Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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40. Mevrouw Soltersdrop und ihre Männer. – Salomon Holderbreit in heikler Mission

Eigentümlich sehen diese kleinen Städte im Innern Javas aus und gleichen in der Tat mehr einem großen Garten, als dem, was wir gewöhnlich unter dem Begriff von »Stadt« verstehen. Da sind keine hohen, düsteren Mauern, die rauchende, rußige »Feuerstellen« umschließen; keine wetterbraunen Dächer und schmutzige graue Giebel in engen, düsteren Gassen. Wie das ganze Land, so ist auch die Stadt ein Garten, und was sie umschließt und zugleich von dem offenen Land abtrennt, ist nur eine hohe, grünende und blühende Hecke, die an der tatsächlich vorhandenen Chaussee bei einem leichten, weiß angestrichenen und verschließbaren Tor zusammenläuft. Der innere Teil war allerdings in regelmäßige Straßen abgeteilt, aber nur an einer Stelle – auf dem chinesischen Basar – stand Haus an Haus, oder vielmehr Laden an Laden dieses tätigen, unternehmenden Volkes, eine volle Reihe von buntgefüllten Verkaufsbuden dadurch herstellend. Sonst aber berührte kein einziges Haus die Straße; jedes lag abgesondert und oft tief versteckt in einem Hain von Fruchtbäumen, den wieder eine niedrige Blumenhecke umschloß. Die Häuser bestanden sämtlich aus eingerammten Pfählen oder Bambuspfosten mit geflochtenen Bambuswänden und mit den dicht zusammengepreßten Fasern der Aren- oder Zuckerpalme gedeckt. Nur die Europäer hatten sich bequeme und luftige Steingebäude aufgerichtet, wie in Batavia, obgleich die Luft hier nicht so heiß war wie dort unten. Weiß angestrichen oder beworfen, schauten sie aus dem dunklen Grün der Palmen und Blütenbüsche hervor und stolz auf ihre niedrigen Nachbarn und Diener, die javanischen Hütten, herab.

Das Hotel war ein großes, geräumiges, vortrefflich gehaltenes Gebäude, dessen Küche sogar, durch die Umsicht und Tätigkeit von Mevrouw Soltersdrop, der Wirtin, berühmt war. Eine Zeitlang hatte sie als Witwe Splittenhout das Geschäft allein geführt, und es hatte ihm wahrhaftig niemand angesehen, daß kein Mann darin regierte. Vor etwa einem Jahr aber kam der jetzige glückliche Gatte der immer noch ganz ansehnlichen Frau nach Bandong und wußte durch seine männliche Schönheit wie sein einschmeichelndes Wesen die Gunst der Witwe zu erlangen. Was ihn darin aber besonders hob, war seine wirklich aufopfernde Geschäftigkeit, mit der er sich unermüdlich vom frühen Morgen bis späten Abend aus reiner Gefälligkeit für die damalige Mevrouw Splittenhout des Hauswesens annahm, so daß Mevrouw nach einiger Zeit keinen triftigen Grund mehr sah, weshalb sie ihren Nachnamen Splittenhout nicht in Soltersdrop verwandeln solle.

Sonderbarerweise wurde Mynheer Soltersdrop aber nach der Trauung ein ganz anderer Mensch – und zwar nicht etwa, daß er sich nun des Hauswesens noch mehr angenommen hätte, weil ihn jetzt sein eigenes Interesse daran fesselte; nein, gerade das Gegenteil. Wo er früher, selbst bei der Mahlzeit, keine Ruhe hatte und oft mitten im Essen aufsprang und hinauslief, nur um zu sehen, ob die Pferde ordentlich gefüttert wären oder sonst alles in Ordnung sei, dachte er jetzt gar nicht mehr daran, sich in irgendeiner Mahlzeit oder späteren Siesta stören zu lassen. Mit einem Wort: er vernachlässigte alles und wurde ein so faules, nichtsnutziges Subjekt, wie sich je als Hausherr in einer Wirtsstube auf den Bänken herumgetrieben hat. Mevrouw ließ sich das am Anfang eine Weile gefallen; ob sie vielleicht glaubte, daß die neue Würde dem Hausherrn zu Kopf gestiegen sei? Als er sich aber gar nicht änderte, ja mit jedem Tag noch fauler und bequemer wurde und kaum mehr war als ein permanenter Gast im Haus, der keine Zeche bezahlte, lief ihr die Galle auch über.

Von jetzt an gab es Streit und Unfrieden im Haus, und Mevrouw hatte wenigstens die Erfahrung auf ihrer Seite, wenn sie behauptete, daß von sieben Männern sechs nichts taugten und der siebente der schlimmste von allen wäre – Mevrouw Soltersdrop besaß nämlich in Mynheer Soltersdrop ihren siebenten Gatten, und einige von diesen hatte der Tod hinweggerafft, andere waren verschollen, jedenfalls auf See verunglückt. Wie aber die Mitmenschen nur daran Freude finden, wenn sie eben über den Mitmenschen etwas Böses oder Nachteiliges sagen können, so gab es auch verschiedene Gerüchte, daß ihre Männer keineswegs alle tot, sondern einige noch frisch und wohl seien und irgendwo in der Welt steckten, von wo sie, wer wußte wann, leicht einmal wieder auftauchen könnten. Ja, dann und wann hieß es sogar als feststehende Tatsache, daß der oder jener ihrer verlorenen Gatten wieder an irgendeinem Ort der Kolonie auferstanden sei und gedroht habe, Bandong zu besuchen. Einzelne wollten ihn dann immer gesehen haben, und fast jedes Jahr sollte in dieser Art ein anderer Mann erschienen sein. Der Volksmund machte dabei den einen von diesen zu einem verfolgten und blutigen Seeräuber, den andern zu einem indischen Fürsten, der sich irgendwo auf dem Festland bei dem einen oder dem anderen wilden Stamm die Königskrone geholt habe, und daß derartige Berichte auch unverzüglich zu Mevrouws Ohren kamen, dafür sorgten schon ihre Freunde, wie sie deren jeder Mensch auf Erden hat.

Trotzdem ließ sich aber Mevrouw nicht abhalten, immer wieder aufs neue zu heiraten. Mynheer Splittenhout hatte kaum ein Jahr vorher der Schlag gerührt, und der Witwenstand deshalb ihrer Meinung nach lange genug gewährt, als sie dessen Nachfolger – dem siebenten, alles in allem gerechnet – die Hand reichte und den Schwur ehelicher Treue leistete, und seit dieser Zeit waren nun wieder sechs Monate verstrichen. Regelmäßig aber, wie der Westmonsun über die Insel wehte, traf da auch wieder das Gerücht ihr Ohr, daß einer ihrer früheren Männer, und zwar der dritte, auf Java gelandet und in Batavia angekommen sei, von wo er in ihre Arme fliegen werde, sobald es irgend seine Zeit erlaube. Nun wäre Mevrouw gegen die übliche Ankündigung eines solchen Falles schon dadurch vollständig abgestumpft gewesen, daß sich, was sie befürchtete, nie bestätigt hatte, wenn es sie nämlich auch auf die übliche Weise, als Gerücht, erreicht hätte. Ehe aber nur einer ihrer Nachbarn oder der umwohnenden Kulturenbesitzer selber ein Wort davon wußte und sie ein einziges Mal damit necken konnte, erhielt sie einen Brief aus Batavia, der, so kurz er war, so gewichtige Kunde enthielt. Er lautete:

»Weledle vrouw. Ich benachrichtige Sie hiermit, daß Christian Valentijn Joost, mit dem Sie früher ehelich verbunden waren und der im Jahre 18... spurlos verschwand (damals, wie man glaubte, bei dem Schiffbruch eines arabischen Schiffes ertrunken sei), glücklich wieder angekommen ist und beabsichtigt, nach Bandong zurückzukehren.

Ein Freund!«

Dieses Schreiben trug weder Poststempel noch Datum noch weitere Unterschrift, und ein Bote hatte es ihr gebracht, der vor einiger Zeit von dem Residenten nach Batavia geschickt worden war, um einige für ihn dort angekommene Sachen abzuholen. In Batavia hatte es diesem ein »Tuwan« gegeben, der erfuhr, daß er aus Bandong sei, und ihm auf die Seele gebunden, es im Hotel abzuliefern. Die Adresse lautete aber: Mevrouw »Splittenhout« in Bandong. Der Schreiber des Briefes hatte also noch gar nicht gewußt, daß sie schon wieder, und zwar zum viertenmal, seit Joost, ihr dritter Mann, sie verließ, das Joch der Ehe auf sich genommen habe.

Anfangs glaubte sie nun allerdings, daß sich irgend jemand von ihren Bekannten einen höchst unpassenden und häßlichen Scherz mit ihr erlaubt und zugleich ihre wundeste Stelle dabei getroffen habe; denn wenn sie von einem ihrer früheren Männer wirklich nicht genau wußte, ob er tot sei oder nicht, so war es eben Valentijn Joost gewesen. Umstände kamen hinzu, die seinem Abschied von ihr vorhergegangen sein mußten. Von denen sprach sie aber nie, obgleich sie es vielleicht wahrscheinlich machen konnten, daß er noch leben könne, wenn sie auch nie geglaubt hätte, daß er je zurückkehren würde. – Und wenn das jetzt doch geschah? Mevrouw Soltersdrop befand sich dadurch ein paar Tage in einer so unbehaglichen Stimmung, daß sie sogar ihrem jetzigen Mann das Faulenzen und Trinken ungerügt hingehen ließ – nur aus Furcht vor einem früheren; aber die Befürchtung sollte sogar zur Gewißheit werden, als heute nachmittag ein Fremder bei ihr abstieg und sie auf etwas geheimnisvolle Weise bat, ihm eine kurze Unterredung zu gönnen.

Dieser war nun allerdings nicht der angeblich Auferstandene, denn er sah viel jünger aus, als Joost hätte sein können und soweit sie sich an ihn noch erinnern konnte; wer kann schon genau behalten, wie sechs verschiedene Männer ausgesehen haben, wenn noch dazu ein Zeitraum von vierzehn oder fünfzehn Jahren dazwischen liegt. So hatte Joost schwarzes und dieser hier trug blondes Haar; die Frau führte ihn übrigens in einer Aufregung, daß ihr alle Glieder zitterten, augenblicklich in ihr Zimmer und fragte ihn hier, was er ihr zu sagen habe.

»Verehrte gnädige Frau«, begann hier der Fremde in ziemlich gutem Holländisch, obgleich mit unverkennbar fremdem Akzent, »ich komme in einem etwas peinlichen Auftrag für einen Reisegefährten, dem ich mich auch nicht unterzogen hätte, wenn ich es als Geistlicher nicht für meine Pflicht halten würde, Leiden zu mildern und Sorgen und Gefahren sowohl bei einzelnen als auch bei Familien auszugleichen.«

»Ja, Mynheer«, sagte die Frau, die vor Aufregung kaum die Worte verstand, die er sprach, »wer – wer sind Sie denn eigentlich, und was wollen Sie mir mitteilen?«

»Ich werde mich ganz kurz fassen«, erwiderte der Fremde, »und dabei so deutlich wie irgend möglich sein. Ich selber heiße Salomon Holderbreit, bin vor einigen Wochen erst nach Java gekommen und Missionar, um den blinden Heiden das Licht des Glaubens zu bringen. Eigentlich war mein Plan, das ganze Innere von Java zu durchreisen, und ich habe ihn auch noch nicht aufgegeben, vorderhand aber nur die Erlaubnis der holländischen Regierung bekommen, diese Regentschaften auf einige Tage zu besuchen. Unterwegs traf ich in Tjanjor mit einem Herrn zusammen – der mich auch bis hierher begleitet hat...«

»Er ist hier?« rief Mevrouw Soltersdrop erschreckt.

»Erlauben Sie, verehrte Frau, daß ich ohne Unterbrechung in meiner Erzählung fortfahre«, sagte der Geistliche, »ich verliere sonst den Faden, und wir kommen um soviel später zum Ziel. Wo war ich denn gleich stehen geblieben? Ja so, in Tjanjor. Dort übernachteten wir zusammen, und im Gespräch erfuhr der Fremde, der ein braver, tüchtiger Mann zu sein scheint, kaum meinen Stand, als er Vertrauen zu mir faßte und mir noch an demselben Abend sein merkwürdiges Schicksal mitteilte. Verehrte gnädige Frau, fassen Sie sich, eine überraschende, so freudige wie beängstigende Nachricht zu vernehmen; der Herr war -«


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