ich habe so etwas noch nie gesehen.«

»Überall gehen wir hin«, versicherte Horbach, »keinen Winkel soll es im ganzen Meester Cornelis geben, in dem wir nicht herumkriechen. Ich selber bin hier bekannt wie ein bunter Hund – die braunen und gelben Burschen haben mich alle gern, kosten mich auch schon, wie Sie mir glauben dürfen, ein schönes Geld, und kein Haus steht im ganzen Nest, in dem ich nicht Zutritt...« Er hielt mitten in seiner Rede inne, denn eine ihm bekannte Gestalt, die er hier am allerwenigsten vermutete, glitt gerade zwischen den zwei Lampen dort sitzender Fruchtverkäufer hindurch und verschwand in der dahinter liegenden Dunkelheit. Es sah dabei gerade so aus, als ob der Mann ihm und seiner Gesellschaft aus dem Wege gehen wollte und vielleicht nicht einmal erkannt sein mochte. Horbachs scharfes Auge hatte ihn aber im Nu erfaßt, und die kleine etwas gebeugte Gestalt in dem Frack aus ungebleichter roher Seide war außerdem nicht zu verkennen. Es mußte Heffken gewesen sein; zu welchem Zweck trieb sich der aber – und allein – hier in Meester Cornelis umher?

»Wo wollen Sie hin?« fragte einer der Schiffskapitäne, »ich dachte, wir sollten uns erst einmal die Tänzerinnen ansehen?«

»Ich hin den Augenblick wieder bei Ihnen!« rief aber Horbach, »bitte, bleiben Sie nur einen Moment hier stehen«, und damit war er schon hinter den Gruppen dort müßig umherschlendernder Eingeborener und Chinesen verschwunden. Unbemerkt folgte er der hellen Gestalt des Buchhalters, bis er wußte, wohin dieser sich wandte, und um seiner Person dann ganz gewiß zu sein, ging er auf dem Rückweg an der Stelle vorbei, wo die Fuhrwerke hielten. Er kannte Heffkens gewöhnlichen Kutscher, der auch tatsächlich an der Stelle hielt, und nun erst suchte er seine beiden mitgebrachten Freunde wieder auf. Was Heffken trieb, ging ihn allerdings nichts an, aber er haßte den kleinen tückischen Burschen, der besonders ihn schon mehrmals sehr verächtlich und wegwerfend behandelt hatte. Wo sich ihm deshalb eine Gelegenheit bot, ihn zu ärgern, wäre er der letzte gewesen, der sie unbenutzt gelassen hätte. Übrigens hatte er sich keineswegs geirrt. Heffken war eben mit seinem Bendi angekommen und wollte, irgendeinem bestimmten Ziel entgegen, quer über den Basar gehen, als er, noch ehe er ihn selber sah, Horbachs etwas scharfe Stimme hörte. So unangenehm ihm der wüste Mensch stets war, um so viel weniger mochte er gerade hier und allein mit ihm zusammentreffen und bog deshalb rasch zur Seite aus, um ihn zu vermeiden – doch freilich nicht früh genug, um ganz unbemerkt an ihm vorbeizuschlüpfen. Jedenfalls glaubte er es aber und verfolgte seinen Weg rasch am Basar entlang auf die letzten Häusern zu, die dort im Dunkeln und von den übrigen etwas getrennt lagen.


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