Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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Mevrouw Soltersdrop hatte den Tisch gefaßt, an dem sie saß, und schaute den Sprechenden mit großen, starren Augen an. Salomon Holderbreit aber, der hier eine kleine Pause machte, fuhr nach wenigen Sekunden ebenso ruhig und ohne die geringste Aufregung fort: »Mynheer Christian Valentijn Joost, früher Ihnen, verehrte gnädige Frau, als Ehemann angetraut, und auf seltsame Weise von Ihnen getrennt.«

»Valentijn Joost«, murmelte die Frau leise vor sich hin, »Valentijn Joost – so ist es doch wahr, so ist es doch wahr – er lebt noch – und er kommt wieder – er kommt wieder!«

»Er ist schon da«, unterbrach Holderbreit ihr Nachdenken, während die Frau ängstlich und erschrocken zur Tür sah, als ob sie erwarte, daß er höchstpersönlich in diesem Augenblick hereintreten werde.

»Aber was will er – um Gottes willen, was kann seine Absicht sein?« stöhnte die Frau mit gefalteten Händen. »Er muß doch wissen, daß ich wieder verheiratet bin, wenn ich mir diese Plage auch nicht hätte aufzubürden brauchen, und Jammer und Schande über mich zu bringen, das hab' ich nicht verdient. Ist er doch gesegnete vierzehn oder fünfzehn Jahre ausgeblieben und hat nichts von sich hören lassen, nicht geschrieben, nicht ein Wort gesandt. Kann es ein Mensch da einer armen, verlassenen Frau verdenken, wenn sie sich wieder nach Schutz und Beistand umsieht in dieser schlechten Welt?«

»Aber das Band der Ehe ist ein so heiliges...«

»Ach, ehrwürdiger Herr«, sagte die Frau in ihrer Angst und mit einer gewissen vertraulichen Treuherzigkeit, »die Heiligkeit dabei ist nicht so weit her, und eine Menge Menschen heiraten nur eben, um unter Dach und an einen gedeckten Tisch zu kommen. Gott verzeih' mir die Sünde, aber ich will weiter nichts gesagt haben, doch vor Gott bin ich mir in dieser Sache keiner Schuld bewußt, und die Gesetze sind auf meiner Seite; gegen die hab' ich nicht gesündigt und nur mit Erlaubnis der Regierung wieder geheiratet, die es dann auch verantworten möchte, wenn es eine Sünde gewesen wäre. Aber die Menschen – lieber, guter Gott, wenn das bekannt würde, könnte ich nur mein Haus verkaufen, mein Bündel schnüren und machen, daß ich aus Java fortkäme, so rasch wie möglich, denn Frieden fänd' ich nicht mehr, soviel ist gewiß.«

»Das gerade«, sagte hier Salomon Holderbreit freundlich, »meinte auch Ihr früherer Gatte, verehrte Frau, und deshalb hat er mich mit dieser kitzligen Sache betraut, die außer uns dreien noch kein Mensch kennt, um alles nach Pflicht und Gewissen, aber im stillen abzumachen.«

»Außer uns dreien kein Mensch?« sagte die Frau, den Missionar rasch und aufmerksam betrachtend. »Also haben Sie mir vor ein paar Tagen den Brief aus Batavia geschickt?«

»Ich? Nein«, sagte Herr Holderbreit erstaunt. »Erst in Tjanjor hatte ich, wie schon vorhin erwähnt, das Vergnügen, Herrn Joost kennenzulernen.«

»Dann weiß also noch jemand davon – oder Valentijn hat den Brief selber geschrieben – sich selber angemeldet?«

»Damit Ihnen vielleicht der Schreck über seinen plötzlichen Anblick nicht schaden möchte, verehrte gnädige Frau«, sagte Holderbreit. »Nach allem aber, was wir beide über Sie gesprochen, liegt ihm nichts ferner, als Sie zu kränken und zu betrüben, und er wollte diese Sache mit äußerster Vertraulichkeit von mir behandelt wissen, damit das Geheimnis nicht an fremde Ohren dringt. Sie glauben nicht, verehrte gnädige Frau, wie besorgt er um Ihren Ruf ist, und das gerade hat mich veranlaßt, ihm meine Vermittlung zuzusagen, wenn ich nicht außerdem meine Pflicht darin zu erfüllen glaubte.«

»Wenn er aber so schrecklich rücksichtsvoll auf meinen guten Ruf bedacht ist«, klagte Mevrouw Soltersdrop, »weshalb kommt er dann überhaupt? Weshalb setzt er mich dieser Gefahr aus, die uns beiden nicht den geringsten Nutzen bringen kann? Denn ich bin ja doch nun einmal Soltersdrops Frau und kann es nicht mehr ändern – wenn ich auch wollte.«

»Hm – ja«, sagte Holderbreit, selber etwas überrascht von dieser Logik, denn darin hatte die Frau vollkommen recht und er selber noch nicht einmal daran gedacht. Warum war er überhaupt gekommen? Jedenfalls doch nur, um sie noch einmal zu sehen und sich vielleicht mit ihrem Vermögen auseinanderzusetzen. »Trauen Sie ihm die redlichsten Beweggründe zu«, fuhr er aber freundlich fort, »denn die Sehnsucht, nach so langer Zeit das Wesen wiederzusehen, das einmal dazu bestimmt war, mit ihm durch das ganze Leben zu gehen, mag sein Herz vor allem anderen hierher gelockt haben. Gewiß waren außerdem einige vielleicht noch zu treffende materielle Anordnungen – gütige Auseinandersetzungen über Vermögen...«

»Da liegt der Hund begraben«, sagte Mevrouw Soltersdrop, die viel prosaischere Ansichten vom Leben zu haben schien als ihr ehrwürdiger Besuch. Jedenfalls kannte sie das Leben von einer weit mehr praktischen Seite als er, »das wird auch seine ganze Sehnsucht nach mir sein, die er die fünfzehn langen Jahre vortrefflich hat bezwingen können.«

»Seine Ansprüche«, sagte Holderbreit begütigend, »werden sich gewiß nur auf das beschränken, was er...«

»Ansprüche?« unterbrach ihn aber Mevrouw entrüstet, »Ansprüche? Wohl deshalb, weil ich ihn drei Jahre gefüttert und nachher noch mit Geld und Waren ausgestattet habe, um eine Spekulationsreise nach Macassar und Borneo zu machen? Schöne Ansprüche, die er erheben könnte, nachdem er mir nie im Leben Rechenschaft über Geld und Güter abgelegt hat. Ansprüche! Aber mit denen wird er auch nicht kommen, und ich sehe jetzt schon durch das Ganze durch. Sie also hat er zu seinem Geschäftsführer ausersehen?«

»Ich bitte Sie freundlichst, dafür ein anderes Wort zu gebrauchen«, sagte Holderbreit. »Soweit es das Gefühl betrifft, würde ich mir diese Bezeichnung gefallen lassen; alles weitere muß ich Sie aber bitten, mit Ihrem früheren Gemahl selber abzumachen.«

»Nehmen Sie's nicht übel«, sagte die Frau, indem sie ihm die Hand hinüberstreckte, »ich hielt Sie für seinen Abgesandten, um irgendeine bestimmte Summe aus mir herauszupressen, wofür Sie dann Ihre gewissen Prozente bekämen.«

»Mevrouw!« rief Holderbreit, wirklich böse gemacht, »Sie glauben doch nicht etwa, daß ich als Geistlicher solcher Handlung fähig wäre?«

»Lieber Herr«, sagte die Frau ruhig, »unser Herrgott hat allerlei Kostgänger, und wenn man vierundzwanzig Jahre Wirtin ist und in der Zeit sieben Männer gehabt hat, bekommt man ein kleines Stück vom Leben, und wie es darin zugeht, zu sehen, das mögen Sie mir glauben. Geld regiert nun einmal die Welt, und der Valentijn, wenn er noch so schön gesprochen hat – was er konnte, soweit ich mich auf ihn besinne – ist doch wegen weiter nichts hier heraufgekommen, als eine Abstandssumme aus mir herauszuholen, damit er ruhig wieder fortginge und mit keinem Menschen darüber spräche.«

»Sie denken zu hart von ihm; ich bin besserer Meinung und traue ihm solche schnöde Absichten nicht zu.«

»Lehren Sie mich die Männer kennen, und noch dazu die Kaufleute! Aber das schadet nichts; geht es ihm wirklich schlecht – und wäre das nicht der Fall, hätte ich seinen Schatten schwerlich wiedergesehen – so will ich mit ihm gern etwas von dem teilen, was mir Gott geschenkt hat. Es kommt mir auf eine Handvoll Gulden nicht an, und ich kann ihn, beim Himmel sei Dank, zufriedenstellen, aber er muß dann auch machen, daß er ohne Zögern und Verweilen wieder fortkommt.«

»Aber, verehrte gnädige Frau...«

»Nun?« sagte die Frau. »Er soll wohl dableiben? Ich habe wohl nicht schon einen Mann?«

»Ja so«, sagte Herr Holderbreit bestürzt, »entschuldigen Sie, ich meinte es nicht in dieser Art.«

»Also wollen Sie mir behilflich sein, um ihn dahin zu bringen, die Sache kurz und bündig abzuwickeln?«

»Wenn ich Ihnen damit einen Dienst erweisen kann, von Herzen gern – vorausgesetzt, daß Sie die Überzeugung haben, ich wenigstens verfolge keine eigennützigen Interessen.«

»Reden wir nicht davon«, meinte die Frau, »ich glaube, daß Sie es gut meinen; Sie sehen mir wenigstens nicht so aus, als ob Sie die Schliche und Wege schon weghätten, auf denen hier die Leute zum Ziel zu kommen suchen. Wenn ich Ihnen aber nachher wieder gefällig sein kann, soll es auch geschehen – eine Hand wäscht die andere auf der ganzen Welt.«

»Da nehme ich Sie beim Wort«, sagte Herr Holderbreit, »wenigstens da, wo es mein Missionswerk betrifft, das mir vor allen anderen Dingen am Herzen liegt. Vielleicht sind Sie gerade die passende Frau dazu, und Gottes Hand hat mich als schwaches Werkzeug selber hierher geleitet.«

»Hm«, sagte die Frau, indem sie ihn mißtrauisch betrachtete, »Sie – Sie wollen doch nicht etwa aus unseren Malaien Christen machen?«

»Mit Gottes Hilfe, ja«, sagte Salomon Holderbreit ernst und entschieden. »Ich bin wenigstens mit dem besten Willen dazu hierher gekommen.«

»Nun – ich will Ihnen etwas sagen«, meinte die Frau. »Erstens glaub' ich nicht, daß es die Regierung duldet, denn die Malaien zu Christen oder liederlichen Menschen machen, heißt ziemlich ein und dasselbe bei uns. Bekommen Sie aber die Erlaubnis, dann will ich Ihnen ein paar prächtige Plätze zeigen, wo Sie vollauf Arbeit bekommen – damit Sie wenigstens nicht mit unseren gleich anzufangen brauchen. Doch um jetzt wieder auf unser Geschäft zu kommen, so – muß ich den Valentijn doch vorher erst sehen. Der Henker mag dem trauen! Der eine oder andere Vent kann sich einen Spaß gemacht haben, um mich hinters Licht zu führen – nicht als ob ich sagen wollte, daß Sie auch mit dahinter steckten; aber klügere Leute sind schon von solchen Spitzbuben angeführt und sicher ist einmal sicher. Ich will nicht leugnen, daß ich die Möglichkeit zugebe, der Valentijn könne noch leben, denn über ihn habe ich allerdings nie die bestimmte Nachricht seines Todes, sondern nur Mitteilung von dem Untergang des Fahrzeugs bekommen. Ist es aber der Rechte, dann muß er doch wenigstens noch Papiere, muß seinen Trauring und manche anderen Dinge haben oder wissen, nach denen ich ihn schon fragen werde. Mein Mann hält noch seine Siesta – er hat heute mittag ein Glas über den Durst getrunken, weil er behauptete, daß sein Geburtstag wäre – er wird nicht aufwachen, bis ich ihn wecke. Lassen Sie den Valentijn gleich kommen; je eher ich die Sache mit ihm erledige, desto besser.«

»Und sind Sie vollständig auf dieses Wiedersehen vorbereitet, verehrte gnädige Frau?« sagte Holderbreit, der sich das Wiedersehen zweier Gatten, die fünfzehn Jahre getrennt waren, etwas aufregender, erschütternder dachte – er überlegte freilich nicht, daß vier andere Ehemänner dazwischen lagen: drei in ihrem Grab und einer in der Schlafkammer auf seinem Bett.

»Vorbereitet? Gewiß«, erwiderte Mevrouw. »Es ist auch besser, daß das so rasch wie möglich geschieht, denn diese Angst und Aufregung vorher reibt mich auf. Ich will fertig mit ihm sein – ich will Ruhe vor ihm haben, nachher kann ich mich auch darüber freuen, daß ihm Gott das Leben gelassen hat, sonst – sonst nicht, und ich fühle, daß das Sünde sein würde – Sünde gegen Gott und – gegen ihn.«

»Also Sie wünschen, daß er gleich zu Ihnen komme?« fragte Holderbreit. Die Frau konnte aber nicht antworten; die Worte steckten ihr oben in der Kehle fest, und sie nickte nur einmal heftig mit dem Kopf, worauf der Missionar aufstand und langsam das Zimmer verließ.


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